Über Ostern glänzte der WELT-Kolumnist Matthias Matussek mal wieder mit dem Beitrag "Was ist denn so schlecht an christlichen Werten?" Darin zieht er so sehr über Atheisten her, dass man ihm einfach einen Spiegel vorhalten muss. Man muss nur wenige Worte in seinem Text ersetzen, um ihn auf den richtigen Kurs zu bringen. Um den Witz der folgenden Zeilen zu erkennen, muss man sich also (leider) erst durch den (kurzen) Artikel von Matussek quälen.
Der Staat muss sich laut Grundgesetz weltanschaulich neutral verhalten. Das Tanzen verbietet er an Karfreitag trotzdem – aus Tradition. Das ist bedenklich. Denn eine Gesellschaft, die es nicht erträgt, dass Nicht- und Andersgläubige feiern, wenn Christen trauern, und die Unglauben nicht ernst nehmen kann, ist krank.
Nun werden wir sie wieder erleben, die wütenden, engstirnigen, mittelalten Christen, die am Karfreitag in irgendwelchen Berliner oder Frankfurter Kirchen Jesus lobpreisen und an diesem "Tag der Stille" demonstrativ ihre Trauer rauslassen. Sie nennen es beten.
Was zunächst auffällt: Sie können gar nicht beten.
Meistens ist es eine Art Gejammer zu Weihrauch mit verzerrten Gesichtern. Was daran liegt, dass sie nicht beten wollen, sondern demonstrieren. Ihr Gebet ist kein Ausdruck von Freude und Lebenslust. Sie beten aus Prinzip. Um gegen Atheismus und den säkularen Staat zu protestieren. Und meistens sprechen sie bayerisch. Oder sie schwäbeln und tragen einen gekreuzigten Wanderprediger um den Hals, was wirklich grausam ist.
Eine Gesellschaft, die Unglauben nicht erträgt
Sie beten gegen den Laizismus, der die Staatskirche abgeschafft und die Kreuze in den Klassenzimmern abgeschafft hat. Den lassen sie sich nicht bieten, diesen Eingriff in die Gemeinschaftssphäre, den die CSU (jawoll, die Sache hat politisches Profilierungspotenzial) so formuliert: "Der individuelle Unglaube Einzelner führt hier dazu, dass Andersdenkende in ihrer persönlichen, wirtschaftlichen, individuellen und kollektiven Deutungshoheit eingeschränkt werden." Nun, was den "individuellen Unglauben Einzelner" angeht: So ganz individuell sind sie nicht, immerhin bekennen sich über 36 Prozent unserer Gesellschaft als ebenfalls das Gemeinwesen finanzierende Ungläubige, die am Karfreitag den Tod von Jesus am Kreuze für irrelevant halten.
Dem alten Katholiken Matussek dagegen, der die Vorlage für diesen Beitrag formuliert hat und sich durch den Laizismus nicht nur in seiner persönlichen, sondern auch individuellen (Worin unterscheiden sich diese eigentlich?) Freiheit eingeschränkt fühlt, möchte ich nicht mal bei Tag begegnen.
Wer so was schreibt, verkennt die Realität in monströsem Ausmaß: Ostern ist keine christliche Erfindung und geht auf ein Fruchtbarkeits(!)fest zurück und sollte daher gerade alles andere als still sein.
Nun ist eine Gesellschaft, die Unglaube und Tanzen nicht erträgt, sei es individuell oder kollektiv, im Kern krank. Ebenso eine Gesellschaft, die religiöse Grundierungen allen Menschen aufzwingen will.
Doch die CSU ist ja nicht die einzige glühende Verfechterin des Karfreitagstanzverbots. Spitzenvertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), wie z.B. auch die angehende Frührentnerin Margot Käßman wehren sich dagegen, dass "der Staat im Namen einer Religionsgemeinschaft nicht mehr allen Menschen aufzwingen dürfen soll, wie sie sich an einem bestimmten Tag zu verhalten haben". Man muss sich das, in einem säkularen Land, auf der Zunge zergehen lassen: "Im Namen einer Religionsgemeinschaft" – statt im Namen des Volkes.
Die Islamverbände lachen sich schief
Die CSU, also diese Maß-voll Biertrinkenden und Lederhosenträger, die man mit allem, nur nicht mit geistiger Bewegung, rationaler Argumentation gar, in Beziehung bringt, widersetzten sich sogar dem Bundesverfassungsgericht, um die Kreuze in den Schulen hängen lassen zu können. Doch auch die Bundesrichter werden sich den Anblick kreuzfreier Schulen wohl nicht mehr antun wollen und diese – wie jüngst das Kopftuch – wohl wieder erlauben.
Interessant ist jedoch, wie sehr unser säkulares Grundgesetz in einer "immer areligiöser und pluraler werdenden Gesellschaft" trotzdem zur Debatte steht. Unsere Islamverbände lachen sich schief, weil wir ihnen die gleichen Privilegien einräumen wie den christlichen Großkirchen. Und die weltweit aus islamischen Theokratien geflüchteten Menschen verstehen nur Bahnhof: Ausgerechnet ein moderner, "westlicher", säkularer Staat organisiert Islamunterricht an den Schulen und bezahlt die Ausbildung der Theologen auf eigene Kosten?
Früher hatten die Muslime es doch noch mit wehrhaften Christen zu tun, die das Kreuzzeichen machen, nun wickeln ausgerechnet die Kirchen die Muslime in unserem System der hinkenden Trennung von Staat und Kirche in Watte. Pardon: in Staatsknete.
In eine ignorante, verfassungswidrige Schein-Gleichbehandlung, die im Ernst keinen Respekt verdient.
Wir erinnern uns nicht mehr an den Wert der Aufklärung
Christentum war früher Pflicht, doch Religionsfreiheit wurde zu unserer neuen Tradition, und aufgeklärt ist nun unser Menschenbild ("Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!"), humanistisch ist unsere Bildung, emanzipatorisch ist unsere gesamte Anthropologie inklusive der gleichen Rechte für Frauen, die erkämpft wurde (gerade auch gegen die Kirche), naturalistisch auch die Aufklärung seit Giordano Bruno – christlich war hingegen die Überzeugung, dass Ketzer, Ungläubige und Homosexuelle, an Kränen aufgehängt werden und Hexen verbrannt werden sollten – aber wir erinnern uns nicht mehr.
Wir erinnern uns nicht mehr an unseren Säkularismus – es gibt so viele religiöse Schreihälse. Zum Beispiel den Essener Bischof Overbeck mit all dem "Ohne Religion gibt es kein Menschsein."
Unsere Säkularismusvergessenheit hat jüngst das Bundesverfassungsgericht auf beängstigende Weise bestätigt, als es einem katholischen Krankenhaus erlaubte, einen Chefarzt wegen erneuter Heirat zu entlassen, mit der Begründung, dass christlichen „Loyalitätspflichten“ gegenüber individuellen Freiheitsrechten der Vorzug gebührt.
Aha?
Und wieso?
Bekennt sich nicht jedes Land zu den ihm eigenen Werten und Traditionen?
Sind wir bereits derart vertrottelt und verblödet, dass uns alles egal ist? Was ist so schlecht am weltanschaulich neutralen Staat, was so unangenehm an emanzipatorischen Freiheitsrechten, dass man sie Christentum und Islam unterordnen möchte?
Insofern ist auch das Tanzverbot am Karfreitag konsequent und wird sicher mit der nächsten Generation an Bundesrichtern ausgebaut. Danach: fromme Langweiligkeit.
Zuvor aber hätte ich den Vorschlag, dass all unsere tanzverbietenden Christen ihre Weihrauch- und Prozessionspartys bitte vorerst nicht an den klassischen „Feiertagen“ zum Wochenende ausrichten.
Kommentare
Antwort auf #1 von martin.j.aicher:
> Der Herr Steinhaus muss wirklich eine schlimme Kindheit gehabt haben, dass er so hasserfüllt ist. Als Atheist hat man so eine Pöbelsprache nicht nötig.
Haben Sie die Einleitung gelesen? Haben Sie den Text von Matussek gelesen? Ich bediene mich hier einmal der Vorgehensweise von Herrn Steinhaus.
"Der Herr Matussek muss wirklich eine schlimme Kindheit gehabt haben, dass er so hasserfüllt ist. Als Gläubiger hat man so eine Pöbelsprache nicht nötig."
Wird es so deutlicher?
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Der Herr Steinhaus muss wirklich eine schlimme Kindheit gehabt haben, dass er so hasserfüllt ist. Als Atheist hat man so eine Pöbelsprache nicht nötig.
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"Bayern und christlich..........."
Was für eine Lüge,
Bayern ist nicht christlich sondern: kirchlich
(01.10.2019)
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