Was Hillary Clinton über den Islam und den „Krieg gegen den Terror“ sagen sollte

Der US-amerikanische Philisoph und Buchautor Sam Harris formuliert eine fiktive Rede, die Hillary Clinton halten sollte, um die Bürger von einer Wahl Donald Trumps abzuhalten.

Was Hillary Clinton über den Islam und den „Krieg gegen den Terror“ sagen sollte

Es folgt ein Teil einer Rede, die Hillary Clinton irgendwann zwischen heute und November halten sollte. Sie dient dazu, jene Wähler, die Clintons politische Korrektheit in Sachen Islam und Dschihadismus insbesondere nach einem zukünftigen Terrorangriff in den USA oder Europa besorgniserregend finden, von einer Wahl Trumps abzuhalten. – Sam Harris

Heute möchte ich über eines der wichtigsten und umstrittensten Themen unserer Zeit sprechen – den Zusammenhang zwischen der islamischen Religion und dem Terrorismus. Ich möchte, dass Sie wissen, wie ich darüber denke und wie ich die Sache als Präsidentin betrachten werde. Ich möchte auch die Herangehensweise an dieses Thema durch meinen Gegner in diesem Präsidentschaftswahlkampf und meinen eigenen Ansatz entgegenstellen.

Das bedeutendste Anliegen – und tatsächlich das wichtigste Thema dieser oder irgendeiner Zeit – ist die menschliche Kooperation. Was verhindert sie, wodurch wird sie ermöglicht? Im November werden Sie einen Präsidenten wählen und keinen Weltherrscher. Die Aufgabe des Präsidenten der Vereinigten Staaten ist selbst bei all der Macht, über der er oder sie verfügt, die Menschen Zuhause und im Ausland zur Zusammenarbeit zu bewegen, um ein großes Spektrum an schwierigen Problemen zu lösen. Ihre Aufgabe besteht darin, sich die Person auszusuchen, die am ehesten dieser Aufgabe gewachsen scheint.

In der Vergangenheit habe ich gesagt, dass Gruppen wie der Islamische Staat und al-Qaida nichts mit dem Islam zu tun hätten. Präsident Obama sagte dasselbe. Wir haben uns auf diese Weise geäußert, weil wir der Auffassung waren, dass wir nichts sagen dürften, was man auf irgendeine Art so auslegen könnte, dass es die Darstellung von Gruppen wie dem IS bestätigt – und nahelegt, dass der Westen der islamischen Religion feindlich gegenübersteht, wenn auch nur ihren radikalsten Ausprägungen – was mehr Muslime in die Arme der Dschihadisten und Theokraten treiben und genau die Kooperation verhindern würde, die wir benötigen, um einen Ideenkampf gegen den radikalen Islam zu gewinnen. Ich sehe die Lage nun anders. Ich denke nun, dass wir die meisten Muslime unterschätzt haben. Und ich denke, dass wir alle einen zu hohen Preis dafür bezahlen, dass wir uns nicht eindeutig über die Verbindung zwischen bestimmten religiösen Ideen und dem sektiererischen Hass äußern, der die muslimische Welt trennt.

Wir alle, Muslime und Nicht-Muslime gleichermaßen, müssen uns bestimmten Ideen innerhalb der islamischen Tradition entgegenstellen, die Gruppen wie den Islamischen Staat und die Angriffe der sogenannten „Einsamen Wölfe“, die wir nun in zahlreichen Ländern erleben mussten, inspirierten. Auch müssen wir uns den gesellschaftlichen Haltungen entgegenstellen, die unseren grundlegenden Werten – Werte wie Menschenrechte, Frauenrechte, Schwulenrechte und Meinungsfreiheit – entgegenstehen. Diese Werte sind nicht verhandelbar.

Fanatismus gegen Muslime ist inakzeptabel

Ich möchte jedoch eines klarstellen: Fanatismus gegen Muslime oder irgendeine andere Menschengruppe ist inakzeptabel. Das widerspricht den Werten, die unsere Gesellschaft für den Rest der Welt zu einem Leuchtturm der Freiheit und Toleranz gemacht haben. Es ist aus sicherheitspolitischer Sicht auch völlig kontraproduktiv. Über die Folgen von Ideen zu sprechen ist allerdings nicht fanatisch. Muslime sind Menschen – und die meisten der 1,6 Milliarden Muslime auf der Welt möchten, wie wir, einfach in Frieden leben. Der Islam ist allerdings eine bestimmte Zusammenstellung von Ideen. Und im 21. Jahrhundert dürfen alle Ideen zur Diskussion gestellt und kritisiert werden.

Jede religiöse Gemeinschaft muss ihren heiligen Text so interpretieren und ihre Traditionen so anpassen, dass sie mit der modernen Welt übereinstimmen. Westliche Christen ermordeten einst Menschen, die sie für Hexen hielten. Dies haben sie jahrhundertelang getan. Man kann die Untiefen der moralischen und intellektuellen Verwirrung, welche die Geschichte der Hexenverfolgung darstellt, kaum übertreiben. Es ist aber auch wahr, dass wir eine solche Verwirrung im Westen größtenteils hinter uns gelassen haben. Die Texte selbst haben sich nicht verändert. Die Bibel legt noch immer nahe, dass es Hexerei wirklich gibt. Es gibt aber keine Hexerei. Und nun wissen wir, dass der Glaube an Hexen ein Produkt uralter Angst und Ignoranz gewesen ist. Den Glauben an Hexerei zu kritisieren und dessen Verbindung mit bestimmten Grausamkeiten festzustellen – Grausamkeiten, die noch immer durch bestimmte christliche Gruppen in Afrika begangen werden – ist keine Form des Fanatismus gegen Christen. Es ist die einzige Grundlage für moralischen und politischen Fortschritt.

Eines lässt sich nicht leugnen: Der heutige Islam muss unbedingt reformiert werden. Wir leben in einer Welt, in der kleinen Mädchen in den Kopf geschossen wird oder wo man ihnen Säure ins Gesicht schüttet, weil sie das Verbrechen begangen haben, lesen zu lernen. Wir leben in einer Welt, wo das bloße Gerücht, dass ein Buch verunstaltet wurde, Aufstände in Dutzenden Ländern auslösen kann. Wir leben in einer Welt, in der Menschen regelmäßig für Karikaturen, Blogeinträge und Schönheitswettbewerbe ermordet werden – selbst für die bloße Benennung eines Teddybärs. Ich bin nun überzeugt, dass wir mit weniger Zurückhaltung und mehr Aufrichtigkeit darüber sprechen müssen, als wir das in der Vergangenheit getan haben. Freiheitsliebende Muslime überall auf der Welt müssen sich ehrlich den Herausforderungen einer politisierten Ausprägung ihrer Religion für freie Gesellschaften stellen. Und wir müssen sie dabei unterstützen. Andernfalls wird unsere Stille nur umso mehr Eiferer und Fremdenfeinde stärken. Das ist gefährlich. Wir können bereits einen Aufstieg von Rechtsextremen in Europa beobachten. Wir beobachten die Verschmelzung von allem, was noch an Amerika verkehrt ist, anhand der Kandidatur von Donald Trump.

Muslime leiden unter dem Chaos und der Intoleranz des politischen Islams

Nun ist diese politisierte Ausprägung des Islams die Ursache eines großen Teils des Chaos und der Intoleranz auf der Welt. Es ist aber auch wahr, dass niemand mehr an dem Chaos und der Intoleranz leidet als die Muslime selbst. Die meisten Terroropfer sind Muslime; die Frauen, die man zwingt, Burkas zu tragen oder die in sogenannten „Ehrenmorden“ getötet werden, sind Muslime; die Männer, die dafür, schwul geboren worden zu sein, von Häuserdächern geworfen werden, sind Muslime. Die meisten Menschen auf der Welt, die nicht einmal davon träumen dürfen, frei zu sprechen oder zu schreiben, sind Muslime. Und moderne, reformbereite Muslime möchten mehr als andere die Ursachen dieses unnötigen Leids und Konfliktes bekämpfen.

Als Reaktion auf die terroristischen Grausamkeiten der Art, wie wir sie in Paris, Nizza und Orlando beobachteten, müssen wir ehrlich anerkennen, dass wir keinen generischen Terrorismus bekämpfen, sondern einen internationalen dschihadistischen Aufstand. Die erste Abwehrlinie gegen dieses Übel sind Mitglieder der muslimischen Gemeinschaft, die sich weigern, sich das gefallen zu lassen und es werden immer zuerst jene Muslime sein. Wir müssen sie auf jede uns mögliche Weise unterstützen. Nur eine Zusammenarbeit zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen kann diese Probleme lösen. Falls Sie sich über den Terrorismus Sorgen machen, falls sie sich über die Sicherheit unserer Heimat Sorgen machen, falls Ihnen daran gelegen ist, dass wir keine unnötigen Kriege führen und nötige Kriege gewinnen, falls Ihnen Menschenrechte überall auf der Welt etwas bedeuten, dann müssen Sie im November einen Präsidenten wählen, dem es gelingt, Menschen in hundert Ländern zur Kooperation zu bewegen, um ein außerordentlich schwieriges und polarisierendes Problem zu lösen – die Ausbreitung des islamischen Extremismus. Das ist keine Aufgabe, die ein Präsident auf Twitter erledigen kann.

Ich möchte einige Worte über die Themen Einwanderung und die Umsiedlung von Flüchtlingen verlieren: Die Idee, alle Muslime aus den Vereinigten Staaten auszusperren, die mein Gegner seit Monaten verteidigt, ist so unpraktisch wie unklug. Es ist eine jener einfachen Ideen – wie eine Mauer zu bauen und elf Millionen ungewollte Arbeiter zu deportieren – die nicht einmal einen Augenblick des Zweifels überstehen. Sieht man sich die Sache rein aus sicherheitspolitischer Sicht an, dann wird klar, dass wir Muslime in unserem Land haben möchten, die sich unseren Werten verschrieben haben. Muslime wie Stabshauptmann Humayun Khan, der bei der Verteidigung seiner amerikanischen Soldatenkameraden vor einem Selbstmordattentäter im Irak sein Leben ließ. Oder dessen Vater Khizr Khan, der beim Nominierungsparteitag der Demokraten so eloquent amerikanische Werte verteidigte. Muslime, die unsere Werte teilen, sind unsere beste Verteidigung gegen Islamisten und Dschihadisten, die das nicht tun. Und das werden sie immer sein.

Wir sind auch verpflichtet, unsere Lebensart und unsere zentralen Werte zu erhalten

Das ist einer der Gründe, warum die Vereinigten Staaten so viel besser dastehen als Europa: Es ist uns viel besser gelungen, unsere muslimische Gemeinschaft zu integrieren und ihr religiöses Leben zu respektieren. Amerikanische Muslime sind überproportional häufig produktive und wohlhabende Mitglieder unserer Gesellschaft. Sie lieben dieses Land – aus einem guten Grund. Nur sehr wenige von ihnen teilen irgendeine Sympathie für die Ideologie unserer Feinde. Wir möchten säkulare, aufgeklärte, liberale Muslime in Amerika. Sie machen so sehr unsere Gesellschaft aus wie alle anderen. Und angesichts der Herausforderungen, denen wir gerade gegenüberstehen, sind sie ein unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft.

Ungeachtet der Panikmache meines Gegners ist die Sicherheit nicht unser einziges Anliegen. Wir sind auch verpflichtet, unsere Lebensart und unsere zentralen Werte zu erhalten und selbst angesichts von Drohungen. Einer unserer Werte lautet, Menschen in Not zu helfen. Und wenige Menschen befinden sich gerade in größerer Not als jene, die dem Kessel der Gewalt in Irak und Syrien zu entkommen versuchen – wo sie ohne eigenes Verschulden mit ansehen mussten, wie ihre Gesellschaften durch sektiererischen Hass zerstört wurden. Zehntausende Mädchen und Frauen wurden in einer systematischen Kampagne der sexuellen Gewalt und Versklavung vergewaltigt. Eltern haben mitansehen müssen, wie ihre Kinder gekreuzigt wurden. Das Leid dieser Menschen ist unvorstellbar und wir sollten ihnen helfen – ob sie nun Jesiden, Christen oder Muslime sind. Ich verspreche Ihnen jedoch Folgendes: Niemand wird ohne angemessene Überprüfung in unser Land gelassen. Niemand, von dem wir annehmen müssen, dass er die Werte der Freiheit und Toleranz nicht annimmt, die uns wichtig sind, wird ins Land gelassen. Ist irgendeine Prüfungsmethode perfekt? Natürlich nicht. Ich kann Ihnen aber sagen, dass wir den Krieg gegen den Terror nur gewinnen können, indem wir die Menschen stärken, die unsere Hilfe in der muslimischen Welt am ehesten brauchen.

Die Ironie an der Sache besteht darin, dass mein Gegner in diesem Wahlkampf, der glaubt, er würde die unverblümte Wahrheit über den IS und den Islam äußern, nichts getan hat, außer hetzerische und zusammenhanglose Ideen von sich zu geben, die, stammten sie von einem US-Präsidenten, die Welt sofort zu einem gefährlicheren Ort gemacht hätte. „Politisch inkorrekt“ zu sein ist nicht dasselbe wie Recht zu haben oder informiert oder auch nur bei Verstand zu sein. Es ist kein Ersatz dafür, sich wirklich für andere Menschen zu interessieren oder für die Folgen der eigenen Handlungen auf der Welt. Es ist keine Politik. Und es ist keine Strategie, um den Krieg gegen den Dschihadismus zu gewinnen oder den Ideenkampf gegen den radikalen Islam…

Übersetzung: Andreas Müller

Sam Harris ist ein amerikanischer Philosoph, Neurowissenschaftler und Buchautor. Zu seinen Werken gehören „Das Ende des Glaubens“ und „Brief an ein christliches Land“.

Sam Harris im WWW: Webseite, Facebook, Twitter

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