Ein Gedankenexperiment
Der Philosoph Hilary Putnam hat wahrhaft Großes geleistet, so u.a. in den Bereichen Sprachphilosophie und Philosophie des Geistes. Einer seiner bekanntesten Verdienste liegt im „Zwillingswelt“-Gedankenexperiment, mit dem er das Konzept des semantischen Externalismus begründete. Der semantische Externalismus besagt, dass die Bedeutung eines Wortes nicht a priori bekannt sein kann, sondern dass dafür erst weitere, externe Faktoren gewusst werden müssen.
In seinem Gedankenexperiment fand Putnam heraus, dass wir natürliche Artbegriffe wie „Wasser“, „Öl“, „Affe“ „Tiger“ usw. in einer ganz besonderen Weise verwenden. Mit natürlichen Artbegriffen sprechen wir über natürliche Arten, die wir durch einzelne Exemplare in der wirklichen Welt herausgreifen, auch wenn wir die wesentlichen Bedingungen für das Vorliegen der natürlichen Art nicht kennen! Wir sprechen mit dem Artbegriff „Wasser“ über die Substanz, die in unseren Meeren und Flüssen liegt, die aus unseren Wasserhähnen kommt usw., auch wenn wir nicht wissen, dass diese Substanz durch eine chemische Struktur H20 konstituiert ist. Dieses Wissen haben die ersten Menschen mit der Entdeckung der chemischen Elemente erworben und viele sprachkompetente Menschen verfügen noch heute nicht darüber. Und trotzdem besitzen wir seit Jahrtausenden einen stabilen und unveränderten Gebrauch des Wortes „Wasser“. Was die These stützt, dass natürliche Artbegriffe stets eine durch einzelne Exemplare herausgegriffene Art bezeichnen. Dies hätte gravierende Folgen, welche Putnam mit seinem Gedankenexperiment illustriert hat:
Angenommen, es gäbe irgendwo im Universum eine Zwillingserde, die unserer Erde weitestgehend ähnelt, außer dass die Flüssigkeit, die auf der Zwillingserde „Wasser“ genannt wird, nicht die chemische Struktur H20 besitzt, sondern XYZ. Dabei kommt die Flüssigkeit mit der chemischen Struktur auch in Meeren, Flüssen und Wasserhähnen vor und hat darüber hinaus dieselben Oberflächeneigenschaften wie die Flüssigkeit mit der chemischen Struktur H20. Beide Flüssigkeiten sind durstlöschend, geruchs- und farblos usw., sie lassen sich allein mit Hilfe einer chemischen Analyse voneinander unterscheiden. Auf der Erde lebt eine Person Tom, die auf der Zwillingserde einen Doppelgänger Zwillings-Tom hat, der sowohl dieselben physischen als auch dieselben innerphysischen Zustände wie Tom hat. Trotzdem ist es so, dass Tom mit dem Satz „Wasser ist durstlöschend“ im Deutschen etwas anderes aussagt als Zwillings-Tom mit demselben Satz im Zwillingsdeutschen, denn gemäß unserer Sprachintuition bezeichnet das Substanzwort „Wasser“ im Deutschen die Flüssigkeit mit der chemischen Struktur H20, während es im Zwillingsdeutschen die Flüssigkeit mit der chemischen Struktur XYZ bezeichnet.
Somit sind die Bedeutungen der Äußerungen abhängig von der Umgebung, in der sie getroffen werden bzw. in der sich der Sprecher befindet. Putnam brachte dieses Ergebnis mit dem Slogan „Bedeutungen sind nicht im Kopf“ (Externalismus!) aus den Punkt.
Ein weiterer US-amerikanischer Philosoph, Tyler Burge, hat diese Umgebungsabhängigkeit von Bedeutungen nun auch dementsprechend auf die Inhalte von Überzeugungen übertragen: Tom bringt mit seiner Äußerung „Wasser ist durstlöschend“ die Überzeugung zum Ausdruck, dass die Flüssigkeit mit der chemischen Struktur H20 durstlöschend ist, während Zwillings-Tom damit die Überzeugung zum Ausdruck bringt, dass die Flüssigkeit mit der chemischen Struktur XYZ durstlöschend ist. Die Überzeugungen von Tom und Zwillings-Tom sind verschieden, obwohl die beiden - laut Gedankenexperiment - dabei dieselben Hirnzustände und dieselben inneren psychischen Zustände haben (können). Daraus folgt, dass Überzeugungen nicht vollständig durch die inneren Zustände einer Person charakterisiert werden können, sie hängen außer von den inneren Zuständen einer Person auch noch von den Substanzen bzw. Objekten ab, zu denen eine Person in Relation steht.
Darüber hinaus hat Burge noch gezeigt, dass Überzeugungen auch von der Sprachgemeinschaft abhängig sind, in der sie geäußert werden. Geht man davon aus, dass Herr Maier die falsche Überzeugung hat, dass Arthritis eine Erkrankung sei, die nicht nur im Gelenk, sondern auch mitten in einem Knochen auftreten kann. Dann könnte Herr Maier folgende Befürchtung gegenüber seinem Hausarzt äußern: „Ich habe Arthritis im Oberschenkel.“ Weil in unserer Sprachgemeinschaft der Termini „Arthritis“ jedoch eindeutig so festgelegt ist, dass damit nur eine Gelenkerkrankung gemeint ist, bringt Herr Meier eine situativ widersprüchliche und somit unsinnige Überzeugung zum Ausdruck. Wäre er hingegen in einer Sprachgemeinschaft, in der „Arthritis“ so verwendet wird, dass damit nicht nur Gelenks-, sondern auch andere Knochenerkrankungen bezeichnet werden, so wäre seine Äußerung in dieser Sprachgemeinschaft widerspruchsfrei und sinnvoll. Wir nehmen dabei an, dass Fachbegriffe von den Experten einer Sprachgemeinschaft festgelegt werden und wir schon dann über einen Fachbegriff verfügen, wenn wir ihn in hinreichendem Masse korrekt verwenden, selbst wenn wir damit eine falsche Überzeugung verbinden. Burges Beispiel zeigt dann, dass Überzeugungen von der Sprachgemeinschaft abhängen, der der Sprecher angehört.
Die damit untermauerte These des Externalismus von Überzeugungen besagt daher, dass Überzeugungen umgebungsabhängig bezüglich der Sprachgemeinschaft sind. Wir fassen beide Abhängigkeiten in der Rede von der „Abhängigkeit von der Umwelt“ zusammen.
Nun können wir das erste Problem des Externalismus darstellen, welches in der Unvereinbarkeit der folgenden drei Sätze (Trilemma) besteht:
(1) Überzeugungen sind abhängig von der Umwelt festgelegt.
(2) Gehirnzustände sind unabhängig von der Umwelt festgelegt.
(3) Überzeugungen supervenieren auf Gehirnzuständen.
These (1) ist eine Ausformulierung der Umweltabhängigkeit bzw. des Externalismus von Überzeugungen. Es steht aber gemeinhin außer Zweifel, dass Gehirnzustände unabhängig von der Umwelt festgelegt werden (2), denn sie werden durch die physiologischen Merkmale, nämlich Aktivierungen von Neuronen, in bestimmten Regionen festgelegt. Schließlich sagt These (3) noch, dass Überzeugungen systematisch von Gehirnzuständen abhängig sind, indem sie auf ihnen supervenieren. Hierbei supervenieren Überzeugungen auf Hirnzuständen genau dann, wenn es keinen Unterschied zwischen den Überzeugungen gibt, ohne dass es einen entsprechenden Unterschied in den Hirnzuständen gibt.
Probleme des Externalismus
Der Fairness halber sollen noch zwei Probleme des Externalismus erläutert werden.
(1)
Die Supervenienzkorrelation kann nicht zwischen Überzeugungen und Gehirnzuständen bestehen, wenn zugleich Überzeugungen umweltabhängig sind und Gehirnzustände nicht umweltabhängig sind; denn dann ist entgegen der Forderung der Supervenienz - wie im obigen Beispiel - stets ein Fall konstruierbar, in dem bei gleichen Gehirnzuständen unterschiedliche Überzeugungszustände vorliegen können. Dieses hartnäckige und viel diskutierte Problem hat vielfältige Lösungsvorschläge, dabei jedoch noch keine allgemein zufriedenstellende Antwort gefunden.
(2)
Das zweite Problem des Externalismus ist ein analoger Fall, der in die moderne Diskussion zum Selbstwissen gehört. Selbstwissen ist das Wissen über die eigenen mentalen Phänomene.
Hier lauten die analogen drei unverträglichen Sätze wie folgt:
(1a) Alltagsintuition zum Selbstwissen: Wir kennen unsere eigenen Überzeugungen in einer unmittelbaren und besonders zuverlässigen Weise.
(2a) These des Externalismus: Der Inhalt einer Überzeugung ist umweltabhängig.
(3a) These der Erkenntnistheorie: Wir kennen unsere Umgebung und unsere Sprachgemeinschaft weder in einer unmittelbaren noch in einer besonders zuverlässigen Weise.
Die Positionen zu diesem Problem lassen sich wie folgt klassifizieren: Es gibt die Unverträglichkeitsthese, der gemäß entweder der Externalismus von Überzeugungen oder unsere Alltagsintuition, aber nicht beide zugleich wahr sein können. Ausgehend von dieser Position leugnen die Vertreter der Alltagsintuition den Externalismus und die Vertreter des Externalismus die Alltagsintuition. Daneben gibt es aber auch die These der Verträglichkeit: Unsere Alltagsintuition ist mit der These des Externalismus vereinbar, aber nur um den Preis, dass unsere Alltagsintuition deutlich abgeschwächt wird, d.h. wir eingestehen, dass ein verlässliches Selbstwissen nur im Normalfall vorliegt. Interessanterweise finden sich in der neueren Debatte zu Willensfreiheit und Determinismus genau dieselben Grundmuster von philosophischen Positionen.
Verweise
Falsches Dilemma: Wie so viele philosophische Diskussionen verfällt mMn. auch die um „Externalismus vs. Internalismus von Bedeutung“ einem falschen Dilemma. Die guten Argumente des Externalismus gegen einen reinen Internalismus und die guten Argumente des Internalismus gegen einen reinen Externalismus münden doch in folgendem Schluss: Es ist kein „entweder-oder“, sondern „ein-sowohl-als-auch“. Bedeutungen bzw. Überzeugungen sind sowohl von der Innenwelt, als auch von der Außenwelt eines Sprechers abhängig. Die Frage ist dann nicht mehr, ob Innenwelt oder Außenwelt, sondern, wie Innenwelt und Außenwelt miteinander Bedeutungen und Überzeugungen hervorbringen.
Sprachphilosophie: Allgemein habe ich das Gefühl, dass die Sprachphilosophie zu oft an einem Fehler krankt, den sie gerne anderen Philosophiebereichen vorwirft: Sie kreiert imaginäre Probleme durch Sprachverwirrung- und Unterstellungen.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Philoclopedia!, der Webseite von Johannes Heinle, veröffentlicht.
Kommentare
Neuer Kommentar