(hpd) "Pantha rhei", so heißt es in dem von Heraklit verfassten Aphorismus. Alles ist im Fluss, verändert sich, sagen uns diese Worte. Und das ist für bestimmte Gegebenheiten in Raum und Zeit auch heute noch richtig.
Im täglichen Leben, in der Gesellschaft und der Politik allerdings scheint das Prinzip manchmal nicht zu wirken oder die Richtung des Flusses der Dinge wird zum Problem, an dem sich weniger die großen Geister als die normalen Menschen scheiden.
Der Beginn eines neuen Kalenderjahres ist häufig ein Zeitpunkt, an dem sich für die Menschen einiges ändert. So auch in Deutschland, dass seit einigen Tagen von einer großen Koalition aus CDU und SPD regiert wird.
Die Neuerungen, die am 1. Januar 2014 wirksam werden, sind vorwiegend Nachbesserungen im Gesundheits- und Sozialsystem und Änderungen, die nicht alle Menschen gleichermaßen berühren. Wer zum Beispiel raucht, für den wird`s teurer und wer zu schnell mit dem Fahrzeug unterwegs ist, wird nach einem neuen Punktesystem behandelt.
Keine großen Änderungen also – das meiste bleibt, wie es war.
Und es blieb auch bei der Vereidigung der neuen Bundesregierung alles wie gehabt. "Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe", tönte es aus allen Kehlen der neu benannten Staatsdiener, die sich über diese Formel als Christen outeten.
Dabei ginge es auch ohne den religiösen Bezug - und das sogar gesetzlich verbrieft. Niemand weiß, wie es mit der Frömmigkeit der deutschen Regierungsmitglieder bestellt ist. Scheinheiligkeit kann man einigen sicher unterstellen – aber nicht beweisen.
Dass der Eid so und nicht anders gesprochen wird, liegt daran, dass auch in der Präambel des Grundgesetzes der Gottesbezug festgeschrieben wurde. Bei der Änderung des Präambel-Textes, die im Zuge der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten im Jahr 1990 vorgenommen wurde, wäre die Gelegenheit gewesen, das Relikt "Gottesbezug" zu streichen. Aber man hat es nicht getan.
Verantwortlich für den Gottesbezug in der Verfassung der Bundesrepublik sind die Gründungsväter und die vier Frauen des Parlamentarischen Rates, die von ihrer Herkunft her meist religiös geprägt waren und die auch die damalige Volksfrömmigkeit repräsentierten. Stellvertretend seien hier Konrad Adenauer und eine der Frauen im Rat, Helene Wessel genannt, die dem Grundgesetz den religiösen Stempel aufdrückten, den es bis heute nicht ablegen konnte.
Der Streit zwischen Verfechtern und Widersachern dieses religiösen Anstriches unserer Verfassung erscheint vor allem den Protagonisten als Kennzeichen eines atheistischen Angriffes auf die Grundwerte der deutschen Gesellschaft. Dem ist aber nicht so, denn dieser Kulturkampf hat eine lange Tradition.
Unter Otto von Bismarck geriet die Kirche massiv unter Druck. So durfte erst kirchlich geheiratet werden, wenn die Standesamtliche Trauung bereits vollzogen war. Die Zuwiderhandlung wurde unter Strafe gestellt und sogar mit Haft geahndet. Diese Vorschrift wurde übrigens 2009 von der Bundesregierung wieder aufgehoben.
In der Weimarer Republik entstand das Gerüst der heute noch gültigen halbherzigen Trennung von Staat und Kirche in Deutschland, welches die Bezeichnung "Trennung" nicht verdient.
Der Gottesbezug in der Verfassung und die Bezugnahme auf Gott bei der Vereidigung ist nichts weiter als ein Relikt aus vergangenen Tagen und zumindest ein Kniefall vor den Amtskirchen. Das Volk in der BRD ist nicht mehr das von 1948, viele Deutsche haben in den Jahrzehnten den Kirchen den Rücken gekehrt und das nachweislich.
Sollte die Verfassung eines demokratischen Staates nicht auch solchen Entwicklungen Rechnung tragen?
Die Bundesrepublik Deutschland ist Mitglied der EU und dort scheiterten die Bemühungen konservativ–religiöser Kräfte, den Gottesbezug in die Verfassung zu integrieren, am Widerstand von laizistisch geprägten Staaten wie zum Beispiel Frankreich. Heute sind nur Deutschland, Polen und Griechenland und Irland mit einer "von Gott gegebenen Verfassung" "gesegnet". Doch auch die EU ist noch weit davon entfernt, klare laizistische Strukturen vorzuweisen, wie aktuelle Untersuchungen zeigen. Die Kirchen sind zäh, wenn es um den Kampf um den Erhalt ihrer Pfründe geht.
Die demographische Entwicklung und die europäischen Realitäten sollten doch dazu führen, dass die Religion für die Menschen, denen sie wichtig ist, geschützt bleibt, aber nicht länger in das demokratisch organisierte Staatswesen integriert wird. Zumal in der katholischen Kirche demokratische Strukturen gänzlich fehlen.
Dass nicht nur atheistische Vereinigungen, einzelne Philosophen und Denker unserer Zeit gegen diesen Anachronismus kämpfen, zeigen erste Ansätze in den etablierten Parteien. Bei den Linken sollte man annehmen können, dass ihnen eine Trennung von Staat und Kirche wichtig ist. Doch auch in der SPD regt sich - wenn auch in bescheidenem Maße - Widerstand gegen die Zustände in der Bundesrepublik. Die SPD-Laizisten sind noch in der Minderheit, doch es ist etwas im Fluss und das zählt, auch wenn der "große Vorsitzende" Sigmar Gabriel auf Gott schwört und sich wünscht, dass Papst Franziskus eine Rede in der Parteizentrale der SPD hält.
Der friedliche Kulturkampf um Gott, Kirche und die Gesellschaft ist seit vielen Jahrzehnten im Fluss und hat diese oder jene positive Veränderung hin zu einem vollwertigen Laizismus gebracht. Der Weg bis zum Ziel ist jedoch noch weit und bedarf der Anstrengung und des Engagements derer, die daran Interesse haben. Gerade in Zeiten, in denen es den meisten Bürgern in der Bundesrepublik wirtschaftlich gut geht, kann es passieren, dass die Menschen in Selbstzufriedenheit verfallen und die politischen Verhältnisse nehmen, wie sie sind - gleichgültig, ob diese noch zeitgemäß sind oder nicht.
Ein frohes neues Jahr, Gesundheit, Erfolg und auch den Mut, den Politkern auf's Maul zu schauen.
Thomas Häntsch
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