Richard Dawkins: „Nette“ Kirchgänger leisten religiösem Fundamentalismus Vorschub

Die Tatsache, dass gemäßigte Christen und Muslime oft angenehme Menschen sind, lässt die Leute an das Gute in der Religion glauben, so Dawkins‘ These.

Richard Dawkins: „Nette“ Kirchgänger leisten religiösem Fundamentalismus Vorschub

Dawkins: Normale Gläubige ebnen unabsichtlich den Weg für Extremisten. Bild: Jay Williams

Anständige, gewöhnliche Kirchgänger haben ihren Anteil daran, dass religiöse Fundamentalisten zu Selbstmordattentätern werden, weil sie „so nett“ sind, dass die Menschen ihre Glaubensüberzeugungen nicht hinterfragen – so lautet Richard Dawkins‘ Argumentation.

Dawkins, seines Zeichens Evolutionsbiologe und bekennender Atheist, ist der Meinung, dass gemäßigte Christen und Muslime unabsichtlich den Weg für Extremisten geebnet haben.

Indem sie nicht beweisbare Glaubensinhalte als „legitime Begründung“ für ihr Verhalten anführten, so Dawkins, hätten sie dazu beigetragen, „die Welt zu einem sicheren Ort“ für Fundamentalisten zu machen.

Bei einem Vortrag auf dem Edinburgh International Book Festival ließ er das Publikum wissen, dass das „nette“ Auftreten gemäßigter Religionsanhänger es der Gesellschaft erschwere, deren Glauben zu hinterfragen.

Auf die Frage, ob er fürchte, seine öffentlichen Aussagen über islamistischen Extremismus könnten gesetzestreue Muslime in Misskredit bringen, antwortete er, dass bei keiner Religion gemäßigte und fundamentalistische Anhänger beziehungslos nebeneinander existierten.

„Es ist sehr wichtig, normale, gesetzestreue, anständige Muslime, die die überwiegende Mehrheit in diesem Land bilden, nicht zu dämonisieren“, sagte er.

„Was ich über den Unterschied – und dies bezieht sich jetzt nicht speziell auf Muslime – zwischen gemäßigten Gläubigen und extremistischen Fundamentalisten denke, ist Folgendes: Obwohl natürlich immer nur eine kleine Minderheit innerhalb einer Glaubensgemeinschaft gewalttätig oder bösartig wird, tragen die gemäßigten, freundlichen Religionsanhänger – nette Christen, nette Muslime – dazu bei, die Welt zu einem sicheren Ort für Extremisten zu machen.

Weil nämlich die Gemäßigten so nette Menschen sind und wir alle mit der Vorstellung aufwachsen, dass Religion und Glaube etwas Gutes an sich hätten. Dass etwas Gutes daran sei, wenn unsere Kinder zu einem religiösen Glauben erzogen werden – also dazu, etwas ohne Beweise zu glauben und diesen Glauben nicht begründen zu müssen.
Und mit der Religion wird das Recht erworben, einfach zu sagen: Das ist mein Glaube, und du darfst ihn nicht in Frage stellen oder hinterfragen, aus welchen Gründen ich ihm anhänge.

Wenn man den Leuten beibringt, dass dies eine legitime Begründung für Überzeugungen sei, erteilt man damit jedem Extremisten den Freibrief zu sagen: ,Mein Glaube zwingt mich, ein Selbstmordattentat zu begehen oder etwas in die Luft zu sprengen – das ist meine religiöse Überzeugung, die du nicht hinterfragen darfstʻ“.

Dawkins schloss mit der Bemerkung: „Ich bin sicher, sie wären darüber bestürzt – aber es könnte trotzdem die Wahrheit sein.“

Dawkins, Verfasser des kontrovers diskutierten Buchs „Der Gotteswahn“ (2006), stellte auf dem Edinburgh International Book Festival seine kürzlich erschienene Autobiographie mit dem Titel „An Appetite for Wonder“ vor.

 

Aus dem Englischen von Martin Uhlenbrock

Hier geht's zum Originalartikel...

Kommentare

  1. userpic
    Joseph Wolsing

    Ein Aspekt, der mich bei der ganzen Sache sehr beschäftigt ist folgender:

    Bekämpft man eine Gruppe Extremisten mit religiöser Agenda, läuft jede Institution, jeder Staat, kurz jede andere Gruppe Gefahr, sich der Unterdrückung der Glaubensfreiheit schuldig zu machen, oder zumindest dieser beschuldigt zu werden. Die logische Folge ist, dass es Aufgabe der jeweiligen Glaubensgemeinschaft wäre, die Extremisten aus ihren eigenen Reihen selbst an die Kandare zu nehmen. Aber genau das geschieht eben nicht. die Verbundenheit, die auf welche absonderliche Art auch immer zwischen den gemäßigten und den extremen Vertretern eines Glaubens herrscht (machen sich doch alle Extremisten gewisser Vergehen schuldig, die den Glaubensgrundsätzen der liberalen Gläubigen widersprechen!) ist so tief gehend, dass es den liberalen Gläubigen nicht möglich ist, den Rest der Welt vor den extremen Vertretern ihres Glaubens zu beschützen. Sam Harris hat im Rahmen des Gaza Konflikts ganz zu Recht gefragt, wo die Demonstrationen der Muslims in aller Welt sind, die sich gegen die Genozid-Androhungen seitens der Hamas gegenüber allen Juden auf der Welt richten? Sobald der Islam auch nur im Mindesten kritisiert wird, brennt die islamische Welt lichterloh! Es gibt da ein Ungleichgewicht, dass alle liberalen Vertreter gleich welcher Glaubensrichtung willentlich in Kauf nehmen. Das alleine macht sie mir suspekt. Die lahme Ausrede: "Aber wir sind doch gar nicht so!", macht es für mich nicht wett, sondern ist ein wirklich jämmerliches Feigenblatt für der Unfähigkeit sich mit den Widersprüchen ihres Glaubens auseinander zu setzen.
    Die einzige gültige Erklärung die ich mir dabei vorstellen kann, ist Indoktrination in der Kindheit und die unterschiedliche Fähigkeit der Menschen dies zu überwinden.

    Antworten

    1. userpic
      Bernd Kammermeier

      Die hier vorgestellte Meinung von Dawkins ist doch völlig logisch.

      Beispiel: Gäbe es ausschließlich Extremisten in einer Religion, die Anzahl spielt überhaupt keine Rolle, dann wäre diese Gruppierung längst verboten.

      Gäbe es nur Extremisten in überhaupt irgendeiner Gruppierung, wäre auch diese längst verboten. Die Bader-Meinhof-Bande hatte zwar einen quasireligiösen Anfang, doch irgendwann kristallisierte sich ein harter Kern aus gewaltbereiten Extremisten heraus, während die gemäßigten, politischen Köpfe die Gruppe verließen. So isolierte sich die Gruppe über kurz oder lang selbst, wurde klar fassbar - auch klares Feindbild - und konnte massiv bekämpft werden. Niemand hat ab einem gewissen Punkt gefragt, ob die Ziele etwa gut oder verfolgenswert wären.

      Die Nazis als Gegenbeispiel (wozu die alles taugen) haben eine andere Mischung probiert. Hier war der Extremismus im Kern verborgen, während außenherum eine Fassade des Spießbürgertums aufgebaut wurde, mit Gesang, Musik und fröhlicher Lebensart. Hier gab es viele Anhänger, die das System gestützt haben, weil natürlich die wenigsten der Anhänger Hitlers bösartige Extremisten waren und man das Hitler-Regime für tolerierbar hielt. Selbst das Ausland fiel ja größtenteils darauf herein, wie auch heute noch despotische Machthaber durchaus nicht überall geächtet werden.

      Und da Religionen eine lange Erfahrung im Marketing haben, wird dort perfekt mit diesem Instrument der harmlosen Mehrheit und der extremen Ingroup, die den Markenkern vertritt, gespielt. Taliban oder Muslimbrüder sind längst nicht "nur" böse. Die verteilen auch an die arme Landbevölkerung Almosen - hier und da mal einen Sack Mehl. Dadurch halten sie sich diese Menschen gewogen. Es könnte ja sein, sie werden mal als Rückzugsgebiet gebraucht.

      Mehr noch: Diese armen Anhänger entwickeln eine Schuld gegenüber der extremen Ingroup und fühlen sich bei passender Gelegenheit dazu aufgerufen, diese Schuld abzutragen, z.B. durch Waffendienste. Schließlich hat "Gott/die Religion" ihnen was gegeben, da muss man "Gott/der Religion" ja wieder was zurückgeben. Und gleichzeitig könnten unkritische Beobachter von außen auf den Gedanken kommen, die Taliban können ja gar keine schlechten Menschen sein, weil sie doch humanitär helfen.

      Und so kann man das bei jeder Religion durchdeklinieren.

      Beim Christentum in Westeuropa ist zusätzlich erkennbar, dass durch die zunehmende Säkularisierung die Entfaltungsfreiräume der Kirchen arg eingeschränkt wurden. Heute traut sich kein Bischof mehr, eine Hexenverbrennung anzuordnen. Heute steht auch dort Party und Fun in gewissen Kirchen hoch im Kurs. Nicht zu viel, damit die "ernsthaften" Gläubigen nicht schreiend davonrennen, aber genau so dosiert, dass die Medien positiv darüber berichten und die Meinung bei Politikern nicht ins Negative kippt. Schließlich will man ja am Staatskirchenrecht und den feinen Privilegien nichts geändert wissen.

      Der Islam versucht dies hierzulande inzwischen auch, mit lustigen Tagen der offenen Moscheetür und Einladungen zum Zuckerfest. Man ist ja so weltoffen und tolerant.

      Das alles ändert nicht das geringste am Markenkern. Die unheiligen Bücher werden nicht ersetzt durch Bücher mit demokratischer Gesinnung, die Riten werden nicht modernen Menschenrechten angepasst und die unangemessenen Privilegien werden nicht aufgegeben.

      Durch diese Doppelstrategie wird der Rückhalt in der Bevölkerung erhalten, Politiker haben nicht den Verlust von Wählerstimmen zu befürchten, wenn sie im religioösen Orchester mitspielen und die Presse ist auch noch recht religionsfreundlich. Dass der Islam speziell in islamischen Ländern eine ganz andere Fratze zeigt, wird wegerklärt, weil die religiösen Fundamentalisten ja nicht auf dem Fundament ihrer Religion stünden, sondern irgendwie gar nicht verstanden haben, was ihnen da durch ihre gesamte Kindheit in Koranschulen in die Birne geblasen wurde.

      Und da Islam ja - wie alle Religionen weltweit - eine Religion des Friedens ist, eventuell sogar der Freude und des Eierkuchens (aber nur koscher oder halal bitte), müssen wir, wie Grönemeyer einst sang, "Religionen [sind zu] schonen". Nur nie hinterfragen, weil es doch so viele gute Seiten am Glauben gibt.

      Die schönen Mehlsäcke der Taliban z.B. ...

      Antworten

      Neuer Kommentar

      (Mögliche Formatierungen**dies** für fett; _dies_ für kursiv und [dies](http://de.richarddawkins.net) für einen Link)

      Ich möchte bei Antworten zu meinen Kommentaren benachrichtigt werden.

      * Eingabe erforderlich