Willkommen im Zeitalter der Verleugnung

1982 ergaben Umfragen, dass 44 Prozent der Amerikaner glaubten, Gott hätte die Menschen in ihrer heutigen Gestalt erschaffen. 30 Jahre später beträgt der Anteil der Kreationisten in der Bevölkerung 46 Prozent.

 

Willkommen im Zeitalter der Verleugnung

Chloé Poizat

1989, als der Begriff „Klimawandel“ gerade ins Lexikon aufgenommen worden war, verstanden 63 Prozent der Amerikaner, dass es sich dabei um ein Problem handelt. Fast 25 Jahre später ist dieser Anteil etwas niedriger, bei 58 Prozent.

Die Zeitachse dieser Umfragen zeichnet meine wissenschaftliche Karriere ab. 1982 war ich Physikstudent, 1989 absolvierte ich mein Diplom. Es war mein Traum, in einem Vierteljahrhundert Professor der Astrophysik zu sein, der eine neue Generation von Studenten an das machtvolle, jedoch schwierige Handwerk der wissenschaftlichen Forschung heranführt.

Vieles von diesem Traum hat sich erfüllt. Doch anstatt meine Studenten in eine Welt zu entsenden, die das Neueste feiert, was die Wissenschaft zu bieten hat, übergebe ich sie einer Gesellschaft, die den Früchten der Wissenschaft zwiegespalten, wenn nicht skeptisch gegenübersteht.

Diese Welt würden die Wissenschaftler, die mit mir ausgebildet wurden, nicht wiedererkennen. Viele von ihnen arbeiteten am Manhattan Project mit und halfen danach dabei, die Technologien zu entwickeln, die den Aufschwung des Nachkriegsamerikas vorantrieben. In dieser Ära in der Mitte des 20.  Jahrhunderts konnte man von den Politikern erwarten, die Wissenschaft entweder finanziell zu unterstützen, oder sie in Ruhe zu lassen. Das Lysenkoism-Desaster, welches wissenschaftliche Wahrheit durch kommunistische Ideologie verzerrte und vor allem die russische biologische Wissenschaft zerstörte, war noch frisch in Erinnerung.

Der Triumph der westlichen Wissenschaft ließ die meisten meiner Professoren glauben, dass Fortschritt unvermeidlich ist. Während der Kompromiss zwischen wissenschaftlicher und politischer Kultur hin und wieder herausfordernd war – zum Beispiel die Debatte um die Atommacht der 70er-Jahre – wurden die Kämpfe mit wissenschaftlichen Beweisen ausgetragen. Das Säen von Zweifel blieb ein festes Tabu.

Indes ist es heute politisch effektiv und sozial akzeptabel, wissenschaftliche Fakten zu leugnen. Um genau zu sein war „Kreationismus“ im amerikanischen Denken während der meisten Zeit des 20. Jahrhunderts wenig geläufig. Doch seit meiner Studentenzeit hatte ein kapitalkräftiges Bestreben diese Ideologie gekonnt in „Kreationswissenschaft“ umbenannt und sie in die Klassenräume des ganzen Landes gestossen. Trotz der transparenten Unwissenschaftlichkeit wurde das Leugnen der Evolutionstheorie zur Nagelprobe für einige konservative Politiker, sogar auf höchster Ebene.

In der Zwischenzeit hatten Klimaleugner, die Seiten aus dem Drehbuch der Kreationisten heranzogen, Zweifel bezüglich grundlegender Sachverhalte der Klimawissenschaft gesät, welche vor Jahrzehnten als wissenschaftlich fundiert galten. Und Impfgegner-Aktivisten spielten ein paar schon lange diskreditierte Studien hoch, um unbelegte Behauptungen über Verbindungen zwischen Autismus und Impfungen aufzustellen.

Die Liste lässt sich fortführen. North Carolina hatte staatlichen Planern verboten, Klimadaten für ihre Prognosen der zukünftigen Stände des Meeresspiegels zu verwenden. Es hatten so viele Eltern aus Oregon Impfungen abgelehnt, dass der Staat das Aufnahmeverfahren für den Schuleintritt überarbeitete. Und all das geschieht in einer Kultur, die sich weniger mit Wissenschaft und Technik als intellektuelles Streben beschäftigt als zu irgendeiner anderen Zeit, an die ich mich erinnern kann.

Deshalb, und weil unsere alltäglichen Erfahrungen vom technologischen Fortschritt abhängig geworden waren, haben viele unserer politischen Führer den Kompromiss der Nachkriegszeit zugunsten dessen aufgegeben, was Michael Mann die „Verwissenschaftlichung der Politik“ nennt.

Was sage ich meinen Studenten? Von dem einen Ende ihrer Bildungslaufbahn zum anderen erzählte unsere Gesellschaft diesen Kindern, dass Wissenschaft unwichtig ist. Wie verwirrend ist es nun für sie, wenn Wissenschaftler Todesdrohungen erhalten, weil sie einfach nur aufrichtige Forschung zu der Klimageschichte unseres Planeten betreiben?

Die Amerikaner erhofften für ihre Kinder immer, einer strahlenderen wirtschaftlichen Zukunft entgegenzusehen, und wir Wissenschaftler erhofften für unsere Studenten, dass sie eine Welt erben würden, in der Wissenschaft von einem immer größer werdenden Teil der Bevölkerung begrüßt wird. Das beinhaltete niemals, Wissenschaft zu einer Religion zu machen oder eine sklavische Akzeptanz der neuesten Forschungstrends zu fordern. Wir stehen als Gesellschaft vielen gewaltigen Herausforderungen gegenüber, die nicht alle mit mehr Wissenschaft und Mathematikunterricht zu lösen sein werden. Doch was verlorenging ist ein Verständnis dafür, dass die offenen, evidenzbasierten Prozesse der Wissenschaften – mehr als nur ihre Ergebnisse -  essenziell sind, um diesen Herausforderungen zu begegnen.

Die Generation meines Professors könnte auf so etwas Dummes wie den Kreationismus mit kopfkratzender Nachdenklichkeit reagieren. Meine Studenten können sich diesen Luxus nicht leisten. Stattdessen müssen sie zu leidenschaftlichen Kämpfern für die Wissenschaft werden auf dem Marktplatz der Ideen.

Während meiner Studentenzeit war ich schockiert über die Geringschätzung, die einige meiner Professoren dem Astronomen Carl Sagan entgegenbrachten. Für mich waren seine Versuche, Wissenschaft breiteren Kreisen zugänglich zu machen, eine Inspiration, doch sie sahen solch eine „Reichweite“ als Missbrauch an. Diese Ansicht ergibt heute keinen Sinn.

Der Enthusiasmus  und die großzügige Art, mit der sich Mr. Sagan für Wissenschaft einzusetzen pflegte, müssen uns heute alle inspirieren. Es müssen Wissenschaftsfeeds auf Twitter und Blogs betrieben werden, Wissenschaftsfestivals in den Städten und Wissenschaftsausstellungen an Oberschulen benötigen unseren Einsatz. Für Nichtwissenschaftler mit Bürgersinn gibt es Mitwirkungsmöglichkeiten im Schulelternbeirat (im Orig. "school board", Anm. d. Übers. ) sowie Langzeit-Klimaschutzpläne, die nach der Beteiligung informierter Bürger schreien. Und für jeden Eltern-  und Grosselternteil gibt es die Gelegenheit, mit ihren Kindern das Wissenschaftsmuseum etwas öfter zu besuchen.

Abgesehen von den riesigen Teilchenbeschleunigern und Weltraumobservatorien ist Wissenschaft ein Weg, sich in der Welt zu verhalten. Sie ist, einfach ausgedrückt, eine Tradition. Und wie wir von den dunkelsten Momenten der Geschichte wissen, können auch die aufgeklärtesten Traditionen zerbrechen und verlorengehen. Vielleicht ist das die wichtigste Lektion, die alle lebenslangen Studenten der Wissenschaft jetzt lernen müssen.

 

Adam Frank, Professor für Physik und Astronomie an der Universität in Rochester, ist der Autor von „About Time: Cosmology and Culture at the Twilight of the Big Bang” und Gründer des „13.7 Cosmos and Culture blog“ von NPR.

Übersetzung: Elisabeth Mathes , Daniela Bartl

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Kommentare

  1. userpic
    Bernd Kammermeier

    Dieser hochinteressante Artikel hat mich erinnert an meinen eigenen Kampf, den ich auf ganz anderer Ebene führen muss. Ich hatte beruflich sehr viel mit wissenschaftlichen Dokumentationen im TV zu tun. Heute hat sich dies aufgrund geänderter Produktionstechniken in den Museumsbereich verlagert. Das wurde ein Gang vom Regen in die Traufe.

    Zunächst das Fernsehen, im Wesentlichen das ZDF. Dort durfte ich untergegangene, antike Welten wieder in Form stimmungsvoller Modellanimationen (mit echten Modellen und computergesteuerter Filmkamera) sichtbar machen - und kämpfte dabei hin und wieder mit hanebüchenen Drehbüchern, die jedes Wikipedia-Niveau problemlos unterschritten. Hier wurde im Namen der populistischen Breitenwirkung nicht nur vereinfacht, sondern verfälscht. Die Gradwanderung, die Carl Sagen kongenial meisterte, wurde dort missverstanden als Freibrief, alte, unüberprüfte Mythen als Tatsachen zu verkaufen. Der Zuschauer wird's nicht merken.

    Jetzt erlebe ich den umgekehrten Effekt: In Museum arbeiten oft Puristen, die keinen Sinn für die Bedürfnisse des normalen Bürgers haben. Wenn ich ein ruiniertes Gebäude rekonstruiere, dann ist alles zeit- und bauhistorisch stimmig, aber letztlich nicht beweisbar. Allerdings "leben" meine Modelle, zeigen Witterungsspuren und Vegetation, tierische und menschliche Aktivitäten. Das lässt Kinderaugen größer werden und die Eltern staunen. Meine Modelle sind liebenswerte Miniaturen aus einer anderen Zeit, die dem Besucher eine Anmutung geben, wie die Welt einmal ausgesehen haben könnte.

    Doch viele Kuratoren oder Fachwissenschaftler in Museum oder Instituten sind skeptisch bei dieser Art anschaulicher Präsentation, weil nicht alles 100% abgesichert ist. Mein Argument, dass bei einer eventuell fehlerhaft gezeigten Mauerhöhe die Welt nicht untergeht, stößt oft genug auf taube Ohren. In renommierten Museen stehen deshalb diese aalglatten, weißgetünchten Modelle, reduziert, leb- und lieblos, die kaum zum Verweilen animieren, nicht die Fantasie des Betrachters anregen. Hier verschenkt meiner Meinung nach die Wissenschaft eine große Chance, ihr innewohnendes Faszinosum an ganz normale Bürger zu vermitteln, um sie für die Welt der Entdeckungen zu begeistern. Mut fehlt auf Seiten der Wissenschaft.

    Der Kreationismus hat hier weniger Skrupel: Da man sich im Besitz der absoluten Wahrheit wähnt, kann man klotzen, siehe Ken Hams Monumentalmuseum. Das ist spekulativ und spektakulär, genau nach dem Geschmack der meisten Menschen. Das sie hier den Rattenfängern von der Volksverdummungsfront in die breit geöffneten Arme laufen verwundert mich nicht.

    Mein Traum ist, dass Museen - wie dies hin und wieder der Fall ist, aber noch viel zu selten - mit größerer Selbstsicherheit auftreten und dabei lediglich einen Satz beherzigen, den mir einst ein befreundeter Archäologieprofessor am Beginn unserer Zusammenarbeit nahebrachte: "Wir wissen zwar oft nicht, wie es aussah, aber wir wissen genau, wie es nicht aussah!" Entlang dieses Mottos kann eigentlich nichts passieren. Die Ergebnisse sind ausreichend abgesichert und doch spektakulär genug, um Menschen die zentrale Botschaft zu vermitteln: "Wissenschaft ist auf dem richtigen Weg!"

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    1. userpic
      Joseph Wolsing

      Wir leben in verwirrenden Zeiten für all jene, die nicht in der Lage sind komplexe Sachverhalte aufzunehmen, oder zu verstehen. Ideologie gleich welcher Art ist hier ein extrem gefährlicher Platzhalter geworden. So wie Evolutionslehre und Astrowissenschaften der Religion gefährlich geworden sind, wird der Klimawandel dem neuesten ideologischen Zweig, der Ökonomie gefährlich. Die Politik, die zwar auch ideologische Züge tragen kann, aber in erster Linie ein Machtspielchen ist und deshalb mit der jeweils gerade vorherrschenden Ideologie ins Bett steigt, traut sich nur selten gegen solche Strömungen anzugehen und der Evidenz zu ihrer Bestimmung zu verhelfen.

      Die Tatsache, dass mit steigenden Wissensgrad die Komplexität der uns umgebenden Welt immer deutlicher wird, unterfüttert demagogische Motive und Handlungsweisen noch. Am auffälligsten wird dies für mich dort, wo von Seiten der Ideologie, der Wissenschaft vorgeworfen wird selbst eine zu sein. Ein Erkenntnismangel bezüglich der Zielsetzung und der Vorgehensweise wissenschaftlicher Arbeit ist gleichbedeutend damit, den Wert dieses Instruments zur Bildung der Weltanschauung nicht zu erkennen und es dementsprechend nicht einzusetzen. Die lange Zeit der wissenschaftlichen "Arroganz" sich im Elfenbeiturm zu verschanzen, zeigt jetzt ihre Wirkung und um so notwendiger werden Projekte wie die, von Dr. Dawkins als erstem Britischen Wissenschaftler besetzte Professur für Allgemeines Verständnis der Wissenschaft. Kommunikation der wissenschaftlichen Methode und Inhalte ist von vitaler Bedeutung, wenn es darum geht, auf nichts als bloßen Behauptungen basierenden Ideologien entgegen zu treten.

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