Beleidigen leicht gemacht

„WELT“-Kommentator verpönt „Kreuz“-Kritiker

Beleidigen leicht gemacht

Foto: Berlin.de

Beleidigungen liegen voll im Trend. Nicht erst, seitdem die Satire prüft, wo die Grenze zwischen einer kritischen Darstellung, einer sarkastisch, humorvollen, aber besonders auch provozierenden Spiegelung einerseits und der Denunziation, der bewussten Herabwürdigung und des Antastens der Würde anderseits liegen, befassen wir uns auch gesellschaftlich mit der Frage, wie wir miteinander umgehen dürfen. Zweifelsohne: In Zeiten von „Fake News“, gerade aber auch der „sozialen Medien“, müssen wir mehr ertragen. Gradmesser haben sich verschoben, es scheint, als müssten wir uns auch Beleidigungen gefallen lassen – wenn sie nur richtig verpackt sind.

Menschen ohne religiöses Bekenntnis gehören zu einer der Gruppen, die nicht zuletzt von Medien verstärkt der Diskriminierung ausgesetzt werden – obwohl eine wachsende soziale Einheit von Bürgern humanistisch-atheistischen Überzeugungen zugewandt ist, wenn auch nicht immer offen dazu stehend. Denn in einem Land, das christlich geprägt scheint, ist es weiterhin verpönt, so mutet es an, den Mund aufzumachen, wenn es um Gleichbehandlung geht. Da schreien die, die glauben, von einer Verletzung ihrer „religiösen Gefühle“ sprechen zu können, wenn man den lieben Gott einmal auf die Schippe nimmt, machen sich aber lächerlich über Rufe nach Neutralität im Alltag, auf den andererseits eben auch eine Bevölkerungsgruppe ganz zurecht ihren Anspruch erhebt.

Rainer Haubrich von der „WELT“ sieht solche Forderungen nach einem säkularen öffentlichen Dasein als „Mode“, nämlich als solche einer „aktuellen politischer Korrektheit“. Die Aufklärung ist zweifelsohne „aktuell“, aber ist sie eine Modeerscheinung, die vielleicht bald schon wieder vorübergeht? Und was hat es mit „politischer Korrektheit“ zu tun, wenn „Bündnis 90/Die Grünen“ und „DIE LINKE“ beim Wiederaufbau des Stadtschlosses in Berlin eine Debatte darüber fordern, ob das christliche Kreuz auf der Kuppel erhalten bleiben soll – oder ob die Rekonstruktion darauf verzichten könne. Haubrich fragt, ob es keine anderen Probleme gebe. Doch, es gibt sie. Nämlich die eigentliche Diskussion, für die das zweifelsohne kleine Kreuz nur stellvertretend steht.

Anhänger des christlichen Abendlandes würden gern darüber hinwegsehen, dass sich Gesellschaften verändern. Es mag sein, dass zum Nachbau eines Kunstwerkes auch gehört, die Details möglichst wahrheitsgetreu wiederzugeben. Aber das Berliner Stadtschloss ist eben nicht nur ein historisches Gebäude, es ist auch ein öffentliches, eines von Bedeutung im politischen Diskurs. Und da geht es nicht nur um Finanzen oder Architektur, sondern auch um seine Ausstrahlung. Gerade Berlin, das religiös so vielfältig ist, muss sich der Auseinandersetzung stellen, wie man dort mit denen umgeht, die sich nicht ohne Grund oftmals ausgegrenzt fühlen, weil sie keiner oder einer anderen Religion angehören als der, die nicht nur manch ein Unionspolitiker wohl gern in einer „Leitkultur“ festschreiben würde. Nein, da geht es nicht um ein einzelnes Kreuz, da geht es darum, wie wir die Interessen verschiedener Gruppen berücksichtigen und Lösungen finden können, die nicht alteingesessene Strukturen zementieren und eine pluralistische Gesellschaft als eine temporär anmutende Idee abtun.

„Intellektuell überfordert“

Aber zurück zur Beleidigung: Haubrich setzt sich nicht nur dafür ein, das christliche Kreuz auf der Kuppel des Stadtschlosses wieder anzubringen. Diejenigen, die Gegenteiliges wünschen, sind seiner Ansicht nach „intellektuell überfordert“. Jeder kann daraus nun eine Interpretation ziehen, was solch eine Aussage konkret bedeutet. Für mich ist sie inakzeptabel. Wenn man sich argumentativ nicht mehr wehren kann, dann beginnt man mit Herabwürdigung. Und so zeigt sich auch der Kommentar des Journalisten wenig konstruktiv, erkennt man nicht einen einzelnen sachlichen Beweggrund, weshalb die „grüne“ und „linke“ Forderung so falsch sein soll. Ob bei „Facebook“ und wohl auch bei der „Welt“: Heute macht man es sich einfach mit dem, was man früher noch als den ehrwürdigen „Meinungsbeitrag“ kannte. Ein paar Schmähungen, einige Schubladen und Stempel, in die man Menschen einklassifiziert, ein wenig Dramaturgie. Mit Journalismus hat das kaum mehr etwas zu tun. Wo ist Haubrichs Vorschlag für einen alternativen Schmuck der Kuppel? So etwas erwarte ich von einem Pressevertreter im 21. Jahrhundert!

Haubrich würde man anraten, sich politisch zu betätigen. Manche Parteien sind dieser Tage dankbar für Phrasendrescherei. Die Interessenlosigkeit an Politik beginnt dort, wo Argumente fehlen. Und nicht nur sie: Der Respekt vor dem Gegenüber, vor dem Andersdenkenden ist verloren gegangen. Dafür lebt die Naivität, man könne eine Gesellschaft konservieren. Narzisstisch ist, wenn man aus Überhöhung seiner eigenen Glaubensüberzeugungen den Mitmenschen ihr Recht auf Fortentwicklung absprechen will. Und traurig ist, wenn sich Journalisten heute nicht mehr die Mühe machen, einen Blick vor die Haustüre ins echte Leben zu werfen. Rhetorisches Erniedrigen ist die einfachste Form der Öffentlichkeitsarbeit, aber auch die dümmste. Das Kreuz auf dem Stadtschloss offenbart die nachlassende Integrität von Teilen der schreibenden Zunft, die repräsentativ für diejenigen Bürger steht, welche sich nicht auseinandersetzen wollen mit der Dynamik unserer Zeit, mit den Fehlern ihrer Kirchen, mit den Widersprüchen in ihrem Glauben, mit den Alternativen für das Christsein. Apropos: Sehr geehrter Herr Haubrich, wie wär’s mit einer Reportage über diese bösen Atheisten?

Kommentare

  1. userpic
    M. Wehrstedt

    Man kann niemanden "verpönen" -- diesen Ausdruck gibt es im Deutschen nicht. Bei "GraTmesser" habe ich dann aufgehört zu lesen....

    Antworten

    1. userpic
      Arno

      Nach dem lesen dieses Artikels stelle ich mir wie immer zuerst die Fragen zur Nagelprobe: Würde man auch: - auf einer neu errichteten Synagoge von links-grüner Seite frech einfordern, das der Davidstern dort nicht montiert werden sollte? – ist es gegenüber der immer noch christlichen Mehrheit in Deutschland eine demokratische Alternative etwas anderes wie z.B. eine Fahnenstange auf der Kuppel anzubringen?
      ---
      Nun noch einige Kommentare zu bestimmten Textpassagen:
      [….es scheint, als müssten wir uns auch Beleidigungen gefallen lassen – wenn sie nur richtig verpackt sind….] Nein muss man nicht und gerade gut verpackte Beleidigungen stellen die dreisteste Variante dar, seine Mitmenschen zu beleidigen, weil es nicht offensichtlich ist und der Beleidigende es wohl nötig hat, mangels Rückgrat, seine Frechheiten zu verstecken anstatt sie offen auszusprechen.

      [….Menschen ohne religiöses Bekenntnis gehören zu einer der Gruppen, die nicht zuletzt von Medien verstärkt der Diskriminierung ausgesetzt werden….] Mimimimimi unglaublich, was es alles für "Minderheiten" und "Gruppen" in Deutschland gibt, die von der bösen, sadistischen Mehrheit grausamste Diskriminierungs- Hasskommentar- Hetzfolter zu ertragen haben. Schrecklich!

      [….eine wachsende soziale Einheit von Bürgern humanistisch-atheistischen Überzeugungen zugewandt ist….] Liebe intellektuelle vorausdenkende Philosophieblasen Bewohner: Bitte einmal aus der Komfortzone der theoretischen, philosophischen, Kreisdenke in die Realität treten. Die atheistischen Bürger huldigen im nächstbesten Konsumtempel ihrer Vielgötterei, indem sie sündhaft teure Fetische und Reliquien gegen Bares eintauschen. Feiern ihre runden Götter und die 22 Prozessionsjünger vor dem hauseigenen Flachschrein, den geweihten Gestensaft schlürfend und die Kartoffelhostien aus der Tüte knabbernd. Das der dekadente aber spannende Konsum das todlangweilige Beten in den Gotteshäusern abgelöst hat, bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Bürger weniger religiös sind, sie gehen lediglich der leichten, sündigen Versuchung nach, was in allen Religionen übrigens abgelehnt wird.

      Antworten

      1. userpic
        Karl

        Nr. 1 Es geht nicht um eine Kirche, damit ist der vergleich mit einer Synagoge hinfällig und der Teil wäre schon mal vollständig falsch. Absatz 2.: Dem kann man zustimmen. Absatz 3.: Menschen ohne religiöse Bekenntnis werden schon in der Bibel und dem Koran erwähnt, ink. Hasskommentaren und Hetzfolter. Ihre gestellte Überraschtheit ist also sehr leicht zu erkennen. Der Teil wäre also auch wertlos. Absatz 4.: Hä, also so lange Christen das betretten der Konsumtempeln nicht verboten wird, glaube ich ihnen keine Sekunde, dass das ein atheistisches Merkmal ist. Fazit: Beleidigungen sind Feige, in einen feigen beleidigenden Text gepackt. Aua. Viel spass beim Rechtschreibung kontrollieren, kritik an einem nicht gesetzen Komma (hier z.B.) würde zu ihrem möchtegern Niveau passen.

        Antworten

        1. userpic
          Helmut Groddeck

          Die Beleidigungen im Absatz 4 sind nicht nur nicht gut verpackt, sondern verfehlen darüberhinaus ihr offenbar anvisiertes Zeil weit - sie beschädigen eigentlich nur den Beleidiger selbst; wie erbärmlich!

          Antworten

          1. userpic
            Helmut Groddeck

            (natürlich "Ziel" statt "Zeil")

        Neuer Kommentar

        (Mögliche Formatierungen**dies** für fett; _dies_ für kursiv und [dies](http://de.richarddawkins.net) für einen Link)

        Ich möchte bei Antworten zu meinen Kommentaren benachrichtigt werden.

        * Eingabe erforderlich