Moral Posing statt Moral

Ich habe kürzlich mit jemandem auf der Straße geredet, der für eine große Umweltorganisation Spenden sammelt. Unter anderem ging es um die Rettung der Eisbären.

Moral Posing statt Moral

Georg Heinrich Sieveking: Hinrichtung von Ludwig XVI, 1793

Zuerst wollte ich einfach an ihm vorbeigehen wie an den Leuten von Amnesty International vor ein paar Wochen, aber als ich das bei Amnesty gemacht habe, wurde ich beinahe von einem Radfahrer erfasst. Also bitte. Die Unterhaltung hat mich auf eine Eigenschaft unserer Kultur aufmerksam gemacht.

In unserem Gespräch wies ich den Umwelt-Aktivisten auf die Problematik der Beeinflussung der Politik durch NGOs wie seine hin, auf die involvierten Interessenskonflikte mit den Leuten, die sich gegen Wildtiere zur Wehr setzen müssen, die verschiedenen Fälle von Massensterben in der Erdgeschichte, bei der auch ohne menschliche Eingriffe Millionen Tierarten ausgestorben sind. Kurz gesagt war auch ich mal wieder froh, über ein intellektuell interessantes Thema reden zu können. Er war nach meinen Ausführungen der Meinung, dass ich ein Wissenschaftler sein müsse. Schließlich gab er sich damit zufrieden, dass ich mich intensiv mit seinem Anliegen befasst habe, auch wenn ich zu einem anderen Ergebnis gelangt war als er. „Du bist heute der erste. Die anderen wissen gar nichts.“ (Ja, das sagt man eigentlich nicht, aber aus meinen Promoter-Zeiten kenne ich die Endzeit-Stimmung, die man am Ende eines langen Tages hat, den man mit dem Versuch verbrachte, Passanten von irgendetwas zu überzeugen).

Dabei erinnerte ich mich an mein Gespräch mit einem Tierrechtler von einer anderen Organisation vor ein paar Jahren. Er wollte Tiere retten, die für Tierversuche genutzt wurden. Ich sprach dann eine ganze Weile lang über die Geschichte des deutschen Tierschutzgesetzes, den Nutzen von Tierversuchen und so weiter, bis er irgendwann nickte und sagte: „Na gut, wenigstens hast Du Dich mit dem Thema befasst. Du bist heute der erste. Ich bin nur noch morgen hier, falls Du doch noch Deine Meinung änderst.“

Second-Hand-Weltbild

Wie kann so gut wie niemand in Deutschland eine Ahnung von den Anliegen dieser Öko-Aktivisten haben? Schließlich ist doch Deutschland das Land, das mit der Energiewende die radikalste Öko-Politik überhaupt betreibt. Ein so striktes Tierschutzgesetz hat auch nicht gerade jede Nation. Und die Bevölkerung heißt dies offenbar mehrheitlich gut, denn sonst gäbe es solche Dinge nicht. Auf welcher Grundlage finden sie das alles gut, wenn sie nichts darüber wissen? Ich habe sogar vor einer Weile mit jemandem gesprochen, der meinte, man solle die brasilianischen Bauern erschießen, damit sie nicht den Regenwald abholzen. Es stellte sich heraus, dass er auch so gut wie nichts über die Hintergründe der Regenwaldabholzung wusste. Aber er konnte ganz leichtfertig und nebenbei die Massenexekution von Menschen fordern.

Hassrede gegen den US-Präsidenten

Was ist hier überhaupt los? Und es ist nicht nur das Öko-Thema. Donald Trump wird aktuell mit einem eifernden Hass kritisiert, der sogar den Hass auf George W. Bush weit übertrifft. Gerade war beim Faschingsumzug in Düsseldorf ein Motivwagen zu sehen, bei dem die Freiheitsstatue den abgetrennten Kopf von Donald Trump hochhält. Auf der Statue steht „America Resist!“ und sie trägt die „Verfassung“ unter dem anderen Arm. Ich interpretiere das so, dass „Amerika“ Trump durch ein politisches Attentat ausschalten soll. Das ist barbarisch. Dabei hat Amerika Trump gewählt. Wie viele von Trumps deutschen Gegnern haben seine Reden angehört und sich über die Hintergründe seiner politischen Maßnahmen informiert?

Ein Leser meinte, dass er den Motivwagen anders auslege, aber er erläuterte nicht näher, wie er seiner Ansicht nach zu verstehen sei. Es sollte jedenfalls den Verantwortlichen klar sein, dass ein Faschingswagen mit dem abgetrennten Kopf des US-Präsidenten Anstoß erregen wird und bei mir erregt hat. Ich sehe nicht, wie die „Verfassung“ mit einem abgehackten, blutenden Kopf eines demokratisch gewählten US-Präsidenten vereinbar sein soll, der sich bislang an alle Gesetze und mit Sicherheit an die US-Verfassung gehalten hat. Die Darstellung erinnert an eine berühmte Zeichnung von der öffentlichen Hinrichtung von Ludwig XVI während der Französischen Revolution. Selbst dieses historische Ereignis halte ich für eine Fehlentscheidung der Revolutionäre und Ludwig XVI war zumindest der Repräsentant eines absolutistischen politischen Systems. Und nicht das US-amerikanische Äquivalent von Angela Merkel, von unserem gewählten Staatsoberhaupt.

Dieses Beispiel reiht sich offenbar in einen aktuellen Trend unter linken Trump-Gegnern ein, nämlich, ihm den Tod zu wünschen oder sogar zu seiner Ermordung aufzurufen. Auf Twitter kann sich jeder dieses Spektakel mit Hilfe des Hashtags #AssassinateTrump selbst ansehen. Die US-Zeitung National Review nennt weitere Todeswünsche und -drohungen gegenüber dem US-Präsidenten. Einflussreiche Journalisten, darunter ein Kolumnist der New York Times, haben entweder Witze über die Ermordung Trumps gemacht oder sie sich gewünscht. Sargon of Akkad hat einige der Fälle in diesem Video zusammengetragen. Wissen seine hasserfüllten linken Gegner wirklich genug über Trump, um ihn für einen Faschisten halten zu können, der ermordet werden sollte?

Mitlaufen statt Mitdenken?

Nicht nur in Deutschland, auch im übrigen Westen hat das Moral Posing die Moral ersetzt. Man übernimmt kritiklos die moralischen Überzeugungen einer selbsternannten Elite und wiederholt sie, ohne sie selbst zu prüfen. Dann präsentiert man sich als moralisch überlegen, weil man diese progressiven Auffassungen teilt, die gerade im Trend sind. Ohne auch nur mit ihren Vertretern reden zu wollen, die an jeder Straßenecke stehen, um sie einem zu erklären. Das ist erbärmlich. Ich kann das alles nicht nachvollziehen. Wenn ich die Energieversorgung meines Landes gefährde, dann sollte ich doch wenigstens wissen, warum? Wenn ich mir öffentlich den Tod des Staatsoberhauptes einer liberalen Demokratie wünsche oder ihn gar fordere, dann sollte ich doch wissen, was er eigentlich verbrochen hat, um so etwas zu verdienen? Und wenn ich Tierrechte und Tierschutz befürworte, dann doch sicherlich, weil ich mich mit dem Thema befasst habe?

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Kommentare

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    Tobias Stricker

    Ja, ich weiß genug über Trump, um ihn für einen Faschisten zu halten. Nicht wie Hitler, sondern wie Mussolini. Und er ist eine massive Gefahr für die Demokratie in den USA. G.W. Bush war ein gefährlicher Idiot, aber ein Demokrat. Trump unterbietet noch den Intellekt von Bush und lässt diesen neben ihm wie ein Philosoph erscheinen. Was Trump aber besonders gefährlich macht ist sein komplettes Unverständnis von Demokratie und ihren Regeln, sowie seine extreme Persönlichkeitsstörung. Ideologisch ist er eine update Version der Faschisten der 1930er. Man muss tatsächlich nur wenige Worte und Ereignisse in den Reden austauschen und man erhält 1:1 Hitler, Goebbels und Mussolini.


    Ansonsten: Worüber erregt sich der Autor in diesem Artikel? Das die Menschen sich nicht in Hunderte von Einzelthemen bis in die letzten historischen Einzelheiten einarbeiten? Wie sollten sie?
    Das gesellschaftliche Kohärenz dadurch entsteht, dass die Menschen die moralischen Ansichten einer als moralisch erstrebenswerten "Elite" übernehmen? Weil die Menschen so versuchen sich selber mit "dem Guten" zu identifizieren?
    Wäre es besser, wenn dem nicht so wäre?

    Dieser Artikel ist ein typischer Versuch weit rechts stehender, extrem konservativer Relativisten von ihrem Standpunkt aus gesehen "linke" Politikansätze zu diskreditieren, indem man ihnen die moralische Legitimität abstreitet. Wobei schon die CDU von diesen Rechtsextremen als "linke" Politik diffamiert wird. Dass solche Positionen nun in religionskritischen Gruppen massiv verbreitet werden, scheint eine abgesprochene Strategie zu sein, da dies nicht nur auf der Seite von Richard Dawkins, sondern fast allen atheistischen Gruppen derzeit massiv erfolgt. Diese sind inzwischen Trump und AfD Fangruppen geworden, was der atheistischen Bewegung massiven Schaden zufügt. Schade!

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      Karl Barsch

      "G.W. Bush war ein gefährlicher Idiot, aber ein Demokrat."
      D.h. Demokraten können sich alles erlauben und Republikaner sind automatisch die schlimmsten Menschen, die es gibt? Das ist aber eine sehr schlechte argumentative Position.
      Ich sehe den Autoren auch eher im Bereich der Mitte, das Problem ist, dass die Linken so weit nach links abgerutscht sind, dass die Mitte wie "weit rechts stehend" erscheint. Und das ist auch der Grund, warum Trump überhaupt gewählt wurde.
      Immer dran denken: "Ein dunkles Rot ist auch ein Braun."

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        Monsoon

        ""G.W. Bush war ein gefährlicher Idiot, aber ein Demokrat."
        D.h. Demokraten können sich alles erlauben und Republikaner sind automatisch die schlimmsten Menschen, die es gibt? "

        Bush war / ist Republikaner, dennoch ein Demokrat und kein Faschist. So verstehe ich das zumindest.

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          Tobias Stricker

          Der Begriff "Demokrat" war nicht in Bezug auf die "Demokratische Partei" in den USA bezogen, sondern das politische System. Beide Bush gehört übrigens der Republikanischen Partei an. Deine Antwort macht also nicht den geringsten Sinn.

          Es gibt in der Linke verschiedenste Strömungen, von denen einige in den Linkspopulismus abgleiten, andere in Träumereien, andere sind realistische Modernisierer und viele engagieren sich für alle möglichen ehrenwerte Ziele.
          "Der Linken" also vorzuwerfen nach links abgerutscht zu sein offenbart schlichte Unkenntnis und fehlendes Differenzierungsvermögen.

          Wer diesen Artikel allerdings als einen Beitrag aus der gesellschaftlichen Mitte wahrnimmt und charakterisiert, offenbart ein rechtsextremes Weltbild.Wer eine Person wie Trump explizit in Schutz nimmt und sich derart mit ihm solidarisiert, der ist noch nicht einmal in den USA in der Mitte der Gesellschaft, von Europa oder gar Deutschland nicht weiter zu reden. Lediglich in Russland könnte er sich noch als gesellschaftliche Mitte begreifen, nachdem dort die gesamte Opposition entweder im Gefängnis sitz, ermordet oder aus Russland vertrieben wurde.

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            Norbert Schönecker

            Die Frage des Artikels lautet nicht: "Ist Trump ein fähiger/guter/intelligenter/demokratischer Präsident?"
            Die Frage des Artikels lautet: "Ist die Darstellung der Enthauptung eines missliebigen Menschen eine akzeptable Form der politischen Satire?"

            Ich schließe mich der Meinung Andreas Müllers an. Dabei halte ich Donald Trump für einen durchaus gefährlichen Menschen. Aber für einen Tyrannenmord reicht seine Gefährlichkeit - soweit ich das bislang abschätzen kann - dann doch nicht aus.

            Und von Enthauptungen im Namen der Verfassung halte ich schon gar nichts.

            Wer sich über die realen Todesstrafen in den USA aufregt (so wie ich), der sollte satirische Darstellungen von Enthauptungen der eigenen politischen Gegner nicht komisch finden.

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              Karl Heinz Siber

              G.W. Bush war natürlich Republikaner, nicht Democrat. Was der Leserbriefschreiber Stricker wohl meint ist dass G.W. Bush gesinnungsmäßig ein Demokrat war, während Trump ein Antidemokrat ist.

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              Hard Frost

              "Weil die Menschen so versuchen sich selber mit "dem Guten" zu identifizieren?
              Wäre es besser, wenn dem nicht so wäre?"

              Nur darum geht es in dem Artikel. Trump wird hier nur als Beispiel benutzt, um zu verdeutlichen, wie das mit dem "moralischen Mitläufertum" funktioniert. Daraus jetzt irgendwie einen Nazi-Vorwurf zu konstruieren, um dann im Nachhinein Atheisten zu diskreditieren, das ist doch schon im Anlauf als nicht ernstzunehmender Unsinn erkennbar.
              Und natürlich wäre es besser, wenn dem nicht so wäre! Wenn nicht an allen Ecken und Enden alles mögliche nur nachgeplappert würde, gäbe es sicherlich etliche -völlig überflüssige- Probleme weniger. Was meinst du denn, wie Religionen funktionieren, und die Moral dazu? Die wenigsten Leute denken sich was dabei.

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              Karl Barsch

              "Deine Antwort macht also nicht den geringsten Sinn."
              Stimmt, da hatte ich mein Gehirn wirklich nicht eingeschaltet und vollkommenen Blödsinn geschrieben.
              "Wer diesen Artikel allerdings als einen Beitrag aus der gesellschaftlichen Mitte wahrnimmt und charakterisiert, offenbart ein rechtsextremes Weltbild."
              Dieser Artikel ist relativ neutral (gut ein klein wenig anti-links) und daraus zu schließen, ich hätte ein rechtsextremes Weltbild ist vollkommen überzogen. Ist dir eigentlich klar, dass du mich damit als Nazi bezeichnest? Fehlt nur noch dass du mich als AfD-Wähler beschimpfst...
              Wie auch immer, ich halte nicht viel von Trump, so wie er aber ständig in den Medien dargestellt wird, fühle ich doch das Bedürfnis, ihn zu verteidigen.
              Auf der anderen Seite bin ich aber doch viel zu faul, hier noch weiter auszuholen, außerdem bringt es nichts mit Leuten zu diskutieren, die einen sofort als Nazi abstempeln, nur weil man eine andere Meinung hat.
              Schönes Leben noch.

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                Karl Heinz Siber

                An die Adresse des Herrn Müller: Wenn man sich mit einer Bewegung auseinandersetzen will, sollte man sich schon die Mühe machen, sich mit ihren führenden Köpfen zu messen und nicht mit ihrem Fußvolk auf der Straße. Das ist allzu billig.

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