Zu der vermeintlichen Verpflichtung von Atheisten, sich für die Morde in Chapel Hill, USA rechtfertigen zu müssen

Seit längerem versuche ich, mich aus Debatten zwischen Gläubigen und denen, die die Annahme einer Gottheit, wie sie uns die zahlreichen Religionen dieser Welt nahe bringen wollen, heraus zu halten. Debatten dieser Art sind bezüglich ihrer Sinnhaftigkeit äußerst fragwürdig und erinnern mich ihres Ablaufs wegen mehr an Debatten, ob nun Rot oder Grün schöner, Rock oder Klassik besser sei.

Zu der vermeintlichen Verpflichtung von Atheisten, sich für die Morde in Chapel Hill, USA rechtfertigen zu müssen

Leider ist der Hintergrund der Debatten jedoch wesentlich ernster und die impliziten Aspekte religiösen Glaubens in den Gesellschaften zwar graduell verschieden, für Menschen, die die Gottesvorstellung ablehnen aber immer von Belang. Leider tendieren Religionen dazu, ihre Vorstellungen auch auf das allgemeine öffentliche Leben auszudehnen. Daher werden diese Debatten wohl so schnell auch nicht enden.

Die Erschießung der drei Moslems Deah Shaddy Barakat, seiner Frau, Yusor Mohammad Abu-Salha, und ihrer Schwester, Razan Mohammad Abu-Salha, in Chapel Hill hat jedoch Reaktionen, sowohl in den sozialen Netzwerken, als auch in den herkömmlichen Medien Radio, Fernsehen und Druckmedien hervorgebracht. Eine Auseinandersetzung mit diesem an sich für mich schon leidigen Thema rückt dadurch wieder in den Fokus.

Der Vorwurf, der Atheismus sei für die Morde verantwortlich, wird vielfach laut. Er ist einer, der sich zäh in der Vorstellung von Gläubigen aller Konfessionen hält, und in der Tradition steht, dass dies auch für die Verbrechen von Adolf Hitler, Josef Stalin, Mao oder Pol Pot gilt. Grundlage dieser Ansicht ist der Gedanke, dass ohne Religion keine Moral existieren kann. Dann nämlich, sei der Willkürlichkeit Tür und Tor geöffnet und jede beliebige Handlung rechtfertigbar. Grundlegende Fehlannahme hierbei ist jedoch die Vorstellung, Atheismus sei selbst eben auch nur eine von vielen Weltanschauungen, ja sogar selbst ein Glaubenssatz im Sinne einer Religion.

Der Mörder von Chapel Hill gilt als bekennender Atheist und hat wohl auf einschlägigen Internetseiten (u. a. auf der Seite der Richard Dawkins Foundation) seine Ablehnung von Religion Kund getan. Aus dieser Tatsache ergibt sich die Annahme vieler Gläubiger, Atheismus sei gleichbedeutend mit einem Hass auf Religion. In Erwiderung auf Beiträge und Schriften vieler bekennender Atheisten wird dies eindeutig so formuliert. So zum Beispiel auf die von Richard Dawkins und Karl-Heinz Deschner.

Nun bin ich auch bekennender Atheist. Ich lehne die Existenz eines Gottes, der das Universum, wie wir es kennen und verstehen erschaffen hat ab, weil sich mir nicht der Hauch eines Belegs dafür erschließt. Ich glaube so wenig an einen der mir bisher präsentierten Götter, wie ich nicht an die Zahnfee, oder den Klabautermann glaube. Weshalb sollten die heilige Dreifaltigkeit, Jahwe, oder Allah plausibler sein, als Zeus, Odin oder Baal?

Doch auch wenn mich diese Haltung mit dem Mörder von Chapel Hill verbindet, so ist das auch schon die einzige Gemeinsamkeit, die wir haben. Da mir nichts ferner liegt, als Gläubige ganz gleich welcher Konfession ihres Glaubens wegen zu ermorden, stellt sich mir die Frage, ob sein Atheismus tatsächlich die Basis dieser unsäglichen Handlung ist, oder ob der Grund dafür nicht an anderer Stelle gesucht werden muss.

Der oben bereits erwähnte Denkfehler, die Ablehnung theistischer Vorstellungen als eine Weltanschauung zu betrachten, scheint nur schwer zu beseitigen zu sein. Die einzige Gemeinsamkeit aller Atheisten, ist eben jene Ablehnung der Annahme einer Schöpferentität, insbesondere wenn sie angeblich interessiert an uns Menschen und intervenierend tätig sein soll.

Meine persönliche Weltanschauung resultiert vielmehr aus dem Wissen, das ich aus verschiedensten Bereichen meines Lebens beziehe. Ein für mich zentrales Kriterium ist dabei Plausibilität, die Möglichkeit die Grundlagen meiner Sichtweisen zur Welt auch kommunizieren zu können. Und zwar ohne dass ich dabei darauf angewiesen bin, dass mir ein anderer diese Grundlagen blindlings glauben muss, um mich zu verstehen. Zumindest möchte ich die Grundlagen meines Denkens auch dann erklären können, wenn sie etwa kontrovers sind, oder ausschließlich auf meinen Emotionen bezüglich einer Sache basieren. Schon zu erkennen, dass eine Haltung rein emotional motiviert ist, ist im Rahmen interpersoneller Kommunikation von großer Bedeutung – denn schließlich ist für mich die Tatsache, dass ein anderer Mensch Rot schöner findet als Blau, Rock lieber hört als Klassik u. U. eine wertvolle Information (ich könnte dieser Person ja die für sie schönere Musik in einer Verpackung in der für sie schöneren Farbe schenken!). Jedoch ist solches keinesfalls eine Grundlage, diesem Mensch einen bestimmten Wert ab-, oder zuzusprechen.

Schon an dieser Stelle sollte klar werden, dass Atheismus nur eines ist: die Nullhypothese zu einer Annahme. Sie mag damit einen Teil meines Weltbildes bestimmen, aber eben nur einen Teil. Die Haltung, die ich gegenüber Menschen habe, die an Götter glauben, wird ebenfalls nur zum Teil durch meine Ablehnung dieses Glaubens bestimmt. Entscheidender als mein Atheismus ist zum Beispiel mein Humanismus, der es mir gebietet, Menschen gegenüber positiv eingestellt zu sein. Dazu gehört, deren Existenzrecht ebenso zu achten wie ihr Recht, im Bezug auf Glauben anderer Ansicht zu sein, als ich es bin.

Die Tötung Gläubiger gleich welcher Konfession schließt meine humanistische Haltung schon einmal vollständig aus - einer der Punkte die den Mörder der drei Moslems und mich fundamental voneinander unterscheiden.
Ob letztlich angeblich schon lange andauernde Streitigkeiten um einen Parkplatz, oder seine Ablehnung des Islam der ausschlaggebende Grund für seine Gewalttat war, wird wohl schwer zu ermitteln sein. Jedoch ist für mich eine Sache unbestreitbar: Grundlage für seine Handlung war ein aus meiner Sicht völlig verschobenes Weltbild und eine Haltung zu Gewalt, die ich in keinster Weise teile.

Die Gemeinde der Moslems musste sich nach den Morden in Paris einer ähnlichen Debatte stellen. Ich habe mehrere Kommentare gelesen, die genau das jetzt anmerken (und auch solche, die die gleiche Tat im Namen des Atheismus für noch wesentlich verwerflicher halten, als wenn sie im Namen des Islam erfolgt wäre!) In ihnen wird u. a. verlangt, dass der Atheismus, bzw. die „Gemeinde“ der Atheisten doch endlich zugeben soll, dass die Nichtanerkennung Gottes (welchen Gottes auch immer) ja nur in einem Mangel an Moral enden kann. Und folglich sollten alle Atheisten sich doch besser wieder einer Religion zuwenden, um wieder auf den „richtigen Weg“ zurück zu kehren.

In diesem Zusammenhang kann ich nur ausdrücklich darauf hinweisen, dass es keine heilige Schrift der Atheisten gibt, die in irgendeiner Weise Handlungsvorgaben macht, oder auch nur zu bestimmten Handlungen aufruft. Dawkins „The God Delusion“ als Bibel der Atheisten zu bezeichnen, ist so sinnig, wie die Einführung in die Stochastik als Bibel aller Mathematikstudenten zu bezeichnen. Es sind Schriften, die erklärend und informierend sind, jedoch nicht im mindesten handlungsbestimmend.

Die Bibel der Christen, die Thora, oder der Koran jedoch sind genau das. Sie sind Bücher, die denen, die sie lesen und an ihren Inhalt glauben, vorschreiben, wie sie sich in allen möglichen Belangen zu verhalten haben. Dazu gehören Aspekte, die sie eigentlich überhaupt nicht berühren, wie z. B. die Haltung gegenüber Andersgläubigen, Homosexuellen, oder Frauen. Teilweise sind diese verordneten Haltungen mit Handlungsanweisungen verbunden, nicht selten mit solchen, die Gewalt gegenüber diesen Gruppen beinhalten. Hier liegt der fundamentale Unterschied zu allem was mit Atheismus zu tun hat. Es gibt hier keine allgemein akzeptierten Aufrufe zur Gewalt im Namen des Nichtglaubens!

Zum Schluss möchte ich noch darauf aufmerksam machen, dass das jüngste Verbrechen in einer Nation statt fand, die ganz offensichtlich eine tief verankerte christliche Tradition und zugleich ein fundamentales Problem im Umgang mit Schusswaffen hat. Die Anzahl an Menschen, die dort jedes Jahr durch Schusswaffen verletzt oder getötet werden, übersteigt die Zahl derer, die in Europa in diesem Zeitraum das gleiche Schicksal erleiden müssen um ein vielfaches. Bezogen auf Deutschland sind es bei einer etwa viermal so großen Bevölkerung ca. 75 Mal so viele! Das nenne ich einen Hinweis auf eine signifikante Ursache für das, was in Chapel Hill geschehen ist.

Kommentare

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    EspritLibre

    Atheismus wie ich ihn empfinde, betrachte und lebe(n möchte)! Vielen Dank für diesen überaus wertvollen Beitrag :-)

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      marstal08

      Jeder Gedanke an eine solche Verpflichtung erscheint mir als ein derart grotesker Unsinn, dass er eigentlich keiner Diskussion bedarf.

      Dass ich ein Atheist bin bedeutet doch nur, dass mein Verstand ausreicht zur Unterscheidung zwischen der Wirklichkeit und den lächerlichen Lügengeschichten der Religionsvertreter.

      Natürlich können Milliarden anderer Menschen das auch, sie sind also auch Atheisten, ohne dass ich mich deshalb für die Taten jedes einzelnen von ihnen rechtfertigen müßte.

      marstal08

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        Sciencefictionfan

        Ein sehr schöner Kommentar. Vielen Dank dafür.

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          Reinhard Dowe

          Schlicht und einfach: Aufrichtiger Dank!

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