Es ist das Äquivalent eines Abakus in Zeiten des Taschenrechners: Noch 2.000 Jahre nachdem die Assyrer die Keilschrift einführten, nutzen sie simple Tonmarker im Handel und bei der Verwaltung von Gütern. Das zeigen nun Ausgrabungen im türkischen Ziyaret Tepe. Die sogenannten Tokens galten bisher als primitive Vorgänger der Schrift, die mit deren Erfindung obsolet wurden und verschwanden. Doch offenbar hielten die Assyrer länger an diesem Anachronismus fest als bisher gedacht, wie Funde von hunderten solcher Tokens aus dem ersten Jahrtausend vor Christus belegen. Welche Funktion die Tonmarker damals hatten, ist unklar. Ihr Fund in einem Verwaltungsgebäude der Assyrer legt aber nahe, dass sie beim Handel mit Vieh oder Getreide eine Rolle spielten.
Vor rund 6.000 Jahren existierte in Mesopotamien bereits eine echte Megacity: Uruk, eine Stadt mit mehreren zehntausend Einwohnern. Um diese zu versorgen, war ein immenser Verwaltungsaufwand nötig, tausende von Arbeiten mussten koordiniert, verschiedenste Handelswaren bestellt, gehandelt und abgerechnet werden. Weil es noch keine Schrift gab, behalfen sich die mesopotamischen Beamten mit kleinen Tonmarkern, einer Art Zählsteinen, deren Form, Größe und Markierungen für bestimmten Waren oder Mengen standen. Diese Tokens finden sich in Ausgrabungen bis etwa um 3.000 vor Christus. Dann aber breitete sich eine neue Erfindung im Zweistromland aus: die Keilschrift. Mit ihr wurde es erstmals möglich, Güter zu beschriften, Listen zu führen und Transaktionen nachhaltig zu dokumentieren. Von dieser Erfindung profitierten später auch die Assyrer, die bis etwa 600 vor Christus in Mesopotamien und Teilen Anatoliens herrschten. Für sie war Schrift selbstverständlicher Teil der Kultur. Die prähistorischen Tonmarken waren dagegen längst vergessen – so dachte man wenigstens bisher.
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