Unter Heiden

Eine Buchrezension

Unter Heiden

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Tobias Haberl wurde 1975 im Bayrischen Wald geboren, hat Literaturwissenschaften studiert und arbeitet als Autor bei der Süddeutschen Zeitung Magazin. Den Reporterpreis erhielt er 2023 auf sein Essay „Unter Heiden“, auf dem das vorliegende Buch basiert. Zur Wahl des Buchtitels sagt Haberl, das Buch müsste eigentlich „Unter Ungläubigen“ heißen. Griffiger klinge jedoch „Unter Heiden“ - womit Menschen gemeint sind, die mit dem lieben Gott nichts zu tun haben wollen (vgl. S. 38).

Wie kam Haberl zu seinem Glauben?

Er sei nie Messdiener gewesen (S. 29), ebenso wenig begeisterter Kirchgänger (S. 106). Sein Vater sei ein frommer Mensch. Seine Mutter - so vermutet er - glaube an Gott (vgl. S. 54). Für Ihn wäre der Glaube immer da gewesen, liefe nebenher wie Hintergrundmusik (S. 57). So sagt er von sich selbst etwas flapsig, ins Christentum „hineinmanipuliert“ worden zu sein (vgl. S. 59). Er habe nur zu Gott gefunden, weil ihm seine Eltern diesen Glauben vorgelebt hätten (S. 131). Dass der Glaube, wie von Haberl aufgezeigt, zum großen Teil auf sozialer Prägung beruht (Fink 2013, vgl. S. 164), verträgt sich nicht schlüssig mit der Annahme Haberls, man könne sich auf Gott „einlassen“, ihm vertrauen, auch wenn man ihn nicht belegen könne (vgl. S. 260).

Zu seinen eindrücklichsten Glaubenserfahrungen zählt die Alte Messe, in der Chiesa della Santissima Trinità del Pelligrini in Rom (S. 116). Es handelt sich um die Messfeier im Römischen Ritus, eine Tradition, die bis in die Anfänge der römischen Kirche zurückreiche, bevor sie durch die Liturgieform des Zweiten Vatikanischen Konzils „verschandelt“ worden sei (S. 117). Was ihn anzog war die übernatürliche Atmosphäre, der viele Weihrauch, die prächtigen Gewänder, der Gregorianische Choral (S. 118). Genau die Hervorhebung dieser vordergründigen Punkte spricht auch David Berger (ein ehemaliger Theologe und Insider der katholischen Kirche) an, „das tue keinem weh und komme in Zeiten postmoderner Freude an allem Esoterischen gut an (Berger 2014, vgl. S. 50 f.).“ Was Haberl dort sah und hörte, wäre von einer rätselhaften Heiligkeit durchdrungen gewesen, die den gesamten Kirchenraum und alle Menschen darin zu erfassen und aneinanderzubinden schien (S. 119). Die Messe sei nüchtern und unpersönlich, die Priester ständen praktisch umgehend mit dem Rücken zur Gemeinde (vgl. S. 120). Für Haberl sei das Heilige in der Messe selbstverständlich anwesend. Das Geheimnis der Faszination der Alte Messe läge darin, das Gegenteil der Lebenswirklichkeit des frühen 21. Jahrhunderts zu sein: Anbetung statt Ablenkung, Unterwerfung statt Selbsterhöhung, runter auf die Knie statt Brust raus (vgl. S. 121)! Während man auf Instagram aktiv auf sich aufmerksam machen müsse, um überhaupt wahrgenommen zu werden, genüge es in einem Gottesdienst, einfach nur da zu sein (vgl. S. 155).

Haberl erschließt sich jedoch nicht, warum die alte Messe so aggressiv bekämpft würde, dass viele sogar ihr Verbot fordern würden (S. 133). Haberl wusste aus einem Artikel in der Zeit um die Vorbehalte gegen die Messe - sie schmuggle altes, autoritäres Gedankengut in die Kirche der Neuzeit (S. 219). Tiefer drang er in die Vorbehalte jedoch nicht ein. Etwas erhellender klärt dagegen Berger darüber auf, dass für zahlreiche junge Leute die traditionelle Liturgie eine Art „Einstiegsdroge“ gewesen sei. Die Welt, in die sie dabei gerieten, mache aus unverbildeten und aufgeschossenen Menschen Religionsfanatiker, die einem katholischen Gottesstaat das Wort redeten. Für dessen Entstehung müsse man notfalls Gewalt anwenden. Sie scheuten sich auch nicht mit rechtsradikalen Schlägertrupps Allianzen einzugehen (Quelle: Berger 2014, vgl. S. 54). Die Alte Messe sei das exakte Spiegelbild einer hierarchisch strukturierten, absolutistisch regierten Kirche (Berger 2014, vgl. S. 29 f.).

Die Alten Messe vergleicht Haberl mit der Neuen Messe:

Er berichtet von Deutschlands berühmtesten Pfarrer Rainer Maria Schießler aus der Kirche Sankt Maximilian in München (S. 119). Schießler halte warmherzig-unterhaltsame Predigten (S. 119) und lebe zölibatär mit seiner Haushälterin Gunda zusammen, was er sich nicht verbieten lasse, da er sie liebhabe (S. 126). Schießler sei charmant, unangepasst, widerspenstig - ein Rebell innerhalb des Systems (S. 127). Auch Lachen und Klatschen sei in seiner Kirche erlaubt, dafür tue er alles (vgl. S. 129). Haberl findet es bedauerlich, wie unversöhnlich sich die Anhänger der Alten und Neuen Messe gegenüberstehen würden - links die Reformer, rechts die Traditionalisten, links die strahlende Zukunft, rechts die finstere Vergangenheit, und alle würden denken, besser und wahrer als die jeweils anderen zu glauben (S. 132 f.).

Haberls´ lebensschutzorientierte Haltung bzw. Gegnerschaft zur Abtreibung beschwört durch seine unwissenschaftliche Wortwahl den Skandal erst herauf: Haberl spricht von Religion wie Wissenschaft, die nicht frei von Interessen und Pathologien seien oder den skandalösen Umgang mit ungeborenen behinderten Kindern (vgl. S. 272). Etwas später sagt er, er sei kein Abtreibungsgegner, Schwangerschaftsabbrüche sollten unter bestimmten Bedingungen möglich sein, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit einen Shitstorm auslösen würde, dass bei einer Schwangerschaft kein Zellhaufen, sondern ein Mensch heranwachsen würde, dessen Herz womöglich schon schlagen würde, der aber noch keine Stimme hätte, um seine Lust auf Leben zu artikulieren, darüber könne man gar nicht genug zweifeln (S. 244).

Hier muss kritisiert werden, dass es sich neutral wissenschaftlich ausgedrückt bis zur 9. Schwangerschaftswoche um einen Embryo handelt, danach um einen Fötus, nicht um ein „Kind“. Entscheidend dürfte hier auch nicht der Herzschlag, sondern die Leidensfähigkeit sein: Sobald der Embryo etwa ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel leidensfähig ist, scheint er eine ganz andere moralische Rücksichtnahme zu erfordern als zuvor (Fenner 2016, S. 252).

An anderer Stelle stellt er die Frage: „Gnadenlose Selektion durch Pränataldiagnostik (S. 184, vgl. auch S. 238)?“ Dazu lässt sich einwenden, dass der Begriff der Selektion nicht im engeren naturwissenschaftlichen Sinne verwendet wird, sondern meist in assoziativer Nähe zur eugenisch begründeten Selektion von Menschen in „lebenswert“ und „lebensunwert“ im Nationalsozialismus (Quelle 2, S. 60). 2004 trat das Gesetz zur Regelung der medizinisch unterstützten Fortpflanzung in Kraft. Danach ist jegliche Form von Selektion von Embryonen zu eugenischen Zwecken verboten, außer wenn mit der Intervention therapeutische oder diagnostische Zwecke zum Schutz desselben Embryos verbunden sind (Quelle 2, vgl. S. 71).

Eine weitere Station seines Glaubenslebens ist ein kostenloser Besuch im Benediktinerkloster Sainte-Madeleine du Barroux (S. 188), in dem er nicht zur Ruhe kommen, sondern Gott suchen wollte (S. 192). Er berichtet von nächtlichem Stillschweigen, den Mahlzeiten „en silence“, fünf bis sechs Stunden täglichem Gebet (S. 194). Die Stille sei die Voraussetzung, Gottes Gegenwart überhaupt wahrzunehmen (S. 197). Wer im Kloster über WLAN online gehen wolle, brauche eine Erlaubnis des Abtes (S. 201). Einerseits sehnte er sich nach Ruhe und Abgeschiedenheit, um Gott näher zu kommen, andererseits schleppte er sich von Stunde zu Stunde - von Gott keine Spur, nur Stille und Steine (S. 204). Dann erwischte ihn der Lagerkoller! Er fühlte sich abgeschnitten und ausgeliefert (S. 206). Darauf brachte ihn Pater Hugo auf die Idee, einen Ausflug zu machen, da man Gott nicht nur im Kloster begegnen könne (S. 207). Das extreme Leben der Mönche (Genügsamkeit, Beten, Kontemplation, Fasten, Ordnung und Regeln) münde in einem Loslassen vom eigenen Ego (vgl. S. 213). Dem Klosterbesuch schloss sich ein Interview mit einem Mönch an (S. 219-226).

Im Buchteil „Unzeitgemäß“ meint Haberl, etwas wie den Glauben oder die Kirche zeit- oder unzeitgemäß zu finden, sei nie ein Argument, sondern eine private Einschätzung, ein ideologiegetränkter Wunsch (vgl. S. 228). Haberl fragte den Mönch (siehe Absatz zuvor), ob er bei Zweifeln eher an Gott oder der Kirche zweifle. Dieser antwortete ihm, er zweifle an sich selbst (vgl. S. 223)! Von Haberl kann man das nicht behaupten. Er stellt selbstbewusst fest, Gott sei - wenn es ihn gibt - nicht darauf angewiesen, als zeitgemäß empfunden zu werden, weil eine Wahrheit unter allen Umständen wahr sei, selbst dann, wenn sie niemand wahrhaben wolle (S. 229). An anderer Stelle heißt es: Der gläubige Mensch erkenne im Glauben eine Wahrheit, vielleicht sogar die einzige, die es gäbe (S. 240). Hier hätte ihm meiner Ansicht etwas mehr Bescheidenheit gutgetan. Ob die Kirche noch zeitgemäß sei, sei in der Debatte, ob und wie stark sie sich reformieren solle, die einzige, die nicht von Belang sei, weil es nicht ihre Aufgabe sei, so zu sein, wie die Menschen sie gerne hätten, sondern die Menschen daran zu erinnern, wie sie sein sollten, um zu Gott finden zu können. Eine zeitgeistige Kirche sei ein Widerspruch in sich (S. 231). In Deutschland sei es der „Synodale Weg“, der sich für eine Liberalisierung der Sexualmoral, eine Abschaffung des Pflichtzölibats und den Zugang von Frauen zu Weiheämtern, kurz: eine Versöhnung der katholischen Kirche mit der Gegenwart einsetze (vgl. S. 233). Hier hat Haberl das Ziel des Synodalen Wegs missverstanden, denn dort ist von einer „Aufhebung der Verpflichtung“ zum Zölibat als Zulassungsbedingung zur Priesterweihe die Rede (Quelle 1, S. 8). Ein freiwilliges Zölibat könne er sich durchaus vorstellen, weil er ahnt, wie oft der Pflichtzölibat umgangen werde (vgl. S. 248). Bezüglich der Frauenordination argumentiert er mit der Gottesebenbildlichkeit, fragt sich aber, ob sich dies notwendigerweise in der Besetzung kirchlicher Ämter widerspiegeln müsse (vgl. S. 249). Im Gegensatz dazu lesen wir bei Berger: „Wer es gegenwärtig in der katholischen Kirche wagt, über die Frauenordination auch nur laut nachzudenken, muss mit härtesten Strafen rechnen. Wer dagegen wie Williamson neurotischen Frauenhass an den Tag legt, wird von Rom hofiert (Berger 2014, S. 244).“ Haberl habe sich bislang an der Debatte um die Zukunft der Kirche kaum beteiligt, weil sein Glaube von diesen Fragen kaum berührt würde, er fände in einem geistigen Raum jenseits des politischen Diskurses statt - im Gebet, in der Messe, in der Eucharistie (S. 235).

Ein großer Trost

Im Teil „Im Zweifel für den Zweifel“ berichtet Haberl von seiner eigenen „Out-of-body-experience“, als er aufgrund eines verschleppten Infekts (vgl. S. 253) bei einem Belastungs-EKG beim Kardiologen zusammenbrach (S. 251). Dabei hätte er weder ein gleißendes Licht oder einen Tunnel gesehen, Gott auch nicht (S. 252). Dieser Tag hätte seinen Glauben weder erschüttert, noch auf eine neue Stufe gehoben (S. 254). Hätte er Gott gesehen, müsste er nicht mehr an ihn glauben, weil sich Wissen und Glauben ausschließen würden (S. 254).

Wie so viele Christen glaubt Haberl an Gott, weil er die Gewissheit, unter allen Umständen gerettet zu sein, weil Jesus Christus für ihn gestorben und auferstanden sei, als großen Trost empfinde (S. 112). Uwe Lehnert bezeichnet den Opfertod Jesu als abwegig, da Jesus zwar Mensch ist, aber nach der Dreieinigkeitslehre eben auch mit Gott identisch ist (Lehnert 2015, S. 298), womit er einen Teil seines Selbst sich selbst opfert (Lehnert 2015, S. 300). Haberl schreibt dazu, die Dreifaltigkeit Gottes stünde nicht zur Debatte (vgl. S. 246). An diesem Beispiel sieht man exemplarisch, dass Haberl - wie viele Christen - diese Glaubenslehre einfach undurchdacht übernommen hat.

Für Haberl seien Glaube und Wissenschaft zwei unterschiedliche Arten, die Welt zu betrachten, die gar nicht so viel miteinander zu tun hätten. Man könne sehr wohl logisch denken und beten. Wer glaubt, würde das Denken nicht aufgeben, sondern denke tiefer, um verstehen zu können (S. 269). Mit dieser Antwort bin ich nicht ganz einverstanden. Die Bibel ist kein wissenschaftliches Lehrbuch. Aber die Texte enthalten Wissen, das nicht über die Wissenschaften gewonnen werden kann. Sie sind geoffenbarte Wahrheit über Gott und Menschen (Gutsche 2019, S. 105). In den Naturwissenschaften geht es um die Frage „Was kann ich wissen?“, im Glauben um die Fragen „Worauf kann ich im Leben und im Sterben vertrauen?“, „Was soll ich tun?“, „Was darf ich hoffen?“. Die Fragen weisen auf zwei unterschiedliche Perspektiven (Gutsche 2019, S. 115).

Etwas später führt Haberl den Bischof E. Barron an, für den echter Glaube kein Aberglaube, Naivität oder Dummheit sei, schon gar nicht das Resultat persönlicher Komplexe oder Fantasien, sondern eine „Art von Wissen“, das über die Möglichkeiten der Beobachtung, des Experimentierens, der Hypothesenbildung und des rationalen Denkens hinausgehe (vgl. S. 270).

Auch bei dieser Aussage sehe ich das Problem, den Glauben auf eine Stufe mit Wissen stellen zu wollen. Daher bevorzuge ich eine saubere Trennung: Wissenschaft basiert auf menschlichen Beobachtungen und dem Verstand, Theologie auf göttlicher Offenbarung. Unter dieser Perspektive muss die Bibel ernst, aber nicht wörtlich genommen werden, die Schrift selbst ist keine Offenbarung, sie beruht auf fehlbaren menschlichen Bericht, der Offenbarungsereignisse bezeugt (Barbour 2010, S. 32). Religiöse Sprache drückt persönliche religiöse Erfahrungen aus (Barbour 2010, vgl. S. 35). Religiöse Literatur spricht von Erfahrung der Befreiung von Schuld, der Vergeltung, Wechsel von Angst zu Vertrauen und Übergang von Geborgenheit zu Heilsein (Barbour 2010, S. 35).

Laut Haberl wäre der Beweis misslungen, der Glaube von Wissenschaftlern würde im Laufe der Zeit und mit zunehmendem Wissen abnehmen. Er versucht dies am Beispiel des renommiertesten Teilchenphysikers der Welt, John Polkinghorne zu veranschaulichen, der sich zum anglikanischen Pfarrer weihen ließ (S. 268). Hier lässt sich einwerfen, dass herausragende Wissenschaftler deutlich weniger religiös sind. In den USA erweisen sich heute knapp zwei Drittel aller Elitewissenschaftler als Atheisten und Agnostiker (Mahner 2018, S. 182).

Bezüglich des Leids - und damit des Theodizee-Problems - meint Haberl, könne bei aller Gottverlassenheit gerade das Leiden ein Ort der Gottesbegegnung werden. Oder wie Robert Spaemann auf die Frage, wo Gott in Auschwitz gewesen sei, einmal geantwortet habe: „Am Kreuz (S. 258)!“

Der Verweis auf Gottes Leidensfähigkeit als apologetisches Argument ist in der Theodizeeproblematik jedoch unbrauchbar, da nicht klar wird, wie es mir in meinem Leiden und meiner Verzweiflung helfen soll, wenn es in der Formulierung Rahners Gott „genauso dreckig geht wie mir“. Ein mitleidender Gott verschärft das Theodizeeproblem eher noch (Von Stosch 2013, vgl. S. 37). Jede Aufhebung der Leidensgeschichte in Gott steht in der Gefahr, Leiden als überholt zu betrachten, zu verklären, zu verdoppeln bzw. zu verharmlosen (Von Stosch 2013, vgl. S. 38). Christentumskompatibel ausgedrückt scheint die einzige Entschuldigung Gottes angesichts von Auschwitz zu sein, dass ein Gott, der Auschwitz durch innerweltliche Interventionen unterbinden könne, nicht existiert. Allerdings: Wenn man im Sinne der Willensfreiheit bzw. der Autonomie des Menschen ihren letzten Ernst lassen will, scheint sich jede Forderung nach einer innerweltlichen Intervention Gottes, die Ereignisse wie Auschwitz unmöglich macht, zu verbieten (Von Stosch 2013, vgl. S. 129). Auch hier lässt sich kritisieren: Gott hätte wissen müssen, dass die Willensfreiheit über ein eminent destruktives Potential verfügt (Barbour 2010, vgl. S. 211). Allen Theodizeen fehlt somit der argumentativ kohärente Zusammenhang - keiner Argumentation könnte nicht widersprochen werden (Barbour 2010, vgl. S. 215)!

Welche Haltung nimmt Haberl gegenüber Ungläubigen/Atheisten ein?

Er stellt sich die Frage, ob Hinidus oder Atheisten das Heil erlangen könnten. Darüber hinaus fragt er sich, wie es mit Menschen stehe, die gut und gerecht, aber nicht in der Kirche seien? Auf all diese Fragen habe er keine Antwort (S. 242). Alle Beweise der bedeutenden Atheisten würden nicht ausreichen, um die Existenz Gottes fragwürdig zu machen, aber nicht, um Gottes Nicht-Existenz fraglos zu machen. Letztlich sei auch der Atheismus nicht beweisbar (S. 266). Mein Einwand dazu lautet: Es gibt hier keine Patt-Stellung. Nichtexistenz ist generell nicht beweisbar. Allerdings hat, wenn eine Nichtexistenz nicht erweisbar oder eine Existenzbehauptung nicht widerlegbar ist, der Gläubige die „Beweispflicht“ (Fink 2013, vgl. S. 168)!

Im Gegensatz zum ungläubigen Menschen erscheine dem Gläubigen die verrinnende Zeit nicht als etwas, das ihn verbrauche, sondern als etwas, das ihn vollende - der Tod als zweite Geburt (S. 65). Darauf kann man als Ungläubiger mit Epikur kontern: Das schaurigste der Übel, der Tod, geht uns nichts an, denn solange wir sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, dann sind wir nicht mehr! In diesem Zusammenhang ist mir Haberls´ fehlende Stringenz aufgefallen, da er durchaus eingesteht, dass er sich vor dem Tod fürchte (vgl. S. 156).

Auf faire Weise gesteht Haberl zu, dass gläubige Menschen keineswegs bessere Menschen seien, dafür kenne er zu viele bezaubernde Atheisten und scheinheilige Christen, auch kenne er sich selbst zu gut (vgl. S. 150).

Am Ende des Buches ruft Haberl seinen Lesern das ihm erscheinende Bild des mit dem Kreuz durch die Gassen stolpernden Jesus ins Gedächtnis, der als „König“ verspottet wird. Als Jesus starb, hätte die Welt nicht den Atem angehalten, die meisten hätten es nicht einmal bemerkt, und wenn doch, wäre es ihnen egal gewesen, ein gekreuzigter Spinner mehr oder weniger - was soll´s. „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun (vgl. S. 275 f.).“

Dieses für meinen Geschmack überheblich wirkende Schlussappell wirkt polarisierend, da es In- und Outgroup definiert (Fink 2013, vgl. S. 163). In dieser Hinsicht kann es Atheisten gegenüber als passiv-aggressive Botschaft erscheinen, wenn Haberl an anderer Stelle meint, wie gerührt Atheisten reagieren würden, wenn er ihnen verrate, dass er für sie gebetet oder eine Kerze angezündet hätte (vgl. S. 265). So ganz nach dem Motto: Ich hoffe, Du erkennst, dass du falsch liegst!? Dass er die Bedeutung der Feindesliebe in der Bergpredigt nicht richtig verstanden hat, zeigt er in der Frage nach einem Leben nach der christlichen Lehre: „Für Menschen beten, die man nicht ausstehen kann (vgl. S. 246)?“ Pinchas Lapid schreibt dazu: „Da Jesus in parallelen Kontrastpaaren zu lehren pflegt, muss daher auch die Steigerung ´Liebt eure Feinde!´ im ursprünglich semitischen Wortlaut diesen Dativus Ethicus beinhaltet haben, der keineswegs zur platonischen Feindesliebe auffordert, sondern zum versöhnlichen Umgang mit dem Gegner, der einzig und allein seine Entfeindung bezweckt (Lapide 1986, S. 23).“

Quellen:

Quelle 1: Der Zölibat der Priester - Bestärkung und Öffnung; online abgerufen am 16.02.25

Quelle 2: Präimplantationsdiagnostik, Stellungnahme, Deutscher Ethikrat, 2011, online abgerufen am 16.02.25

Barbour, Ian G.: Naturwissenschaft trifft Religion, Ian G. Barbour, Vandenhoeck & Ruprecht, 2010

Berger, David: Der heilige Schein. Als schwuler Theologe in der katholischen Kirche, Ullstein Buchverlag GmbH, 4. Auflage 2014

Fenner, Dagmar: Religionsethik: ein Grundriss, 1. Auflage, Verlag W. Hohlhammer GmbH, 2016

Fink, Helmut: Die Fruchtbarkeit der Evolution: Humanismus zwischen Zufall und Notwendigkeit, AlibriVerlag, 2013

Gutsche, Edith: Glauben oder Wissen? Zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Glaube, Verlag der Francke-Buchhandlung GmbH, 2019

Lapide, Pinchas: Wie liebt man seine Feinde? Matthias-Grünewald-Verlag, 4. Auflage 1986

Lehnert, Uwe: Warum ich kein Christ sein will. Mein Weg vom christlichen Glauben zu einer naturalistisch-humanistischen Weltanschauung, Tectum Verlag Marburg, 2015

Mahner, Martin: Naturalismus. Die Metaphysik der Wissenschaft, Alibri Verlag, 2018

Von Stosch, Klaus: Theodizee, 3. Auflage, Brill Schöning, 2013

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