Mysteriöse Krater sind erst der Anfang der arktischen Überraschungen

Es sind nicht nur angeblich von Aliens gegrabene Krater in Russland, es sind auch Mega-Senken, brennendes Eis und betrunkene Bäume. Das fortschreitende Auftauen des Permafrostbodens, der beinahe ein Viertel der Landfläche der nördlichen Hemisphäre bedeckt, hat bereits viele arktische Phänomene verursacht.

Mysteriöse Krater sind erst der Anfang der arktischen Überraschungen

Die Temperaturen in der Arktis steigen rund zwei Mal so schnell als auf dem Rest des Globus, zu einem großen Teil in Folge der Verringerung der Menge an Sonnenlicht, das vom weißen, schneebedeckten Boden reflektiert wird. An irgendeinem Punkt könnten es zu einem Zustand des Permafrostes kommen, der nicht mit dem vergleichbar ist, was wir in den letzten 100 Jahren gesehen haben, einige neue Prozesse, die noch nie stattgefunden haben“, sagt der Geologe Guido Grosse vom Alfred Wegener Institut für Polar- und Meeresforschung in Deutschland.

Die mysteriösen Krater im fernen Nordrussland sind nur ein Beispiel dafür. „In der wissenschaftlichen Literatur gibt es keine Beschreibung, die diese Krater vollständig erklären kann“, sagt Grosse, der sich diesen Sommer zum Fluss Lena in Sibirien aufgemacht hat, wo es eine russisch-deutsche Forschungsstation gibt. Die wahrscheinlichste Erklärung für die neu entdeckten Krater in Russland ist die Ansammlung von Methan über Jahrzehnte oder länger, die dann irgendwann in den letzten Jahren aus dem auftauenden Boden hervorbrach. „Hoher Druck hat sich aufgebaut und [der Boden] brach wortwörtlich auf.“ erklärt Biochemiker Kevin Schaefer vom US National Snow and Ice Data Center. „Wenn es tatsächlich von schmelzendem Methaneis verursacht wird, werden wir noch mehr davon sehen.“

Diese Krater werden dann zu Seen, die den Permafrost um sich herum und unter sich weiter auftauen werden, weil das Wasser noch mehr Sonnenwärme einfängt. Ähnliche neue Seen bilden sich in Senken der aktuell auftauenden lehmigen Landschaft der Arktis, die Thermokarst genannt wird. Solche Seen im Thermokarst und die umliegenden Marschen erzeugen die matschigen Bedingungen, die ideal für Bakterien sind, welche tote Pflanzen zersetzen und dabei Methan freisetzen. Das Methan blubbert dann aus den Seen und dem Boden, und wo es konzentriert vorkommt kann, es sogar in Brand gesetzt werden, was zu auf dem Eis züngelnden Flammen führt.

Noch weiter verbreitet als aufgesprengte Krater oder brennendes Eis sind betrunkene Bäume. Wenn der Permafrost auftaut, wird der Boden, der einst fest wie Beton war, zu Schlamm in Folge des Umstands, dass das Eis in manchen Gegenden der Arktis bis zu 80 Prozent des Bodens ausmacht. Und weil Eis mehr Platz benötigt als Wasser, sinkt der Boden ein und verursacht, dass die aufrecht gewachsene Bäume sich zur Seite zu neigen, da sich der Boden unter ihnen verflüssigt. Als Ergebnis haben deshalb ganze Wälder Schlagseite bekommen wie eine Armee von Trunkenbolden. Das ist auch für die moderne Infrastruktur in der Arktis eine schlechte Nachricht: Straßen, Pipelines und Gebäudeansammlungen sinken in den Schlamm und reißen, ganze Landschaften versinken. „Auf lange Sicht wird der Rückgang des Permafrosts großen Einfluss auf die Wirtschaft und die Gesellschaft haben“, merkt Schaefer an.

Wo der Boden abrutscht, kann es zu noch Schlimmerem kommen: Senken, die sich wie langsam rutschende Schlammlawinen verhalten und die Areale von 40 Hektar und mehr unterminieren und sich über einen Kilometer erstrecken. Die größten Mega-Senken fressen sich mit einer Rate von einem Kilometer pro Jahrzehnt in die Landschaft hinein und zeigen keine Anzeichen, anzuhalten. Eine Mega-Senke in Russland, die die Wissenschaftler fasziniert, reicht 70 Meter tief in den Permafrost und wächst immer noch, nachdem sie in den 1970er Jahren begonnen hat, wie Grosse berichtet.

Das Bedenklichste des tauenden Permafrosts ist vielleicht eine massive und plötzliche Freisetzung von Methan in der Arktis. Ob im Ozean oder im Permafrost, Methan speichert über Jahrzehnte mindestens acht Mal so viel Wärme als Kohlendioxid und beschleunigt so die globale Erwärmung noch weiter. Die schlechte Nachricht von dieser Front sind messbare Anstiege der Menge an Methan, die in der Arktis produziert wird – ein Anstieg von mindestens 8 Prozent während der letzten 30 Jahre laut der Kanadischen „Alert Station“ im Nordwest Territorium. Und Meeresexpeditionen haben entdeckt, dass Methanblasen aus dem Grund des arktischen Ozeans aufsteigen. Die gute Nachricht ist, dass Satellitendaten, die weite Teile der arktischen Atmosphäre erfassen und sich über Jahrzehnte erstrecken, nur geringe Veränderungen der Konzentration des starken Treibhausgases zeigen. „Warum das so ist, wissen wir noch nicht“, sagt Grosse.

Der Großteil der Treibhausgase, der durch das Abtauen der Arktis frei wird, wird CO2 sein. Und das Auftauen des Permafrostes wird weiter gehen, da ansteigende Mengen von Treibhausgasen in der Atmosphäre noch mehr Wärme speichern, was wiederum die Arktis weiter tauen lässt. Computersimulationen sagen voraus, dass bis Mitte des Jahrhunderts in Alaska ein Drittel des Permafrostes zumindest an der Oberfläche auftauen könnte, so wie auch in ähnlichem Ausmaß in Kanada und Sibirien. Sobald das Auftauen erst einmal begonnen hat – und die gefrorenen abgestorbenen Pflanzen, die ungefähr die ersten drei Meter des Permafrostbodens darstellen, Nahrung für Mikroben werden, die dann CO2 freisetzen – ist der Prozess unumkehrbar. „Man kann es nicht wieder einfrieren“, sagt Schaefer. „Hat der Zerfall einmal angefangen, kann man ihn nicht mehr abstellen, und er wird Jahrhunderte fortdauern.“

Schätzungen zufolge speichert der Permafrost bereits große Mengen von Kohlenstoff, ungefähr 1,7 Billionen metrische Tonnen – oder mehr als das Doppelte von dem, was sich heute bereits in der Atmosphäre befindet. Nicht alles davon wird in der nahen Zukunft auftauen – einige Bereiche des Permafrostes erstrecken sich bis in 700 Meter Tiefe – aber bis zu 120 Milliarden metrische Tonnen könnten bis 2100 freigesetzt werden. Das reicht aus, um die globale Durchschnittstemperatur um ein Drittel eines Grades anzuheben. „Das sind große Zahlen“, meint Schaefer. „Aber sie sind tatsächlich klein, wenn man sie mit denen vergleicht, die man in Verbindung mit der Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas vorhersagt. Diese Emissionen sind schlicht immens.“

Die Computermodelle, die die Schätzungen liefern, wie viel Kohlenstoff frei werden wird, gehen von einem allmählichen Auftauen des Permafrostes aus. Das könnte sich, basierend auf den aktuellen Beobachtungen, als Irrtum erweisen. Schon jetzt gehen die Tauprozesse, wie die Entstehung von Senken und Seen, wesentlich schneller vonstatten und betreffen größere Regionen als erwartet. Wie Grosse es ausdrückt: „Unsere Schätzungen könnten sehr konservativ sein.“

Das Auftauen setzt eine Reihe komplexer Naturkräfte in Gang, von denen einige dem anscheinend unaufhaltsamen Trend zur Erderwärmung entgegen stehen könnten. Bäume und Sträucher werden fortfahren, sich dank höherer Temperaturen und längeren Wachstumsphasen weiter nach Norden auszudehnen. Diese Bäume wiederum nehmen CO2 aus der Luft auf. Das neue Kohlenstoffüberwachungssystem der NASA im Orbit sollte bei der Klärung, wie viel CO2 durch diese Begrünung der Arktis aus der Atmosphäre genommen wird, helfen. Und selbst die Thermokarstseen könnten Kohlenstoff in sich speichern, zumindest über Tausende von Jahren, da Sedimente in Seen tote Pflanzen und Algen begraben.

Selbst der Grad des Auftauens, der durch die derzeitigen Emissionen von Treibhausgasen bestimmt wird, bleibt unklar. „Wir versuchen, das herauszufinden“, sagt Schaefer. Und die Gesetze, die die Prozesse in der Arktis für die letzten 100 Jahre der modernen Erforschung der Arktis gelenkt haben, könnten vielleicht keinen Bestand mehr haben. Die Geschwindigkeit des Auftauens könnte sich erhöhen und das Auftauen nur einige Jahrzehnte dauern, oder es könnte langsam über Jahrhunderte oder Jahrtausende vonstatten gehen. „Wo liegen die Grenzen beim Auftauen von Permafrost?“, fragt Grosse. „Wir wissen es nicht wirklich.“

Es gibt Versuche, die Überwachung der Arktis auszudehnen, aber es bleiben große Lücken in Folge ihrer Weitläufigkeit und der extremen Bedingungen. Wie in den meisten Wissenschaften sind bisherige Beobachtungen eher auf die Orte beschränkt, wo Wissenschaftler leicht hingelangen können, und nicht darauf, wo man am besten Beobachtungen durchführen sollte, um eine maximale Überwachung sicher zu stellen. Von allen Fragen, die sich aus der erst im Entstehenden befindlichen Forschung zur Arktis im Anthropozän (eine vermeintlich neue geologische Epoche, die sich auf die relativ neuen, globalen Auswirkungen des menschlichen Einflusses auf den Planeten bezieht) ergeben, erscheint das Schicksal des Permafrosts zum großen Teil als bekannte Unbekannte, wie der Bericht der National Academy of Sciences im vergangenen April bestätigt.

Eine Sache ist jedoch klar: Das Anthropozän hat sich bis jetzt als dem Eis gegenüber unfreundlich erwiesen, und es wird sich noch verschlimmern, wenn eine neue (veränderte, Anm. d. Übers.) Arktis entsteht. „Diese Situation ist beispiellos“, sagt Schaefer. „Je schneller wir fossile Brennstoffe verbrennen, desto schneller wird sich die Arktis erwärmen.“


Übersetzung: Joseph Wolsing

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