Kreation vs. Evolution

Video von Prof. Dr. Walter Veith - eine Kritik

Kreation vs. Evolution

Foto: Pixabay.com / Image-NatioN

Walter Veith, geb. 1949, ist ein südafrikanischer Zoologe. Nach seinem Beitritt zur Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten verwarf er die Evolutionstheorie zu Gunsten eines Kreationismus und musste den Lehrstuhl für Zoologie an der Universität Kapstadt aufgeben. In Vorträgen, Videos und Büchern stellt er weltweit kreationistische und adventistische Überzeugungen sowie Verschwörungstheorien dar.

Video: Prof. Dr. Walter Veith - Kreation vs. Evolution

Zitate aus dem Video sind teilweise im Wortlaut verändert oder gekürzt, da Herrn Veiths Deutsch etwas unbeholfen ist, was er zu Anfang des Videos selbst anmerkt. Nachstehend sind Herrn Veiths Behauptungen durch Kursivstellung mit Minutenangaben in Klammern kenntlich gemacht.

Es gäbe heute angeblich viele Wissenschaftler, die an eine „höhere Hand“ glaubten, sie würden es nicht Gott nennen wollen (1:55).

Diese Aussage ist verzerrt, denn 2009 kam eine Studie des „Pew Research Center for the People and the Press“ zu dem Ergebnis, dass lediglich 18% der Wissenschaftler an einen „universalen Geist“ oder an eine „höhere Macht“ glauben, 33% glauben an Gott. Nun kommt der springende Punkt: 41% glauben weder an eine höhere Macht oder an einen Gott. Und was Herr Veith unterschlägt: Nur ein verschwindend kleiner Teil der Naturwissenschaftler vertritt kreationistische Ideen, glaubt also an einzelne Schöpfungsakte (Quelle 1).

Lamarck hätte behauptet, wenn man Giraffen betrachte, wäre da ein Streben um „höher und höher“ in den Bäumen gewesen, womit der Hals länger geworden wäre (5:56).

Hier verwechselt Herr Veith jedoch den Lamarckismus mit der Standard-Evolutionstheorie - deren Erklärung ist recht simpel: Giraffen mit einem längeren Hals hatten einen Überlebensvorteil und somit bessere Fortpflanzungschancen (7:06).

Dies ist zwar zutreffend, tatsächlich sind die Verhältnisse jedoch komplizierter: Giraffen fressen die Akazienblätter der Kronen nur während der Regenzeit (wenn die Blätter proteinreich und in großen Mengen vorhanden sind); hier trifft die „klassische Erklärung“ also zu. Während der Trockenzeit, wenn die Konkurrenz um die Nahrung mit verschiedenen Antilopen am härtesten ist, weiden die Giraffen jedoch üblicherweise die Sträucher unterhalb einer Höhe von zwei Metern ab, in der Reichweite auch einiger anderer Tiere. Die Giraffe verbringt mehr als 50 Prozent der Zeit damit, Nahrung in ihrer Schulterhöhe oder noch niedriger abzuweiden. Genauer gesagt: So machen es die Giraffenweibchen und die rangniedrigen Männchen, während die dominanten Giraffenbullen aus den afrikanischen Savannen herausragen. Weibchen fressen am häufigsten in 1,5-2,5 Metern Höhe, Männchen in Männchengruppen in der Höhe von etwa drei Metern, Männchen in Männchengruppen in der Höhe von etwa drei Metern, Männchen in Weibchengruppen in der Höhe von fünf Metern.

Neben der ökologischen Komponente symbolisiert der lange Giraffenhals Dominanz, ist also das Produkt der sexuellen Selektion. Tatsächlich nutzen Giraffenbullen ihre Hälse für eine Form des Dominanzkampfes, der unter Säugetieren ganz einzigartig ist. Weil die Energie des Halsschlags mit der Kopfmasse und der Länge und Stärke des Halses wächst, kann man erwarten, dass Männchen mit langen, massiven Hälsen siegen werden. Kein Wunder also, dass die Hälse der Männchen im Verhältnis länger und mächtiger sind als die der Weibchen. Und es ist ebenso kein Wunder, dass die dominanten Männchen gerade die mit den längsten und dicksten Hälsen sind. Dass es sich um ein sexuell selektiertes, dem Pfauenrad nicht unähnliches Merkmal handelt, zeigt auch die Tatsache, dass ein gut entwickelter Hals seinen Träger im Normalleben eher behindert. Obwohl die Giraffenbullen etwa um die Hälfte schwerer sind als die Weibchen, fallen sie fast zweimal häufiger Löwen zum Opfer. In Giraffenpopulationen überwiegen die Weibchen, was ebenfalls den Verdacht nährt, dass die Männchen eine höhere Sterblichkeit haben (Quelle 2, S. 294 f.).

Darwin wäre der Gedanke gekommen, dass die Vielfalt der verschiedenen Formen der Finkenschnäbel auf eine Entwicklung zurückgehe, womit die Evolutionslehre entstanden sei (9:13).

Lediglich ergänzend sei hier darüber aufklärt, dass die Evolution der verschiedenen Schnabelformen auf dem Gründereffekt in einer isolierten Population beruht, wodurch letztlich auch Arten entstehen können (Quelle 2, S. 59).

Dann fragt sich Herr Veith, wie die Moleküle, die die Bausteine des Lebens darstellen, entstanden seien, ohne Enzyme, um diese Moleküle zu zeugen (16:48). Das wäre noch nie in einem Labor zustande gekommen.

Herr Veith weiß offensichtlich nicht (oder verschweigt es), dass Carl Woese, Francis Crick und Leslie Orgel bereits in den 60er Jahren die Theorie einer primordialen RNA-Welt entwickelten, da RNA sowohl die Fähigkeit zur Informationsspeicherung als auch zur enzymatischen Aktivität (darunter Polymerase-Aktivität) hat. Da DNA und RNA in der Entstehung voneinander abhängig sind, wird mit der zuletzt genannten Theorie das Henne-Ei-Paradox gelöst (Quelle 3)!

Nicht alles in unserem Genotyp komme zum Ausdruck (in der äußerlichen Erscheinung), aber im Phänotypus (20:32).

Hier hätte Herr Veith - im Zuge einer umfassenden Aufklärung - auf Pseudogene verweisen können, die früher mal eine nützliche Funktion hatten, jetzt aber an den Rand gedrängt und somit nicht mehr transkribiert oder translatiert werden (Quelle 4).

Dann wird zwischen einem starken, langen Menschen und einem kleinen, dicken Menschen verglichen (Phänotypen) (21:37). Herr Veith stellt die Frage, welcher mit höherer Wahrscheinlichkeit dem Löwen, der beide jagte, zum Opfer fällt (22:03).

Dieses Beispiel mag zwar anschaulich erscheinen, ist aber völlig falsch. Die Anlage zur Fettleibigkeit gab es schon seit Jahrmillionen als Anpassung an Nahrungsmangel: Wer sich in guten Zeiten ein Reservepolster „anfuttern“ konnte, war im Vorteil. Fettleibigkeit gibt es jedoch erst in unserer Überflussgesellschaft! Und da die Evolution nicht vorausdenkt oder -plant, kann sich nicht „ahnen“, unter welchen späteren Umständen eine positive selektierte Eigenschaft negative Folgen zeitigen mag.

Die natürliche Auslese bevorzuge den starken, schlanken, der kleine dicke würde von ihr entfernt (22:41).

Später heißt es dann,
durch das „survival of the fittest“ überlebe der Fittere. Hat die natürliche Auslese „mehr“ oder „weniger“ gezeugt? Herr Veith bringt ein mathematisches Beispiel, was offenbar das Aussterben verdeutlichen soll: 2-1=1. Laut Herrn Veit hätte die natürliche Auslese weniger „gemacht“ (47:07). Jährlich würden wir zigtausende Tierarten verlieren. Würde die natürliche Auslese so weiter machen, würde nichts mehr übrigbleiben (49:00).

In Bezug auf Aussterbeereignisse offenbart Herr Veith seine völlige ökologische und paläontologische Unkenntnis. In der Tat sterben regelmäßig Arten aus; der Fossilbericht dokumentiert sogar 5 große Aussterbe-Ereignisse. Demgegenüber steht eine stetige Artbildung und -differenzierung, die den Verlust durch Aussterben entgegenwirkt.

Zum Thema „survival of the fittest“ - was ist mit diesem Fachausdruck gemeint? Selektion (Auslese) beruht auf dem unterschiedlichen Fortpflanzungserfolg (Fitness) von selektierten Einheiten (Individuen bzw. Allelen). Üblicherweise vererben die Bestangepassten ihre Allele in höherer Rate an die Folgegeneration als schlechter Angepasste - und sind damit die Fittesten. Selektion bedeutet also eine ungleichmäßige Vererbungsrate der von verschiedenen Individuen stammenden Allele in den Genpool der nächsten Generation, und damit im Laufe der Zeit eine systematische, z. T. sogar vorhersagbare, nichtzufällige Änderung der Allelfrequenzen in der Population (Quelle 2, vgl. S. 12). Die Selektion ist einer der wesentlichen Motoren der Reproduktionsdynamik (Quelle 2, vgl. S. 51).

Welche Faktoren sind für das Aussterben von Arten verantwortlich? Hier sind v.a. zu nennen: Zu schnelle Änderungen der Umweltbedingungen, Dominoeffekt, (natürliche) Einwanderung/ (anthropogen) Einführung neuer Arten und die (natürliche und anthropogen) Zerstörung der natürlichen Lebensräume (Quelle 5, vgl. S. 448 f.).

Was ist mit dem „Dominoeffekt“ gemeint? Jede Art ist auf andere Arten angewiesen, als Nahrungsquelle oder zur Schaffung ihres Lebensraums. Somit stehen alle Arten in einem Beziehungsgeflecht, das man mit sich verzweigenden Ketten von Dominosteinen vergleichen kann. So, wie das Umkippen eines Dominosteins in einer Kette auch andere zu Fall bringt, kann die Ausrottung einer Art andere mit ins Verderben reißen, die wieder andere mitreißen und so weiter (Quelle 5, S. 447 f.).

Es ist also eine völlig falsche Sicht zu sagen: „Würde die natürliche Auslese so weiter machen, würde nichts mehr übrigbleiben“. Selektion und Aussterben sind die eine Seite der Medaille, Selektion und Artenentstehung sowie -differenzierung die andere.

Kurz darauf wird die Biogenetische Grundregel von E. Haeckel angesprochen, wonach Organismen (richtig müsste es „Wirbeltiere“ heißen) eine ähnliche Entwicklung durchliefen und damit einen gemeinsamen Ursprung hätten (37:53). Diese ganze Theorie würde heute nicht mehr gelehrt werden (38:06).

Mit „diese ganze Theorie“ ist offenbar das „biogenetische Grundgesetz“ gemeint - Haeckels Rekapitulationsprinzip wird heute nicht mehr als "Gesetz", wohl aber als biogenetische Regel bezeichnet, die Abweichungen und Ausnahmen vom Embryonengrundbauplan zulässt. Übrigens: Das „Gesetz der Embryonenähnlichkeit“ wurde 38 Jahre vor Haeckels „biogenetischem Grundgesetz“ von dem Kreationisten Karl Ernst von Baer formuliert - ein Faktum, das von Kreationisten allzu gerne verschwiegen wird. Haeckel hat diese Beobachtung lediglich in einem phylogenetischen Kontext gestellt. Beim genauen Hinsehen können bei der Entwicklung von z. B. Huhn, Maus oder Mensch durchaus Unterschiede auftreten, gleichwohl sind die frühen Stadien erstaunlich ähnlich. Dieses Stadium wird phylotypisches Stadium genannt. Evolutive Altertümlichkeiten sind von der Evolution nicht „aus purer Traditionsliebe“ konserviert worden, sondern haben immer noch wichtige Funktionen in der Frühentwicklung zu erfüllen - das ist der Grund, warum Haeckel Regel (immer noch!) gilt. Im Laufe der Evolution entstandene und bewährte Lösungen können nicht einfach durch andere ersetzt werden, man nennt diese „constraints“ (entwicklungsphysiologische Zwänge). So manches passt nicht in das Bild einer getreuen Rekapitulation, denn hierbei treten z. B. auch Heterochronien auf (relative zeitliche Verschiebungen in der Anlage von Organen, bei Vorgängen des Wachstums oder beim Eintreten der Sexualreife).

Das Ziel der neuen Disziplin der Evolutionären Entwicklungsbiologie (Evo-Devo) ist die Entschlüsselung von Entwicklungsprozessen und die Ergründung der Entstehung von Körper-Bauplänen. Hox-Gene legen die positionelle Identität der Zellen entlang der Körperachse fest. Die Homologie der Hox-Gen-Cluster bei Menschen, Mäusen und Fliegen belegt, dass der von Ernst Haeckel initiierte Ansatz Früchte getragen hat. Somit ist die (molekulare) Analyse der Ontogenese (Individualentwicklung) ein Schlüssel zum Verständnis der Phylogenese (Stammesentwicklung) geworden (Quelle 3).

Hat die Raupe die Gene für den Schmetterling (42:16)?

Eine mehr als merkwürdige Frage - selbstverständlich hat sie diese! Ein und dasselbe Genom kann eine Raupe, eine Puppe und einen Schmetterling herausbilden. Verschiedene Entwicklungsstadien sind Beispiele für einen altersabhängigen Polymorphismus (Vielgestaltigkeit) (Quelle 2, vgl. S. 227 f.).

Es mag Herrn Veiths Geheimnis bleiben, wieso dies nicht evolutionsbiologisch erklärbar sein soll.

Daraufhin geht es um Birkenspanner. Es würde behauptet, es gäbe helle und schwarze Variationen, während die hellen auf hellem und die schwarzen auf schwarzem Hintergrund einen Vorteil hätte. Dabei handle es sich „nur“ um ein Modell, man hätte die Varianten auf einen schwarzen Hintergrund gesteckt, um das zu erklären. In Wirklichkeit wäre es nie so passiert, diese Varianten würden einfach existieren (47:49).

Am Beispiel des Industriemelanismus - dieser Fachbegriff bleibt von Herrn Veith unerwähnt - wird der Selektionsdruck sehr schön deutlich. Herr Veith liegt richtig, es gab bereits eine Mutante, die dunkel gefärbt und deshalb für Vögel ein leichteres Opfer war (Quelle 6, S. 97).

Dass es sich bei den Experimenten von Kettlewell „nur um ein Modell“ handle, ist falsch. Es wurden diesbezüglich Freilandexperimente durchgeführt.

Evolutionsgegner wollen dieses Beispiel für Selektion insofern entkräften, indem sie einwenden, dass Birkenspanner sich für gewöhnlich nicht auf Baumstämmen aufhalten würden. Es ist richtig, dass Majerus und andere Forscher die freiliegenden Baumstämme nicht zur üblichen Ruheposition der Birkenspanner rechnen. Experten stellen fest, dass in luftverschmutzten Gegenden nicht nur die Baumstämme, sondern auch die abgeschatteten Äste und Blätter durch Ruß kontaminiert werden. Die Hypothese, dass Vögel auch in schattigen Bereichen nach den Faltern suchen und in umweltbelasteten Regionen bevorzugt die weiß gefärbten Birkenspanner herauspicken, gilt allgemein als empirisch hinreichend belegt.

Dass ein Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und der Häufigkeit dunkler Faltervarietäten besteht, deutet allein schon auf den Einfluss der Selektion hin. Insofern ist die Detailfrage, wo genau sich die Falter aufhalten, nicht von Bedeutung (Quelle 7).

Nun wird auf das Gezanke zwischen Taxonomen eingegangen. Warum zanken sie sich? Es gäbe zwei Gruppen von Taxonomen, die im Englischen „Lumper“ und „Splitter“ genannt würden (51:39). Ein Splitter würde sagen, er hätte eine neue Art entdeckt. Ein Lumper würde sagen, es wäre nur eine Variation. Und dann würden sie sich schon streiten (52:37).

In diesem „Streit“ sieht Herr Veith einen Beleg für die Willkürlichkeit und Unwissenschaftlichkeit „der Evolutionstheorie“. Herr Veith bleibt jedoch eine Erklärung schuldig, warum man sich „zankt“.

Die Evolutionssystematik (Systematik = Taxonomie) ist bestrebt, die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Organismen zu rekonstruieren. Bei der Systemerstellung berücksichtigt sie neben der Kladogenese (Arten-Aufspaltung) auch die Anagenese (Weiterentwicklung), d. h. die Diversifizierung der Merkmale. Wenn irgendeine phylogenetische Linie eine bedeutende Veränderung der phänotypischen Eigenschaften (Erscheinungsbild) aufweist (sich also eine wichtige Innovation evolvierte), halten es die Evolutionssystematiker für sinnvoll, diese Linie gegenüber anderen Linien in ein selbständidges Taxon auszugliedern. Der größte Nachteil dieser Methode beruht darin, dass die Auswahl der Kriterien, nach denen der erreichte Grad der Anagenese beurteilt wird, nicht objektivierbar und die Abgrenzung einzelner Taxa somit subjektiv ist (Quelle 2, S. 166)!

Anders gesagt: Der Evolututionsprozess ist kleinschrittig, und es gibt niemals einen „Knall“, bei dem eine neue Art entsteht. Ergo ist es kein Wunder, dass es für Taxonomen immer eine Herausforderung ist, graduelle Prozesse in starre Kategorien wie Art, Gattung etc. einzuteilen.

Im Anschluss bringt Herr Veith ein Beispiel von einem Maikäfer, den Wissenschaftler früher als unterschiedliche Art bezeichnet hätten. Man stellte fest, dass sie zu bestimmten Jahreszeiten (wenn sie entschlüpfen) einen schwarzen oder einen schwarz-roten Phänotyp haben, der durch Gene an- oder ausgeschalten wird (55:32).

Es handelt sich bei den abgebildeten Käfern nicht um Maikäfer, sondern um Asiatische Marienkäfer (Harmonia axyridis) (Quelle 8).

Herr Veith fragt sich, wie Männchen und Weibchen entstanden sind (57:59). Genetisch durch Zufall (58:17). Dann findet er folgende Antwort: Laut der Bibel hätte er (Gott) sie als Mann und Frau geschaffen. Die Wissenschaft müsse sagen, Mann und Frau kamen durch Zufall (59:53).

Es ist nicht klar, warum es überhaupt zur sexuellen Fortpflanzung kam (Quelle 9, S. 14). Vermutlich begann die sexuelle Fortpflanzung damit, dass zwei ähnlich große Einzeller miteinander verschmolzen und dann Tochterzellen bildeten (Quelle 9, S. 19).

Alternativ muss man fragen, worin der Vorteil von zwei Geschlechtern und von Sex liegt.

Der Vorteil der sexuellen Fortpflanzung ist die Erhöhung der genetischen Variabilität des Individuums. Beim Menschen mit seinen 23 Chromosomen in den Keimzellen sind 223 Kombinationen möglich, was theoretisch bedeutet, dass jeder Mensch mehr als acht Millionen genetisch unterschiedlich kombinierter Keimzellen bilden kann. Bei der Meiose kommt es außerdem zu einem Vorgang, der sich „Crossover“ nennt (intrachromosomale Rekombination). Dabei legen sich die jeweils homologen Chromosomen von Vater und Mutter kreuzweise übereinander und tauschen kleinere oder größere Abschnitte untereinander aus: Gene aus der mütterlichen und väterlichen Entwicklungslinie werden neu kombiniert und nach dem Zufallsprinzip auf die Chromosomen der Keimzellen verteilt.

Axel Meyer sagte einmal: „Durch sexuelle Fortpflanzung erzeugte genetische Variation hilft Organismen, unsichere Umweltbedingungen zu überstehen (Quelle 10).“

Nach einer anderen Vorstellung dient die Sexualität der Elimination von „schlechten“ rezessiven Genen (Quelle 2, S. 67).

Die Kosten der sexuellen Fortpflanzung sind die scheinbar „unökonomische“ Verteilung der Geschlechter, sowie die Kosten der Partnersuche (sie kostet Zeit, Energie und ist mit Gefahren der Ansteckung durch Krankheitserreger verbunden) (Quelle 2, vgl. S. 66). Die Rote-Königin-Hypothese betont die zeitlichen Veränderungen und betrachtet die Sexualität als eine adaptive Strategie im Kampf gegen Parasiten (Quelle 2, S. 67).

Im Gegensatz zur geschlechtlichen Fortpflanzung hat die ungeschlechtliche Fortpflanzung durchaus auch Vorteile:

Sie spart Energie, und ihr Ergebnis sind identische Nachkommen, die an die aktuellen, vorherrschenden Umweltbedingungen gleich gut angepasst sind. Wenn sich die Umwelt verändert, können Organismen, die sich ungeschlechtlich fortpflanzen und demzufolge nur eine geringe genetische Variabilität aufweisen, jedoch ins Hintertreffen geraten (Quelle 10).

Ein von Herrn Veith beschriebener Höhlenfisch habe keine Pigmente und keine Augen. Das sei ein Beweis der Evolution. Darauf fragt sich Herr Veith, ob hier etwas neues vorhanden sei, oder ob etwas abwesend sei. Herr Veith erklärt die fehlenden Pigmente und Augen nicht durch Evolution, sondern durch das Ausschalten von Genen (1:01:11).

Sicherlich handelt es sich bei diesem Beispiel um Evolution, speziell um „Mikroevolution“. Das An- bzw. Ausschalten der Gene wird durch die Epigenetik beschrieben. Epigenetik bezeichnet die Weitergabe bestimmter Eigenschaften an die Nachkommen, die nicht auf Abweichungen der DNA-Sequenz beruhen (wie es bei einer Mutation der Fall wäre), sonder auf einer vererbbaren Änderung der Genregulation und Genexpression. Welche Segmente der DNA in RNA transkribiert und welche RNA-Moleküle in Proteine übersetzt werden, entscheidet der gesamte Molekularapparat der Zelle (Quelle 2, S. 124).

Die Einteilung der Evolution in Mikro- und Makroevolution ist eine beliebte Taktik der Kreationisten, die dann zwar die Möglichkeit einer Mikroevolution einräumen, doch mit der Idee der Makroevolution polemisieren und hier die Rolle des Schöpfers ansiedeln. Mikroevolution fasst die Evolutionsprozesse zusammen, die über eine graduelle Akkumulation kleiner Mutationen ablaufen und sich auf der Populationsebene (also der intraspezifischen Ebene) abspielen. Mikroevolution kann man in der Natur auch in kleinen Zeiträumen beobachten und erforschen. Unter Makroevolution werden dann die Entstehung und Entwicklung von Taxa der Arten (Gattungen, Familien, Ordnungen, Stämmen) verstanden, d. h. die höhere Kladogenese. Makroevolutionsereignisse bedürfen langer Zeitperioden, gehören der Vergangenheit an, sind damit nicht wiederholbar und lassen sich auch nicht experimentell verfolgen. Hier spielt der Zufall eine stärkere Rolle (auf den Zufall wird in dem Vortrag mehrmals eingegangen, z. B. 17:58, 24:57). Makroevolution beruht vor allem auf Mutationen (z. B. in den Genen, die die Morphogenese steuern) in kleinen isolierten Populationen. Unter den Biologen gibt es keinen Konsens in der Frage, welchen Anteil die Mikro- und die Makroevolution jeweils an der Entstehung neuer Arten und Formen haben. Darwinisten und Neodarwinisten gehen davon aus, dass die Vorgänge der Makroevolution nach den gleichen Prinzipien wie die der Mikroevolution ablaufen. Die Unterscheidung zwischen Mikro- und Makroevolution ist somit eher methodisch-semantischer Natur (Quelle 2, S. 433).

Herr Veit hat nichts dagegen, wenn jemand sagen würde: „Ich glaube an die Naturwissenschaft“, aber es sei ein Glaube (1:15:01).

Herr Veith weiß nicht, wie Naturwissenschaft „funktioniert“. Theorien können zwar nicht „bewiesen“ werden, wohl aber nach wohldefinierten Kriterien beurteilt, bewertet und miteinander verglichen werden. Auch haben die Naturwissenschaften einen hohen Grad an Zuverlässigkeit erreicht, und die Verwendung wissenschaftlicher Theorien ist rational. Empirische Wissenschaft kann also auf keinen Fall dogmatisch sein, weil sie sonst die Mindestbedingung für Rationalität (Kritisierbarkeit) nicht erfüllen würde. Man kann die Lehre ziehen, dass es kein „sicheres Wissen“ (im Sinne mathematischer Beweisbarkeit) gibt. Das Ziel der Wissenschaft ist, sich durch die Elimination des Falschen der Wahrheit zu nähern, gleichsam empor zu irren. Die von religiösen Systemen angestrebte Wahrheit ist hingegen eine absolute. Der Fallibilismus (= Kritisierbarkeit, Widerlegbarkeit) wird in der Religion keine Rolle spielen: Ziel ist schließlich Glaubensgewissheit. Was immer Wissenschaftler privat glauben, sie müssen alle nichtnaturalistischen Ideen bei ihrer theoretischen wie praktischen Arbeit außen vorlassen, weil ihre Daten und Erklärungen bei Annahme supranaturalistischer Entitäten oder Manipulation wertlos wären (Quelle 11).

Quellen:

Quelle 1: Pew Research Center: Scientists and Belief
Quelle 2: Evolution Ein Lese- Lehrbuch, J. Zrzavy, D. Storch, S. Mihulka, 2009
Quelle 3: Kritische Studie zur Evolutionstheorie
Quelle 4: Amazon Rezension zu R. Dawkins: Die Schöpfungslüge
Quelle 5: Der dritte Schimpanse, Jared Diamond, 2012
Quelle 6: Evolution, Das große Buch vom Ursprung des Lebens bis zur modernen Gentechnologie, Rosemarie Benke-Bursian, 2009
Quelle 7: http://www.martin-neukamm.de/loennig_kritik2.html
Quelle 8: Researchgate - Der Asiatische Marienkäfer
Quelle 9: Alles begann mit Sex. Neue Fragestellungen zur Evolutionsbiologie des Menschen, Robert D. Martin, 2015
Quelle 10: Warum es zwei Geschlechter gibt, Michael Wink
Quelle 11: Gott im Fadenkreuz

Hier geht's zum Originalartikel...

Kommentare

  1. userpic
    Huxley

    Eine hervorragende Analyse und eine exzellente Darstellung!
    Hat Freude gemacht zu lesen! :-)

    Antworten

    1. userpic
      Klaus Steiner

      Danke :-)

      Antworten

      Neuer Kommentar

      (Mögliche Formatierungen**dies** für fett; _dies_ für kursiv und [dies](http://de.richarddawkins.net) für einen Link)

      Ich möchte bei Antworten zu meinen Kommentaren benachrichtigt werden.

      * Eingabe erforderlich