Optimistische Prognose

Kommentar zum Interview mit dem Historiker Martin Kaufhold

Optimistische Prognose

Foto: Pixabay.com / RobertCheaib

Interview zur Zukunft der katholischen Kirche in der „Augsburger Allgemeine“ vom 11.02.2021.

Die Ansicht des Experten Martin Kaufhold, der als Historiker besonders die Epochenwandel verfolgt, teile ich in vollem Umfang: Ja, die katholische Kirche ist schon bald existenziell bedroht. Bereits heute sind die Alarmzeichen ja kaum noch zu übersehen. Und selbst Theologen aus den eigenen Reihen wollen nicht mehr von „Volkskirche“ sprechen, sondern propagieren den Wert einer geschrumpften Christenheit hier in Deutschland und anderswo. Man erhofft sich offenbar, dass es sich bei den übrig bleibenden Schäflein um besonders intensiv gläubige Katholiken handeln wird, die die Kirche zu einem Hort von im besten Sinne radikal überzeugten Anhängern machen. Es sind nicht nur die Skandale um die Missbrauchsvorwürfe, deren Aufarbeitung und die von vielen Betroffenen als Vertuschung verstandene Umgangsweise mit der Schuld von Verantwortlichen, die immer mehr Kirchenanhänger aus den Gotteshäusern treiben. Abgesehen davon, dass viele Katholiken bisher lediglich aus Gründen der Angst um ihre gesellschaftliche Reputation oder schlichtweg aus Faulheit in der Kirche geblieben sind, zeigt sich deutlich, dass es vielen Austrittswilligen um mehr als das Einsparen von Steuern geht. Gerade die Weltsicht vieler römisch-katholischer Würdenträger lässt Menschen, die mit beiden Beinen auf dem Boden der Lebensrealität stehen, an ihrer Zugehörigkeit zu diesem Club von eingestaubter und rückwärtsgerichteter Überheblichkeit zweifeln. Dazu bedarf es nicht einmal der aktuellen Debatte um das Verhalten von Kardinal Woelki, es genügt bereits das Wissen um die massiven Hürden, mit denen Papst Franziskus in der Kurie ringen muss. Und letztlich ist es auch seine Widersprüchlichkeit, die aufrüttelt: In Fragen der Beziehung zwischen Kirche und Homosexuellen fährt er einen Zickzackkurs, im „Synodalen Weg“ scheint sich Jorge Mario Bergoglio nicht wirklich durchsetzen zu können – und was die Frage der Frau angeht, so haben die Proteste von Christinnen aus Deutschland offenbar ebenfalls wenig Eindruck bei ihm hinterlassen. Schlussendlich ist es aber auch die zunehmende menschliche wie inhaltliche Distanz, die selbst eingefleischte Gläubige zum Rückzug aus der Kirche bewegt: Gottesdienste, die weiterhin in alter Manier gefeiert werden und keinen Raum für das individuelle Anliegen der Mitglieder lassen, sind ebenso in der Kritik wie die hilflos anmutenden Konzepte mancher Gemeinden, die Eucharistiefeier zu modernisieren.

Durch Klamauk nicht ansprechender

Nein, durch Klamauk wird die Kirche nicht ansprechender. Überzeugende Ideen, wie der Glaube des Christseins ins 21. Jahrhundert übertragen werden kann, ohne dabei in unglaubwürdigen Aktionismus zu verfallen, konnten bisher die Wenigsten liefern. Es bedarf einer Seelsorge, welche die Menschen in ihrem Alltag abholt, statt sie über Sündhaftigkeit und Beichte zu belehren. Die Bemühungen der beiden christlichen Konfessionen, sich um das Abflachen der Austrittswelle zu kümmern, gehen gründlich schief. Vielmehr scheint man diejenigen ziehen zu lassen, die im Zweifel über die Theodizée-Frage, den Zölibat oder die Jungfräulichkeit Marias sind. Dass Kirche heute mehr denn je die Fragen ihrer Gläubigen zulassen und mit irdischen Erklärungen beantworten muss, interessiert sie nicht. Das Abgehobensein und die Verantwortungslosigkeit einer weltlichen Institution, die weiterhin auf Unsummen von staatlicher Zuwendung setzt, ohne ihrem Auftrag gerecht zu werden, ist zynisch. Und sich allein auf den Geist Gottes zu verlassen, kann für kaum jemanden noch länger zeitgemäß sein. Demut, Offenheit zur Veränderung und Hinwendung zum Kirchenvolk – all diese Aufgaben hat man verpasst. Es scheint nicht, als wolle man die Kurve kriegen. Der Abgesang auf den konfessionell gebundenen Glauben in Mitteleuropa ist ehrlich, aber auch realistisch zugleich. Kaufhold gibt noch 20 Jahre, bis der Katholizismus hierzulande in der Bedeutungslosigkeit untergehen wird. Ich finde, das ist eine optimistische Schätzung!

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