Vorbemerkung
Dies ist ein weiteres Argument für die Existenz Gottes, es gehört zu den »kosmologischen Gottesbeweisen«. Vor allem im islamischen Raum ist es sehr weit verbreitet. Das Wort Kalam bedeutet soviel wie arabische Philosophie oder Theologie. Das Argument selbst geht zurück auf Aristoteles, ist aber hier sehr viel weiter entwickelt worden. Es besteht aus mehreren Argumenten, die aufeinander aufbauen.
Argument 6 – Ewige Existenz
(P11) Alles, was zeitlos existiert muss ewig existieren.
(P12) Kein natürlicher Prozess kann zeitlos existieren (folgt aus (S3) und (S4)).
(S6) Daher: Das Universum kann keine natürliche Ursache haben.«
P(11) Alles, was zeitlos existiert muss ewig existieren.
Das kann man noch unterschreiben. Man müsste aber hinzufügen: Alles, was zeitlos existiert, ist statisch, unveränderlich – und kann daher eigentlich keine Änderung hervorrufen. Und wenn doch, dann kann das auch ein Naturgesetz sein.
(P12) Kein natürlicher Prozess kann zeitlos existieren (folgt aus (S3) und (S4)).
Dass ein Prozess nicht zeitlos sein kann, folgt aus der Definition des Begriffs Prozess«. Wenn man es so ausdrückt, dann fällt aber auf, dass Schöpfung auch ein Prozess ist, den es ohne Zeit nicht geben kann. Meine Argumentation wäre:
Alles, was zeitlos existiert, ist auch statisch.
Alles, was dynamisch ist, setzt Zeit voraus.
Wenn etwas Zeitloses etwas Dynamisches hervorbringen kann, gilt dies auch für Naturgesetze, und Gott ist überflüssig.
Wenn etwas Statisches nichts Dynamisches hervorbringen kann, ist Gott unmöglich.
Weiterhin ist noch nicht klar, dass natürliche Prozesse einen Beginn in der Zeit haben. Meine Argumentation wäre:
Wenn die Zeit einen Beginn? hätte, so würde dies eine Zeit vor dem Beginn der Zeit voraussetzen.
Beginn vor dem Beginn« ist aber selbstwidersprüchlich.
Folglich gab es keinen Beginn der Zeit«.
Daher kann es nichts geben, was einen Beginn der Zeit voraussetzt.
Zeit vergeht entweder doch unendlich, oder aber, Zeit ist nur ein lokaler Prozess, dessen Vergehen an die Existenz von Materie und Raum geknüpft ist. Letzteres ist die moderne Auffassung der Physik. Wir dürfen nicht vergessen, dass Kalams Argument – wie andere auch – an einer mittelalterlichen Vorstellung von Zeit und Raum hängt. Zeit beginnt, sobald Materie existiert und sich im Raum bewegt, der von der Materie gebildet wird. Raum und Zeit sind äquivalent, und außerdem hat die Zeit in der Natur keine Richtung. Daher ist auch Selbstverursachung möglich: Das Universum A verursacht in der Zeit rückwärts das Universum B, welches in seiner Zeit rückwärts das Universum A verursacht. Das bezeichnet man als Biversum«. Wenn unser Universum A ist, dann erstreckt sich von uns aus gesehen das Universum B unendlich in die Vergangenheit, ohne sukzessive Zufügung von Elementen.
Von den Naturgesetzen aus gesehen ist das sehr gut möglich. Ich weiß natürlich nicht, ob es so war, aber selbst als Möglichkeit widerlegt dies das ganze Argument. Es zeigt auch, dass die Prämisse (P12) falsch ist.
Argument 7 – Willentlicher Agent
(P13) Eine Wirkung muss entweder durch einen natürlichen Prozess oder einen willentlichen Agenten verursacht werden.
(P14) Das Universum kann keine natürliche Ursache haben (siehe (S6)).
(S7) Daher: Das Universum muss durch einen willentlichen Agenten verursacht worden sein.
(P14) Das Universum kann keine natürliche Ursache haben.
Da diese Schlussfolgerung bereits widerlegt wurde, ist die Prämisse falsch und damit auch das Argument.
(P13) Eine Wirkung muss entweder durch einen natürlichen Prozess oder einen willentlichen Agenten verursacht werden.
Die Frage ist, wie? wirkt in der natürlichen Welt ein willentlicher Agent auf etwas ein? Antwort: Durch ein natürliches Ereignis! Die Prämisse lautet also, wenn man sie sich genau betrachtet: Eine Wirkung muss entweder durch einen natürlichen Prozess oder durch einen natürlichen Prozess (eines willentlichen Agenten) verursacht werden. Aha! Dann folgt die Schlussfolgerung allerdings nicht. Wieder wird der Begriff der Ursache« missbraucht, der nämlich von seiner Definition her in der Physik keine übernatürlichen Prozesse zulässt.
Meine Behauptung sähe anders aus:
Alles, was natürlich ist, kann auch nur durch natürliche Prozesse beeinflusst werden.
Diese Art des Einflusses nennen wir Ursache und Wirkung«.
Eine Ursache hingegen, die etwas erzeugt hätte, haben wir hingegen noch nie beobachtet.
Folglich kann das natürliche Universum auch nur eine natürliche Ursache haben.
Es zeigt sich wieder: Wenn man die fehlerhaften Prämissen in den Argumenten für Gott ersetzt, oder die defekte Logik korrigiert, bekommt man ein Argument gegen Gott!
Argument 8 – Immaterielle Ursache
(P15) Alles, was weder auf Zeit, Energie noch Materie basiert, ist immateriell.
(P16) Das Universum hat keine materielle (oder natürliche) Ursache (siehe (S6)).
(S8) Daher: Das Universum hat eine immaterielle Ursache
(P15) Alles, was weder auf Zeit, Energie noch Materie basiert, ist immateriell.
Das kann man so lassen. Zahlen, beispielsweise, sind immateriell, nach dieser Definition. Damit aber auch die ganze Mathematik, ebenso die grundlegenden Naturgesetze. Diese beruhen – und das mag viele überraschen – nicht auf dem Vorhandensein von Materie, sondern auf den Symmetrieeigenschaften des Nichts. Siehe dazu auch den Artikel von mir: Woher kommen die Naturgesetze? .
(P16) Das Universum hat keine materielle (oder natürliche) Ursache.
Die Fehler in dieser Prämisse habe ich bereits behandelt. Es kann eine materielle Ursache haben, es kann aber auch eine immaterielle Ursache haben – etwa Naturgesetze. Ein Gott hingegen ist nicht möglich, denn dann hätten wir einen zeitlosen, statischen, aber in der Zeit agierenden dynamischen willentlichen Agenten«, und das ist selbstwidersprüchlich (maximal falsch).
Argument 9 – Es war Gott!
Jetzt kommen wir zum Kern der Sache, nämlich Gott.
(P17) Die Ursache des Universums ist ein willentlicher Agent (S7), der immateriell ist (S8), zeitlos oder ewig existiert (S4).
(P18) Wenn wir von einem willentlichen, immateriellen, zeitlosen Agenten reden, der das Universum verursacht (oder geschaffen) hat, kann es sich nur um Gott handeln.
(S9) Daher: Die Ursache des Universums ist Gott.
Wie ich schon sagte: (P17) und (P18) widersprechen sich wechselseitig. Wir kennen nur natürliche Agenten, die in der Zeit wirken, und mittels natürlicher Prozesse auf bereits vorhandene Materie einwirken können. Die ganzen Argumente führen eine völlig neue Art von Ursache ein, die von einem völlig neuartigen« willentlichen Agenten ausgeführt wurde, dessen wesentliche Eigenschaften auf einem logischen Widerspruch beruhen (er ist statisch und dynamisch gleichzeitig, immateriell, wirkt aber materiell).
Wenn man Gott so definiert (zeitlos, immateriell, willentlicher Agent), dann kann er ebenso wenig existieren wie ein verheirateter Junggeselle«. Man kann sagen, dass dieser Gott per Definition? nicht existiert.
Selbst wenn man diese Widersprüche einen Augenblick lang ignoriert, so ist der Schluss auf einen? Gott nicht gerechtfertigt. Es können auch mehrere sein. Aber da fast alle Argumente in dieser Kette fehlerhaft sind, ist es diese Schussfolgerung auch.
Argument 10 – Gott existiert …
Das letzte Argument aus der Kette ist eine Zusammenfassung der bisherigen:
(P19) Wenn das Universum zu existieren begann
(P2), und die Ursache des Universums Gott ist, dann muss Gott existieren.
(P20) Das Universum begann zu existieren und kann nur Gott als Ursache haben.
(S10) Daher: Gott existiert.
Da die beiden Prämissen falsch sind, ist es auch die Schlussfolgerung. Das Universum begann nicht in einer absoluten Zeit zu existieren, die Ursache kann auch ein Naturgesetz sein, oder ein natürlicher Prozess, also ist der Schluss auf Gott nicht gerechtfertigt. Zwischendurch haben wir gesehen, dass man auf diese Weise, durch Korrektur falscher Voraussetzungen, auch gegen Gott argumentieren kann. Damit widerspricht man wenigstens nicht bekannter Physik.
Es wäre auch gut möglich, dass mehrere Universen existieren, ein sog. Multiversum«. Dieses bringt weitere Universen hervor. Da es nur lokale Zeit gibt, und keine globale, absolute Zeit, existiert nichts für eine unendlich lange Zeitspanne.
Fazit
Keines der Argumente ist wirklich überzeugend, die Prämissen widersprechen meist der Logik oder bekanntem Wissen. Korrigiert man die Voraussetzungen, dann widerspricht einiges davon der Existenz Gottes. Wir können also eher schließen: Gott existiert nicht. Bei maximal gutem Willen kann man höchstens zu dem Schluss kommen, dass die Argumente zumindest nicht für Gott sprechen. Die Argumentation lebt davon, alternative Erklärungen nicht zuzulassen, auf empirische Tatsachen wird kein Bezug genommen. Es zeigt sich wieder einmal, dass man im reinen Denken nicht die Existenz von etwas beweisen kann.
Zudem widersprechen die Argumente fundamental der Behauptung, dass Gott nicht der Logik unterliegt, aber das ist ohnehin Unsinn.
Konfusius, er sagt: Man kann nicht beweisen, was nicht existiert, oder keinen Einfluss auf diese Welt hat, oder was Unsinn ist. Suche Dir aus, was auf Deinen Gott zutrifft!
(Volker Dittmar)
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