„Warum wollen Sie jemandem seinen Glauben wegnehmen, wenn er ihm Trost spendet?“
Wenn man bei einem Gespräch über Glauben/Religion/Gott mit einem Gläubigen ganze Arbeit geleistet hat, bekommt man wahrscheinlich diesen Satz zu hören. Um diesen Punkt zu erreichen, muss man zuvor bereits all die Beweise und Argumente des Gläubigen entschärft haben, denn andernfalls liefert er noch ein paar solche nach, da – trotz dem Verhalten mancher - jedermann weiß, dass es unermesslich überzeugender ist, wenn Argumente auf Fakten statt auf Gefühlen zu beruhen. Daher beginnen die ersten, reflexartigen Versuche der Verteidigung der Religion auch üblicherweise mit: „Okay, aber wenn es keinen Gott gibt, wie erklären Sie dann…?“ Ihnen das Herz zu zerreißen, indem die Diskussion von der Frage „Ist es wahr?“ zur Frage „Warum wollen Sie, dass die Menschen traurig werden?“ übergeht, ist das dialektische Äquivalent zum traurigen Hundeblick. Mama, bitte zwing mich nicht dazu, in meinem Zimmer zu schlafen; ich habe solche Angst!
Nichtsdestotrotz ist es effektiv. Die meisten Leute sind nett, und die Vorstellung, anderen etwas gegen ihren Willen wegzunehmen, behagt ihnen nicht. Diese Taktik dient dazu, Sie als kalten, hartherzigen, gefühllosen Roboter mit defektem Mitleids-Modul darzustellen – die Art von Mensch, die seiner Tochter sagt, dass ihr Goldfisch gestorben ist, anstatt diesen einfach zu ersetzen, wenn sie in der Schule ist. Sie Monster, wegen Ihnen weint meine Tochter! Ganz egal, dass dies im Endeffekt einem Zugeständnis zur Frage nach dem Wahrheitsgehalt der fraglichen Religion gleichkommt (Wen kümmert es, ob sie wahr ist? Sie ist das einzige, was die Menschen davon abhält, zu Massenmördern zu werden!). Oder dass es unglaublich herablassend ist, anzunehmen, dass die Menschen zu schwach sind, um mit der Wahrheit umgehen zu können. Worum es hier in Wirklichkeit geht, ist, dass sich die Diskussion jetzt um die Frage dreht, ob sich der Gläubige weiterhin auf seine Rechtfertigungen stützen soll (die sich bereits als nicht sehr stichhaltig erwiesen haben), um an etwas zu glauben, von dem er meint, dass es ihm hilft, auch wenn es womöglich nur Einbildung ist.
Ich denke, zu diesem Zeitpunkt ist es wichtig, das Gespräch zuerst wieder auf Schiene zu bringen: „Wir sprechen nicht davon, ob es tröstlich ist, sondern davon, ob es wahr ist. Glauben Sie, dass es wahr ist?“ Lassen Sie nicht zu, dass das gesamte Gespräch für Sie beide zur Zeitverschwendung wird, indem das Thema geändert wird, wenn der Abschluss schon in Reichweite liegt. Wenn die Antwort „Ich weiß es nicht“ lautet, ist das ein fantastisches Ergebnis, und Sie sollten damit zufrieden sein; jemanden zu bedrängen, bis er zugibt, dass er im Irrtum war, bringt ihn wahrscheinlich nur gegen Sie auf und befleckt die Schlussfolgerungen mit Emotionen. Ich glaube, dass ich schon oft an diesem Punkt angelangt war und nicht bemerkte, dass ich den anderen von der Entdeckung und der Selbstbeobachtung wegführte, hin zu Abwehr und Schmerz (Entschuldigung!). Sollen sie sich alleine damit herumschlagen. Man kann es wie eine Hausaufgabe betrachten.
Manchmal aber reicht dies nicht. Manchmal beharrt jemand auf dem Glauben an die Nützlichkeit der Religion, auch wenn er eingesteht, dass er nicht weiß, ob sie wahr ist. Dies ist im Grunde eine Form der Pascalschen Wette: „Es mag unwahr sein, aber ich glaube, es hilft mir, also werde ich daran glauben.“ Ich denke, man kann jemanden von einem derartigen Klammern an einen hoffnungslosen Fall noch schwerer durch Argumente abbringen als von der guten, alten Variante des herkömmlichen, tatsächlichen Glaubens; vielleicht, weil im letzteren Fall die Person auf der Suche nach der Wahrheit ist und dabei einfach schlechte Arbeit leistet, während der Person im ersteren Fall die Wahrheit nicht wichtig ist.
Was ist schon so wichtig an der Wahrheit? Macht es wirklich einen Unterschied, ob das kleine Mädchen weiß, dass sein Goldfisch gestorben ist? Warum sollte ein Roboter mit funktionierendem Mitleids-Modul (oder ein mitfühlendes menschliches Wesen, wenn Sie absolut darauf bestehen) das kleine Mädchen zum Weinen bringen, indem er ihm die Wahrheit sagt, wo es doch anscheinend keine Konsequenzen hätte, es im Glauben zu lassen, dass der Fisch noch lebt, wenn auch plötzlich ein wenig kleiner und schimmernder?
Drei Gründe:
Erstens: Wenn man den Tod vor Kindern verbirgt, wird es beim ersten Tod, den man nicht durch einen Stellvertreter vertuschen kann, umso schwieriger, ihn zu erklären (angenommen, man hat nicht genug von diesen mitfühlenden Robotern zur Hand, um sterbende Familienmitglieder durch sie zu ersetzen). Früher oder später muss man sich damit auseinandersetzen, und es wäre angenehm, dem Kind nicht dann erklären zu müssen, was genau der Tod ist, wenn man selbst gerade versucht, damit zurecht zu kommen.
Zweitens: Wenn die Tochter herausfindet, dass Sie sie angelogen haben, steht ihr Vertrauen Ihnen gegenüber auf dem Spiel, und es besteht die Gefahr, dass das Kind es Ihnen übelnimmt, dass Sie es nicht wie ein normales menschliches Wesen behandelt haben; zumindest aber hätte es nicht erwartet, dass Sie es behandeln, als habe es überhaupt keine Handlungsfähigkeit. Seien Sie nicht überrascht, wenn die Tochter in Zukunft Ihre Ratschläge ignoriert, weil sie denkt, Sie halten sie für einen hilflosen Dummkopf, der sich nicht um sich selbst kümmern kann.
Drittens: Nehmen wir an, der Ersatzfisch, Goldie Nr. 2, stirbt eine Woche später, und Goldie Nr. 3 stirbt in der folgenden Woche, und dann die Goldies Nr. 4, 5, 6… Irgendwann wird klar, dass Sie nicht sehr kreativ bei Namensgebungen sind und dass irgendetwas diese Fische tötet. Nun, wenn Sie den Tod des Fisches erklärt und darüber gesprochen hätten, hätten Sie vielleicht erfahren, dass die Tochter den Fisch mit Spülmittel badet, oder jeden Tag etwas Salz ins Aquarium streut, da sie Sie einmal bei Tisch sagen hörte, dass „bei diesem Fisch noch ein wenig Salz fehlt“. Nun mussten Sie Ihrer Tochter doch noch vom Tod erzählen, und haben nicht einmal mehr Geld übrig für ein Eis als Trostpflaster, da Sie einen Installateur kommen lassen mussten, um die grauenvollen Beweise Ihrer Täuschungsmanöver aus den überlasteten Rohrleitungen zu entfernen.
Diese Gründe lauten in ihrer generalisierten Form wie folgt:
1. Der beste Weg, um herauszufinden, wie man das Leben verbessern kann, ist, indem man herausfindet, was wirklich vorgeht. Geistesstörungen werden nicht wirklich von Dämonen verursacht, und Psychiatriepatienten zu einem Exorzisten zu bringen ist im besten Fall überflüssig und im schlimmsten Fall gefährlich. Auf dieselbe Art ist die fälschliche Annahme, seine Liebsten im Jenseits wieder zu sehen, im besten Fall nutzlos und wertet im schlimmsten Fall die Kostbarkeit der Zeit ab, die man mit ihnen verbringt. Fälschlicherweise daran zu glauben, dass Gott über Sie wacht, ist im besten Fall unnütz und verleitet Sie im schlimmsten Fall dazu, zu große Risiken einzugehen.
2. Gehen Sie respektvoll mit der Kapazität der Menschen zu Selbstbestimmung um. Davon auszugehen, dass andere mit der Wahrheit nicht umgehen können und den Trost einer wahrscheinlich unwahren Religion benötigen ist im besten Fall herablassend und verweigert ihnen im schlimmsten Fall das Recht, für sich selbst zu entscheiden, woran sie glauben wollen. (Das ist der Grund, warum ich das Großziehen von „christlichen Kindern“ oder „muslimischen Kindern“ für ebenso verabscheuenswürdig halte wie die Vorstellung, sie als „demokratische/republikanische/kommunistische Kinder“ zu erziehen.)
3. Wenn man nicht nach der Wahrheit sucht, weiß man nicht, was einem entgeht. Wenn man zur Erklärung von Geistesstörungen bei der Bibel haltmacht, wird man nie herausfinden, dass einige von ihnen mit Medikamenten behandelbar sind.
Wenn man auf der Suche nach Trost bei seiner Religion haltmacht, wird man nie all den Trost wahrnehmen, über den wir dank der wissenschaftlichen Suche nach Wahrheit verfügen und den man als selbstverständlich betrachtet, während man gleichzeitig behauptet, dass Religion den Menschen Trost spendet. Sicher, für die alten Israeliten war es ein wenig tröstlich zu glauben, dass sie Teil von Gottes Plan seien und er sie belohnen werde, aber ihre durchschnittliche Lebenserwartung lag bei unter 40 Jahren, die Kindersterblichkeit betrug 25 %, die meisten von ihnen konnten nicht lesen, mussten bei unerwarteten Wetterumbrüchen hungern und hatten schlechten Atem und verfaulte Zähne. Mir ist der Trost, den medizinische Versorgung, moderne Bildung, Agrartechnik und Zahnpasta mir bieten jederzeit lieber als zu glauben, dass die Abwesenheit dieser Dinge Teil eines göttlichen Plans ist. Und Ihnen?
Dustin Summy ist Atheist und Doktorand der Aeronautik im California Institute of Technology. Aufgewachsen im „Bibelgürtel“, ist er mit der religiösen Perspektive der Welt vertraut und ist nun ein überzeugter Verfechter von Skeptizismus und kritischem Denken. Auf www.thedustinsummary.blogspot.com schreibt er zu den Themen Wissenschaft, Raumfahrt, und Religion.
Übersetzung von: Daniela Bartl, Adrian Fellhauer
Kommentare
Nach meinem Dafürhalten ist schon die Eingangsfrage falsch gestellt: Dem tatsächlich noch religiös Gläubigen fehlt m.E. das für ein sachliches Gespräch benötigte Minimum an Vernunft. Gesprächsversuche können nur Zeitverschwendung sein, wenn jemand den Unterschied zwischen Märchen und Wirklichkeit leugnen will..
Anders sieht es natürlich aus, wenn ehemals Gläubige schon selbst denken wollen, und lediglich Bestätigung oder Festigung dafür brauchen.
Auch einen Sterbenden, der sich Sorgen macht über seine Zukunft als Angeklagter des jüngsten Gerichts und Brennmaterial des Fegefeuers würde ich ggf. darüber informieren, dass er lediglich einem ebenso boshaften wie lächerlichen Schauermärchen aufgesessen ist.
marstal08
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Danke für diesen Beitrag. Auch ich bin überzeugt, dass es aus den genannten Gründen (und vielen anderen mehr) sinnvoll ist, mit Menschen über ihren Glauben zu streiten, und ich tue es auch immer wieder. Allerdings stelle ich immer wieder fest, dass es gar nicht so sehr um den Trost geht (das auch), sondern viel mehr, dass das Leben dieser Menschen aus ihrer Sicht plötzlich ziemlich bedeutungslos wäre. Ich fürchte, dass dies der Grund ist, warum sich immer noch so viele dagegen sträuben, den Glauben aufzugeben.
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Was bieten Religionen ihren Anhängern?
Dazu gehört Selbstbewusstsein und personale Identität, womit Voraussetzungen für soziale Bindungen geschaffen werden. Religionen produzieren in Abgrenzung zu anderen ein Wir-Gefühl und verpflichten ihre Anhänger auf eine verbindliche Binnenmoral. Mit Ausnahme von "Kognition und Metaphysik" sind alle anderen Aspekte von Religion mit der Lösung von biologischen Problemen des Zusammenlebens verbunden. Hinzu kommt die Kontingenzbewältigung sowie die Überwindung des Schwarzfahrer-Problems auf zwei Ebenen.
Quelle: https://de.richarddawkins.net/articles/gott-im-fadenkreuz-eine-rezension
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