Mit den Ohren „sehen“. Können Fledermäuse in Farbe hören?

Photonen bewegen sich schnell und in geraden Linien, und können mit großer Präzision gebündelt werden. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, hoch detaillierte und akkurate Informationen über die Welt zu kalkulieren. Wir sind damit vertraut und nehmen es als gegeben hin, dass unsere Augen und in Folge unser Gehirn es uns ermöglichen, mit großer Geschwindigkeit Hindernissen auszuweichen und bewegliche Ziele wie etwa Tennisbälle zu treffen. Wir bemerken den enormen Unterschied, wenn uns die Dunkelheit hilflos stolpern lässt. 

 

Übersetzung von Daniela Bartl

 

Doch es ist möglich, sein Leben während der dunklen Hälfte des Tag-Nacht-Zyklus gut zu bewältigen, und es ist mittlerweile gut erforscht, wie Fledermäuse im Laufe der Evolution die Fähigkeit entwickelten, ohne Licht zu „sehen“, indem sie statt ihrer Augen (und in der Tat haben die hoch spezialisierten Fledermausarten ihre Augen nahezu komplett rückentwickelt) ihre fein abgestimmten Ohren verwenden. Das Echo hoher Pfeiftöne ist zwar nicht so ideal wie hochfokussiertes Licht, doch es ermöglicht Fledermäusen, dank entsprechender Auswertung der Daten im Gehirn mit hoher Geschwindigkeit in kompletter Finsternis zwischen gespannten Drähten zu fliegen, ohne sich zu verletzen, und im Flug Insekten zu fangen. Zahnwale haben dieselbe Technik der „Echoortung“ entwickelt (besonders hoch entwickelt bei Flussdelfinen, die im trüben Wasser schwimmen und jagen, wo Sehen fast unmöglich ist) sowie zwei separate Gruppen höhlenbewohnender Vögel.

Lange schon mutmaße ich, dass die Antwort auf die berühmte philosophische Frage: „Wie fühlt es sich an, eine Fledermaus zu sein?“ lauten könnte: „Ungefähr so, als wäre man ein schnell fliegender, mithilfe der Augen jagender, insektenfressender Vogel wie etwa die Schwalbe.“ Damit meinte ich etwas ziemlich Spezifisches. Wenn visuelle Tiere wie Schwalben oder Menschen sich umsehen, konstruieren sie in ihrem Gehirn ein Simulationsmodell, das laufend anhand der eintreffenden Daten, die die Augen liefern, aktualisiert wird und daher der Außenwelt ähnlich genug ist, um Navigation und sogar das Verfolgen von beweglichen Zielen darin zu ermöglichen. Das bemerkenswerte Phänomen der optischen Täuschungen wird bestmöglich mit der Hypothese erklärt, dass das, was wir betrachten, nicht die wirkliche Welt ist, sondern unser inneres Modell davon.

Als die Vorfahren von Fledermäusen und Delfinen damit begannen, Echoortung zu verwenden, wahrscheinlich vor mehreren Millionen von Jahren, verfügten ihre Gehirne bereits über hochentwickelte Simulationssoftware, fein abgestimmt darauf, die für Hochgeschwindigkeitsmanöver notwendigen mathematischen Kalkulationen durchzuführen. Anstatt diese anfangs visuelle Software ungenutzt brachliegen zu lassen, wäre es ein ganz natürlicher Vorgang gewesen, sie für die neue Technik der Echoortung zu requirieren. Es wäre lediglich ein neues „Treibermodul“ nötig gewesen (um bei der Computermetapher zu bleiben), das statt Netzhautabbildern Echos verwendet, um die Simulation zu aktualisieren. Das ist der Grund für meine Mutmaßung, dass Fledermäuse mit ihren Ohren „sehen“. Die Szenerie, die eine Fledermaus mittels Echoortung sieht, könnte der, die eine Schwalbe sieht, sehr ähnlich sein, da sowohl die Fledermaus als auch der Vogel dieselbe Art von Simulationsmodell anwenden, um dieselbe Aufgabe zu bewältigen.

Ich riskierte auch meinen Hals (etwa in Der entzauberte Regenbogen) und überlegte, ob Fledermäuse Farben (ich meinte damit die subjektiven Sinneseindrücke oder Qualia, die wir rot, blau, grün etc. nennen) als Etikett für die verschiedenen lautmalenden Oberflächen von Objekten verwenden: vielleicht „rot“ für glatte, harte Oberflächen wie etwa die Hinterleiber von Heuschrecken, „blau“ für weiche, pelzige Motten. „Rot“ und „blau“ sind letzten Endes nur willkürliche Etiketten für Licht mit der jeweiligen Wellenlänge. Es ist nichts inhärent „Rotes“ an 700 Nanometern. Wenn man davon ausgeht, dass Farb-Qualia im Gehirn vorhanden waren und nicht länger als Etiketten für die Wellenlänge des Lichts benötigt wurden, was hätte dagegen gesprochen, sie wiederum als Etiketten zu verwenden, aber Etiketten für etwas anderes, nämlich lautmalende Oberflächenstruktur?

Daher war ich fasziniert, als ich gestern im Guardian vom inspirierenden Fall des Daniel Kish las. Im Alter von einem Jahr wurden bei ihm beide Augen operativ entfernt, um einen aggressiven Augenkrebs zu bekämpfen. Seit er sich erinnern kann, macht er Schnalzgeräusche mit der Zunge, um sich in seiner Umgebung zurecht zu finden. Erst im Alter von zehn Jahren sagte ihm ein Freund, dass er dieselbe Technik wie Fledermäuse benutze: Echoortung.

Jede Oberfläche hat ihre eigene akustische Signatur – ich kann zum Beispiel einen Baum erkennen, da der Baumstamm ein anderes Echo produziert als die Blätter. Das harte Holz reflektiert das Geräusch, während die Blätter es reflektieren und ablenken zugleich – sie brechen die Schallwellen. Alles um mich herum wird mit einem Schnalzen der Zunge identifizierbar. In meinem Gehirn lässt es ein dreidimensionales Bild mit Tiefe, Charakter, und Detailfülle entstehen; es bringt Licht in die Dunkelheit. Oft kann ich mich in einem Hörsaal schneller zurecht finden als Sehende, weil ich den Ausgang erkennen kann. Wenn ich an einem lauten Ort bin, etwa bei einem Konzert, bin ich nicht besorgt – ich erhöhe einfach die Lautstärke und mein Schnalzen durchdringt den Lärm. Ich bin mit diesem Geräusch sehr vertraut und fühle mich überhaupt nicht gehemmt, wenn andere Leute es hören können.

Ich habe kein übermenschliches Gehör, auch wenn ich manchmal Batman genannt werde; ich habe nur meine Ohren so trainiert, dass sie die Echos verstehen können. Jeder kann das, Sehende oder Blinde – es ist keine Wissenschaft. Wenn man ein Buch vor sich in die Höhe hält und mit der Zunge schnalzt, und es dann wegnimmt und wieder schnalzt, kann man den Unterschied hören, genauso wie man aufgrund des Schalls weiß, dass man in einem leeren Raum ist. Auf dem College schrieb ich meine Abschlussarbeit zum Thema Echoortung, und im Zuge meiner Forschungsarbeit musste ich ganz bewusst dekonstruieren, wie ich es tat, um die Vorgänge zu verstehen. Ich fragte mich: „Ich weiß, dass vor mir eine Wand ist, aber was genau weist mich darauf hin?“ Ich stellte mir selbst Aufgaben und versuchte, Hindernisbahnen schneller und schneller zu bewältigen.

Seine Fähigkeit ist für Sehende dermaßen überraschend, dass sie ihn ärgerlicherweise als weit beeinträchtigter behandeln, als er ist:

…obwohl ich erfolgreich in der Welt umhergereist bin, spüre ich, dass das Personal am Flughafen mich am liebsten in einen Rollstuhl setzen, mir meine Papiere abnehmen und mich mit dem Gefühl der Hilflosigkeit zurücklassen würden. Einem  Freund von mir wurde es nicht gestattet, das Flugzeug zu verlassen, bis nicht „Unterstützung“ eingetroffen war, obwohl er Weltrekordhalter im „blinden“ Radsport ist; er war zu höflich, um sich darüber aufzuregen, doch ich hätte wohl darauf bestanden, das Flugzeug zu verlassen.

Ich habe es mir zur Lebensaufgabe gemacht (http://worldaccessfortheblind.com), blinde Kinder darin zu unterrichten, wie sie sich mithilfe von Echoortung, die ich Flashsonar nenne, stärken können. Wenn man darin geschickter wird, wird auch das Zungenschnalzen subtiler und natürlicher, wie Blinzeln, sodass die Menschen um dich herum es nicht bemerken und dich deswegen nicht stigmatisieren.

Er hat sich sogar selbst das Radfahren beigebracht:

Mittlerweile kann ich eine belebte Straße entlang fahren oder eine Radtour durch den Wald machen. Ich habe noch nie einen Fußgänger angefahren – ich klopfe auf Holz –, weil ich nicht auf dem Bürgersteig fahre. Autos sind hervorragende Echoziele, also kann ich ihnen leicht ausweichen. Ich sage nicht, dass ich noch nie gestürzt wäre, aber jede sportliche Aktivität birgt doch eine gewisse Gefahr.

Der Verkehr zu Stoßzeiten behagt mir nicht; ich bin nur froh, dass ich ihn bewältigen kann, wenn ich muss. Es ist schon eine Ironie – ich verbringe meine ganze Zeit damit, blinden Menschen Mut zu machen, sich aktiv am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen, dabei würde ich mich selbst am liebsten ganz daraus zurückziehen. Wenn die Arbeit getan ist, verbringe ich meine Zeit in den Bergen wie ein alter Einsiedler, mit meinem Zungenschnalzen als Gesellschaft.

Wir sollten nicht erwarten, dass jemand die Echoortung so gut beherrscht wie eine Fledermaus. Fledermäuse hatten Millionen von Jahren, in denen die Evolution ihre Fähigkeiten perfektionieren und die Software in ihrem Gehirn feinabstimmen konnte. Außerdem verwenden Fledermäuse Töne im Ultraschallbereich – zu hoch, als dass Menschen sie hören könnten -, was die Genauigkeit der Echoortung aus Gründen, mit denen sich Physiker auskennen, drastisch erhöht. Techniker können Geräte entwickeln, die Ultraschalltöne von sich geben, und Instrumente, die Ultraschall in hörbare Frequenzen transponieren können. Ich habe selbst bereits experimentelle, von L. Kay in Neuseeland entwickelte Kopfhörer aufgesetzt, die für blinde Menschen gedacht sind, und konnte nach wenigen Minuten Eingewöhnung einen rudimentären Eindruck von meiner Umgebung gewinnen, obwohl meine Augen verbunden waren.

(Referenz: http://etheses.nottingham.ac.uk/1655/1/467746.pdf)

Ich wüsste zu gerne, ob meine Vermutung, dass es das Echo ermöglicht, „Farben zu hören“, einen wahren Kern hat. Hört Daniel Kish in Farbe? Ihm selbst mag es unmöglich sein, dies zu beantworten, da er das Augenlicht so früh verloren hat und sich daran wohl nicht erinnern kann. Aber laut ihm gibt es andere, die dieselbe Fähigkeit haben wie er. Wenn sich einer von ihnen daran erinnern kann, wie es vor dem Verlust des Augenlichtes war, könnten wir es wagen, auf die Bestätigung von Augenzeugen (Ohrenzeugen?) zu hoffen, dass das „Sehen mit den Ohren“ – mit viel Übung – zum gleichen subjektiven Erlebnis führt wie das Sehen mit den Augen? Und „sieht“ einer von ihnen wirklich in Farbe? Wenn ja, scheint es sicher, dass es Fledermäuse auch tun. Wenn nicht (was, wie ich sagen muss, wahrscheinlicher ist), heißt dies nicht, dass es Fledermäuse nicht doch können: Sie hatten ja Millionen von Jahren Zeit, ihr System der Echoortung zu perfektionieren.

Hier findet man den Bericht über Daniel Kish:

http://www.guardian.co.uk/lifeandstyle/2013/jul/13/experience-blindness-echolocation-daniel-kish?INTCMP=SRCH

 

 

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