Keine Sonderbehandlung für Gläubige

Der "Blasphemieparagraf" stellt Gotteslästerung unter Strafe. Damit genießen Gläubige anders als andere soziale Gruppen einen besonderen Schutz. Das ist mit den demokratischen Anforderungen eines säkularen Staates nicht vereinbar, meint unser Autor und fordert: Weg mit dem Paragrafen 166.

Keine Sonderbehandlung für Gläubige

Eben erst wollten alle Charlie sein. Das Bekenntnis zur freien Meinungsäußerung, auch und gerade gegenüber religiösen Überzeugungen, nahm epidemische Ausmaße an. Merkwürdig freilich ist dies: Kaum einer oder eine von jenen, die plötzlich ihren ungestümen Freiheitsdrang entdeckt hatten, als es darum ging, islamische Glaubensinhalte verspotten zu dürfen, hat jemals Bedenken angemeldet gegen jenen Passus über Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen, den sogenannten Blasphemieparagrafen, der unter der Ziffer 166 im Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland steht.

In Frankreich, wo Mitarbeiter von Charlie Hebdo nicht bloß einen Slogan am Revers trugen, sondern ganz real erschossen wurden und wo es, anders als in Deutschland, eine erfolgreiche Revolution gegeben hat, wurde der entsprechende Paragraf bereits vor mehr als 200 Jahren, 1791, abgeschafft. Er ist anachronistisch und nur noch historisch zu begreifen – als Überbleibsel einer Gesellschaftsordnung, in der Kirche, Militär und Adel über das Geschick des Staats entschieden und entsprechend Privilegien besaßen. Er passt nicht in eine Welt, für die die Trennung von Kirche und Staat mehr ist als ein Lippenbekenntnis. Er ist ja nichts anderes als die Übernahme einer Kirchenstrafe durch den Staat, seit der Kirche außer der Exkommunikation keine Sanktionsmöglichkeiten geblieben sind.

In Artikel 1 der französischen Verfassung ist der laizistische Status der Republik seit 1958 festgeschrieben, nachdem bereits 1905 ein Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat beschlossen worden war. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland kennt solch eine Bestimmung nicht. Der Artikel 141 stellt lediglich fest, dass keine Staatskirche bestehe. Aber das in der Verfassung formulierte allgemeine Persönlichkeitsrecht bedarf, was den Schutz vor Verunglimpfung angeht, über den Paragrafen 185 des Strafgesetzbuchs hinaus ("Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft") eigentlich keiner Ergänzung.

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