Wem nützt Religionsfreiheit?

Zu den Grund- und Menschenrechten zählt auch die Religionsfreiheit. Der einzelne Gläubige aber profitiert neben seinen Grundfreiheiten auf Glauben, Meinungsäußerung, Versammlung und Vereinigung kaum von einem gesonderten Grundrecht auf Religionsfreiheit. Die Religionsgemeinschaften schon.

Wem nützt Religionsfreiheit?

François Dubois, Bartholomäusnacht 1572

Das Grundrecht auf Religionsfreiheit erscheint uns als wichtig und zentral. Das wird verständlich, wenn wir einen Blick in die Geschichte werfen. Religion und der Zwang zur Religion waren der Grund für unzählige Morde, Pogrome, Kriege, Genozide. Die Menschen sind zu allen Zeiten bereitwillig für ihre Religion oder Konfession in den Krieg gezogen, sind für sie gestorben und haben in ihrem Namen bestialische Verbrechen begangen. Die Phrase, die wir heute von Islamapologeten ad nauseam zu hören bekommen – „Das hat alles nichts mit Religion zu tun“ – hätten diese Menschen als gröbste Beleidigung empfunden. Nur die Religion konnte sowohl die erbrachten Opfer als auch die begangenen Verbrechen rechtfertigen.

Es ist eine der wichtigsten Errungenschaften der Aufklärung, dass sie Gesellschaften hervorgebracht hat, die wirklich jedem Individuum die Freiheit garantieren, zu glauben, was immer es möchte. Nachdem die Bill of Rights 1689 in England das Ende der religiös begründeten Monarchie einläutete, formulierten die USA und Frankreich im 18. Jahrhundert die Menschenrechte. Selbstverständlicher Bestandteil der amerikanischen „Bill of Rights“ war die explizite Erwähnung der Religionsfreiheit als Grundrecht, neben der Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit. 1789 stellt die französische Nationalversammlung in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte fest:

Niemand soll wegen seiner Anschauungen, selbst religiöser Art, belangt werden, solange deren Äußerung nicht die durch das Gesetz begründete öffentliche Ordnung stört.

Wenn wir Ockhams Rasiermesser auf die Grund- und Menschenrechte anwenden, dann scheint ihm die Religionsfreiheit als redundanter Zusatz zum Opfer zu fallen. Denn wenn jedes Individuum die Freiheit genießt, zu glauben und zu sagen, was es möchte, sich mit Gleichgesinnten zu versammeln und mit ihnen Vereine, Körperschaften und Parteien zu gründen, zu jedem beliebigen Thema, zu jeder beliebigen Ausformung menschlichen Interesses, mit jeder beliebigen Satzung, dann können auch Religionen gepflegt und gelebt werden, es können neue Religionen, Sekten und Kulte gegründet und Glaubensbekenntnisse verkündet werden. Das Individuum braucht das Grundrecht auf freie Ausübung seiner Religion offenbar nicht. Denn dieses Grundrecht scheint sich vollständig aus seinen anderen Grundrechten zu ergeben.

Aber ist es nicht per se gut, möglichst viele Grundrechte zu haben? Nicht unbedingt. Zwischen den Grundrechten kann es zu Konflikten kommen. Die Erklärung der Menschenrechte und auch das Grundgesetz berücksichtigen den Kompromisscharakter der Grundrechte bereits in den Formulierungen. So heißt es zum Beispiel in Artikel 2, Absatz 1 des Grundgesetzes:

„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt […].“

Der einfache, im Grunde unkontroverse Grundsatz des gesunden Menschenverstands, dass meine Rechte und Freiheiten ihre Grenzen in den Rechten und Freiheiten der anderen finden, ist also ausdrücklicher Bestandteil unserer Grundrechte. Die Probleme mit dem Grundrecht auf Religionsfreiheit entstehen jetzt natürlich dadurch, dass Religionen ganz eigene Vorstellungen darüber haben, was Recht und Gesetz ist, und dass sie von Hause aus wenig kompromissbereit sind.

Wenn die Probleme, die durch Konflikte zwischen den einzelnen Rechten entstehen, lösbar sind, dann vor allem deshalb, weil sie alle die gleiche „metaphysische“ Herkunft haben: Sie alle sind vollkommen immanente, menschliche Konstruktionen, als solche möglicherweise fehlerhaft – und notwendigerweise vorläufig. Sie können und dürfen kritisiert und müssen gegebenenfalls geändert werden. Damit sind sie das exakte Gegenteil von religiösen Geboten und Gesetzen. Deren Ursprung nämlich ist vollkommen transzendent, unmenschlich (im Sinne von übermenschlich), sie sind unverrückbar, unwandelbar – und jede Kritik an ihnen ist ein Akt der Blasphemie.

Wenn wir über die Grundrechte hinaus, die für ein Leben in Freiheit erforderlich sind, noch die Freiheit der Religion als gesondertes Grundrecht aufzählen, dann gestehen wir – bereits formal – dieser einen Ausformung menschlicher Interessen implizit das Gewicht zu, das sie ihrer Natur gemäß sich selbst bereits anmaßt. Denn wir kennen keine besondere Freiheit etwa zum Theaterspiel oder zum Karneval. So wird die historische Zwangsläufigkeit, dass Religionsfreiheit ausdrücklicher Teil unserer Grundrechte ist, schnell missverstanden als besondere Auszeichnung der Religion vor allen anderen Interessen, die Menschen haben und die ihnen auch sehr wichtig sein können. Dieses Missverständnis trägt dazu bei, dass sich religiöse Gruppen derart aufspielen und wichtig nehmen, dass sie sich erdreisten, ihre Regeln und Gebote für alle verbindlich durchsetzen zu wollen, und dass staatliche Stellen ihnen nicht entschieden entgegentreten, sondern ganz im Gegenteil diesem Druck immer wieder nachgeben.

Das Grundrecht auf Religionsfreiheit ist – wie jedes Grundrecht – ein Individualrecht. Als solches wäre es, wie gesehen, redundant. Als solches würde es wie selbstverständlich seine Grenzen an den anderen Grundrechten finden. Aber es wird nicht als solches verstanden. Dort, wo Religion übergriffig wird, dort ist auch die Berufung auf die Religionsfreiheit nicht weit. Dort, wo es zu Konflikten mit den übrigen Grundrechten kommt, sind es die Religionsgemeinschaften, die davon profitieren.

Zu diesen Konflikten kommt es vor allem am Übergang der Generationen. Eltern möchten ihre Kinder im Sinne ihrer Religion prägen, sogar markieren, religiöse Gruppen möchten ihre fantastischen Überzeugungen Kindern möglichst früh als Wahrheiten vermitteln.

Jeder darf alles glauben und alles frei äußern, aber wenn es um Kinder in einem prägenden Alter geht, haben wir strenge Regeln. Würde ein Lehrer den Kindern etwa die Geschichte aus den Matrix-Filmen – also dass wir in einer gigantischen Simulation leben und in Wahrheit von Maschinen als Ressourcen genutzt werden – als wahr vermitteln und Neo als Messias anpreisen wollen, würden Eltern sich wohl dagegen wehren. Auch einen Messias namens Harry Potter würden sie kaum als Bildungsinhalt akzeptieren. (Obwohl beide Geschichten strukturelle Ähnlichkeiten zum christlichen Mythos aufweisen.) Sie würden zurecht darauf verweisen, dass die Vermittlung von fantastischen Inhalten als Wahrheit in einem Alter, in dem Kinder dazu neigen, alles zu glauben, was Erwachsene ihnen erzählen, gegen das Recht ihrer Kinder auf freie Entfaltung der Persönlichkeit verstößt (siehe oben, GG, Art. 2). Die Meinungsfreiheit erstreckt sich nicht auf die Indoktrination von Kindern. Dazu braucht es die Religionsfreiheit.

Auch in der Beschneidungsdebatte wurde deutlich, dass die Religionsfreiheit als ein Recht ganz besonderer Art verstanden wird. In einem Konflikt zwischen zwei individuellen Grundrechten hätte ein bloß individuelles Recht auf Ausübung kultischer Handlungen keine Chance gehabt. Dann nämlich stünde das Recht eines Einzelnen, seine Religion frei auszuüben, dem Recht eines anderen Einzelnen gegenüber, alle Körperteile behalten zu dürfen. Auch das Erziehungsrecht der Eltern, denen nicht mal mehr der „harmlose Klaps“ zugestanden wird, wäre hier chancenlos gewesen. Dazu braucht es die Religionsfreiheit.

Als Individualrecht erscheint das Recht auf Religionsfreiheit redundant. Faktisch aber wird es nicht als bloßes Individualrecht interpretiert. Religiöse Körperschaften machen sich eine kollektivistische Interpretation eines individuell geltenden Grundrechts zunutze. An der Schnittstelle der Generationen dient das Grundrecht auf Religionsfreiheit der Erhaltung religiöser Traditionen und Überzeugungen, in dem es vor allem die Grundrechte von Kindern systematisch außer Kraft setzt.

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Kommentare

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    klafuenf

    Der Artikel im Grundgesetz kann abgeschafft werden.

    Die »Freiheit der Religion« ist mit:

    * Meinungsfreiheit/Pressefreiheit (Art 5 GG)
    * Versammlungsfreiheit (Art 8 GG)
    * Verbandsfreiheit (Art 9 GG)

    ausreichend abgedeckt.

    Es gibt Menschen, welche die »Religionsfreiheit« nur als »Freiheit ZUR Religion« – insbesondere ihrer Religion missverstehen; Manche verstehen darunter auch die Freiheit zu jeglicher Religion. Aber die Wenigsten verstehen unter »Religionsfreiheit« auch die »Freiheit VON Religion« – also ein Leben in Selbstbestimmung, ohne Dogmen.

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      Nick Pohl

      Antwort auf #4 von Joe Wolsing: Nein Herr Wolsing, ich halte Kritik an dieser Stelle und an vielen anderen Stellen sogar für überragend wichtig. Ich stimme mit ihren Ansichten nahezu komplett überein, mein Kommentar richtet sich lediglich gegen die Art und Weise, wie Herr Stücker Kritik übt. Die neue Beschneidungsregelung im BGB halte ich für nicht vereinbar mit dem Grundsatz der religiösen und körperlichen Selbstbestimmung. Die von ihnen angesprochenen "Lücken" sind das Resultat der gegenwärtigen herrschenden Meinung in der politischen Führungsriege. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass besagte Politiker aus Angst, sie könnten als Antisemitisch oder allgemein Intolerant dargestellt werden, die Logik aus dem Fenster schmeißen und aus Machterhaltstrieb die Rechte von Kindern mit Füßen treten. Das ist meiner Meinung nach das kritikwürdige, nicht die Grundrechte (die leider relativ schwierig zu verstehen und anzuwenden sind, weil sie obwohl wenige an der Zahl, auf einem komplexen logischen Zusammenspiel beruhen). Ein Beispiel für diese Schwierigkeit: Sie schreiben in ihrer Antwort: "(...) da das Verhältnis von Religionsfreiheit und der Freiheit anderer Weltanschauungen ganz offensichtlich ungleichgewichtig ist.". Das ist schlicht unlogisch, denn Art. 4 GG, der unter anderem die Religionsausübungsfreieheit umfasst, betrifft jede beliebige Art von weltanschaulichem Bekenntnis. Daher besteht ansich keine Ungleichgewichtung. Es stimmt jedoch, das Religionsgemeinschaften sich natürlich stärker als andere weltanschauliche Gruppen auf dieses Freiheitsgrundrecht berufen. Dies ist jedoch ihr gutes Recht. Der Schutz des Individuums vor solchen Gemeinschaften ist nur Aufgabe des Staates, wenn dabei jemand zu Schaden kommt. Ab wann ein socher Schaden rechtlich missbilligt ist, ist Sache der Politik. Das Eintreiben von Kirchensteuern und die Finanzierung von religiösen Einrichtungen durch den Staat halte ich für eine einer sekulären Republik unwürdige Praxis, die sich sogar als verfassungsrechtlich äußerst kritisch betrachten lässt. Mein Anliegen bei der Kritik und bei dieser Antwort ist letztlich: Kritik und Polemik sind extrem wichtig, jedoch ist es ein zweischneidiges Schwert, diese auf abstrakter Ebene am Recht zu üben, da dieses einerseits unglaublich prägnant und in seiner Logik bestechend, andererseits aber auch unübersichtlich und schwer zu durchdringen sein kann. Wenn man bei einem konkreten Fall Kritik an bestimmten rechtlichen Abwägungen und Regelungen übt, sieht die Sache schon anders aus - weniger Fallstricke, weniger Möglichkeiten, alles durcheinanderzuwerfen (Mal Grund-, mal Menschenrechte; die Tatsache dass das "Grundrecht auf Religionsfreiheit" anders heißt und viel mehr umfasst). Hr. Wolsing, ich kann die Punkte, die sie als kritikwürdig ansprechen absolut nachvollziehen. Nur würde ich vor Allem Herrn Stücker raten, bei der Kritik eine politische Ebene zu wählen und keine rechtliche. Ich muss sagen, ich habe mich über ihre Antwort gefreut. Ich hoffe die RDFRS kann in Deutschland zu einem Forum für Diskussionen wie diese werden.
      > Antwort auf #3 von Nick Pohl:
      >
      > Sehr geehrter Hr. Stücker,
      > ihr Artikel verfügt, obwohl er gut geschrieben ist, über einige inhaltliche Mängel.
      > 1. „Das Individuum braucht das Grundrecht auf freie Ausübung der offenbar nicht. Denn dieses
      > Grundrecht scheint sich vollständig aus seinen anderen Grundrecht...

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        Joseph Wolsing

        Antwort auf #3 von Nick Pohl:
        > Sehr geehrter Hr. Stücker,
        > ihr Artikel verfügt, obwohl er gut geschrieben ist, über einige inhaltliche Mängel.
        > 1. „Das Individuum braucht das Grundrecht auf freie Ausübung der offenbar nicht. Denn dieses
        > Grundrecht scheint sich vollständig aus seinen anderen Grundrechten zu ergeben.“
        > Rein logisch er...

        Sehr geehrter Herr Pohl, ihre Ausführungen mögen weit enger am Rechtsrahmen orientiert sein, als die von Herrn Stücker. Aber das was sie Gekabbel nennen führt in mindestens 14 Ländern dieser Erde für den Atheisten im ungünstigsten Fall zum Tode und nicht nur dort, wo es gesetzlich so geregelt ist. Sie schreiben am Ende ihre Ausführungen einem denkwürdigen Satz. Beschneidungen von Kindern sind ihrer Ansicht nach Körperverletzung. Folglich muss es wohl einige Lücken geben, den Schutz des Individuums vor Übergriffen auf Basis der Religionsfreiheit betreffend. Und Kritik in diesem Punkt ist mehr als nur angebracht, da das Verhältnis von Religionsfreiheit und der Freiheit anderer Weltanschauungen ganz offensichtlich ungleichgewichtig ist.

        Der Schutz von Religionsgemeinschaften vor Übergriffen des Staates kann nicht über dem Schutz des Individuums vor Übergriffen durch Religionsgemeinschaften stehen. Dies ist aber an vielen Stellen der Fall. Auch durch völlig ungerechtfertigte Finanzierung religiöser Institutionen, oder des Religionsunterrichts (im Gegensatz zum Ethikunterricht in einigen Bundesländern) durch Gelder, die dem allgemeinen Haushalt entnommen werden. Hier liegt vieles im argen und so ist Kritik an dieser Stelle sicherlich nicht falsch!

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          Nick Pohl

          Sehr geehrter Hr. Stücker,
          ihr Artikel verfügt, obwohl er gut geschrieben ist, über einige inhaltliche Mängel.
          1. „Das Individuum braucht das Grundrecht auf freie Ausübung der offenbar nicht. Denn dieses
          Grundrecht scheint sich vollständig aus seinen anderen Grundrechten zu ergeben.“
          Rein logisch ergibt diese Äußerung zunächst Sinn: letztendlich kann man wahrscheinlich jedes
          Grundrecht aus Art 1 - 19 GG aus beispielsweise Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde) oder Art. 2
          Abs 1 i.V.m. Art 1 Abs 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) ableiten.
          Dies bedeutet jedoch nicht, das deshalb die speziellen Grundrechte überflüssig sind! Es ist Absicht
          des Verfassungsgebers die von ihm als fundamental schützenswert empfundenen Rechtsgüter in
          speziellen Grundrechten zu kodifizieren, um einen effektiveren Schutz für den Bürger zu
          ermöglichen. Die Menschenwürde und allgemeine Handlungsfreiheit treten hinter beispielsweise
          die Religions- oder Berufsfreiheit subsidiär zurück.
          Daran ist nichts redundant, es eine eine den Grundrechten innewohnende, für die Effektivität ihres
          Schutzes zentrale Systematik.
          2. „Das Grundrecht auf Religionsfreiheit ist - wie jedes Grundrecht - ein Individualrecht. Als solches
          wäre es, wie gesehen, redundant. Als solches würde es wie selbstverständlich seine Grenzen an
          den anderen Grundrechten finden.“
          Erneut erscheint die Aussage zunächst richtig: grundsätzlich sind die Grundrechte
          Eingriffsabwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat. Jedoch erlaubt Art. 19 Abs. 3 GG bedingt
          auch die Einbeziehung von juristischen Personen (Vereine, Unternehmen) in den grundrechtlichen
          Schutz.
          Nach ständiger Rechtsprechung und teleologischer Auslegung umfasst der Schutzbereich des
          Art. 4 Abs. 1 GG (die von innen ständig erwähnte aber nie explizit zitierte Religionsfreiheit) auch
          und gerade Religionsgemeinschaften, die vor staatlichen Einflüssen geschützt werden sollen.
          Das ein Grundrecht seine „Grenzen an den anderen Grundrechten“ findet ist im übrigen eher
          selten. Die meisten Grundrechte finden ihre Schranken in allen möglichen Gesetzen, die formell
          und materiell verfassungsmäßig sind.
          Die Religionsfreiheit findet ihre Schranken in den anderen Grundrechten (kollidierendes
          Verfassungsrecht). Sie wird als zentrales Grundrecht mit einem umfassenden Schutzbereich
          verstanden, der sowohl Individuen als auch Gemeinschaften umfasst.
          3. „Die Meinungsfreiheit erstreckt sich nicht auf die Indoktrination von Kindern“
          Ich bin auch der Meinung das es moralisch verwerflich ist, Kinder zu indoktrinieren oder zu
          beschneiden (was meiner Meinung nach eine rechtswidrige Körperverletzung darstellt).
          Jedoch sind unüberlegte, vorschnelle Argumentationen ohne Kenntnis von Grundrechtssystematik
          oder -dogmatik wenig hilfreich.
          Das zentrale bei den Grundrechten ist ihre abwehrrechtliche Dimension, also die Freiheit von
          staatlichen Eingriffen bei der Lebensführung. Diese Freiheit übertrumpft das von ihnen
          aufgegriffene Gekabbel zwischen Religiösen und Atheisten, weil dadurch überhaupt die Freiheit
          entsteht, solche Debatten zu führen.
          Ein wenig mehr Feinsinn und Kenntnis der Grundrechte beim Herangehen an diese Materie wäre wünschenswert.
          Mit freundlichen Grüßen,
          Nicolas Pohl

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            Joseph Wolsing

            Vielen Dank für diese klar formulierten Worte zur Religionsfreiheit. Der Verweis auf den Artikel 2 Absatz 1 der Präambel des Grundgesetzes sollte eigentlich als Erklärung des Problems mit der Religionsfreiheit ausreichend sein. Leider fügen sie im letzten Absatz ihres Textes das zentrale Problem mit dieser Setzung hinzu. Sie wird interpretiert. Und zwar absonderlicher Weise nicht im Sinne von: Wenn die persönliche Freiheit des Einzelnen da endet, wo sie die persönliche Freiheit des anderen begrenzt, muss Ich meine persönliche Freiheit so eingrenzen, dass die persönliche Freiheit des anderen gewahrt bleibt, sondern - der andere hat gefälligst seine persönliche Freiheit so einzugrenzen, dass ich meine persönliche Freiheit ausleben kann.

            Nirgendwo wird dies deutlicher als im Zusammenspiel von Religionen und Individuen. In praktisch jedem Diskurs zwischen areligiösen Menschen und Gläubigen taucht irgendwann die Aufforderung an die Nichtgläubigen auf sich doch einzuschränken, da es ja ein Recht auf Religionsausübung gibt. Die Tatsache, das sich aus diesem Recht in den meisten Fällen Konsequenzen für alle Menschen ergeben, weil die Setzungen in religiösen Traditionen und Riten Verhaltensweisen beinhalten, die auf die Gemeinschaft ausgedehnt sind, wird dabei getrost ignoriert. Meiner Ansicht nach wirkt hier noch die Tatsache zeitlich nach, dass es bis vor nicht all zu langer Zeit in den meisten Fällen so war, dass Gemeinschaften (Dörfer, Orte, Städte) bezüglich der Religionszugehörigkeit der Mitglieder der Gemeinschaften größtenteils homogen waren. Die wenigen Ausnahmen stellten keine echte Gefahr dar und wenn auch nur der Verdacht aufkam, sie könnten doch einen zersetzenden Einfluss haben, wurden sie mit roher Gewalt eliminiert.

            Heute ist jedoch der Begriff der Gemeinschaft weit ausgedehnter als nur das Dorf, oder die Stadt und die (Lebens)Gemeinschaften sind sehr heterogen. Die Machtansprüche religiöser Vereinigungen die sich letztlich durch die Handlungen ihrer Mitglieder manifestieren sind massiv in Gefahr verloren zu gehen. Da wir jedoch im Zeitalter nach der Aufklärung leben, ist es diesen Vereinigungen nicht mehr möglich, ihre Machtansprüche einfach so durchzusetzen, wie das bisher der Fall war. Dort wo die Aufklärung nie statt gefunden hat, wird dies jedoch genau so weiter betrieben.

            Der Konflikt zwischen Islam und den anderen Monotheismen spiegelt dies deutlich wieder. So fühlt sich das Christentum hier bedrängt, weil es sieht, dass sich der Islam den Folgen der Aufklärung nicht verpflichtet fühlt und entsprechend seine Mitglieder weiterhin geradezu mittelalterlichen Vorstellungen unterliegen und auch so handeln.

            Es wäre an der Politik dies zu korrigieren. Die Abschaffung des "Blasphemieparagrafen" wäre ein Schritt in diese Richtung. Der Verzicht auf die Berufung auf sog. christliche Werte und das eindeutige Bekenntnis zu säkularen Werten, die im Diskurs zum Wohle aller und nicht nur bestimmter Subgemeinschften ausgehandelt wurden, wäre ein anderer.

            Schon die immer wieder auftauchende Kritik bezüglich der Freiheit der Meinungsäußerung, wie sie seit dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo erfolgt, "Satire dürfe zwar alles, solle dies aber nicht, um nicht Gefühle bestimmter Gruppen zu verletzen", zeigt ein Missverständnis der Aufgabe von Satire und des tieferen Sinnes der Meinungsfreiheit. Die Erkenntnis, dass die Regeln die wir aufstellen um das Miteinander zu gestalten muss der Kritik offen stehen. Seien sie nun politischer, religiöser oder auch ökonomischer Natur. Religion darf hier keine Ausnahme darstellen.

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