Hilft Religion gegen Verschwörungsdenken?

Zwei Seiten derselben Medaille

Hilft Religion gegen Verschwörungsdenken?

Foto: Pexels.com / Markus Winkler

Nein, natürlich nicht - genauso wenig wie Verschwörungsdenken gegen Religion oder Astrologie hilft. Das eigentlich kuriose an dieser Frage ist, dass sie von einigen Zeitgenossen ernsthaft bejaht wird. Im zweiten Teil gehe ich auf zwei dieser Kuriositäten näher ein - ich beginne mit dem Nachweis der engen Verwandtschaft von Religion und abstrusen Verschwörungskonstrukten.

Religion und Verschwörungsdenken - zwei Seiten derselben Medaille

Inhaltlich gibt es, erstens, enge Parallelen zwischen Verschwörungskonstrukten und Religionen.(1) Ihr Kern ist jeweils eine Kombination aus drei bekannten Elementen: Ein heroisches Bild der eigenen, realen oder eingebildeten Protagonisten, ein extrem negatives Feindbild in Bezug auf die jeweiligen Gegner und das Strippenzieher-Modell zur Erklärung der Welt.

Ein Beispiel: Im Rahmen von QAnon werden Trump und seine engsten Verbündeten als die Retter der USA, die edlen Kämpfer gegen pädophile und satanistische linke Eliten gezeichnet. Als diese Feinde dürfen die üblichen Verdächtigen herhalten: Bill Gates, die Clintons, Joe Biden, George Soros, der Deep State und alle, die Trump nicht leiden kann und die Fox News für dumm und überflüssig halten. Schließlich werden ziemlich viele Übel dieser Welt - nicht alle, man muss ja noch Raum für Islamisten, außerirdische Reptiloiden etc. lassen - auf das perfide Wirken dieser hinterhältigen Strippenzieher zurückgeführt. Die Parallelen zu Religionen wie dem Christentum liegen auf der Hand: Jesus, die Apostel, Kardinal Woelki, Heilige - sie kämpfen alle für eine gute Welt und unsere Seelen. Dagegen stemmen sich Satan, diverse Dämonen, ungemein viele Irr- oder Ungläubige und Richard Dawkins. Das Weltgeschehen wird letztlich durch das Wirken all dieser mächtigen Strippenzieher erklärt. Wer braucht da schon die Wissenschaften?

Zweitens zeigt auch die Argumentationstheorie die enge Verwandtschaft der beiden Phänomenbereiche auf: Ihre Kernstrategie ist identisch. Es geht darum, eine Scheinwelt aufzubauen, möglichst viele Menschen in diese hineinzulocken und dann zu konkreten Handlungen im Sinne des jeweiligen Phantasiekonstruktes zu bewegen. Die einen veranstalten Kreuzzüge, die anderen stürmen das Kapitol.

Auch die vier zentralen Manipulationsstrategien zum Aufbau dieser Scheinwelt sind dieselben:

- Erstens: Aufbau, Ausbau und Pflege eines Feindbildes bzw. extrem positiven Eigenbildes. Letzteres haben die Christen sogar bei ihrem ausgesprochen primitiven Rache-, Sintflut- und Kriegsgott Jahwe geschafft. Er steht jetzt - man kann es nicht fassen - bei vielen Gläubigen für Milde, Gerechtigkeit und väterliches Wohlwollen. Trump halten auch viele seiner Anhänger für intelligent, aufrichtig und uneigennützig.

- Zweitens: Die Stützung des eigenen Konstruktes durch Schein- und Pseudoargumente wie wundertätige Reliquien und Marienerscheinungen oder, bei QAnon, den „Nachweis“ eines Tunnelsystems unter New York, in dem Kinder gefangen gehalten und missbraucht werden. Okay - in einem der beiden Fälle stimmt das mit dem Missbrauch sogar.

- Drittens: Die Immunisierung der Religion bzw. des Verschwörungskonstruktes gegen vernünftige Einwände und Argumente: Satan habe z.B. die Fossilien erschaffen, um uns vom rechten Glauben abzubringen (ein Besuch auf creationmuseum.org lohnt immer) und die Lügen-Medien seien alle von Bill Gates gesteuert. Alles klar?

- Viertens: Die Diskreditierung der jeweiligen Gegenentwürfe wie Atheismus und Naturwissenschaften im Fall der Religion, realistische und vernünftige Erklärungen des Weltgeschehens bei QAnon, gerne ebenfalls die Wissenschaften.(2)

Die erkenntnistheoretische Ebene liefert, drittens, man staunt, das gleiche Bild: Die ganzen Gottesbeweisversuche, Visionen von Heiligen, Wunderberichte etc. sind genauso belastbar wie die Mitteilungen der ominösen Quelle QAnon im Internet und deren Ausführungen über politische Gegner, ihre Taten und Motive. Letztlich reduziert es sich in beiden Fällen auf das rein subjektive Glaubenwollen und Wunschdenken der Anhänger, das keinerlei Begründungskraft aufweist.

Bleibt, viertens, zur Abrundung noch die normative Ebene: Der Blick auf die Blut- und Vernichtungsspur des Christentums durch 2000 Jahre Geschichte lässt Gefährdungspotential und Verwerflichkeit QAnons oder der Reptiloidentheorie eher beschränkt erscheinen. Zumindest sollte man vorsichtig mit der Behauptung sein, das Christentum ließe sich irgendwie im Sinne von Moral, Redlichkeit und Anstand gegen Verschwörungskonstrukte nutzen - sogar sehr vorsichtig. Es könnte z.B. jemand auf aktuelle Genozid-Peinlichkeiten wie die allerchristlichsten Missionsschulen in Kanada und Australien verweisen. Man wollte damit die Indigenen ein für alle Mal loswerden bzw. ihnen neue Zukunftsperspektiven im Paradies eröffnen.(3)

Ich fasse zusammen: Wer glaubt, man könne oder solle Religion bzw. das Christentum zur Eindämmung des Verschwörungsdenkens in Stellung bringen, braucht wirklich gute Argumente - und die sind weit und breit nicht zu sehen. Derartige Überlegungen sind von ähnlicher intellektueller Qualität wie der Vorschlag, Vampire mit Wünschelruten zu identifizieren oder die Astrologie mit Hilfe des Tarots zu entkräften.

Und jetzt die versprochenen Kuriositäten

Zum Schluss noch ein Blick auf zwei konkrete Argumente. Sie stammen von Michael Blume, einem unermüdlichen und durch keinerlei Fakten, Logik oder ähnliche Unbequemlichkeiten zu entmutigenden Religionsapologeten. Im ersten Argumentationsversuch erkennt Herr Blume den Unterschied zwischen Religion und Verschwörungskonstrukt darin, dass man an das Christentum „aufgeklärt glauben“ könne, nicht aber an ein Verschwörungskonstrukt wie z.B. QAnon. Gläubige Christen könnten wissen, dass es sich um eine Religion handle. Die Anhänger von QAnon müssten hingegen buchstabengetreu an ihr Verschwörungskonstrukt glauben.(4) Was Herr Blume genau meint, bleibt unklar. Das stört aber niemanden, denn das Interview wird mit katholisch.de geführt.

Es handelt sich in jeder möglichen Bedeutung um ein sehr schwaches Argument: „Aufklärung“ in Bezug auf eine Religion heißt doch gerade, deren Unhaltbarkeit einzusehen. Sollte es lediglich heißen, Interpretationsspielraum zu schaffen, um die allerabsurdesten gedanklichen und moralischen Konsequenzen zu vermeiden, dann können das natürlich auch die Anhänger von QAnon für sich reklamieren: Ich nehme an, dass viele von Ihnen das ganze Sammelsurium an wilden Behauptungen und Spekulationen auch nicht immer wörtlich oder für bare Münze nehmen. Sie sehen es wohl als eine Art unterhaltsame Metapher mit satirischem Einschlag zur Beschreibung der moralischen und sonstigen Qualitäten ihrer politischen Gegner. Also, auch hier: Kein Unterschied.

Das zweite „Argument“ Blumes ist tatsächlich noch schlechter: Während Religion von guten Mächten wie Gottheiten und Schutzengeln rede, den Menschen Gutes wolle, eine Frohbotschaft habe, fokussiere sich ein Verschwörungskonstrukt auf böse Mächte, die uns nur Schaden und Vernichtung bringen wollten.(5)

Das Problem mit diesem „Argument“ ist offensichtlich: Man kann es nicht einmal halbwegs klar formulieren, ohne sofort seine Absurdität zu erkennen. Beide, Christentum und QAnon, wollen ihren Feinden schaden; die Christen haben sich dafür sogar ewige Höllenqualen ausgedacht. Und mal ganz ehrlich: Was ist von einer Gottheit und deren Frohbotschaft zu halten, die sich aus Langeweile eine kleine Wette mit Satan ausdenkt, ob man jemand aus dem eigenen Lager, nämlich Hiob, so intensiv schikanieren könne, dass er vom Glauben abfalle? Von einem Gott, der in seinen Kerngeboten mit brutalsten und generationenübergreifenden Strafen droht, sollte man von ihm abfallen? Von einem Gott, der in der Präambel zu diesen teilweise brutalen und menschenverachtenden Kerngeboten seinem auserwählten Volk mehrfachen Völkermord im Rahmen der Landnahme befiehlt?(6)

Eine frohe und erbauliche Botschaft für uns hat QAnon aber natürlich auch: Die satanistisch-pädophile Verschwörung sei erkannt, Trump und seine Getreuen werden uns retten und dann die USA zu neuer und bisher unerreichter Größe führen. Also, auch hier: Kein Unterschied zur Religion. Oder vielleicht doch einer, ein kleiner: QAnon kommt ohne so etwas wie die Apokalypse des Johannes als Vorstufe zu einer besseren Welt aus.

Andreas Edmüller ist Privatdozent an der LMU München. Er hat zahlreiche Bücher zu Themen wie Argumentieren, Manipulationstechniken und Staats- und Religionsphilosophie veröffentlicht. Nach Band 1 Verschwörungsspinner oder seriöser Aufklärer? aus dem Dossier Verschwörungstheorie erscheint nun der Band 2: Verschwörungstheorien als Waffe.

Endnoten

(1) Mit dem Begriff Verschwörungskonstrukt fasse ich unhaltbare Verschwörungstheorien und Verschwörungsmärchen, d.h. Pseudo-Theorien zusammen. Andreas Edmüller: Verschwörungsspinner oder seriöser Aufklärer? Wie man Verschwörungstheorien professionell analysiert. Remscheid, 2021. (Band 1 Dossier Verschwörungstheorie.)

(2) Dazu sehr ausführlich: Andreas Edmüller & Judith Faessler: Verschwörungstheorien als Waffe. Wie man die Tricks der Verschwörungsgauner durchschaut und abwehrt. Remscheid, 2023. (Band 2 Dossier Verschwörungstheorie.)

(3) Exzellente Berichte dazu in: Coyote. Indianische Gegenwart. 34. Jahrgang, 2022, Nr. 129.

(4) Verschwörungsmythen und Religion: Was sie verbindet und was sie trennt. https://www.katholisch.de/artikel/27368-verschwoerungsmythen-und-religion-was-sie-verbindet-und-was-sie-trennt

(5) Das Böse in uns selbst. https://www.deutschlandfunk.de/verschwoerungsmythen-das-boese-in-uns-selbst-100.html. Nachdem er es formuliert hat, entkräftet Herr Blume dieses Pseudo-Argument sofort selbst: „Tatsächlich haben wir natürlich in den meisten Religionen so eine Mischung.“ Man fragt sich natürlich, warum er es dann überhaupt vorbringt …

(6) Andreas Edmüller: Die Legende von der christlichen Moral. Warum das Christentum moralisch orientierungslos ist. Marburg, 2015.

Kommentare

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    Jörn Dyck

    Danke für den guten Artikel! Es ist ein überfälliger und notwendiger Tabubruch, Religionen mit Verschwörungstheorien zu vergleichen.

    Die Empörung von religiöser Seite wird nicht lange auf sich warten lassen. Ich bin gespannt, ob dann tatsächlich Argumente vorgebracht werden, oder ob man stur darauf bestehen wird, dass solche Vergleiche nicht angestellt werden dürfen.

    Es ist wirklich verblüffend, wie sehr sich die Zutaten und Methoden ähneln. Die Gläubigen füttert man mit falschen Informationen und längst widerlegten Scheinargumenten (»Beweisen Sie mal, ob Ihre Frau Sie liebt! – Ätsch!«). Auswege aus dem Irrgarten werden aktiv versperrt, indem man Begriffe umdefiniert und Koordinaten verschiebt: Ein tyrannischer Gott ist plötzlich die reine Liebe, und die angebliche Erlösung entpuppt sich als Sklaverei. Wer in diese Falle tappt, findet so schnell nicht mehr heraus.

    Ebenfalls auffällig ist die Immunisierung der jeweiligen Anhänger gegen rationale Prüfungen ihrer Thesen. Anstatt dass Gläubige die Argumente ihrer Anführer prüfen, prüfen die Anführer die Glaubensstärke der Gläubigen. Auf so eine Idee muss man erstmal kommen!

    Der Ansatz des Buchs ist auch hilfreich, um die Überhöhung der »Theologen« fundiert zurückweisen zu können. Die Theologie kleidet sich gerne in das Gewand der Philosophie, um den Eindruck von Intellektualität zu erwecken. Es ist gut, wenn man die Bruchstellen von Verschwörungstheorien kennt, um einer solchen Debatte standhalten zu können.

    Ich schätze, dass Verschwörungstheorien auch abseits der Religionen einen steigenden Einfluss auf die Gesellschaft bekommen werden. Was man so in den »sozialen Medien« liest… da kommt noch einiges auf uns zu.

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      Losian

      Imho liegt hier ein Kategorienfehler vor: Die Heilsbotschaft des Christentums stammt von Gott für die Menschen. Eine Verschwörungstheorie richtet sich von Menschen gegen Menschen. Das sind zwei völlig unterschiedliche Ebenen.

      Vergleiche zwischen Glaube und Verschwörungstheorien lassen sich sehr wohl anstellen, können aber nur wirkliche Aussagekraft zeigen, wenn sie mit dem Wissen um die unterschiedlichen Ebenen kalibriert werden. Und hier kommt dann die Philosophie ins Spiel; ein notwendiges Gewand für die Theologie.

      Die Wissenschaft ist eng verknüpft mit der Philosophie, haben sich die heutigen "Naturwissenschaften" doch aus der Philosophie über das Wesen der Natur entwickelt. Man begann aus dem Glauben heraus die Schöpfung zu untersuchen; die allermeisten der bedeutenden Wissenschafter im 15. bis 18. Jahrhundert waren gläubige, religiöse Menschen. Später wurden die Naturwissenschaften vom Glauben entkoppelt und dem Volk wurde weisgemacht, Glaube und Wissenschaft seien konträre Dinge und nicht miteinander vereinbar. - Oder andersrum: Die Wirkung sei nicht mit dem Ursprung vereinbar... Dies ist der echt verschwörerische Teil der Aufklärung!

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        Jörn Dyck

        Losian, wenn die Philosophie ein notwendiges Gewand für die Theologie ist (wie Sie behaupten), dann muss auch nach den Regeln der Philosophie gespielt werden. Philosophie ist, einfach gesagt, die Kunst des vernünftigen Argumentierens. Dazu gehört, dass Grundannahmen überprüft werden, bevor man weitere Schlussfolgerungen daraus ableiten kann.

        Ihr Grundannahme besteht darin, dass die Heilsbotschaft des Christentums von Gott stamme. Das ist aber strittig. Und nicht nur ist es strittig, sondern es nimmt das Ergebnis der Untersuchung vorweg. Dadurch ist es ein Zirkelschluss. Zirkelschlüsse sind immer falsch.

        Richtig muss es lauten: Gibt es diesen Gott? Welche Beweise lassen sich dafür finden? Hatte er eine Heilsbotschaft? Bedeutet sie wirklich ein »Heil« für die Menschen? Zu welchen Bedingungen? Sind diese Bedingungen moralisch akzeptabel, und falls nicht, ist es dann überhaupt eine Heilsbotschaft?

        Ich kann auch Ihre These nicht verstehen, es gebe zwei unterschiedliche Ebenen, nämlich eine von Gott zu Mensch, und eine von Mensch zu Mensch. Denn ich habe noch nirgends das kleinste Fitzelchen der ersten Ebene gesehen. Alle antiken Texte stammen von Menschen und richten sich an Menschen — also die zweite Ebene.

        Und da also die erste Ebene nicht zu sehen ist, scheint es mir rätselhaft, wie man diese unterschiedlichen Ebenen (Zitat) »kalibrieren« soll. Sie schreiben, nur dann könne sich ihre (Zitat) »wirkliche Aussagekraft« zeigen. Aber was wäre zum Vergleich eine »unwirkliche« Aussagekraft? Was ist der Maßstab? Wie wollen Sie einen Maßstab ableiten von einer Sache, die nicht vorhanden ist? Und schließlich: Gibt es ein Beispiel für diese »wirkliche Aussagekraft«?

        Diese unklaren und ungeprüften Grundannahmen und das ständige Bestehen darauf, dass für religiöse Behauptungen andere Maßstäbe gelten (ohne dass diese klar definiert und geprüft würden), scheint ein Mechanismus zu sein, der nicht nur bei Religionen zu finden ist, sondern bei allerlei anderem Krimskrams.

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        Norbert Schönecker

        Es geht auch viel einfacher, nämlich durch empirische Beobachtung:

        Es gibt religiöse Menschen, die ,überzeugt sind, dass hinter den Regierungen der Welt wahlweise die Freimaurer, die Illuminaten oder die zionistischen Weltverschwörer die Strippen ziehen, einzig mit dem Ziel, die Menschheit vom wahren Glauben abzuhalten.

        Womit bewiesen ist: Religion schützt zumindest nicht völlig gegen Verschwörungsdenken.

        Es gibt aber auch Atheisten und sogar bekennende Humanisten, die davon überzeugt sind, dass die Bischöfe im Vatikan eigentlich gar nicht an Gott glauben, sondern diesen Glauben nur vortäuschen, um ihre immense Macht und ihren sagenhaften Reichtum zu behalten.Zu diesem Zweck halten sie die ganze Menschheit dumm (außer natürlich der geistigen Elite, die diese Verschwörung durchschaut).

        Womit bewiesen ist, dass auch der Humanismus zumindest nicht völlig vor Verschwörungsdenken schützt.

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          Andreas Edmüller

          Hallo Losian,

          eine historische Betrachtung von Verschwörungstheorien zeigt, dass sich immer auch schon Götter und andere Fabelwesen gegen Menschen verschworen haben. Ein klassisches und allgemein bekanntes Beispiel findet sich bei Homer: Hera und Athene tun sich zusammen, um es Paris ordentlich heimzuzahlen: Der goldene Apfel für Aphrodite führt zum Untergang Trojas.

          Und wie ist das mit den außerirdischen Reptiloiden, die angeblich die Weltherrschaft an sich gerissen haben? Wie war das mit Jahwe, der erst den armen Pharao verblendet und ihn dann für die in Verblendung begangenen Taten bestraft? Pharao kann sich da völlig zu Recht als Opfer einer Intrige wähnen. Also: Das Feindbild eines Verschwörungskonstruktes können Phantasiewesen jeder Art sein. Einen „Kategorienfehler“ sehe ich da weit und breit nicht.

          In unseren Büchern entwickeln wir ein sehr klares Begriffs- und Kriteriensystem zur Kategorisierung und Beurteilung von Verschwörungstheorien und zeigen die extreme Ähnlichkeit unhaltbarer Verschwörungstheorien mit dem Phänomen Religion an zahlreichen Beispielen auf. Diese Ähnlichkeit reicht tatsächlich noch viel tiefer als in meinem kurzen Artikel skizziert.

          Unsere Quintessenz: Religion, „alternative Heilmethoden“, Verschwörungskonstrukte, Esoterik, Anthroposophie etc. sind alle Ausprägungen derselben menschlichen Irrationalität und erkenntnistheoretisch gleichermaßen inakzeptabel. Die säkulare Frohbotschaft: Aufklärung hilft, also rationales Denken, Entscheiden und Handeln!

          Dass die Philosophie ein „notwendiges Gewand für die Theologie“ sei, halte ich als Philosoph in etwas für so plausibel wie die entsprechende These bezüglich Homöopathie oder Astrologie. Deren Vertreter versuchen auch immer wieder, ihren Unfug in „gelehrte Sprache“ zu gießen und greifen dafür gerne auf Begriffe aus Wissenschaft und Philosophie zurück. Das ärgert mich natürlich - ist aber durch unsere Verfassung gedeckt. Aber: Unfug bleibt Unfug, egal wie geschraubt er verbal verpackt wird.

          Klar ist allerdings, erstens, dass Theologie traditionell die Philosophie missbraucht hat und das immer noch versucht. Klar ist, zweitens, dass gerade philosophische Argumente zeigen, dass Erkenntnis- und Wahrheitsansprüche der Theologie so belastbar sind wie die des Tarot oder der Astrologie - oder die QAnons.

          Schließlich: Ob Wissenschaftler religiös sind oder nicht, ist für die von ihnen entwickelten Argumente und Theorien irrelevant. Es stimmt, Newton war religiös (und waschechter Esoteriker obendrein): Den für sein Verständnis euklidischen Raum hat er z.B. als das Sensorium Gottes verstanden. Diese Interpretation war aber nie Teil der Theorie selbst. Mit seiner Theorie bzw. deren Gleichungen hat er - vermutlich ungewollt - einen wichtigen Grundstein zur Ent-Theologisierung unseres Weltbildes und unserer Theorien geleistet. Auch Adam Smith war meines Wissens zumindest Deist - er hat mit seinen Untersuchungen trotzdem das Fundament für die rein säkulare Erklärung zahlreicher gesellschaftlicher Phänomene gelegt.

          Auch für die wissenschaftliche Qualität und Bedeutung der Evolutionstheorie ist es unerheblich, ob Darwin religiös war. Also: Was zählt ist die argumentative und inhaltliche Qualität einer Theorie und deren Potential zur Weiterentwicklung. Und natürlich kann das Ergebnis dieser Theorien und deren Weiterentwicklung sein, dass man bestens ohne die Gotteshypothese auskommt. Das nennt sich Erkenntnisfortschritt. In den Wissenschaften gibt es den, in Theologie, Astrologie oder Esoterik nicht.



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          1. userpic
            Peter

            "Es gibt aber auch Atheisten und sogar bekennende Humanisten, die davon überzeugt sind, dass die Bischöfe im Vatikan eigentlich gar nicht an Gott glauben, sondern diesen Glauben nur vortäuschen, um ihre immense Macht und ihren sagenhaften Reichtum zu behalten.Zu diesem Zweck halten sie die ganze Menschheit dumm (außer natürlich der geistigen Elite, die diese Verschwörung durchschaut)."

            Diese Ansicht darf sowieso niemand offiziell und in der Öffentlichkeit zugeben , ohne sich eine Verleumdungs- und Beleidigungsklage einzuhandeln. Das bedeutet aber nicht , daß dies eine Verschwörungstheorie ist. Aus der Luft gegriffen ist die Behauptung nämlich nicht. Der Zweck der Religionen war schon immer (und ist es immer noch) , mit dem Spiel mit der Angst der anderen Menschen Macht über dieselben zu erlangen. Noch heute wird mit Spendenaufrufen den Gläubigen ein schlechtes Gewissen eingeredet. Das ist keine Tugend , obwohl leider erlaubt. Zumindest wird wohl kaum einer abstreiten, daß Bischöfe und Kardinäle steinreich sind. Diese Aufrufe wirken also !

            Was also genau soll diese Ansicht zu einer Verschwörungstheorie machen ?

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