Resilienz

Eine Betrachtung zum Jahreswechsel

Resilienz

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„Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden, Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“

Diese Zeilen aus Hermann Hesses Gedicht 'Stufen' sind ein Aufruf, sich den Veränderungen des Lebens zu stellen, sich von Illusionen zu verabschieden, zu reifen.

Die von Hesse formulierte Herausforderung betrifft uns alle - berührt uns aber alle individuell höchst unterschiedlich. Unsere Disposition in Bezug auf Empfindsamkeit, Begabungen, Intellekt und Prägung ist nicht gleich - selbst innerhalb einer Familie. Die sich ergebende individuelle Dynamik resultiert in ganz unterschiedlichen Lebenswegen. Wir sind biologische Wesen, unsere Potentiale zum Guten wie zum Bösen sind unendlich. Wir alle machen uns, ob wir wollen oder nicht, einen Reim auf die Dinge - in dem Sinne „konstruieren“ wir also unsere Welt ein Stück weit selbst - haben aber diese und uns selbst nicht konstruiert und bleiben Teil der Natur. Den Neigungen zu Machtmissbrauch, Gewalt, Manipulation und gegenseitiger Übervorteilung zu widerstehen ist eine auf Dauer gestellte Herausforderung – für jedermann. Zu allen Zeiten waren die Menschen gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Wandel ausgesetzt, ihre Entscheidungen waren von Ambivalenzen und Unsicherheit geprägt - die Zukunft war immer unbekannt. Wir sind keine rationalen Wesen und können nicht willentlich über unsere Emotionen und unseren Willen verfügen. Eine allzeit-stabile Lebenslage ist uns nicht gegeben. Und auch das ist nicht neu: Krisen sind integraler Bestandteil des menschlichen Lebens, an deren wir reifen und häufig tiefe Einsichten gewinnen. Unsere intellektuellen und naturwissenschaftlichen Fähigkeiten haben uns weit gebracht; trotzdem bleibt unser Schicksal ungewiss und wir müssen mit unseren menschlichen Grenzen leben.

Die Herausforderungen der praktischen Lebensbewältigung sind enorm. Der wirtschaftlich-technologische Wandel hat sich über die Maßen beschleunigt und droht, unsere eigene Natur zu überfordern. Die wissenschaftliche Kenntnis unserer Beschaffenheit auf kognitiver und emotionaler Ebene schafft Möglichkeiten der Manipulation, die Gesellschaft und Demokratie gefährden. Das muss durchschaut werden, um dem sowohl wirkungsvoll zu begegnen als auch sich entziehen zu können. Das gesellschaftliche Klima ist gereizt und eher destruktiv; soziale Medien sind zu einem Multiplikator von Gehässigkeit, Abwertung und Böswilligkeit gemacht worden. Der gegenwärtige Trend zu moralischer Argumentation und Versuchen des gegenseitigen Niederringens hat nichts mit Fact Finding, Weitung der eigenen Perspektive, Wertschätzung und dem Bemühen um Gemeinsamkeit zu tun. Alte Irrwege in neuem Gewand wie die Identity Politics zeigen an wie schwer es ist, die Balance eines konstruktiven Weges zu halten. Komplexe Probleme wie wirtschaftliches Handeln vor der Frage der Gerechtigkeit und der Umwelt-Verträglichkeit brauchen ein Umdenken, sind aber nie endgültig zu lösen. Der Umgang mit Religion gewinnt insbesondere durch muslimische Zuwanderung ebenso neue Brisanz wie die Frage, was uns angesichts der anstehenden Herausforderungen tatsächlich an Werten eint. Die Fragen von Identität, Abgrenzung und Toleranz, von Selbst- und Weltbezug führen zu einem immer neuen Gestaltungsauftrag im Sinne der Allgemeinen Menschenrechte.

Wir sind unvermeidlich unser eigener Referenzpunkt. Was ihn bewegt und antreibt, was er anstrebt, was ihm wichtig ist kann nur der Einzelne selbst wissen. Was denkt und fühlt er wirklich über sich selbst, was traut er sich zu, wovor weicht er zurück, was sind unerledigte Fragen? Wie könnte es weitergehen, wie können Lebendigkeit und Freude einen zentralen Platz gewinnen?

Der Wunsch nach Nähe, Verständnis und Geborgenheit, nach Geben wie Nehmen ist so unauslöschlich wie das Streben nach Selbstbestimmung, Respekt und Selbstwirksamkeit. Es ist aber nicht möglich und auch gar nicht nötig, jeden für sich zu gewinnen. Wirkliche Nähe gelingt nur mit wenigen Menschen. Und auch dann ist es unmöglich, dauerhaft auf einer gemeinsamen Welle zu surfen; bei aller Gemeinsamkeit wird man immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen, stößt bei allem Bemühen an eigene Grenzen und die der Mitmenschen.

Kenntnis und Achtung seiner selbst

In der menschlichen Begegnung ist der ganzheitliche, atmosphärische Eindruck von großer Bedeutung. Die Kenntnis und Achtung seiner selbst ist wichtig. Im Austausch mit Anderen wird man unvermeidlich auch emotional berührt. Einen beobachtenden Abstand zu sich selbst einnehmen zu können ist unverzichtbar, um für sich eine durchdachte und unabhängige Position entwickeln zu können. Andernfalls verstrickt man sich leicht mit dem Gegenüber bzw. bleibt an der Situation „kleben“. Das gilt besonders, wenn man moralisch vereinnahmt werden soll. Gegenüber aggressiven Überrumpelungsversuchen ist Wehrhaftigkeit gefragt. Manipulative Interpretation, Verachtung, Beschämung und taktische Ausgrenzung sind ein wahres Gift! Man suche sich unbedingt ein konstruktives und zugewandtes Umfeld!

Unsere Entscheidungen brauchen gründliche sachliche Prüfung und Perspektivwechsel gemeinsam mit anderen. Auch müssen wir in der täglichen Lebensbewältigung Kompromisse machen, die Interessen anderer akzeptieren, Pflichten übernehmen, Irrtümer erkennen und korrigieren. Humor hilft, Distanz zu sich selbst und dem Gegenüber zu halten. Trauer hilft bei Verlusten, den Schmerz zu ertragen und irgendwann in die Vergangenheit zu entlassen. Unvermeidliche Abschiede müssen verarbeitet werden - eröffnen schließlich aber neue Perspektiven und setzen frische Energien frei. Hermann Hesse weiß das in seinem Gedicht sehr schön auszudrücken. All das bleibt jedoch dem individuellen Maß und besten Vermögen unterworfen.

Ruhe in der Bewegung des Lebens zu finden gelingt durch Muße ebenso wie durch Beschäftigungen, in denen man ganz aufgeht. Das gilt auch für Aktivitäten in der Natur. Es erneuert Ressourcen, unterstützt das Besinnen auf sich selbst. Genau wie menschliche Begegnung und Austausch in einem positiven menschlichen Umfeld.

Als Resümee ergibt sich: Resilienz verlangt verschiedene Fähigkeiten und den Umgang mit Kräften und Prozessen, über die wir nicht frei verfügen können. Aufmerksame Hinwendung zu sich selbst bieten einen Anker und eröffnen gleichzeitig neue Perspektiven. Resilienz und Kraft entwickeln sich aus der Wahrnehmung dessen was ist, dem Prozess des Erlebens, Reflektierens und Handelns - kurzum in der Entfaltung der eigenen Kräfte, der eigenen Lebendigkeit und damit auch der Lebensfreude.

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