Eine unheilige Allianz

Die Errungenschaften der Aufklärung müssen verteidigt werden, damit Gott nicht in die Politik zurückkehrt.

Eine unheilige Allianz

Foto: Pexels.com / Efrem Efre

Wir leben in einem säkularen Verfassungs-Staat. Es herrscht Glaubensfreiheit. Jeder darf glauben, was er will, beten, zu wem er will. Religion ist Privatsache. Der Staat selbst aber muss gottlos sein.

Doch eine Allianz von Staat und setzt sich über das Verfassungsgebot staatlicher Neutralität hinweg. Die beiden großen Kirchen verfügen noch immer über enorme Privilegien und zweifelhafte Sonderrechte - trotz Missbrauchs-Verbrechen, Immobilien- und Finanzskandalen. Das muss ein Ende haben - meint Helmut Ortner.

Gleich vorweg: Ich bin gottlos glücklich! Schon als Siebzehnjähriger habe ich den Hort der „Heiligen Kirche“ auf schnellstem Weg verlassen. Zuviel kam da zusammen: die absurde Apfelgeschichte aus dem Paradies, die kruden Erzählungen von Gottes Leihmutter Maria, vom heiligen Geist und einem doppelten Schöpfer, der aus Jesus und seinem Vater bestand; allerlei abstruse Auferstehungs- und Wundergeschichten, dazu die ständige Sünden-Drohung samt (freilich nicht mehr funktionierender) Erzeugung und Nutzbarmachung des schlechten Gewissens.

Zwei schmale Taschenbücher begleiteten mich damals bei der Flucht aus „meiner“ Kirche: Joachims Kahls längst vergessenes Bändchen Das Elend des Christentums und vor allem, Bertrand Russells Textsammlung Warum ich kein Christ bin, beide 1968 bei Rowohlt erschienen. Russell, britischer Philosoph, Mathematiker und Literatur-Nobelpreisträger, widerlegt darin geistreich und unterhaltsam religiösen Irrglauben, dazu liefert er Thesen, die mich damals zum Grübeln brachten. Russell beschreibt die Geschichte des Christentums als eine von flächendeckender körperlicher und seelischer Grausamkeit, von gnadenloser Machtpolitik und Unterdrückung.

Für Russell ist der christliche Gottesidee mit ihren Moralgeboten und Erlösungsversprechen „eine Lehre der Grausamkeit“, verwurzelt in altorientalischer Despotie und eines freien, selbstbestimmten Menschen unwürdig. Die Lektüre von Russells Religionskritik wurde zu meinem atheistischen Erweckungserlebnis. Kurzum: Ich wollte mein Leben nicht mehr unter der Schirmherrschaft von Jesus und seiner Kirche leben. Ich verabschiedete mich.

Über den Glauben wurde und wird immer gestritten. Wenn es um unser aller Anfang geht, um den Beginn des Lebens und um unser Ende, dann kommt der religiöse Glaube ins Spiel - unausrottbar wie Christopher Hitchens konstatiert, zumindest solange, „wie wir unsere Angst vor dem Tod, vor der Dunkelheit, vor dem Unbekannten” nicht überwunden haben. Oft wird ja vermutet, Religion existiere allein, um das Diesseits und den Tod zu überwinden. Gott sei eine Projektion. Der liebe Herrgott als Wegbegleiter, Hoffnungsträger und Sinnstifter. Eine schöne Vorstellung, vor allem für jene, die nicht gerne alleine unterwegs sind. Wer Gott neben sich wünscht, der sollte dazu bereit sein, den eigenen Verstand auszuknipsen. Zum Beispiel die ungelöste Grundfrage, warum es so viel Grausamkeit und Ungerechtigkeit, Barbarei und Elend auf der Welt gibt, wenn doch alles von einem liebenden und allmächtigen Gott geschaffen wurde? Selbst die intensiv Religiösen tun sich hier mit einer plausiblen Antwort schwer. Sie sind gezwungen, sich dümmer zu stellen, als ihr lieber Herrgott sie geschaffen hat.

Ja, der Glaube kann Menschen Trost, Halt, Erleichterung und Orientierung geben, ihnen sagen, wo´s lang geht in Richtung Himmelreich, dort wo ein Leben nach dem Leben auf ihn wartet. Die Sehnsucht nach den Götterboten, den Garten Eden und anderen himmlischen Wohlfühl-Oasen, sie wird verlässlich und unablässig geliefert. Gott ist immer bei Dir. Er schenkt Dir ewiges Licht, alles so hell, gut und warm macht. Den Glauben zu leben ist wie ein Märchen. Er schafft Sehnsüchte, um sie zu stillen. Seelenheil forever.

Religionsgeschichte ist eine Wahn- und Gewaltgeschichte. Ob der christliche Verweis auf einen von Paulus gefärbten Jesus, der vorgeblich kommt, um das Schwert zu bringen, das als Rechtfertigungsgrund gilt für Kreuzzüge, ob die Inquisition, ob die Religionskriege, ob die Bartholomäusnacht, ob die Hinrichtungen auf dem Scheiterhaufen, bis hinein in 20. Jahrhundert - eine Kontinuität der Barbarei.

„Unerbittlich jagen die Agenten des rechten Glaubens die Häretiker, Abtrünnigen, Ketzer. Sie werden der Folter unterworfen, zu Geständnissen gezwungen oder aber sogleich geköpft oder verbrannt. Viele Jahrhunderte des organisierten Christentums und Islams sind geprägt von brutaler Rechtgläubigkeit“, konstatiert Wolfgang Sofsky.

Karlheinz Deschner hat diese über 2000 Jahre währende „Kriminalgeschichte des Christentums“ umfassend und profund dokumentiert. Da möchte Mohammads Gefolgschaft nicht nachstehen. Auf fast allen Seiten des Korans finden sich Hinweise und Aufforderungen, die Ungläubigen (und Andersgläubigen) samt deren Kultur und Zivilisation zu zerstören - im Namen eines barmherzigen Allahs. Und der jüdische Wahn vom auserwählten Volk? Dito. Moses, Paulus, Mohammed - ihre Biographen sind schauderhafte Belege für den rasenden religiösen Irrsinn. Für Gewalt, Missachtung, Bosheit, Hinterlist, Niedertracht, Perversion und Verbrechen - eifernd und gnadenlos im Namen ihres Gottes.

Machtpolitik und Unterdrückung

Wir dürfen festhalten: Die Geschichte der Religionen ist eine von flächendeckender körperlicher und seelischer Grausamkeit, von gnadenloser Machtpolitik und Unterdrückung. Und dass es kein Ende damit hat, belegen exemplarisch die jüngsten Aufdeckungen weltweit verübten Missbrauchs von Priestern an Schutzbefohlenen. Die Kirche ein einziges religiöses Schreckenshaus, in dem grässliche Dinge passiert sind und passieren.

Und so werkeln und metzeln sich die Religionen weiter durch die Weltgeschichte. Priester, Rabbiner und Imane, das eifernde Bodenpersonal Gottes, führt diese Elends- und Wahngeschichte fort. Wir müssen nicht allzu weit in der Geschichte zurückgehen (dazu bräuchte es eine mehrbändige Enzyklopädie) - nein, nur in die achtziger Jahre, als das multi-ethische und multireligiöse Jugoslawien unter einer Hass-Lawine begraben wurde und mörderische Banden aus religiösen Eiferern und faschistoiden Vaterlandskämpfern sich gegenseitig massakrierten. „Säuberungen“, Vergewaltigungen und Massenmord in Namen des jeweiligen Gottes. Millionen, verloren und gaben dabei ihr Leben, fielen dem Religionswahn und den „ewigen Wahrheiten“ zum Opfer.

Trotz der monströsen Gräuel, die im Namen irgendwelcher Götter gegenwärtig in aller Welt wiederholen und fortgesetzt werden, reklamieren alle Religionen und deren Vertreter noch immer einen Alleinvertretungsanspruch ethischen Handelns, eine höhere, gottgesalbte Moral.

Beseelte Glaubens-Advokaten und fanatische Gottes-Fans geben sich nicht mit ihren Versprechungen und Verheißungen zufrieden, nein, sie versuchen, sich in das Leben Nichtgläubiger und Andersgläubiger einzumischen. Diese Einmischung wird dann besonders anmaßend und giftig, wenn sich der Staat zum Komplizen macht. Mittel und Wege sind dabei variabel, die Absicht konstant: sie propagieren die Glückseligkeit im Jenseits, wollen aber die Macht im Diesseits. Dabei können die klerikalen Angstmacher mit vielfältiger Unterstützung irdischer Machtverwalter rechnen. Eine friedliche Koexistenz, eine gewinnbringende Komplizenschaft.

Wir leben in keinem Kirchen-Staat, sondern in einem säkularen Verfassungs-Staat. Es herrscht Glaubensfreiheit. Gläubige, Andersgläubige und Ungläubige müssen miteinander auskommen. Jeder Bürger darf seinen Gott, auch mehrere Götter haben. Jeder darf glauben, was er will, beten, zu wem er will. Jeder darf sich seinen Sehnsüchten und Paradiesträumen hingeben, wodurch er sein immerwährendes Seelenheil zu erlangen erhofft. Das private Illusionsglück steht unter staatlichem Schutz - solange es Privatsache bleibt. „In einer freien Gesellschaft gibt es keine Eintracht der Glaubensbekenntnisse. Die Glaubensfreiheit des einen endet, wo jene des anderen beginnt. Das ist das Prinzip der Religionsfreiheit.“

Der Staat selbst aber in Glaubensdingen - gewissermaßen zum Schutz der Menschen und ihrer Freiheit - neutral bleiben. Er muss gottlos sein. Doch genau daran hapert es. Obwohl die Kirchen hierzulande seit Jahrzehnten rapide an Mitgliedern verlieren und inzwischen weniger als die Hälfte der Bevölkerung Mitglied in einer der beiden christlichen Großkirchen ist, bestehen die Kirchen auf jahrhundertealten Privilegien. Und der Staat gewährt sie ihnen - in Form von Sonderrechten, zweifelhaften Subventionen und steuerlichen Vergünstigungen. Diese Komplizenschaft zwischen Staat und Kirche ist nicht mehr zeitgemäß. Das klerikale Kartell muss ein Ende haben. Die Errungenschaften der Aufklärung müssen verteidigt werden, damit Gott nicht in die Politik zurückkehrt.

Es geht um die allgegenwärtige Allianz von Staat und Kirche, um vielfältige und vielfache anachronistische Wirklichkeiten, um religiöse Privilegien und Vorteilsnahmen in unserem eigentlich doch säkular verfassten Gemeinwesen. Es geht um die andauernde Verletzung des Verfassungsgebots staatlicher Neutralität. Kirchliche Sonderrechte bleiben unangetastet, die religiöse Problemzonen werden weiterhin toleriert. Das sollte ein Ende haben.

Es gibt keinen Verfassungsgott - auch nicht in einem verdeckten Schrein unseres Grundgesetzes. Gott mag für einige Menschen ein sinnhaftes Zukunftsversprechen sein, für andere eine attraktive Möglichkeit, die Gegenwart zu bewältigen. Der Staat selbst aber muss gottlos sein. Die Deutungsmacht über metaphysische Wahrheitsfragen gehört nicht in den Aufgabenkatalog des Staates. Religion ist Privatsache. Und was mich betrifft, halte ich es mit Blaise Pascal, der an Leute wie mich dachte, als er einem Brieffreund schrieb: „Ich bin so geschaffen, dass ich nicht glauben kann.”

Helmut Ortner, Jahrgang 1950, hat bislang mehr als zwanzig Bücher, überwiegend politische Sachbücher und Biografien veröffentlicht. Seine Bücher wurden bislang in 14 Sprachen übersetzt. Helmut Ortner ist Mitglied bei Amnesty International und im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung. Eine Answahl seiner Bücher: Der Hinrichter - Roland Freisler, Mörder im Dienste Hitlers, Der einsame Attentäter - Georg Elser und EXIT: Warum wir weniger Religion brauchen - Eine AbrechnungWiderstreit: Über Macht, Wahn und Widerstand, und Volk im Wahn - Hitlers Deutsche oder Die Gegenwart der Vergangenheit.

Im März 2024 erschien sein aktuelles Buch:

Das klerikale Kartell – Warum die Trennung von Staat und Kirche überfällig ist
Nomen Verlag, Frankfurt - 272 Seiten, 24 Euro

Kommentare

  1. userpic
    Is doch egal

    Die Datenmenge nur des Missbrauchskomplex Münster beträgt 1,5 Millionen Gigabyte. Die des Missbrauchskomplex Wermelskirchen 32 Terrabyte.
    Diese Dimensionen sind für den Atheismus solange nicht erwähnenswert, wie keine Priester als Täter ermittelt werden konnten.

    Es stellt sich natürlich die Frage nach dem Warum ? Wenn Gott das Problem ist, warum funktioniert "NichtGott" nicht ?

    Und alte Ammenmärchen sind kein Privileg der Religionen, oder wie war das mit dem Erdöl aus toten Dinosauriern, Universen aus dem Nichts und Schmetterlingen in Brasilien die, mit einem Flügelschlag, Tornados in Texas auslösen ?

    Auch auf den ersten Atheisten der vier Jahre in Nord - Korea verbringt und dann freudestrahlend zurückkommt und andere Atheisten auffordert es ihm gleich zu tun, müssen wir noch warten.

    Atheistische Scheinheiligkeit ist und war nie ein geeignetes Mittel, Gott Angstschweiß auf die Stirn zu treiben.

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      Losian

      Wenn sich Politiker auf ihren Glauben berufen, wenn in der Staatsverfassung Gott angerufen wird oder wenn in Amtsstuben das Christenkreuz hängt, geschieht dies auf Basis der völkerrechtlich verankerten Glaubens- und Religionsfreiheit. Sobald Gott mit dem atheistischen Brecheisen aus der politischen und sozialen Öffentlichkeit entfernt wird, geschieht dies in Missachtung dieses Menschenrechts.

      Die "vielbesungene" staatliche Unterstützung der Kirche mit Steuergeldern ist ein Entgelt für die zahllosen kirchlichen Dienstleistungen hinsichtlich Seelsorge, Krankenpflege, Armutsbekämpfung, Kultur usw. Über deren betragliche Höhe kann sehr wohl diskutiert werden, aber bitte unter Wahrung fairer Kriterien.

      Neben dem Staatsgebiet, besteht ein Staat aus der Gesamtheit seiner Bürger, welche ihrerseits auch das dritte Erfordernis, die Staatsgewalt, bilden. Und die meisten Staatsbürger sind nun mal nicht "gottlos", sondern Gläubige. Ein "gottloser Staat" ist daher ein Unding. Wenn Kirche und Staat vollkommen getrennt werden sollen, stellt dies sozusagen eine gesellschaftliche Schizophrenie dar.

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        Uwe Lehnert

        Ein wichtiges Buch! Nimmt man doch aufgrund der zunehmend schwindenden Anzahl der in den beiden Kirchen organisierten Gläubigen an, dass sich das Problem bald von selbst erledigen würde. Fehlanzeige! Die Kirchen sitzen gut verankert zum Beispiel in den Parteien und Rundfunkanstalten, auch unser Bundespräsident meint hier eine diesbezügliche Aufgabe erfüllen zu müssen. Kirchen und ihre Helfershelfer wirken dort geradezu ungehindert aufgrund ihrer jahrelang wie selbstverständlich innegehabten Stellung. Und in nicht wenigen Redaktionen der Rundfunkanstalten können sie ihre Ideologie bis heute in Form täglicher „Worte zum Tage“ unter die Leute bringen. Die tägliche Morgenandacht im Deutschlandfunk zum Beispiel ist ein besonders auffälliges Beispiel. Zwar bewegt sich die Anzahl der Konfessionsfreien inzwischen längst in der Größenordnung der organisierten Gottesanbeter, vermutlich inzwischen ganz deutlich darunter, dass aber auch diese einen legitimen Anspruch auf tägliche „Verkündigung“ haben, scheint geradezu eine Zumutung zu sein. Ortner bringt eine Thematik zur Sprache, die eigentlich selbstverständlich sein sollte, es aber immer noch lange nicht ist.

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          Losian

          Ja, eine Interessensgruppe wie viele andere auch; ich sehe nicht, was dagegen einzuwenden wäre. Man könnte jegliches Lobbying, alle ideologischen Gruppen, jedwede Interessensgemeinschaft aus der politischen Gesellschaft verbannen. Nur wird dann auch gleich die Demokratie abgeschafft. Oder andersrum: Gibt es dann überhaupt noch "Politik", welche per se aus einer kruden Anzahl Ideologien, Ideen und Visionen besteht?

          Ich glaube nicht, dass die Kirche die "Verkündigung" der Konfessionsfreien hemmt. Die Konfesstionslosen nehmen vielmehr diesen Anspruch gar nicht wahr. Es mangelt ihnen offenbar an entsprechend sinnstiftenden Inhalten: Die Naturwissenschaften beschreiben bloss die Funktionsweise der Welt, die Religion hat aber zusätzlich ein "Warum", einen Lebenssinn zu bieten.

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