Marx und Minirock

Mina Ahadi am 21.9. zum Thema Frauenrechte und Islam im Bahnhof Langendreer in Bochum

Marx und Minirock

Foto: Maxi Braun

Ein Kuschelkurs in Sachen Islam wird das hier nicht. Auf die Frage, ob ich fotografieren könne, erwidert Uwe Vorberg vom Bahnhof Langendreer, er müsse erst die beiden Personenschützer von Mina Ahadi informieren, damit es keine Probleme gibt. Als er in den Abend zum Thema „Frauenrechte und Islam“ einführt, bemerkt er angesichts des vollen Studios 108 trocken „Es scheint ein brennendes Thema zu sein“.

Um die 150 Menschen sind der Einladung des Bahnhof Langendreer und der Initiative Religionsfrei im Revier gefolgt, um die Exil-Iranerin und Menschenrechtsaktivistin sprechen zu hören. Sie sitzen auf dem Boden oder stehen hinter der letzten Stuhlreihe, bis zur Tür. Mina Ahadi ist Vorsitzende des 2007 gegründeten Zentralrats der Ex-Muslime, Begründerin eines Internationalen Komitees gegen Steinigung und eines gegen die Todesstrafe.

Ihre Biografie verleiht dem Gesagten besonderen Nachdruck. Sie erzählt, wie sie in einem iranischen Dorf aufwuchs und schon als Kind auf der Straße einen Tschador tragen musste, mit niemandem sprechen durfte, wenn sie von A nach B ging. Anders war es in der Großstadt Teheran, wo sie ihren atheistischen Großvater besuchte. Das Leben dort war voller Farben, Eis und Kinobesuche. In ihrem Dorf war es schwarz hinter dem Tschador, für Ahadi ein „mobiles Gefängnis“. Das war in den 1960er Jahren, noch unter Schah Mohammad Reza Pahlavi.

Ihr Körper wird mit der Pubertät zunehmend zu einem Problem. Das Einsetzen der Periode sei „ein schwarzer Tag für die Familie“ gewesen. Sie beginnt, die Religion und ihren Platz darin zu hinterfragen. Will einen Freund haben, den Tschador ablegen. Die Antwort auf alles lautet immer nur „Allah“. Sie hört auf zu beten, entwöhnt sich von den religiösen Riten. „Dafür wurde ich nicht gesteinigt. Im Dorf galt das als typische Phase von jungen Leuten".

Später geht Ahadi zum Medizinstudium nach Täbris. Dort kann sie sich unbedeckt bewegen. Verboten bleibt die Lektüre von Marx und anderen kommunistischen Autoren. „Ich wollte aber Minirock tragen und Marx lesen", stellt Ahadi energisch fest. Sie beteiligt sich als Teil der linken Bewegung an Demonstrationen gegen den Schah und muss ihr Studium abbrechen. Als Oppositionelle kämpft sie nach der sogenannten Islamischen Revolution 1979 gegen den religiösen Fundamentalismus Khomeinis.

Persönliches Schicksal

Wie oft mag Ahadi den nun folgenden Teil ihrer Geschichte erzählt haben? Ihre Stimme bricht kurz, um dann noch lauter, durchdringender zu werden. 1980 wird ihr Mann, während sie nicht zuhause ist, verhaftet, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Ahadi ist da 24 Jahre alt, lebt noch eine Weile unter ständiger Angst in Teheran, flieht in den Westen des Landes, wo sie zehn Jahre lang als Partisanin kämpft.

Die Preisgabe ihres bewegenden Schicksals steht in Kontrast zu der harten Linie, die sie gegenüber Religionen insgesamt und dem Islam vertritt. Ihre Thesen sind so klar wie unversöhnlich: Frauenrechte sind mit Religionen unvereinbar. Die Scharia ist unmenschlich und ein Instrument für Zwangsheirat, Geschlechter-Apartheit und Ehrenmord. Der Zwang zu Hijab, Niqab, Tschador und Burka ist eine Menschenrechtsverletzung, ein Symbol für den politischen Islam und gehört in westlichen Ländern verboten. „Ich klage alle Religionen an die sagen, der Körper sei etwas Schmutziges“. Sie hofft dabei nicht auf die Unterstützung durch die Politik: „Parlamente und Regierungen sind kalt, aber jeder einzelne Mensch hat ein Herz“.

Das Publikum hat Ahadi auf ihrer Seite. Menschen, die aufgrund ihres Äußeren irgendeiner Religion zuzuordnen wären, sind nicht gekommen. In der anschließenden Diskussion gibt es dennoch Gegenstimmen. Eine Frau, die angibt, christlich sozialisiert und nun Atheistin zu sein, widerspricht Ahadis Forderung nach einem Kopftuch- und Moscheeneubau-Verbot. Sie argumentiert mit der Religionsfreiheit: wenn es Kirchen gibt, warum nicht auch Moscheen?

Ahadi widerspricht, es gäbe erstens genug Moscheen, ihr ginge es aber besonders um Prunkbauten wie die Ehrenfelder Moschee in Köln, die „größer als der Dom“ werden sollte und somit auch einen Machtanspruch des politischen Islam ausdrücke.

Auf die Burka-/Burkini-Verbots-Debatte will sie sich nicht einlassen, das sei ein anderes Thema. Für sie gibt es nur einen geringen Prozentsatz an Frauen, die sich freiwillig verhüllen. Bei der Mehrheit sei es ein Zwang, auch unbewusst durch die religiöse Indoktrinierung vermittelt. „Eine Burka in Europa zu tragen, soll das ein Menschenrecht sein?“.

So manche gläubige Muslima würde Ahadi da widersprechen, sich nicht als indoktriniert bezeichnen. Doch was würde ein Dialog bringen, wenn das religiöse Korsett von den Betroffenen nicht als solches empfunden wird? Ahadi fordert Frauen aktiv auf, den Schleier abzunehmen. Aber ist ihr unglaublicher und teuer bezahlter Mut ein Weg, den jede Frau gehen will und kann?

Harte Thesen ohne Hass

Von der AfD distanziert sich Ahadi scharf. Eine Einladung von Frauke Petry lehnte sie mit der Begründung ab, deren Partei vertrete wie ultrakonservative Islamverbände eine autoritäre, homophobe, sexistische, kurz: menschenfeindliche Position.

Der Konflikt zwischen ihrer Position und der von vielen linkspolitisch orientierten Menschen wird hier trotzdem deutlich. Sie hält den Umgang von Linken, Grünen und Intellektuellen mit dem Islam für zu sanft. Sie verharmlosten aus falsch verstandener Toleranz die Gefahren für eine freie Gesellschaft und sollten auch auf internationalem Parkett keine Zugeständnisse gegenüber Regimen wie dem iranischen machen. Aber welche Erfolge hat der Abbruch diplomatischer Beziehungen je erzielt?

Einige von Ahadis Thesen scheinen nur in der Theorie zu funktionieren. Würde unsere Gesellschaft wirklich freier, wenn wir den Kopftuchzwang in einen Enthüllungszwang umkehrten? Ein Strand in Nizza erscheint vor dem inneren Auge. Mich beschleicht das Gefühl, ob die Fragen, die ich mir stelle, nun besonders tolerant und weltoffen, oder jene „linken Reflexe“ sind, die Ahadi kritisiert.

Ein junger Mann möchte mit Ahadi dann noch über die Auslegung des Korans und der Scharia diskutieren. „Wenn man keine Todesstrafe fürchten muss, keine Morddrohungen erhält, dann kann man über die Interpretation diskutieren“, entgegnet Ahadi. Ein älterer Mann, der sich mir später als Kourosh vorstellt und als Kernphysiker in der Anti-Atom-Bewegung aktiv war, findet noch treffendere Worte: „Ob der Koran nun gut ist oder schlecht, wie man ihn auslegt, das ist nicht mein Bier! Menschenrechte sind mein Bier, der Koran interessiert mich nicht und ich sollte auch nicht dazu gezwungen sein!“.

Von Mina Ahadi bleibt der Eindruck einer Frau mit glasklaren Überzeugungen und manchmal zu einfachen Antworten. Ihre Appelle sind trotzdem nicht destruktiv, ihre Forderungen kommen ohne Hass aus. Trotz allem, was ihr widerfahren ist, hat sie sich einen unerschütterlichen Glauben an das Gute im Menschen bewahrt und scheint, ihre Mission gefunden zu haben. An diesem Abend wirft sie viele Fragen auf, auf die es keine leichten Antworten gibt. Allein die Möglichkeit einer so kontroversen Veranstaltung ist unserer freien, weitestgehend säkularen Gesellschaftsform geschuldet. Wenn Ahadi sagt, das sei ein Prinzip, das wir alle zusammen verteidigen müssen, will man ihr nicht widersprechen.

Der Artikel wurde erstmalig auf www.trailer-ruhr.de veröffentlicht.

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Kommentare

  1. userpic
    Bernd Kammermeier

    Ein guter Veranstaltungsbericht über eine interessante Frau.

    Ein Satz, für den ich viel Verständnis aufbringe, stört mich jedoch: "Würde unsere Gesellschaft wirklich freier, wenn wir den Kopftuchzwang in einen Enthüllungszwang umkehrten?"

    Das ist das klassische Totschlagargument von Befürworten der Geschlechterapartheit und den klassischen Appeasement-Politikern. Natürlich macht es keinen Sinn einen Zwang durch einen anderen Zwang zu ersetzen. Wobei es z.B. bzgl. des Nacktgehens in unseren Städten recht klare Regeln gibt, die man durchaus als Zwang interpretieren darf.

    Aber so einfach muss man es sich auch nicht machen. Der Punkt ist, dass die islamischen Bekleidungsregeln, die ausschließlich für das weibliche Geschlecht gelten, politische Symbole sind, die für eine antidemokratische und sogar faschistoide Gesinnung stehen. Sie zementieren Apartheit - zum einen der Geschlechter und zum anderen zur Kultur der "Anderen" (Christen, Juden, Ungläubige, Konfessionslose, Ex-Muslime etc.). Das macht Integration und selbst friedliches Zusammenleben unmöglich.

    Es geht bei den islamischen Bekleidungsvorschriften also nicht "um ein Stück Stoff", sondern um ein Statement. Das ist vergleichbar mit anderen politischen Symbolen, die man teilweise tragen darf und die teilweise aus gutem Grund bei uns verboten sind. Verboten ist alles, was mit totalitären Systemen in Zusammenhang steht. Warum nicht dann auch die Symbolik eines faschistoiden Systems, wie es der Islam fraglos repräsentiert?

    Und konkret ist das Kopftuch (und seine härteren Verwandten bis Burka) ein Signal an die Frauen: Versteckt euch, die Männer gehen um! Hier kommt also zum politischen Symbol noch der Ausdruck für die Geschlechterapartheit, die ein gesundes Miteinander der Geschlechter unmöglich macht. Wo und wie sollen sich die Geschlechter kennenlernen? Das wird systematisch unterbunden und Frauen stecken so tief darin, dass sie ihre Verhüllkleider mittlerweile als Schutz vor den unbekannten Männern ansehen. Wer Wölfe immer nur als sagenhafte Schatten im finsteren Wald vermutet, wird immer Angst vor ihnen haben. Und Männer können nie lernen, in Frauen etwas anderes zu sehen, als Objekte ihrer feuchten Träume. Da die Beschneidung die Masturbation zusätzlich erschwert, staut sich bei muslimisch sozialisierten Männern Frust und Trieb, was sich dann - gerade in islamischen Ländern - in teilweise brutaler Gewalt gegen Frauen und sexuelle Übergriffe entlädt.

    Ein Teufelskreis, der sicher nur als Ultima Ratio gesetzlich durchbrochen werden sollte. Aber eine öffentliche Aufklärung darüber ohne beschwichtigende Appeasement-Politik muss im Interesse der muslimisch sozialisierten Männer und Frauen stattfinden. Oder - wie es Arzu Toker jüngst in Mainz sagte: "Die Männer sollen sich die Augen zubinden."

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