Sind Menschenaffen ähnlich mitfühlend wie Menschen?

Ansteckendes Gähnen wurde lange Zeit mit Mitgefühl in Verbindung gebracht: Menschen und Menschenaffen gähnen mehr als Reaktion auf das Gähnen ihrer Angehörigen und Freunde. Nun haben Wissenschaftler, die sich mit ansteckendem Gähnen beschäftigt haben gezeigt, dass Menschen nicht unbedingt immer die mitfühlendere Spezies sind. Ihre Ergebnisse, die heute (12. August) in Peer veröffentlicht wurden, verdeutlichen, dass Menschen nur mehr gähnen, wenn enge Familienmitglieder oder Freunde das Gähnen auslösen. In der Gegenwart bloßer Bekanntschaften jedoch zeigen Menschen und Bonobos ähnliche Gähnsensibilität.

Sind Menschenaffen ähnlich mitfühlend wie Menschen?

WIKIMEDIA, CHRISTINA BERGEY

"Es scheint so als wäre das Grundniveau an Einfühlungsvermögen bei beiden Spezies gleich", sagt Elisabetta Palagi vom Naturhistorischen Museum der Universität von Pisa, die die Studie mitleitete. "Aber wenn eine emotionale Bindung ins Spiel kommt, überrunden Menschen Bonobos."

Matthew Campbell, ein Primatenforscher an der University of California Channel Islands, der nicht an der Studie beteiligt war, stimmte zu. "Dies sind interessante Ergebnisse," schrieb er in einer Email an The Scientist. "Sie verdeutlichen, dass die grundlegendste Form des Mitgefühls, die auch als emotionale Ansteckung bezeichnet wird, sehr ähnlich bei Menschen und bei Bonobos, die mit uns so eng wie Schimpansen verwandt sind, zu funktionieren scheint."

Verschiedene Studien haben Mitgefühl bei Menschenaffen und bei Menschen unabhängig voneinander untersucht. Aber die gegenwärtige Studie ist, laut Palagi, die erste, die das Einfühlungsvermögen beider Spezies direkt vergleicht. "Das hat vorher vielleicht noch nicht stattgefunden, weil es schwierig ist, Mitgefühl in Tieren zu quantifizieren," sagte sie. "Zudem wurden bei den meisten Empathie-Studien mit Menschen Fragebögen und im direkten Gespräch verwendet, was mit Bonobos nicht wiederholt werden kann.

Gähnen kann jedoch einfach ermittelt werden und ist bei unterschiedlichen Spezies morphologisch identisch über Artengrenzen hinweg. Palagi und ihr Team hatten zuvor herausgefunden, dass sowohl Menschen als auch Bonobos ansteckendes Gähnen entlang eines Mitgefühlsgradienten an den Tag legen - beide gähnen regelmäßiger und häufiger unter Verwandten und Freunden, gefolgt von Bekannten und dann Fremden. "Also dachten wir daran, die beiden Spezies zu vergleichen und ihr Ausmaß an Sensibilität für das Gähnen Anderer als Maß für die Qualität der Beziehung und der Bindung zu evaluieren," erklärte sie.

Das Team stellte die Hypothese auf, dass wenn Menschen die einfühlsamere Spezies wären, sie auch durchgängig das mitfühlendste Verhalten an den Tag legen müssten. Von 2009 bis 2013 untersuchten die Forscher ansteckendes Gähnen bei 33 Menschen, die ihren alltäglichen Aktivitäten an verschiedenen Orten nachgingen - Restaurants, Büros, und Warteräume, wobei sie 1375 Gähner in über 380 Stunden aufzeichneten. Ebenso beobachtete das Team ansteckendes Gähnen bei 16 Bonobos in zwei Zoos, während die Bonobo-Kolonien ausruhen, sich bewegten und nach Futter suchten, wobei sie 2130 Gähner in mehr als 800 Stunden aufzeichneten.

"Die Autoren haben durch die Verwendung möglichst ähnlicher Methoden bei beiden Spezies fantastische Arbeit geleistet", teilte Jhingzi Tan, der Kognition und Verhalten bei Menschen und Bonobos an der Duke University studiert, jedoch nicht an der Studie beteiligt war, The Scientist in einer Email mit. "Dies ist eine unglaubliche Herausforderung, denn nicht-menschliche Primaten würden nicht in unsere Untersuchungsräume kommen, sich unsere Anweisungen Wort für Wort anhören und sich geduldig hinsetzen, um an den Aufgaben zu arbeiten.

Entgegen der Hypothesen gähnten Menschen nur dann häufiger und direkter als Bonobos, wenn der Gähnende und der Reagierende enge Freunde oder Familie waren. Waren jedoch die Gähnenden und die Reaktionspartner miteinander bekannt aber standen einander emotional nicht nahe, so gähnten beide Spezies gleichermaßen häufig und direkt.

"Dies legt nahe, dass die Art und Weise wie emotionale Ansteckung funktioniert sich nicht sonderlich verändert hat, seit sich vor 5 bis 7 Millionen Jahren die menschliche Entwicklungslinie von der der Bonobos und Schimpansen abspaltete", sagte Campbell. "Was sich vielmehr zu verändert haben scheint ist etwas im Bereich tiefer emotionaler Bindungen, die Menschen zu engen Freunden und Verwandten pflegen. Menschen konnten zu anderen intensivere Bindungen aufbauen, oder dies häufiger tun."

"All dies befindet sich im Einklang mit unseren allgemeinen Erwartungen bezüglich Empathie-abhängigen Verhaltens", teilte der Primatenforscher Frans de Waal von der Emory University, der nicht an der Studie beteiligt war, The Scientist in einer Email mit. "Soziale Nähe und Familiarität sind bedeutsam."

Campbell jedoch wies auf mögliche grenzen seiner Arbeit hin. "Diese Bonobos befanden sich in Gefangenschaft in einer kleinen Gruppe, in der ihre Auswahl an Individuen, mit denen Interaktion möglich war, streng begrenzt war, aber die der Menschen war es nicht", sagte er. "So schwierig es sich gestalten mag, wird es vielleicht notwendig sein, wild lebende Bonobos in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten, um auszuschließen, dass der Mangel an Auswahl die Bonobos an der Ausbildung tieferer Bindungen mit anderen hinderte."

"Was die weitere Erforschung angeht, wäre es in der Zukunft interessant, weiter entfernte Verwandte der Menschen hinzuzunehmen", fügte er hinzu. "Indem wir andere Menschenaffen, Affen und nicht-Primaten untersuchen, können wir beginnen, uns ein Bild von der Entwicklung emotionaler Ansteckung bei Säugetieren zu machen, die alle diese Fähigkeit in gewissem Maße zeigen."

aus: E. Palagi et al., "Yawn contagion in humans and bonobos: emotional affinity matters more than species," PeerJ, 2:e519, 2014.

 

Übersetzung: Manuela Lindkamp, Joseph Wolsing

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