Ist der Papst ein Betrüger?

Interview zum Buch von Jörn Dyck

Ist der Papst ein Betrüger?

Foto: Pixabay.com / Paula11767

Wer in der Religions- und kirchenkritischen Medienwelt unterwegs ist, dürfte Jörn Dyck ein Begriff sein: Als Publizist, Buchautor („Die Morde der Bibel“), als Gastautor und Kommentator auf AWQ.DE und natürlich als neuestes Mitglied beim Ketzerpodcast.

Mit seinem neuen Buch „Ist der Papst ein Betrüger?“ legt Jörn jetzt ein fast 500 Seiten starkes Werk mit vielversprechendem Titel und interessantem Ansatz vor.

Das sah wohl auch der Philosoph und Buchautor Andreas Edmüller („Die Legende von der christlichen Moral“, „Dossier Verschwörungstheorie“ u. v. m.) so und arrangierte ein Interview, in dem er sich mit Jörn über dessen gerade neu erschienenes Buch unterhielt.

Wir freuen uns, die Unterhaltung der geschätzten AWQ-Leserschaft präsentieren zu dürfen.

Herzlichen Dank an Jörn und Andreas und jetzt viel Spaß bei dieser unterhaltsamen Buchbesprechung!

Andreas Edmüller (AE): Hallo Jörn, gerade habe ich Dein Buch zum Betrugsvorwurf an die Adresse der drei letzten Päpste gelesen: Starker Tobak und sehr unterhaltsam! Gerade das Richtige für AWQ. Meine erste Frage liegt auf der Hand: Ist der Papst tatsächlich ein Betrüger?

Jörn Dyck (JD): Tja, wenn das so einfach wäre! Atheisten würden ohne Zögern antworten: Natürlich! Aber nehmen wir Franziskus und das Pestkreuz, mit dem er die Corona-Pandemie beenden wollte. Es war klar, dass er damit scheitern wird. Aber wenn er ein Betrüger ist, warum inszeniert er dann sein Scheitern in aller Öffentlichkeit?

AE: Vielleicht hat er selber daran geglaubt – Selbstbetrug ist ein bekanntes Phänomen, nicht nur im Religiösen. Gerade beim Papst liegt diese Erklärung doch nahe.

JD: Ja, vermutlich. Und dann wäre er dumm oder zumindest ungebildet. Aber ein Betrüger? Auf der anderen Seite gibt es Beispiele, bei denen der Betrug eindeutig scheint. Etwa die Wirkungslosigkeit seiner Segnungen und Gebete. Oder lächerliche Wunderberichte, die als wahr behauptet werden. Wir haben es wohl mit einer interessanten Mischung zu tun: Dummheit, Selbstbetrug, und Betrug. Aber der Buchtitel »Ist der Papst womöglich ein dummer Betrüger, der sich auch selbst betrügt?« passte nicht aufs Cover.

AE: Verstehe, alles hat Grenzen. Was ist neu an dem Buch?

JD: Neu ist, Glaube und Religion inhaltlich nicht anzutasten. Das klingt im ersten Moment etwas merkwürdig. Aber dadurch können Gläubige meine Argumente nicht einfach vom Tisch wischen mit dem Hinweis, sie seien eben gläubig. Ich wollte mich auf jene Dinge konzentrieren, die ein objektives Urteil ermöglichen. Das Pestkreuz war schlicht und einfach wirkungslos – unabhängig davon, was jemand glaubt oder glauben will. Das ist viel interessanter als irgendein Geschwurbel über das Jenseits.

Neu ist auch die Schärfe des Titels. Der Vorwurf des Betrugs wiegt ja schwer. Dadurch wird von mir eine klare, sachliche und objektive Argumentation gefordert. Es geht also nicht um Meinungen, sondern um Fakten. Nicht im Jenseits, sondern hier und jetzt. Ob zum Beispiel der Segen der Päpste tatsächlich die behauptete Wirkung hat, lässt sich ja hier und jetzt feststellen.

AE: Und das Ergebnis ist bekannt: Wenn ich an Halloween Untergiesing segne hat das exakt die selbe Wirkung wie das päpstliche Urbi et Orbi zu Ostern. Ist es in erster Linie ein Buch für Gläubige oder für Atheisten?

JD: Religionskritische Bücher werden wohl hauptsächlich von Atheisten gelesen. Für sie soll es spannend und unterhaltsam sein. Sie werden viele Argumente und Details finden, die man in Diskussionen verwenden kann. Aber ich habe auch darauf geachtet, dass gläubige Leser die Gerichtsverhandlung verfolgen können, ohne sich selbst angeklagt zu fühlen. Wenn der Papst ein Betrüger sein sollte, dann gehören sie ja mit zu den Opfern und Betrogenen.

Persönlich mag ich Bücher, die mit Schwung geschrieben sind, und bei denen man sich als Atheist hin und wieder etwas aufregen oder amüsieren kann. Deshalb enthält das Buch auch empörende Fundstücke und witzige Kuriositäten. Es soll Spaß machen.

AE: Also ich warte jetzt einfach mal auf begeisterte Rückmeldungen und Autogrammwünsche von Gläubigen. Werden gläubige Leser von ihrem Glauben abfallen?

JD: Ja. Es wird den Gläubigen die Augen öffnen. Aber es hat einen hohen Preis.

AE: Nämlich?

JD: Sie kommen dafür in die Hölle. So ehrlich muss man sein.

AE: Hm – Hölle: Das stelle ich mir manchmal als Dauerbeschallung mit allen Folgen des WzS in Endlosschleife vor. Mit Margot Käßmann als Moderatorin. Kannst Du wichtige Stationen des Buches kurz zusammenfassen?

JD: Es beginnt mit der Frage, ob es überhaupt religiösen Betrug geben kann, oder ob alles eine Frage des Glaubens und der Auslegung ist. Dazu gebe ich einige Beispiele, bei denen auch gläubige Leser zugeben werden, dass es sich um Betrug handeln muss. Für atheistische Leser ist es außerdem witzig. Es geht z.B. um die Gebeine von Heiligen, von denen die Kirche genau weiß (und sogar auf Nachfrage bestätigt), dass es Knochen von Schweinen sind.

AE: Diese Beispiele fand ich übrigens sehr überzeugend – gerade weil der Schwindel so dreist und offensichtlich ist und jeder, auch die Gläubigen, Bescheid weiß.

JD: Freut mich, dass Du das Buch tatsächlich gelesen hast. Danach wende ich mich jenen Beispielen zu, die ganz konkret mit den letzten drei Päpsten zu tun haben. Dadurch wird die Ausflucht versperrt, es handele sich um Verfehlungen anderer Päpste oder vergangener Zeiten. Dabei gebe ich Einblicke in die spezielle Theologie der jeweiligen Päpste. Franziskus predigt viel von Barmherzigkeit, Benedikt schreibt in seinen Büchern viel über die Liebe. Beides wird auf den Prüfstand gestellt. Wer die Bibel gelesen hat, weiß, worauf er sich hier freuen kann.

AE: Stimmt: Realsatire vom Feinsten. Und wer die Bibel nicht gelesen hat? Du willst doch auch Christen mit Deinen Argumenten erreichen …

JD: Dem führe ich die entsprechenden Texte vor. Das Buch enthält viele kurze Zitate aus der Bibel, und zwar vor allem solche, die keinerlei Spielraum für Interpretationen lassen. Das ist sehr of extrem brutal und menschenverachtend; eigentlich dürfte das Buch erst ab 18 Jahren freigegeben werden.

Margot Käßmann ist ja sehr erfolgreich darin, die Bibel aussehen zu lassen wie einen kitschigen Film nach Rosamunde Pilcher. Aber tatsächlich ist es ein Kettensägen-Massaker. Es fließt viel Blut, aber es gibt wenig Popcorn. Mal sehen, ob das ebenfalls gut ankommt.

AE: Ich habe da nach zahlreichen Debatten mit Christen über ihre Bibel, die sie nie gelesen haben, einen Verdacht und wünsche Dir frohes Gelingen!

JD: Danke. Jedenfalls, danach werfe ich einen Blick auf die Kirchengeschichte. Ich zeige, dass der Betrug schon immer eine Grundzutat des Katholizismus darstellt. Die Päpste wussten zu allen Zeiten, wie unmoralisch und absurd speziell das Alte Testament war. Das ist keine Entdeckung der Neuzeit. Ich belege das mit alten Dokumenten aus den Archiven des Vatikans.

Dann kommen aktuelle gesellschaftliche Themen zur Sprache. Papst Benedikt hat eine Rede im Deutschen Bundestag gehalten und den Abgeordneten erklärt, worin wahre Weisheit und wahre Gerechtigkeit besteht. Diese Rede ist ein echtes Gaunerstück, aber man braucht etwas Hintergrundwissen, um es zu verstehen. Benedikt hat zudem aktiv versucht, die rechtliche Gleichstellung der Homosexuellen zu verhindern. Seine Argumentation nehme ich sehr genau unter die Lupe.

AE: Als Philosoph habe ich Deine Analyse mit Genuss gelesen. Benedikts Aufführung war tatsächlich einer der geistigen und moralischen Tiefpunkte des deutschen Parlamentarismus: Tosender Beifall der Abgeordneten für die Verachtung des Würdegedankens unserer Verfassung.

JD: Zum Abschluss geht es um den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche und was die drei letzten Päpste darüber wussten. Ich zitiere aus den Unterlagen der Bistümer und des Vatikans, die einst geheim waren, die aber mittlerweile in den Archiven zugänglich sind. Die Vertuschung kann man dort schwarz auf weiß nachlesen, komplett mit Datum und Unterschrift. Es ist vernichtend.

AE: Wäre schön, wenn sich das so langsam herumspräche. Auch bei Politikern und Staatsanwälten. Du deckst mit dem Buch eine enorme Fülle an Themen ab. Wie lange hast Du daran gearbeitet?

JD: Etwa ein Jahr habe ich Material gesammelt, danach habe ich ein Jahr lang geschrieben. Das ist lang, aber es lag vor allem an der umfangreichen Recherche. Meine Idee war, alles und jedes mit seriösen Quellen zu belegen, damit die Leser in Diskussionen sofort das vatikanische Original-Dokument oder den Bibelvers präsentieren können. Das Buch enthält über 330 Quellenangaben. Die meisten sind im Internet zugänglich, denn es nützt den Lesern ja nichts, wenn es sich bei den Quellen um irgendwelche akademischen Bücher handelt, die sowieso kaum jemand besitzt. Mir persönlich gefallen Bücher, die mir „Munition“ für Diskussionen liefern.

AE: Mir auch. Überrascht war ich von den vielen Bildern.

JD: Ja, das ist etwas ungewöhnlich. Aber wenn Papst Benedikt im goldenen Mantel über die Verschwendung der Reichen jammert — so ein Bild lässt sich durch keinen Text ersetzen. Vieles ist derart absurd, dass man es sehen muss, um es für möglich zu halten. Manche dieser Bilder habe ich sogar bei christlichen Agenturen lizenziert, was nicht ganz billig ist. Aber ich fand, dass man zwischen den ganzen Fakten und Belegen gerne mal seine Gedanken auf die Reise schicken möchte. Das lustige Bild von goldenen Benedikt ist übrigens auch auf der Webseite zum Buch zu sehen, jedenfalls derzeit. [papstbetrug.de]

Das sind für mich jene, die echten Schaden anrichten

AE: Tja – auf ihre Garderobe und edle Accessoires legen die geistlichen Herren offensichtlich sehr großen Wert. Welche der von Dir beleuchteten Betrügereien sind denn die schlimmsten? Und warum?

JD: Das sind für mich jene, die echten Schaden anrichten. Es ist ja nicht verboten, dummes Zeug zu reden. Aber Religionen haben oft zum Ziel, den Gläubigen den Ausweg zu versperren. Sie verdrehen die Weltsicht der Menschen, damit sie aus dem Labyrinth des Wahns nie mehr herausfinden. Das nimmt ihnen die Freiheit. Das ist schäbig.

Zu diesen Verdrehungen gehört es, Dummheit als größte Tugend auszurufen. Gläubige sollen nicht zweifeln, nicht kritisieren, nicht nachforschen. Sondern nur glauben und brav dem Bischof folgen. Im Katechismus steht: »Durch den Glauben ordnet der Mensch seinen Verstand und seinen Willen völlig Gott unter.« Es ist eine Sklavenmoral. Noch dazu wird verlangt, dass sich die Sklaven freiwillig unterwerfen und ihrem Herrn die Hand küssen. Das ist widerlich.

Es hat nicht nur einzelne Menschen geschädigt, sondern die ganze Menschheit. Das ist keine Übertreibung. Im Buch zitiere ich Anordnungen des Vatikans, allen wissenschaftlichen Schriften die Druckerlaubnis zu verweigern, sobald sie der Lehre des Papstes widersprachen. Das ist gar nicht so lange her. Zahlreiche Wissenschaftler landeten auf dem Scheiterhaufen, obwohl sie ihre Thesen begründen konnten, und obwohl damals jeder Fortschritt für alle Menschen sehr wertvoll gewesen wäre. Etwa in der Medizin. Ich kann anhand von Briefen aus der damaligen Zeit belegen, dass die Päpste wussten, dass es Betrug war. Diese Zeiten sind zwar vorbei, aber die Geringschätzung des Wissens und der geistigen Freiheit gilt weiterhin. Das halte ich für verachtenswert.

AE: Klare Worte und klare Thesen, aber damit stehst Du nicht alleine. Kann so etwas wie organisierte Religion überhaupt ohne substantiellen Betrug funktionieren?

JD: Vermutlich nicht, weil Religion auf das Jenseits verweist. Dadurch hat es ein wesentliches Element, das sich der Prüfung entzieht. Ohne Prüfung kann man nicht wissen, was wahr ist. Gleichzeitig braucht eine Religionsgemeinschaft gemeinsame Inhalte, die als wahr erachtet werden, sonst fällt sie auseinander. Am Ende wird jemand etwas erfinden und einfach behaupten, er sei sich absolut gewiss.

Deswegen kann man sich mit Priestern sehr lange darüber unterhalten, was sie für wahr halten; aber das Gespräch endet abrupt, wenn man sie danach fragt, wie sie ihre Wahrheiten geprüft hätten. Schon die Frage wird als ungehörig empfunden.

Niemand führt das so gut und detailliert vor wie Marc hier auf AWQ. Ein Priester wird niemals seine Behauptungen beweisen, sondern er wird einfach eine weitere Behauptung aufstellen. Es ist eine Täuschungsstrategie.

AE: Auch von mir ein donnerndes Dankeschön an Marc! Siehst Du eine Möglichkeit, wie der Papst seinen Job in Zukunft ohne Betrug ausüben kann? Oder gehört das untrennbar zu seiner Arbeitsplatzbeschreibung?

JD: Daran hindern ihn drei Dinge: Die Bibel, das Christentum und der Katholizismus.

AE: Sonst nichts?

JD: Bibel und Christentum sind widerlegt. Alle zentralen Thesen, alle historischen Behauptungen, alle angeblichen Offenbarungen wurden akribisch überprüft. Alles hat sich als falsch herausgestellt, und zwar beweisbar. Man kann heute sehr genau darlegen, wie die verschiedenen religiösen Strömungen der damaligen Zeit im Christentum zusammengeführt wurden. Man kennt die Denkfehler der angeblichen Gottesbeweise. Das ist unrettbar verloren. Die einzige Ausflucht besteht darin, so zu tun, als hätte man von all dem nie etwas gehört.

AE: Du diskutierst ja oft mit Gläubigen – wie reagieren sie auf Deine doch sehr prägnanten Thesen?

JD: Steve Jobs hat mal gesagt, wenn man eine Sache nicht mit wenigen Worten beschreiben kann, dann hat man sie meist noch nicht richtig durchdacht. Die Zuspitzung auf die Frage des Betrugs erscheint zunächst etwas holzschnittartig und ungenau; tatsächlich ist sie aber das Ergebnis einer intensiven Beschäftigung mit dem Thema. Die Frage ist deswegen klar und präzise.

Das Gegenteil findet man bei Gläubigen. Nichts ist klar und präzise. Die Reaktionen starten bei spontan ausgedachten Ausflüchten, dann folgt ein wildes Hin und Her mit ständigen Themenwechseln. Empört erzählen sie vom sympathischen Pfarrer aus dem Dorf, damals in den 70ern, und ob man ihn ebenfalls als Betrüger bezeichnen wolle?

AE: Ich kriege bei solchen Gelegenheiten öfter zu hören, wie schön es in der christlichen Jugendgruppe damals war und dass wir ohne die Caritas sowieso aufgeschmissen wären …

JD: Sehr zuverlässig stoße ich auf folgendes Phänomen: Ich habe ein Sachbuch mit fast 500 Seiten vorgelegt. Als erste Reaktion zaubert jemand innerhalb einer einzigen Sekunde siegesgewiss ein Argument aus dem Hut, das alle meine Thesen vollständig widerlegt: „Die Bibel muss man halt auslegen!“. Und da denke ich mir: „Verflixt! Dass ich daran nicht gedacht habe!“

AE: Das kommt mir sehr bekannt vor – man muss die Bibel übrigens auch als Ergebnis ihrer Zeit verstehen. Aber nur dann, wenn man sie nicht wörtlich nehmen sollte oder Gottes Wort für uns halt nicht leicht zu verstehen ist oder man sie von Jesus her verstehen muss oder Frau Käßmann ihr Veto einlegt.

JD: Genau, so geht das. Übrigens zeige ich im Buch, dass es nur ein weiteres Betrugsmanöver ist, zu behaupten, man dürfe alles so lange auslegen, bis das gewünschte Ergebnis herauskommt. Die Bibel ist sehr klar darin, was sie von den Menschen verlangt.

AE: Stimmt: Deshalb sperren sich Christen ja auch mit Händen und Füßen dagegen, die Bibel zu lesen. Apropos: Was ich oft höre ist diese tiefe Weisheit: „Die Religion gibt vielen Menschen Halt und Sinn im Leben!“ Wie kannst Du es verantworten, ihnen diese Stütze wegzunehmen?

JD: Die Stütze war ja nie vorhanden. Also kann ich sie ihnen auch nicht wegnehmen. Das Gegenteil ist wahr: Religionen locken Menschen in Widersprüche und Sackgassen. Nur deswegen suchen sie ständig Halt. Nur deswegen müssen sie sich ständig gegenseitig versichern, dass ihr Glaube stark ist. Das ist nicht meine Schuld.

Generell verweigere ich mich einer Argumentation, der es einerlei ist, ob eine Sache wahr ist. Das ist doch nur Theater. So argumentieren keine erwachsenen Leute.

Die Frage nach dem „Sinn“ ist ein Betrug der Kirchen. Welchen Sinn hatte Auschwitz? Falls er uns irgendwann von Gott offenbart werden sollte, widerspreche ich. Ich will diesen Sinn nicht. Nicht zu diesem Preis.

AE: Stimmt – man sollte sich klarmachen, dass alle möglichen mörderischen und menschenverachtenden Wahnideen irgendwelchen Leuten Sinn und Halt im Leben vermitteln können: Maoismus, Stalinismus und Nationalsozialismus sind da prominente und schreckliche Beispiele. Deshalb ist die eigentlich wichtige Frage diese: Ist das, was da Sinn und Halt vermittelt, moralisch akzeptabel? Darüber mögen meiner Erfahrung nach die meisten Christen aber gar nicht gerne diskutieren – man müsste ja dann mal die Bibel lesen.

JD: Zur Einstimmung könne sie ja mit meinem Buch anfangen.

AE: Oder den Ketzerpodcast hören. Du bist ja auch dort sehr aktiv – welche Reaktionen kommen denn da von religiöser Seite auf Eure Sendungen?

JD: Die Reaktionen religiöser Hörer sehe ich vor allem auf unserem YouTube-Kanal. Sie gehören meist einem von zwei Lagern an. Entweder sind sie völlig oberflächlich, werfen uns aber vor, die komplexe Wahrheit zu verfehlen. Das Motto: „Schade, dass Ihr überhaupt nichts versteht. Jesus liebt Euch, wieso begreift Ihr das nicht?“ Oder die Kommentare sind derart detailliert und weitschweifig, dass sie geradezu wahnhaft wirken. Diese zwei Extreme kann man vermutlich nicht durch Argumente erreichen.

Aber man kann normalen Leuten ein paar Argumente anbieten, die sie in privaten Debatten verwenden können. Dass es tatsächlich etwas nützt, sieht man auch an mir. Ich habe sehr viel gelernt von AWQ und auch aus Deinen Büchern und Podcast-Beiträgen. Mein Buch ist ein Ergebnis davon. Die Botschaft trägt sich immer weiter und wird immer vielfältiger, auch wenn man es oft nicht direkt mitbekommt.

AE: Das freut mich und ich sehe es wie Du: Steter Tropfen höhlt den Stein! Damit wären wir natürlich bei AWQ. Wie schätzt Du denn das WzS vor dem Hintergrund Deines Buches ein?

JD: Für mich ist das Scharlatanerie. Es täuscht die Zuschauer darüber, worum es im Christentum geht und was in der Bibel steht. Es reisst Bibelverse aus dem Kontext und verdreht ihre Bedeutung. Diesen betrügerischen Predigten widme ich übrigens ein paar Seiten des Buchs.

Mich stört aber auch das flache Niveau des WzS. Rein theoretisch könnte man die Leute ja auch mit mehr Raffinesse verkohlen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand so blöd ist, dass ihn das WzS zum Nachdenken anregt.

AE: Doch, ich schon.

JD: Letztlich ist das WzS eine Propaganda für zwei Kirchen. Es erinnert mich an das Fernsehen der DDR: Mit einem geheuchelten Dauerlächeln wurden dort Dinge als wahr behauptet, von denen doch alle wussten, dass sie gelogen waren. Wir wissen, wie das ausging.

AE: Welche Themen sollte denn das WzS aufgreifen, um wenigstens etwas inhaltliche Substanz zu liefern?

JD:

Eine Serie im Advent mit Darstellung der schönsten Kindermorde in der Bibel. Am besten vorgelesen von Kindern. Die Pfarrerin hält die Kerze und der Pfarrer spielt zur Untermalung auf einer Blockflöte.

Am 24. Dezember eine Spezialausgabe mit dem Titel »Ihr Kinderlein kommet«. Es geht um die wunderschöne Geschichte, bei der alle unbeschnittenen Kinder eingefangen und gewaltsam beschnitten wurden. (1. Makkabäer 2, 44-46)

Ob sie testweise ein goldenes Kalb bauen und darum herumtanzen könnten, um zu sehen, was geschieht?

Was hat Jahwe eigentlich mit der schönen Tochter von Jiftach angestellt, die ihm geopfert wurde? Üblicherweise wurden Opfergaben verspeist.

Ob sie vielleicht beten könnten, dass „Wetten dass…?“ wieder regelmäßig kommt?

AE: Gute Ideen, eine hätte ich auch noch: „Warum Jahwe der erste Feminist war!“. Wo gibt es Dein Buch und wo findet man weitere Infos?

JD: Alle Infos, Leseproben und Videos gibt es auf der Webseite zum Buch: Papstbetrug.de. Das Buch ist derzeit erhältlich bei Amazon, sofort auf Lager und versandkostenfrei. Außerdem gibt es digitale Versionen für den Kindle und iPad/iPhone.

AE: Welches Buchprojekt packst Du als nächstes an?

JD: Ein Inhaltsverzeichnis für Twitter.

AE: Da würde ich mich beeilen, Elon Musk scheint ganz eigene Pläne mit Twitter zu haben. Lieber Jörn, herzlichen Dank für Deine Zeit und dieses Interview! Und natürlich viel Erfolg für Dein Buch!

Webseite zum Buch: https://papstbetrug.de

Das Interview wurde zuerst auf der Webseite von „Answers without Questions“ (AWQ), einer rein privaten, nichtkommerziellen Webseite zu Aufklärung, Atheismus, Glaubens-, Kirchen- und Religionskritik, Säkularität und Humanismus, veröffentlicht.

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Kommentare

  1. userpic
    Gerhard Baierlein

    Nachdem ich das Buch gelesen habe, habe ich mich viel mit Gläubigen unterhalten.
    Der Tenor deren Argumente geht oft in die Richtung, dass diese sich von den Kirchen distanzieren aber den Glauben an einen Gott beibehalten wollen (man weiss ja nie).
    Das bedeutet eigentlich, daß man sich von den Erfindern des Glaubens an Gott entfernt,
    aber die Erfindung Gott beibehalten will.
    Typisch Mensch, inkonsequent und schon fast paranoid, damit wird aller Logik zum Trotz
    weiterhin an ein Märchenwesen geglaubt.

    Antworten

    1. userpic
      A.S.

      Mit Rainer Rosenzweig vom damaligen KORSO habe ich vor ca. zwei Jahren über die Frage des "Priesterbetrugs" gestritten. Das jetzt ein Buch zu diesem Thema kommt freut mich sehr (ich habe es aber noch nicht gelesen).

      Meiner Meinung nach gibt es wichtige Aspekte für ein Klammern an Religion, die im Interview nicht erwähnt wurden:
      - der Glaube an ein Leben nach dem Tod
      - der Glaube an einen Beschützer-Gott
      - der vermeintliche Sinn des Lebens
      Auf alle diese Illusionen muss der Nichtgläubige verzichten. Das macht bei allen Zweifeln den Übergang vom Gläubigen zum Nichtgläubigen schwierig.
      Letzendlich betrügen uns die religiösen Führer mit unserem eigenen Wunschdenken.

      Ich vergleiche religiöse Führer gerne mit Heiratsschwindlern: Sie erkennen die Sehnsüchte und Nöte ihrer Opfer und formulieren passende Verheißungen. Hat das Opfer diesen Köder geschluckt, wird es mit Fingerspitzengefühl abgezockt.

      Im Falle des Heiratsschwindlers ist die Sehnsucht des Opfers die nach Liebe und Familie.

      Im Falle der Priester sind es die allgemein menschlichen Sehnsüchte nach Nicht-Sterben, nach Schutz, nach Liebe, nach Frieden und nach Macht.

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