Oder: Von der Unbelehrbarkeit pseudowissenschaftlicher Proponenten
Eine Glosse von Andreas Beyer zum Artikel „Lücken in Darwins Werk: Die Evolutionstheorie bröckelt„ (The Epoch Times, 13. April 2023).
Wieder einmal „bröckelt“ die Evolutionstheorie. Wieder einmal wurden „Lücken“ in ihr „entdeckt“. Wieder einmal führt Darwins Theorie in eine „Sackgasse“. Ich kann mir nicht helfen, beim Lesen dieses Beitrags fiel mir der Spruch ein: „Evolutionsleugner beherrschen die Kunst zu lügen, ohne dabei ein einziges, falsches Wort zu sagen“.
Aber der Reihe nach.
Zu lesen ist besagter Beitrag in The Epoch Times - also wird diese „Times“ wohl ein seriöses, naturwissenschaftliches Journal sein? - Weit gefehlt! Es ist eine Zeitung, die von Sinoamerikanern (in China geborene US-Bürger oder solche mit chinesischen Vorfahren) herausgegeben wird; sie ist verbunden mit der Chinesischen Falun-Gong Bewegung (eine spirituelle, neu-religiöse Bewegung) und leugnet auch den Klimawandel. Betreffender Artikel ist die Zusammenfassung eines längeren Beitrags von Meister Li Hongzhi, dem Gründer von Falun Gong, der mit Naturwissenschaft rein gar nichts zu tun hatte. Übrigens, in jenem Artikel zitiert Meister Li Hongzhi einen Mönch aus Myanmar mit der Aussage, Darwin sei die Reinkarnation eines Dämonenkönigs. Wie Marx sei er auf diese Welt gekommen, um die Menschheit zu vernichten. - Schockenschwerenot! Wir werden alle untergehen! Aber gut, dass diese beiden es seit 150 Jahren nicht so recht geschafft haben.
Fassen wir also zusammen: Aus einer spirituell ausgerichteten Zeitschrift erfahren wir staunend, dass ein blutiger Laie der Welt aufzeigt, dass die Evolutionstheorie „bröckelt“ und von einem „reinkarnierten Dämonenfürsten“ ersonnen wurde. Aha.
Und was wird sonst noch inhaltlich so alles gesagt?
Zuerst wird lamentiert, ach wie schlimm der Einfluss des Darwinismus sei - Zitat: „Ein Werkzeug für politische Ideologien“ -, und hier müssen mal wieder Karl Marx, der Kommunismus sowie deren angebliche Verknüpfung mit der Evolutionstheorie herhalten. Was der Leser nicht erfährt: Marx und Darwin waren alles andere als gute Freunde und noch nicht einmal auf einer gemeinsamen Wellenlänge. Abgesehen davon hat der Inhalt einer wissenschaftlichen Theorie nicht das Mindeste mit deren gutem oder schlechtem Gebrauch zu tun: Die Kernphysik ist nicht böse, weil man mit ihr Atombomben bauen kann, und mit der modernen Technik kann man Angriffswaffen ebenso bauen wie medizinische Geräte.
Dann dient das Discovery Institute (Seattle, USA) als Kronzeuge für die angebliche Beeinflussung der Medien pro-Evolution und die „Unterdrückung“ von Evolutionskritik. Was der Leser nicht erfährt: Das Discovery Institute ist eine erzkonservative, religiös motivierte, private Organisation, die den Intelligent-Design-Kreationismus vertritt, dabei aber selber keinerlei Forschung betreibt. Und, ja, seriöse Medien sind in der Tat „beeinflusst“ - dort ist man als seriöser Journalist nämlich gehalten, Informationen gründlich zu recherchieren und seriös zu präsentieren, und sich somit von pseudowissenschaftlichem Unfug zu distanzieren. Darum liest man in seriösen Medien nichts von Klimawandel-Lüge, jüdischer Finanz-Weltverschwörung, Mondlandungs-Fake, angeblichen Erfolgen der Komplementärmedizin und bröckelnder Evolution. Im Artikel der Epoch Times hingegen liest man von 500 Wissenschaftlern, die eine Erklärung contra Evolutionstheorie unterzeichnet haben. Aber der Leser erfährt wiederum nicht, dass man unter den Unterzeichnern Bio-Wissenschaftler mit der Lupe suchen muss: Praktisch alle sind fachfremd. Besagte Initiative kommt übrigens auch vom Discovery Institute.
Apropos Beeinflussung...
Was im Artikel ebenfalls unterschlagen wird: Kein Wissenschaftler hat je gefordert, dass in den Kirchen und Gemeinden Evolution thematisiert werden muss und die biblische Schöpfung nicht mehr gepredigt werden darf. Umgekehrt jedoch maß(t)en sich religiös motivierte Politiker an zu bestimmen, was im Bildungssystem, das den Schülern ja eigentlich den aktuellen Stand der Wissenschaft nahe bringen soll, gelehrt werden darf und was nicht: So ist das Lehren der Evolutionstheorie in der heutigen Türkei verboten, und in den USA hat es zahlreiche Gesetze gegeben, die untersagten, etwas anderes als den göttlichen Ursprung der Menschheit zu lehren (z.B. der Butler Act in Tennessee), um nur einmal zwei Beispiele zu nennen.
Der reguläre Prozess ist doch eigentlich dieser: Forschen, wissenschaftlich publizieren, Diskussion in der Scientific Society - und gelehrt wird letztlich das, was dann in der forschenden Gemeinde (nach strengen wissenschaftlichen Standards!) als wohlbestätigt gilt. Und was Meister Li Hongzhi im Beitrag ebenfalls keusch verschweigt: Es sind Kreationisten, die fleißig eigene „Lehrbücher“ schreiben, um - vorbei an wissenschaftlichen Standards - in Schulen Gehör zu finden. In Deutschland ist dies die „Studiengemeinschaft Wort und Wissen„ mit ihrem sog. „Kritischen Evolutionslehrbuch“.
Wegen alledem ist mir der Spruch „Lügen, ohne ein falsches Wort zu sagen“ eingefallen: Man muss nur ganz gezielt bestimmte, relevante Fakten unterschlagen, anderes selektiv und verzerrend zitieren, und schon kann man aus einer Sache das glatte Gegenteil machen.
Weiter erfahren wir dann von der Evolutionskritik des Molekularbiologe Michael Denton - was wir dabei wiederum nicht erfahren: Denton ist Intelligent-Design-Kreationist, er hat keinerlei eigene Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Evolution geleistet. Aber wenn seine Kritik fundiert ist, warum trägt er sich nicht in Form wissenschaftlicher Publikationen zusammen? Honi soit qui mal y pense / ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Unvermeidlich dann auch der Hinweis auf angeblich unpassende Befunde im Fossilbericht, so z.B. die „Lebenden Fossilien“, also Organismen, die sich seit vielen Jahrmillionen nicht oder kaum verändert haben. Und laut Meister Li Hongzhi ist doch die Evolution [Zitat] „ein() langer Prozess, in dem sich Organismen durch die natürliche Auslese von niedrigen zu hohen Lebewesen entwickeln“.
Oh weh. „Strohmann“ nennt man diese Argumentationstaktik: Man entwerfe ein Zerrbild dessen, was man attackieren will (also besagten Strohmann) und arbeite sich dann an genau jenem genüsslich ab.
Selber erkläre ich es meinen Studenten so. Es gibt in der Evolution keinen Entwicklungszwang, nicht nach oben, unten, vorwärts oder rückwärts. Ein Organismus, der eine stabile ökologische Nische besiedelt, an die er gut angepasst ist, wird sich wenig entwickeln oder gar nicht mehr. Z.B. unter den Quastenflossern gibt es keinen Quasten-König, der alle paar Jahrtausende eine Quasten-Vollversammlung einberuft, um dem Quastenflosser-Volk zu erklären, sie hätten sich bitte gefälligst weiter zu entwickeln oder auszusterben. Woher Meister Li Hongzhi übrigens weiß, wie Quastenflosser vor 400 Millionen Jahren balzten, das mag wohl sein spirituelles Geheimnis bleiben.
Dann lesen wir, eine Studie von Mark Stoeckle und David Thaler (2018: 'Why should mitochondria define a species?' Human Evolution 33, S. 1-30) sei „ein weiterer schwerer Schlag für die Evolutionstheorie“. Verschiedene Arten, so lesen wir,
„unterscheiden sich so stark voneinander, dass die Wissenschaftler sie als 'kompakte Inseln' im 'Sequenzuniversum' beschrieben, die durch große Abgründe voneinander getrennt seien. Dies stellt Darwins Darstellung infrage, dass die Evolution graduell und kontinuierlich verlaufe.“
Seltsam nur, dass diese Publikation im Fachjournal Human Evolution erschien, dass die Autoren im gesamten Artikel evolutionsbiologisch argumentieren, und dass nirgendwo im Artikel „schwere Schläge“ aufzufinden sind. Nun, in besagter Publikation geht es um die Frage, ob und wie gut das Erbgut unserer Mitochondrien dazu taugt, verschiedene Spezies und höhere Taxa zuverlässig differenzieren zu können. In der Tat bilden mitochondriale Sequenzen „kompakte Inseln“ im Sequenzraum - schlichtweg, weil die Bindeglieder zu den nächst-verwandten Spezies nicht mehr existieren: Man kann nämlich in keine Zeitmaschine steigen, um über die letzten 6 Mio. Jahre mitochondriales Erbgut von z.B. unseren Vorfahren und denen der Schimpansen zu sammeln - das ist nämlich weg, ausgestorben, verwest.
In der Zeit nach der Trennung von evolutionären Linien entwickeln sich die Sequenzen notwendigerweise auseinander und bilden dann „Inseln“ im Sequenzraum, die sich mit der Zeit immer weiter voneinander entfernen. Also beobachten wir exakt das, was theoretisch zu erwarten ist. Unterschlagen wird auch, dass (vor allem bei gut untersuchten Taxa) die Ergebnisse der klassischen Taxonomie gut mit denen dieses sog. „mitochondrialen Barcodings“ übereinstimmen. Nochmals: übereinstimmen. Das ist nicht gerade das, was man unter einem „schweren Schlag“ für die Evolutionstheorie verstehen würde.
Also wie ist nun das Vorgehen der Autoren der Epoch Times bzw. von Meister Li Hongzhi zu bewerten? Offenbar haben sie die zitierte Arbeit von Stoeckle und Thaler nicht einmal ansatzweise verstanden. Wie aber kommen sie dann dazu, daraus das glatte Gegenteil dessen zu lesen, was drinsteht? Kann das noch gute Absicht sein, oder ist es einfach gezielt gelogen?
Schließlich wird Thaler noch aus einem Interview zitiert - ohne Quellenangabe und Nachweis, so dass es nicht überprüft werden kann. Also nochmals: Honi soit qui mal y pense.
In diesem Stil geht es weiter bis ans Ende, welches dann noch ein besonderes Schmankerl bietet: Eine Auslassung über Darwins Gesundheitszustand und das Unvermögen der damaligen Medizin, eine Diagnose zu stellen. Interessant. Und was hat das jetzt mit Evolution zu tun??
Was also tun?
Als Demokrat und als Humanist hat man seinen Mitmenschen zu respektieren und ebenso - und erst recht! - deren abweichende Meinungen. Aber wie soll man denn nun mit derartigem Unfug konkret umgehen?
- Sachlich darauf eingehen? - Um solches tun zu können, müssen Standpunkte inhaltlich eine gewisse Mindestqualität aufweisen. Mit einem Vertreter der 4-Elemente-Lehre kann man nicht über Chemie reden. Mit einem Geistheiler, der alle Gründe für menschliche Krankheiten in unserer „Aura“ sieht, ist ein Diskurs über moderne Methoden der Krebsbehandlung unmöglich. Und jemandem, der die mathematischen Basics nicht hat, kann man kein Raumintegral erklären. Und solche Beiträge wie der hier besprochene liegen unterhalb eines jeden Qualitätslevels.
- Ignorieren, weil es aus erwähntem Grunde keine Basis für einen Dialog gibt? - Dann heißt es, die „Schulwissenschaft“ würde sich einem Diskurs „verweigern“ und „sich drücken“, weil sie ja offenbar den kritischen Argumenten nichts entgegenzusetzen habe.
- Das Kind beim Namen nennen und diesen Unfug als genau das brandmarken, was es ist? - Dann wird gejammert, wie unfair die „Schulwissenschaft“ doch sei, wie herablassend und unsachlich. Denn merke: Pseudowissenschaftler reklamieren für sich das Recht, die Wissenschaft - wahrheitswidrig! - der Unterdrückung, Vetternwirtschaft etc. anzuklagen und scheuen auch vor gröbsten Verzerrungen der Fakten nicht zurück. Aber wenn man ihnen genau das nachweist, dann sind sie beleidigt.
Also: Wie man's macht, macht man's verkehrt. Aber damit müssen wir wohl leben.
Prof. Dr. Andreas Beyer ist Professor für Molekulare Biologie an der Westfälischen Hochschule.
AG Evolutionsbiologie Youtube-Kanal und Facebook-Seite.
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