Wer verharmlost was?

Lassen Sie mich nur einen Nachsatz zu meinem Artikel „Gibt es emotionale Sperrgebiete, wo sich die Vernunft nicht blicken lassen darf?“ anfügen. Ich verwende das Beispiel der Pädophilie, aber genau das gleiche könnte zu Vergewaltigung unter Erwachsenen angeführt werden. Es geht um angebliche Verharmlosung.

Wer verharmlost was?

Ich habe kurz erklärt (in „Appetite for Wonder), dass ich als kleiner Junge das Opfer eines pädophilen Lehrers auf dem Squash-Platz der Schule wurde. Er zog mich auf seine Knie, steckte seine Hand in meine Shorts und befingerte mich etwa eine halbe Minute. Es war sehr unangenehm, aber es hat mein Leben nicht ruiniert, und ich hatte die Kühnheit, dies in meinen Memoiren und anderswo zu sagen. Ich hatte die Frechheit, meine Erfahrung herunterzuspielen und anzudeuten, dass es schlimmer hätte sein können. Der Lehrer hätte, zum Beispiel … nun ich will keine Details ausmalen, aber jeder kann einige der entsetzlichen Dinge einfügen, die anderen Kindern beiderlei Geschlechts passiert sind.

Aufruhr im Taubenschlag, die Meute stürzt sich auf das freie Denken. „Dawkins hat erst gerade gesagt – ich mache keinen Scherz –, dass seine Erfahrungen auf dem Squash-Platz nicht das schlimmste war, das ihm je passiert ist. Wow, einfach nur wow! Wo war er die letzten paar Jahre? Weiß heute nicht jeder, dass es KEINE Abstufungen gibt? Alle Fälle sind gleich schlimm. Wie kann er es wagen, den Horror des pädophilen Angriffs zu verharmlosen?“

Aber lassen Sie uns darüber nachdenken. Wer genau verharmlost hier etwas? Angenommen, ich hätte gesagt, was meine Kritiker offenbar wollten, dass ich es sage, nämlich, dass meine Erfahrungen auf dem Squash-Platz zu den schlimmsten Dingen gehören, die mir je widerfahren sind? Ich könnte mir die darauf folgende scharfe Erwiderung eines anderen Pädophilieopfers vorstellen: „WAS? Das kann nicht ihr Ernst sein. Als ich ein Kind war, wurde ich auf schmerzhafte Weise von meinem Vater vergewaltigt, Woche für Woche, jahrelang, und ich war zu entsetzt, es jemandem zu erzählen. Wie können Sie es wagen, ihre 30 Sekunden Erfahrung des Unwohlseins und der momentanen Verlegenheit mit einem Lehrer, der ihnen, im Gegensatz zu meinem Vater, nichts bedeutet, anzuführen und damit meine fünf Jahre Elend und Verrat verharmlosen? Erkennen Sie ihr Glück, Dawkins, und schauen Sie sich genau an, wie WIRKLICHER Kindesmissbrauch aussieht.“

Nun, ich hoffe, niemand sagt dies tatsächlich. Es sollte keine Rivalität um Opferstatus geben, und es tut mir leid, dass ich einmal über amerikanische Frauen, die sich über Belästigung beschweren, etwas Ähnliches gesagt und sie eingeladen habe, über das Leiden nachzudenken, welches muslimische Frauen im Vergleich zu ihnen erdulden müssen. Aber vielleicht wird deutlich, worum es mir geht. Wenn wir (angesichts der allgemeinen juristischen Praxis) darauf bestehen wollen, dass alle Arten von Sexualverbrechen gleich schlimm sind, müssen wir vielleicht genauer hinsehen, wer hier was verharmlost.

 

Übersetzung von: Joseph Wolsing

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Kommentare

  1. userpic
    Gast

    Negative Erfahrungen sind stets auch individuell zu betrachten. Was für den einen keine gravierenden Auswirkungen hat, kann für die andere das Leben nachhaltig beeinflußen. Im wesentlichen gebe ich jedoch Richard Dawkins recht, dass man es nicht allen recht machen kann. Es darf keinen Wettbewerb unter den Opfern geben, den dies würde zwangsläufig zur Gewichtung und möglichen Verharmlosung führen. Damit ist niemanden geholfen.

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