Was der Christenmord in Lahore über den globalen Dschihad aussagt

Wir können nicht so tun, als ob der Extremismus, der den dschihadistischen Terror weltweit antreibt, nichts mit dem Islam zu tun hätte.

Was der Christenmord in Lahore über den globalen Dschihad aussagt

Am Abend des Ostersonntags tötete ein Selbstmordanschlag mindestens 72 Menschen im dicht gedrängten Gulshan-e-Iqbal-Stadtpark im pakistanischen Lahore und verletzte 300 weitere. Viele der Opfer waren Kinder. Eine Splittergruppe der Taliban namens Jamaat-ul-Ahrar hat die Verantwortung für den Bombenanschlag übernommen, der pakistanische Christen ohne Vorwarnung in den Tod riss. Man geht davon aus, dass die Terrorgruppe auch für einige frühere Angriffe verantwortlich ist, darunter die Enthauptung von 23 paramilitärischen Soldaten am 24. Februar. Ein Sprecher der Gruppe, Ehsanullah Ehsan, sagte, seine Organisation wolle die Botschaft verbreiten, dass Jamaat-ul-Ahrar „in Lahore angekommen“ sei. Er drohte daraufhin mit weiteren Gräueltaten.

Der Anschlag vom 27. März 2016 ist die dritte Geiselnahme Pakistans durch Dschihadisten alleine im Monat März. Alles nur in Pakistan, nur im März. Man muss diese Ereignisse im Zusammenhang mit dem Aufstand des globalen Dschihads verstehen, dem wir ausgesetzt sind: Beispiellos in seinem Ausmaß, vielfältig in seinem Führungspersonal, zersplittert in seiner Strategie und dennoch inspirierend in seiner Hauptbotschaft und populär genug in seiner Anziehungskraft, um Massen in Bewegung setzen zu können.

Alleine im Monat März hat es dschihadistische Anschläge in acht verschiedenen Ländern gegeben und ich zähle noch nicht einmal die dschihadistischen Bürgerkriege in Afghanistan oder Syrien dazu, den vergleichbaren Bürgerkrieg in Libyen und kleinere Angriffe und Tötungen überall auf der Welt. Türkei, die Elfenbeinküste, Irak, Mali, Nigeria und Belgien sind alle Opfer dieses Aufstands geworden.

Ein dschihadistischer Guerilla-Krieg wird gegen die Weltordnung gefochten und die internationale Gemeinschaft ist aufs Jämmerlichste unvorbereitet, das Problem anzugehen.

Der Aufstand könnte ohne sie keinen Erfolg haben.

Viele leugnen noch immer, dass dieser Aufstand existiert und es ist wahr, dass es in diesen Ländern spezifische regionale Faktoren gibt, die zu den jeweiligen Umständen des Dschihadismus beitragen. Ja, die Gruppen hinter diesen Anschlägen werden nicht zentral gelenkt und sie sind entweder an konkurrierende Dschihadistenorganisationen angeschlossen oder sie sind Ableger davon.

Aber sie teilen alle ein gemeinsames Anliegen.

Sie entstammen alle – inklusive dem Islamischen Staat – nur zwei dschihadistischen Organisationen oder stehen diesen nahe: Al-Qaida und Taliban. Und alle Dschihadisten trinken wiederum aus derselben dogmatischen Quelle des weitverbreiteten, strikten Wahhabismus beziehungsweise des Salafismus. Und sie teilen alle die ideologischen Ziele der populären nicht-terroristischen Islamisten. Sie sind alle hinter einem theokratischen Verlangen vereint, der Gesellschaft eine Version des Schariarechts aufzuzwingen. Die Tatsache, dass es viele Millionen friedliche Salafisten und islamistische Muslime auf der Welt gibt, bedeutet ein erhebliches Rekrutierungspotenzial für Dschihadisten. Der Aufstand könnte ohne sie keinen Erfolg haben. Dies zu leugnen wäre zwecklos.

Jahrelang haben sich Linke – und ich bin einer von ihnen – geweigert, die Existenz einer islamistischen Ideologie zu akzeptieren. Alles Gerede über „Ideen“ hat man für nichts weiter als „Neocon“-Sprüche gehalten, die unmittelbar den schlimmsten Auswüchsen der Jahre von George W. Bush entstammen.

Ironischerweise haben wir aufgrund dieser Furcht vor mangelnder politischer Korrektheit viele Fehler der Neocon-Ära wiederholt. Wir haben uns davor gefürchtet, einen moralischen Dialog mit den muslimischen Gemeinschaften anzustoßen. Wir haben versucht, das Problem auf den Bereich der bloßen Verbrechensbekämpfung zu reduzieren, auf etwas, mit dem sich die Strafverfolgungsbehörden befassen sollen oder, falls das nicht funktioniert, das Militär – und letzten Endes sollte notfalls ein Krieg das Problem lösen, auch wenn das Wort unausgesprochen blieb. Unter dieser Doktrin hat US-Präsident Barack Obama eine geheime Tötungsliste erstellt und es vorgezogen, Attentate auf seine Feinde zu verüben, selbst wenn sie amerikanische Bürger sein sollten. Letztlich hat er mehr Drohnenangriffe im Ausland angeordnet als Bush es jemals getan hatte.

Alles war erlaubt, solange man nur nicht über Ideen sprechen musste.

Als man diesen globalen dschihadistischen Aufstand nicht mehr ignorieren konnte, nannten wir Linken das Problem langsam euphemistisch einen „gewaltsamen Extremismus“. Wir haben widerliche, lasche vom Außenministerium geprägte Phrasen wie „Al-Qaida inspirierter Extremismus“ für etwas gebraucht, was eindeutig eine Ideologie war. Wie die Tötung von Osama Bin Laden in seinem pakistanischen Versteck bewies, können wir das Problem nicht durch Festnahmen und Tötungen lösen. Der „Sieg“ über Al-Qaida konnte immer nur eine Gruppe wie den Islamischen Staat hervorbringen, weil nicht Al-Qaida „Extremismus inspirierte“; es war der Extremismus, der Al-Qaida inspiriert hatte.

Nicht nichts, nicht alles, sondern etwas

Unser Versagen, dies als Kampf der Zivilisationen anzuerkennen – einer, der sich um Wertvorstellungen dreht – hat dem fundamentalistischen Problem des Salafismus und dem politischen Problem des Islamismus erlaubt, ein Eitergeschwür zu bilden. Dieser Kampf ist zunächst ein ideologischer und erst dann ein militärischer oder strafrechtlicher. Schwammige Plattitüden wie jene, dass dies nichts mit dem Islam zu tun habe – meine eigene Religion – sind so hilfreich wie zu sagen, dass der Dschihadismus die Essenz des Islams wäre. Der Extremismus hat mit Sicherheit etwas mit dem Islam zu tun. Nicht nichts, nicht alles, sondern etwas.

Der Anschlag in Lahore unterstreicht den religiösen Charakter des dschihadistischen Fanatismus. Es ging hier nicht um Entfremdung in einem europäischen Ghetto oder um Rache für amerikanische und europäische Luftschläge im Mittleren Osten – die weltlich-klingenden Erklärungen für die Motivationen der Leute, welche die Terroranschläge in Paris und Brüssel durchgeführt hatten. In Lahore geht es um reine, bösartige religiöse Intoleranz, um das Töten von Christen – darunter Kinder von Christen – am Ostersonntag, weil sie Christen waren und nicht die Art von Muslim, welche die Mörder zu sein behaupten.

Seit Jahren wird diese Art von brutaler Intoleranz schon von der pakistanischen Mullah-Mafia kultiviert. Die Anschläge stehen im Zusammenhang mit einer Deadline, die am 27. März ihr Ende fand. Ein Zusammenschluss von über 30 radikal-religiösen Gruppen hatte die regionale Regierung von Lahore, die Hauptstadt Pandschabs, aufgefordert, bis dahin einen neuen Gesetzesentwurf für Frauenrechte zurückzuziehen, den die Mullahs ablehnen. Und das, nachdem Mobs für Mumtaz Qadri auf die Straße gegangen waren – ein Extremist, der im Februar für den Mord am Regierungsoberhaupt Pandschabs, Salman Taseer, hingerichtet worden war. Qadri war im Jahr 2011 als Taseers Leibwächter eingestellt worden. Das Motiv des Verbrechens: Taseer hatte sich für eine Reform der Gesetze gegen Blasphemie eingesetzt. Nun haben mehrere tausend dieser Blasphemie-Inquisitoren eine Hochsicherheitszone in Islamabad besetzt, wo sie unter anderem die Einführung der Scharia als Gesetz fordern.

Lassen Sie es mich klar auf den Punkt bringen. Wir befinden uns in einem Kampf gegen die Theokratie und für säkular-liberale Werte. Muslime und Nicht-Muslime müssen in diesem Kampf gleichermaßen zusammenstehen. Aus diesem Grund ist die polarisierende Rhetorik des amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump so wenig hilfreich. Wir alle müssen zusammen den Islamismus diskreditieren und eine Reform im islamischen Diskurs unterstützen. Wir sind alle dafür verantwortlich, intolerantes, theokratisches Denken herauszufordern, bevor es in Gewalt überschwappt. Wir sind alle gemeinsam dafür verantwortlich, die Religion nicht zum hauptsächlichen gesellschaftlichen Band werden zu lassen, das uns von den „anderen“ trennt.

Wie uns Pakistan zeigt, ist das ein schwieriger, nervenaufreibender und lebenslanger Kampf, dem sich nur wenige bereits stellen möchten. Aber wir müssen uns diesem Kampf stellen.

Übersetzung: Andreas Müller

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