Religion spricht eher die Emotionen an als die Vernunft.
Je mehr Bildung ein Mensch erhält, umso wahrscheinlicher ist es, dass er Atheist wird (1). Nichtglaube steigt ebenfalls mit Intelligenz und Einkommen. Die Einwohner von gebildeteren Ländern empfinden Religion als weniger wichtig in ihrem täglichen Leben (2).
Wieso sind hochgebildete Menschen mit höherer Wahrscheinlichkeit Atheisten? Es gibt zwei Erklärungsmöglichkeiten. Entweder mangelt es religiösen Menschen an der Fähigkeit zur Skepsis, oder sie entscheiden sich für blindes Vertrauen in den Glauben und übernehmen dasselbe Glaubenssystem wie die Glaubensgemeinschaft, in der sie sich befinden.
Die Weihnachtsmann-Analogie
Wenn man von mangelnder Skepsis ausgeht, haben gebildete Menschen eine höhere Fähigkeit zu kritischem Denken. Sie unterziehen die Aussagen von religiösen Lehrern einer intensiveren, skeptischen Prüfung. Das ist so ähnlich, wie wenn sich ältere Kinder fragen, wie ein dicker Mann durch einen 25 Zentimeter weiten Kamin passt, um dann magischerweise in der Nähe des Weihnachtsbaums aufzutauchen, mit Geschenken, die in jeder Dimension mehr als 30 Zentimeter messen. Ältere Kinder verbinden diese Absurditäten mit verdächtigen Aktivitäten der Eltern und ziehen daraus den Schluss, dass der Weihnachtsmann eine Farce ist, die von den Eltern für ihre Kinder aufgeführt wird.
Die Erklärung, es sei eine Frage mangelnder Skepsis, ist zwar logisch, befriedigt aus verschiedenen Gründen jedoch nicht vollständig. Die Fähigkeit zur Vernunft bedingt nicht immer religiösen Zweifel, wie man an herausragenden Wissenschaftlern der vergangenen Epochen sieht, die größtenteils fanatisch religiös waren. Auf vergleichbare Art legen in religiösen Ländern die Menschen den Glauben an den Weihnachtsmann ab, wenn sie älter werden, sind aber weiterhin in ihrem religiösen Gedankengut gefangen. Also ist mehr als Skeptizismus nötig, um Menschen von ihrem religiösen Glauben abzubringen.
Wieso verwerfen religiöse Menschen einige nicht plausible Glaubensinhalte, halten aber an anderen fest? Vielleicht, weil sie von ihrem Glauben, an dem sie festhalten, etwas bekommen. Wenn ein Mensch erwachsen wird, wird er nicht mehr von seinen Eltern während der Feiertage mit Geschenken überschüttet, so dass er keinen Grund mehr hat, weiter am Irrglauben des Weihnachtsmanns festzuhalten.
Wenn religiöser Glaube für Erwachsene also keinen greifbaren Nutzen abwirft, vielleicht ziehen sie dann emotionale Belohnung daraus. Die emotionalen Aspekte des religiösen Glaubens können bestehen bleiben, trotzdem sich die Fähigkeit zum vernünftigen Denken weiterentwickelt hat. Religiöse Glaubensinhalte und Rituale geben Erwachsenen vielleicht weiterhin ein gutes Gefühl. Glaube und Unglaube sind eher den Gefühlen als der Vernunft geschuldet.
Wieso sollte man die emotionalen Aspekte religiösen Glaubens über die kognitiven oder intellektuellen Aspekte stellen? Eine Möglichkeit ist, dass die Religion wie eine Art emotionale Bewältigungsstrategie wirkt. Sie stellt eine Abwehr gegen die Schwierigkeiten und Enttäuschungen im Leben dar.
Der emotionale Anker
Wenn Religion im Grunde ein Vorgang zur Bewältigung unliebsamer Emotionen ist, dann ist sie dort am nützlichsten, wo das Leben am schwierigsten ist, wie in den von Krankheit und Armut heimgesuchten Ländern der Sahara, und dort am wenigsten nützlich, wo die Lebensqualität am höchsten ist, so wie im gottlosen Europa.
In Ländern mit niedrigerem Bildungsstand ist der Lebensstandard niedrig. Es gibt eine Menge chronischer Krankheiten und früher Todesfälle. Die Säuglings- und Kindersterblichkeit ist hoch. Die Bevölkerung ist Dürre, Hunger und Naturkatastrophen wehrlos ausgeliefert. Die meisten Menschen haben es elendig schwer, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Regierungen sind korrupt und normale Menschen sind Spielball von Verbrechern und selbsternannten Machthabern. Natürlich herrscht womöglich auch wenig Religionsfreiheit, so dass Agnostiker dazu gezwungen sind, sich bedeckt zu halten.
Weil sie keine wirkliche Lösung für ihre vielen Probleme haben, wenden sich die Bewohner wenig entwickelter Länder der Religion zu, um dort Antworten zu finden. Der klarste Beweis dafür ist die Tatsache, dass in armen Ländern mit niedrigem Lebensstandard beinahe jeder die Religion als für sein Leben wichtig betrachtet.
Wenn der Lebensstandard steigt, gibt es weniger unangenehme Situationen, die die Menschen nicht unter Kontrolle haben, und daher gibt es dann auch weniger Nachfrage nach Religion. Mit steigender Lebensqualität in entwickelten Ländern sinkt die Bedeutung der Religion. Wenn man die Zukunft betrachtet, wird religiöser Glaube voraussichtlich weltweit allmählich zurückgehen, weil der Lebensstandard durch die rapide wachsende ökonomische Entwicklung steigen wird.
1. Lynn, R., Harvey, J., & Nyborg, H. (2009). Average intelligence predicts atheism rates across 137 nations. Intelligence, 37, 11-15.
2. Barber, N. (2012). Why atheism will replace religion: The triumph of earthly pleasures over pie in the sky. Als E-book erhältlich: http://www.amazon.com/Atheism-Will-Replace-Religion-ebook/dp/B008..
Übersetzung: Erwin Nüßler, Daniela Bartl
Kommentare
Mir erscheint die Aussage in der Überschrift als eine Selbstverständlichkeit. Mir ist von Kindheit an der Eindruck vermittelt worden, dass es sich bei religiösem Glauben um einen eigentümlichen Defekt von primitiven Wilden in Urwald oder Wüste handelt, der u.a. mit gefährlicher Mordlust einhergeht.
Erst sehr spät wurde mir klar, dass solche Vorstellungen nicht p.c. sind, aber bis heute sind mir m.W. keine religiösen Menschen begegnet - in meinem naturwissenschaftlich geprägten Umfeld kommen offenbar keine vor. Auch die mir bekannten christlichen Pastoren glauben nicht an die Existenz von Märchenfiguren, sondern sehen sich einfach als Sozialarbeiter oder dergl. mit besonders sicherem Arbeitsplatz.
marstal08
Antworten
Ich tippe darauf, dass die Kausalkette beim Skeptizismus beginnt. Wer schon als Kind auf die Frage »Warum« die Antwort »ei darum« oder »das macht man halt so« NICHT akzeptiert und niemals aufhört zu fragen, lernt ständig Neues.
Das Neue muss auch einsortiert und verarbeitet werden. Richtiges, haltbares Lernen bedeutet immer abstrahieren und reduzieren der Merkmale, so dass man am Ende sein Wissen auf grundlegende Prinzipien aufbaut, aus denen man sich beliebige Schlüsse durch Logik herleiten kann.
Wer so tickt, der findet die scheunentorgroßen Löcher in der Logik von religiösen Erklärungen geradezu sch(m)erzhaft groß bis der Schmerz so groß ist und nur noch ein »BULLSHIT« aus Verbalschnittstelle akustisch emittiert wird.
Antworten
Religion spricht ausschließlich die Emotionen an. Niemand kann an Ideologien wie diese mit dem Verstand ran gehen, ohne dahinter zu kommen, dass jegliche Evidenz bei dieser Weltsicht fehlt. Das bedeutet jedoch im Umkehrschluss keineswegs, dass Menschen die ihren Verstand benutzen, nicht auch emotional sein können! Das ist ein schales Argument jener, die sich weigern beim Thema Religion ihren Verstand zu benutzen - eine sehr bequeme Art und Weise die Welt zu sehen ...
Antworten
Schon die in der Überschrift zum Ausdruck kommende Feststellung lässt sich für Deutschland durch wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen.
Der Religionssoziologe DETLEF POLLACK, Universität Münster, kommt in einer Studie aufgrund repräsentativ erhobener Daten zu dem Ergebnis, dass Konfessionslosigkeit überdurchschnittlich oft zusammen mit den Merkmalen männlich, hochgebildet, Stadtbewohner, Besserverdiener auftritt. Der Befund lässt wohl klar die Deutung zu, dass von diesen Befragten ein Gegensatz empfunden wird zwischen Glauben und Wissen. Von diesen Konfessionslosen stimmten ferner drei von fünf der Aussage zu: »Ich glaube nicht, dass es einen persönlichen Gott, irgendein höheres Wesen oder eine geistige Macht gibt«. (uwelehnert.de)
(Quelle: Detlef Pollack: Rückkehr des Religiösen? Studien zum religiösen Wandel in Deutschland und Europa II. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2009. Siehe auch unter: http://www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/)
Antworten
"Religionen sind wie Leuchtwürmer. Sie bedürfen der Dunkelheit, um zu leuchten."
-Schopenhauer-
Antworten
Zitat: „Eine Möglichkeit ist, dass die Religion wie eine Art emotionale Bewältigungsstrategie wirkt.“
Diese Strategien werden auch "Coping-Strategien" genannt.
Weiterführende Literatur: Religionsethik, Dagmar Fenner
Religiosität floriert bei unsicheren Lebensverhältnissen, während der Säkularismus mit größerer Sicherheit und Lebensqualität einhergeht (Quelle 6, vgl. S. 103). Anders ausgedrückt stellen wohlhabende und egalitäre Gesellschaften ihre Bürger seltener vor existenzielle Lebensrisiken und bieten offenbar weniger Anlass im Glauben Halt zu suchen.
Quelle: https://de.richarddawkins.net/articles/gott-im-fadenkreuz-eine-rezension
Antworten
Neuer Kommentar