Nach der Tierethik soll die Pflanzenwürde kommen
Wir alle haben von der künstlichen Intelligenz gehört. Wie steht es mit der biologischen Intelligenz? Die Wissenschaftsdisziplin Pflanzenphysiologie wird seit Jahren von Behauptungen attackiert, die Intelligenz würde als Kontinuum bestehen, angefangen von Bakterien über Radieschen, Schnecken, Affen und letztlich den Menschen. Einige Experten behaupten, Intelligenz sei eine Eigenschaft aller Lebensformen. Um eine Experten-Bewertung zu diesem kontroversen Thema zu bekommen, hat MercatorNet Professor Ulrich Kutschera befragt.
MercatorNet: Einige Biologen behaupten, Pflanzen hätten kognitive Eigenschaften, einschließlich Sinneswahrnehmungen, Lernverhalten, Gedächtnis und Bewusstsein. Ist das eine Minderheiten-Ansicht?
U. Kutschera: Als einer der Assoziierten Editoren des US-Fachjournals Plant Signaling & Behavior bin ich im stetigen Kontakt mit Fachkollegen, die behaupten, Pflanzen wären intelligente Wesen, ähnlich den „niederen Tieren“, wie z. B. Egel und Regenwürmer. Da ich diese Geschöpfe im Verlauf der letzten 40 Jahre untersucht habe, fühle ich mich kompetent, diesen Gegenstand von einem „zoo- wie phytozentrischen“ Blickwinkel bewerten zu können. Nach meiner Einschätzung akzeptiert die Mehrheit der Pflanzenwissenschaftler das Konzept einer „Grünen Intelligenz“ keineswegs, ebenso wenig wie die Behauptung, die Pflanzen hätten eine Art „Würde“. Es handelt sich jedoch um interessante philosophische Aspekte mit Bezug zum pflanzlichen Leben, die man diskutieren sollte, aber immer nur aus dem Blickwinkel einer naturwissenschaftlichen Weltsicht.
MercatorNet: Vertreter der Biologischen Intelligenz behaupten, dass diese Eigenschaft, definiert als die Befähigung der Organismen, sich an wechselnde Umweltbedingungen anzupassen, auf Pflanzen zutrifft. Was sagen Sie dazu?
U. Kutschera: Das Problem ist, dass es zahlreiche Definitionen des Intelligenzbegriffs gibt, sodass nicht einmal Psychologen dieses Wort einheitlich umschreiben können. Pflanzenphysiologen, die die Schlüsseleigenschaft von Schimpansen und Menschen auf die „Grüne Welt“ übertragen, argumentieren üblicher Weise, dass Intelligenz mit der Befähigung, Probleme zu lösen, gleichgesetzt werden kann. Akzeptieren wir diese Definition, so muss man Egeln und Regenwürmern (die ein Miniatur-Gehirn besitzen) Intelligenz zubilligen, und, gemäß dieser Logik, wäre dann die „hirnlose Vegetation“ ebenso intelligent.
MercatorNet: Es ist offensichtlich, dass Pflanzen kein Gehirn, wie wir es besitzen, entwickelt haben – eine große Ansammlung von Neuronen, die durch den Schädel geschützt sind. Wäre es aber nicht möglich, Intelligenz als ein weit verbreitetes Netzwerk zu definieren, wie z. B. die künstliche Intelligenz?
U. Kutschera: Diese Definition existiert in Veröffentlichungen mancher Befürworter der Pflanzenintelligenz, wie in meinem Lehrbuch beschrieben (1). Wenn wir das ausgedehnte unterirdische Wurzelsystem typischer Landpflanzen untersuchen, wird argumentiert, können wir uns durchaus vorstellen, dass all die vielen Millionen Wurzelspitzen eine Art weit verbreitetes, sensitives Netzwerk bilden, analog der künstlichen Intelligenz. Diese Betrachtung eines unterirdischen Organsystems, welches die Erde „durchsucht“ um Wasser und Mineralsalze ausfindig zu machen, ist durchaus sinnvoll.
MercatorNet: Sollten wir die Pflanzenintelligenz akzeptieren, was würde das für den Menschen bedeuten? Wäre das die letztendliche Entthronung des Homo sapiens, wie sie von Charles Darwin eingeleitet worden ist?
U. Kutschera: Ich habe im entsprechenden Kapitel meines Lehrbuchs argumentiert, dass die Befähigung, Probleme zu lösen (d. h. eine der vielen Definitionen von Intelligenz), eindeutig eine Eigenschaft aller Lebewesen darstellt: Bakterien, Schleimpilze, Regenwürmer, Algen, Pflanzen, Affen und Menschen sind in der Lage, zu überleben und sich fortzupflanzen. Ein kreativer Mensch (Naturwissenschaftler, Künstler usw.) hat jedoch möglicherweise die Befähigung, seine praktischen Probleme des Lebens zu lösen nicht perfekt im Griff, während ihm ein relativ unkreativer Routinearbeiter (z. B. Schalter-Beamter, Verkäufer usw.) in dieser Beziehung weit überlegen ist. Sobald wir Intelligenz zumindest teilweise mit Kreativität gleichsetzen, ergeben sich Probleme mit der Definition, wie sie von den Anhängern der Pflanzenintelligenz verwendet wird – diese Begriffsbestimmung verliert dann ihre Bedeutung. Obwohl Charles Darwin in seinem 1880 erschienen Buch über die Bewegungsvorgänge der Pflanzen als Erster die Wurzelspitze von Keimpflanzen mit dem Gehirn eines niederen Tiers verglichen hat, womit er die Pflanzenintelligenz-Bewegung einleitete, bleibt der Mensch dennoch diesbezüglich einmalig. Manche Menschen komponieren Musik, zeichnen abstrakte Bilder, schreiben Romane oder wissenschaftliche Lehrbücher. Keine Affenart konnte bisher entdeckt werden, die mit einer derartigen Kreativität ausgestattet war.
Radikale Pflanzenethik-Aktivisten: „Salat ist Mord“.
MercatorNet: Wie steht es mit der Ethik bezüglich des Pflanzenlebens?
U. Kutschera: Das ist ein ernsthaftes Problem, welches mit der Pflanzenintelligenz in Verbindung steht. Im April 2009 diskutierte das Schweizer Parlament das Problem der Pflanzenethik und schlug vor, der Vegetation eine Art „Würde“ zuzubilligen. Als Konsequenz dieser Zuschreibung verteilten bald radikale Pflanzenethik-Aktivisten T-Shirts und andere Propagandamaterialien mit der Aufschrift „Salat ist Mord“. Obwohl Pflanzen sensitive, wertvolle Lebewesen sind, ist diese Agenda fragwürdig. Ich würde so weit gehen, sie in ihrer extremen Form als Teil einer wachsenden europäischen Bewegung der Pseudowissenschaft-Esoterik zu bezeichnen.
MercatorNet: Müssen wir denn nicht auf Grundlage dieser Erkenntnisse die Thesen des Philosophen Peter Singer aktualisieren, um die Rechte der Pflanzen zu verteidigen?
U. Kutschera: Trotz meiner Vorbehalte, Pflanzen als intelligente Wesen mit Würde zu interpretieren, stimme ich mit Singer überein: Pflanzen sollten, in Bezug auf den Menschen, als wertvolle und gleichwertige Organismen respektiert werden. Sie repräsentieren derzeitige Endpunkte der organismischen Evolution, die vor etwa 3.800 Millionen Jahren begonnen hat. Pflanzen sollten geschützt und nicht zerstört werden, weil sie unsere „evolvierten Cousinen“ sind, und, darüber hinaus, Photosynthese betreiben. Ohne grüne Pflanzen gäbe es kein Leben auf der Erde. Pflanzen liefern unsere Nahrung (alles Fleisch war einmal Gras), erzeugen den Sauerstoff den wir einatmen, liefern Holz um Häuser zu bauen, Fasern für Bekleidung und bilden darüber hinaus eine grüne Umwelt, die uns psychologisch gesund erhält.
MercatorNet: Wie können Sie die hohe Sensitivität sowie das bemerkenswerte Verhalten von Pflanzen erklären, so z. B. die Schattenvermeidung, Kommunikation mit Artgenossen usw.?
U. Kutschera: Wie oben bereits erwähnt, sind Pflanzen sehr komplexe Lebewesen, die nach den Prinzipien der Physik und Chemie funktionieren. Sie tragen ein vererbbares genetisches Programm (das Genom) und haben Anpassungen herausgebildet, um zu überleben und in einer feindlichen Welt Nachkommen zu hinterlassen. Anders gesagt, als festgewachsene Organismen müssen sich Pflanzen ständig mit Herausforderungen ihrer Umwelt auseinandersetzen. Sie können nicht davonlaufen, um Räubern zu entkommen; daher verteidigen sie sich über „chemische Waffen“ (d. h. sekundäre Biomoleküle, die in speziellen Zellkompartimenten abgelagert sind). Um ihre autotrophe Ernährung sowie das Wachstum sicherzustellen, absorbieren die Pflanzen über die Wurzel Mineralsalze (in Wasser gelöst), transportieren diese Nährstoffe innerhalb ihres Körpers, betreiben Photosynthese und antworten auf Umweltänderungen.
Die Schattenvermeidung, Kommunikation mit Artgenossen (z. B. über Pilzwurzeln) erkläre ich wie folgt. Nur jene Individuen in variablen Pflanzen-Populationen, die zufällig (über Genom-Umgruppierungen und erbliche Mutationen) an die herrschenden Umweltbedingungen angepasst waren, überlebten und pflanzten sich fort. Die meisten Konkurrenten wurden durch Räuber usw. zerstört. Als Resultat dieses evolutionären „Daseinswettbewerbs“ sehen wir das, was heute in der Biosphäre übrig geblieben ist: Die am besten adaptierten Individuen. Diese repräsentieren jene Mitglieder variabler Populationen, die wir heute als Pflanzenbedeckung in natürlichen Ökosystemen beobachten können.
Hohe Sensitivität und komplexe Stoffwechselaktivitäten
MercatorNet: In Ihrem Buch beschreiben Sie die Forschungsarbeiten des Begründers der Pflanzenphysiologie, Julius Sachs (1832–1897), und erklären die Bedeutung seiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Die Naturwissenschaften schreiten jedoch rasch voran. Warum ist es dennoch angemessen, die Leistungen von Sachs heute zu diskutieren?
U. Kutschera: Alle Menschen sind selbstverständlich vor dem Gesetz gleich, aber sie haben keine evolutionäre Entwicklung als genetisch identische Klone durchlaufen. Anders ausgedrückt, alle Männer und Frauen in einer Population unserer Art sind verschieden, bezüglich ihres Aussehens (Phenotyp), genetisch (Genotyp), und in Bezug auf ihre von den Eltern vererbten Fähigkeiten. Ähnlich wie Darwin war auch Julius Sachs ein außergewöhnlicher Naturwissenschaftler, der aufgrund angeborener Genialität, als „Workaholic“, sein ganzes Leben der Wissenschaft widmete. Wie ich in meinem Buch gezeigt habe (1), sind die meisten Forschungsergebnisse und Theorien, die er vor 150 Jahren formuliert hatte, noch heute gültig, obwohl die Biowissenschaften durch einen unvorstellbar raschen Fortschritt gekennzeichnet sind (jährlich werden Tausende hochwertiger Research Papers veröffentlicht). Darwin und Julius Sachs sind Ikonen der Biologie.
MercatorNet: Sie sind besorgt darüber, dass die Zuschreibung von Intelligenz an Pflanzen jene Menschen unterstützen wird, die den okkult-esoterischen Pseudowissenschaften verfallen sind. Warum?
U. Kutschera: In meinem Lehrbuch habe ich im Sinne von Sachs argumentiert: Pflanzen sind evolvierte Lebewesen ohne Nervensystem und Hirn, aber sie sind durch hohe Sensitivität und komplexe Stoffwechselaktivitäten gekennzeichnet. Wir sollten ihnen dennoch nicht die Fähigkeit einer Intelligenz zuschreiben – in analoger Weise sind Egel keine „intelligenten Würmer“. Ich sehe die Gefahr eines weiteren Ansteigens okkult-esoterischer Ideologien, die, zumindest teilweise, die deutsche Politik dominieren, wie auch unser orthodoxes Erziehungssystem. Dogmatisch denkende Anti-Naturwissenschaftler könnten dieses Konzept der Pflanzenintelligenz aufgreifen und dieses mit religiösem Glauben und Aberglauben vermischen. Wenn wir Schlüsselbegriffe, die das menschliche Denkvermögen beschreiben umdefinieren, wird die Biologie Schaden erleiden. Unkritische Ideen, gemeinsam mit dem Auftreten pseudowissenschaftliche Behauptungen, werden in die Lebenswissenschaften eindringen, ähnlich wie die Behauptungen der Kreationisten, den Anhängern der Homöopathie usw.
MercatorNet: In Ihrem umfangreichen Lehrbuch diskutieren Sie auch genetisch modifizierte Organismen (GMOs) und den Klimawandel. Warum?
U. Kutschera: Pflanzen sind die grünen Schlüsselorganismen unserer Biosphäre. Sie liefern nicht nur Nahrung und Sauerstoff, sondern bestimmen auch in hohem Maße unser Klima. Genetisch modifizierte Pflanzen sind produktiver und in der Agrikultur einfacher zu handhaben als ihre Verwandten. Wie im Buch ausführlich dargestellt, sind sie weder für die Umwelt, noch für die Verbraucher in irgendeiner Form schädlich. Hier in Deutschland lehnt eine Mehrheit der Bevölkerung GMOs ab. Das ist im Wesentlichen das Resultat einer politischen Anti-Gentechnik-Propaganda. Leider nimmt auch der naturwissenschaftliche Analphabetismus zu.
Um diese besorgniserregenden Entwicklungen einzudämmen, möge man mein Lehrbuch (1), sowie ein neues Journal mit dem Titel Plants, People, Planet (4) als „geistige Waffe der Rationalität“ bzw. als „neue Agenda der naturwissenschaftlichen Aufklärung“ interpretieren. Leider wirkt diese naive „German Angst“ bezüglich genetisch verbesserter Pflanzen auch in der Klimawandel-Debatte. Wie in meinem Buch auf vielen Seiten beschrieben, entfernen grüne Pflanzen derzeit etwa 1/3 der anthropogenen Kohlendioxid-Emissionen. Man kann das Problem der Erderwärmung nur im Lichte dieser und anderer biologischer Fakten diskutieren und verstehen – all diese Sachverhalte basieren auf einer detaillierten Kenntnis der Lebensvorgänge der Pflanzen (1, 4).
Das Interview ist zuerst auf Mercatornet veröffentlicht worden.
Dr. Ulrich Kutschera ist Professor für Evolutionsbiologie und Pflanzenphysiologie an der Universität Kassel (Deutschland) und Visiting Scientist in Stanford/Palo Alto (Kalifornien, USA). Er ist nicht nur ein Experte auf dem Gebiet der Evolution und Verhaltensbiologie der Tiere, sondern auch ein experimentell arbeitender Pflanzenphysiologe mit Schwerpunkt auf Nutzpflanzen, wie Sonnenblume, Mais und Reis. Als Autor von etwa 300 wissenschaftlichen Publikationen, sowie 13 Fachbüchern über eine Vielzahl an Sachgebieten, verfügt er über eine umfassende Kenntnis innerhalb der biomedizinischen Wissenschaften.
Das Lehrbuch Physiologie der Pflanzen. Sensible Gewächse in Aktion, das mehrere hundert Grafiken enthält und sich auch auf die eigene experimentelle pflanzenphysiologische Arbeit des Autors bezieht, erschien im Januar 2019. Ein umfangreiches Kapitel widmet sich der Pflanzenintelligenz.
Literatur
(1.) Kutschera, U. (2019) Physiologie der Pflanzen. Sensible Gewächse in Aktion. LIT-Verlag, Berlin. (http://www.lit-verlag.de/isbn/3-643-14226-9)
(2.) Mancuso, S. (2018) The Revolutionary Genius of Plants. A New Understanding of Plant Intelligence and Behavior. Simon & Schuster, New York.
(3.) Koechlin, F. (2017) Plant Whispers. A Journey through new realms of Science. Lenos Verlag, Basel.
(4.) Hiscock, S. J., Wilkin, P., Lennon, S., Young, B. (2019) Plants matter: Introducing Plants, People, Planet. Plants, People, Planet, 1, 2–4.
Kommentare
Der erste Teil ist sehr gut nachvollziehbar und ich würde ebenfalls unterschreiben, dass man Pflanzen keine Intelligenz in dem Sinne zuschreiben sollte, den man normalerweise darunter versteht.
Der Begriff Intelligenz ist schnell ausgesprochen, jedoch muss man diesen umso feiner definieren, je mehr es in die Details geht.
Man sollte - da auch Würmer, die es meines Wissens nach so biologisch eigentlich nicht gibt; es gibt wurmförmige Lebewesens, die jedoch nicht enger miteinander verwandt sind - selbst einen enger gefassten Intelligenzbegriff nicht ausschließlich dem Menschen zuschreiben.
Umgekehrt ausgedrückt: Um einen Intelligenzbegriff zu verwenden, der mehr oder weniger ausschließlich auf Menschen passt, muss man schon etwas suchen. Herr Kutschera nennt hier Kreativität als ein artrennendes Merkmal, eins, das auf den Menschen passt - böse könnte man auch sagen auf ihn maßgeschneidert ist. Wie sehen demnach Intelligenzkriterien/Intelligenzen aus, die auf andere Lebewesen maßgeschneidert sind?
Nach wie vor habe ich Schwierigkeiten mit dem Begriff "der" Mensch, zumal gerade beim Thema Intelligenz sehr deutlich wird, dass - wie Herr Kutschera ja korrekt mitteilt - Menschen eben Individuen sind. Real existierende Menschen sind tatsächlich eben unterschiedlich intelligent und wenn man diesen Begriff in allen denkbaren Kategorien sehr, sehr fein fassen könnte, könnte man von jedem Menschen womöglich einen "Intelligenzfingerabdruck" erstellen. ...
Die Befürchtung bezüglich der Pseudowissenschaften habe ich zumindest latent auch, da gerade in der heutigen, schnelllebigen Zeit die Rosinenpickerei - ich nehme mir ein Informationsstückchen, stutze es für meine Zwecke zurecht, drehe es, bis es in meiner übrigen Argumentation passt und schon "gehört" die Information "mir - zuzunehmen scheint.
An der Stelle bezüglich Gentechnik kann ich Herrn Kutschera nicht mehr folgen und würde mich gleichzeitig massiv dagegen wehren mir "German Angst" unterstellen zu lassen!
Da müsste Herr Kutschera zur Wahrung seiner Glaubwürdigkeit argumentativ aufpassen, seine Kritiker (zu denen ich mich zunächst noch nicht einmal zählen würde) nicht durch persönliche Angriffe zu diffamieren.
Was hier erstaunt ist, dass Herr Kutschera, der ja Evolutionsbiologe ist, recht schnell bei der Hand ist um die Unbedenklichkeit gentechnisch "verbesserter" Pflanzen auszusprechen. Zumindest scheint er sehr schnell bei der Hand zu sein, denn über den Umfang seiner Forschung sagt er hier nichts.
Verstehen kann ich's deshalb nicht, weil gerade aus evolutionsbiologischer Sicht klar ist, dass natürliche genetische Veränderungen einem Selektionsprozess unterliegen, der sehr langsam abläuft. So langsam, dass man von quasistationären Zuständen das Ökosystem betreffend sprechen kann.
Ein gentechnisch verändertes - meinetwegen euphemistisch auch "verbessertes" (Bewertungsskala dafür?) - Lebewesen in ein bestehendes Ökosystem zu geben, bedeutet für das Ökosystem so viel wie das Einschleppen nicht-endemischer Arten (dies auch nur im günstigsten Fall, da selbst die eingeschleppten Arten bis zum Einschleppen einer natürlichen Selektion unterlegen haben und nach dem Einschleppen dies ebenfalls tun. Gut möglich, dass sich „aggressive“ (meist kontinentale) Arten gegenüber Inselspezies durchsetzen. Katastrophe für die Inselspezies! „Insel“ muss hier ökologisch verstanden werden und muss kein von Wasser umgebendes Land bedeuten.
Die Menschheitsgeschichte ist voll von künstlich ausgelösten Katastrophen, die ganze Ökosysteme zum Kippen gebracht haben und das einfach nur mit dem Einschleppen von nicht-endemischen Arten.
Ich frage mich ganz ernsthaft vollkommen frei von „German Angst“ und ohne jegliche Böswilligkeit, was Herrn Kutschera da so absolut sicher macht, dass gentechnisch veränderte Arten
- die also noch nicht einmal einer natürlichen Selektion unterworfen waren, sich also nicht evolutionär "durchgesetzt" haben, die keine Gleichgewichtszustände durchlaufen haben, so dass sich deren Umgebung an deren Anwesenheit "gewöhnen" konnte –
also ausgerechnet diese KEINEN Schaden in „irgendeiner Form“(!) anrichten sollen.
Das wird aus dem Artikel nicht im Ansatz deutlich. Dem Hinweis auf: „Kauf‘ Dir das Buch und dann biste schlauer“ würde ich hier so nicht folgen, denn man sollte doch meinen, dass diese Ungefährlichkeit durchaus in einem akzeptablen Umfang allgemeinverständlich dargestellt werden kann. Wenn man dann noch Lust auf Details der Studie hat, kann man sich das Buch ja auch kaufen.
Zudem weiß Herr Kutschera wahrscheinlich noch viel besser als ich - ich bin mir allerdings sicher, dass er mir das sehr wohl bestätigen könnte - dass Lebewesen, die in (für Menschen interessanten) Details "verbessert" wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in anderen Details verändert wurden (jedenfalls war das schon Darwin aufgefallen). Mir ist durchaus bewusst, dass ich jetzt "gezielte" gentechnische Veränderung mit Züchtung vergleiche. Allerdings ist genau dies ganz häufig ein Argument der Gentechnikbefürworter, nämlich für die Ungefährlichkeit: "Wir züchten halt schneller."
Die Funktionsweise der DNA ist bis zum heutigen Tage noch nicht vollkommen verstanden, aber so viel weiß man, dass ein Gen eben nicht nur für eine Eigenschaft (wohl auch, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur), sondern durchaus für eine ganze Reihe von Eigenschaften "verantwortlich" sein kann, dass einige Gene abgeschaltet sind (und dies besser wohl auch bleiben sollten), andere dagegen aktiviert (und dies besser ...) als dass auch Gene existieren, die genau dieses wiederum steuern. „Besser“ aber nur vor dem Hintergrund der eigenen Fitness! Besser nicht vor dem Hintergrund der Verträglichkeit mit anderen Arten. Aus der Genetik heraus kann darüber, selbst bei genauer Kenntnis der „Funktionsweise“ der DNA überhaupt keine Aussage gemacht werden!
Zu keinem Zeitpunkt würde ich deshalb, selbst bei genauer Kenntnis der "Funktionsweise" der DNA aus all dem schließen, dass man genetisch ruhig unbedenklich "verbessern" kann.
Dies also aus Gründen, die das einzelne Lebewesen als auch die Auswirkung auf ein komplexes Ökosystem beim Freisetzen solcher genetisch "verbesserten" Lebewesen angeht.
Mir scheint die "Botschaft", die mit der Evolutionsbiologie einher geht tatsächlich eine ganz andere zu sein: So wenig künstlich eingreifen wie möglich!
Ganz ohne "German Angst"!
Zitat:
"Genetisch modifizierte Pflanzen sind produktiver und in der Agrikultur einfacher zu handhaben als ihre Verwandten."
Mag sein. Welche Auswirkung hat die höhere Produktivität? Welche Auswirkung hat das auf das Überleben der natürlich selektierten Pflanzen? Ist es für die nicht eine "Umweltkatastrophe", dass jetzt viel "bessere" Pflanzen auftauchen? Sind sie dann auch "besser", was die natürliche Selektion angeht, oder verdrängen diese Pflanzen zunächst die natürlich selektierten UM DANN, wenn es um eine echte Anpassung geht "zu versagen"? Ökosysteme sind extrem labil und gerade die Evolutionsbiologie zeigt, dass eine kleine Veränderung eines Teils, sehr wohl großer Veränderungen - man könnte auch gemeinerweise sagen Schädigungen - nach sich zieht.
Zitat:
"Wie im Buch ausführlich dargestellt, sind sie weder für die Umwelt, noch für die Verbraucher in irgendeiner Form schädlich."
Dieser Satz beinhaltet die Feststellung der Abwesenheit einer Schädlichkeit und zwar irgendeiner. Eine solche Feststellung hängt maßgeblich von der Definition von Schädlichkeit ab und von den Kriterien, die unter "irgendeiner" zu verstehen sein sollen. Im Übrigen sind die Verbraucher auch Teil der Umwelt.
Nur als Beispiel die Aussage: "Radioaktive Strahlung ist nicht schädlich!"
Für diesen Satz kann ich nicht verhaftet werden (!), da er zutrifft! Man höre und staune!
Wir sind ständig radioaktiver Strahlung ausgesetzt und leben dabei ganz hervorragend, ganz gesund! Eine gewisse radioaktive Strahlung fördert die Zellerneuerung (Man könnte auch sagen bildet deren phylogenetischen Sinn). Evolutionsbiologisch ist das so zu verstehen, dass die real existierenden Lebewesen sich an das Vorhandensein der natürlichen radioaktiven Strahlungsrate phylogenetisch angepasst haben.
Die Zellerneuerungsrate eben auch das Absterben von Zellen durch die natürliche Radioaktivität kompensiert, könnte (wer weiß das schon?) durch Emergenz sogar andere positive (auf welcher Skala eigentlich?) Eigenschaften hervorgebracht haben. Für diese Anpassung hatten sämtliche Lebewesen phylogenetisch gesehen so viel Zeit wie es Leben auf der Erde gibt.
Der Reparaturmechanismus Zellerneuerung kann sogar bei Therapien eine Rolle spielen, die mit dem Aussetzen einer höheren Strahlungsrate einhergehen. (Ich meine nicht "Bestrahlung zur Bekämpfung von Krebs"!)
Gleichwohl kann es sein, dass selbst die natürliche radioaktive Strahlung in einem höheren Alter von Lebewesen mit an einer Krebsentstehung ursächlich mitwirken kann (ist zumindest nicht unwahrscheinlich)! Das ist evolutionsbiologisch überhaupt kein Widerspruch, da es bei "Fitness" nicht um besonders hohe Langlebigkeit der einzelnen Individuen geht!
Auf den Fortpflanzungserfolg hat DAS dann keine Auswirkung, wenn zuvor Zeit genug war, sich erfolgreich (mit allem, was dazu gehört) fortzupflanzen.
Eine deutliche Erhöhung der Strahlungsrate führt jedoch mit recht hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Krebserkrankung, da vererbare Schädigungen von Zellen eintreten, die dann beim Individuum allerdings erst Jahre später eintreten (und DANN kaum direkt ursächlich auf eine bestimmtes Aussetzen mit einer höheren Dosis zurückzuführen ist, was übrigens dann zum Stichwort: Langzeitfolgen gehört!).
Eine noch höhere Strahlenbelastung führt noch nicht einmal zu Krebs, ist aber deshalb noch lange nicht gesund, weil das Individuum an konkreter Zerstörung der Moleküle zugrunde geht, akute Strahlenkrankheit.
Wenn also bereits ein so leicht zu durchschauender Umweltfaktor - die Interaktion ist sehr einfach: Ionisierung! - schon zu solch unterschiedlichen Wirkungen führen kann, wie ist es dann einzuschätzen bei vergleichsweise sehr viel komplexeren Wechselwirkungsmöglichkeiten? Lebewesen jeglicher Art stellen für alle anderen Arten Umweltfaktoren dar. Für ALLE!
Dies sage ich auch vor dem Hintergrund, dass die Erforschung der Auswirkung selbst dieses extrem einfachen Umwelteinflusses ionisierende Strahlung ** bis zum heutigen Tage andauert (begonnen hat das mit den Kernwaffeneinsätzen von Hiroshima und Nagasaki).
Herr Kutschera müsste demnach z. B. nachgewiesen haben, dass gentechnisch veränderte Pflanzen genauso häufig von einschlägigen Insekten bestäuben lassen, müsste nachgewiesen haben, dass Gendrift bei anderen, nicht verbesserten Pflanzen (und zwar allen in Frage kommenden!) keine nachteilige Auswirkung hat usw. usw.. ... Also wenn ich jetzt hier eine Stunde lang sitze, fallen mir wahrscheinlich 47 unterschiedliche Untersuchungskriterien ein, deren jeweilige Auswirkung sicherlich über Jahre hinweg untersucht worden sein müsste und bei welchen **jedes Mal die Abwesenheit einer wie auch immer gearteten Schädlichkeit festgestellt worden sein muss und dies auch bei Kombinationen von Auswirkungen!
DAS ist die genaue Bedeutung des Wortes in "irgendeiner Form"!
....
Sorry, je mehr ich gerade darüber nachdenke, desto unwahrscheinlicher finde ich, dass es Herrn Kutschera ernsthaft gelungen sein kann die Unschädlichkeit gentechnisch "verbesserter" Lebewesen nachzuweisen.
Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren.
Auf die Auflösung dieser Bedenken bin ich recht gespannt, aber momentan noch nicht so, dass ich mir das Buch kaufen würde.
Antworten
Bitte um Entschuldigung. Da ist mir was bei der Formatierung passiert. Es sollte nicht der gesamte vorvorletzte Absatz fett erscheinen, sondern so (hoffentlich klappt's jetzt):
also:
"
Dies sage ich auch vor dem Hintergrund, dass die Erforschung der Auswirkung selbst dieses extrem einfachen Umwelteinflusses, ionisierende Strahlung, bis zum heutigen Tage andauert (begonnen hat das mit den Kernwaffeneinsätzen von Hiroshima und Nagasaki).
Herr Kutschera müsste demnach z. B. nachgewiesen haben, dass gentechnisch veränderte Pflanzen genauso häufig von einschlägigen Insekten bestäuben lassen, müsste nachgewiesen haben, dass Gendrift bei anderen, nicht verbesserten Pflanzen (und zwar allen in Frage kommenden!) keine nachteilige Auswirkung hat usw. usw.. ... Also wenn ich jetzt hier eine Stunde lang sitze, fallen mir wahrscheinlich 47 unterschiedliche Untersuchungskriterien ein, deren jeweilige Auswirkung sicherlich über Jahre hinweg untersucht worden sein müsste und bei welchen jedes Mal die Abwesenheit einer wie auch immer gearteten Schädlichkeit festgestellt worden sein muss und dies auch bei Kombinationen von Auswirkungen!
DAS ist die genaue Bedeutung des Wortes in "irgendeiner Form"!
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