Alle Wähler sind gleich – aber sind manche gleicher als andere?

Das Prinzip „eine Person, eine Stimme“ ist vernünftig, aber bei der Senatorenwahl in den USA hat ein Wähler aus North Dakota fünfzigmal so viel Einfluss wie ein Texaner

Alle Wähler sind gleich – aber sind manche gleicher als andere?

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Vielleicht die Wahl eines gefährlichen Spitzbuben als Präsident vor Augen, implementierten die Gründerväter der Vereinigten Staaten zwei grundlegende Beschränkungen der präsidialen Macht: Den Kongress und die Judikative.

Das dreigliedrige System der gegenseitigen Kontrolle funktioniert für gewöhnlich ziemlich gut. Zu gut manchmal, etwa wenn ein feindseliger Kongress jede Entscheidung eines bestimmten Präsidenten ohne Rücksicht auf seine politische Linie blockiert, nur, weil man ihn nicht mag. Aber im Großen und Ganzen funktioniert das System der drei Wege, und das Vetorecht des Senats über präsidiale Berufungen des obersten Gerichts ist eine besonders wichtige Sicherheitsvorkehrung.

Diese zentrale verfassungsmäßige Rolle des Senats wirft ein scharfes Licht auf die Prozesse, mittels derer Senatoren gewählt werden, zumal die Richter nicht irgendwann in den Ruhestand treten müssen. „Eine Person, eine Stimme“ ist ein ehrenwertes Ideal; erstaunlich, dass es bis 1920 dauern musste, bevor es „ein Mann, eine Stimme“ ablöste. Das allgemeine Wahlrecht blieb nicht unhinterfragt. Winston Churchill sagte: „Das beste Argument gegen die Demokratie ist ein fünfminütiges Gespräch mit dem durchschnittlichen Wähler.“ (Obwohl er das bei anderer Gelegenheit abmilderte: „Man sagt, Demokratie ist die schlechteste Art der Regierung, abgesehen von allen anderen Arten, die schon ausprobiert wurden“).

„Against Democracy“ von Jason Brennan zitiert den Befund, das „40 Prozent der Amerikaner nicht wissen, gegen wen die Vereinigten Staaten im zweiten Weltkrieg kämpften". Bevor ich der nationalen Hochnäsigkeit bezichtigt werde - wir Briten haben ein vergleichbar beklagenswertes Verständnis der Wirklichkeit. Man stelle sich die Wahlentscheidungen der 19 Prozent von uns vor, die denken, unser Planet brauche einen Monat, um die Sonne zu umkreisen. Oder die 27 Prozent, für die Menschen gleichzeitig mit Dinosauriern lebten. Und, zurück zu den USA, vergessen wir nicht die 40 Prozent, die glauben, dass das Universum nach der Domestizierung des Hundes seinen Anfang nahm.

Bin ich elitär? Ja natürlich!

Ist das ein Problem? Müssen wir den schon bis zum Klischee wiederholten Punkt abermals einüben? Wenn wir operiert werden müssen, wählen wir ohne zu zögern einen Elite-Chirurgen. Wenn wir ein Flugzeug besteigen, hoffen wir, dass der Pilot ein hochqualifizierter Experte ist.

Das vielleicht Jämmerlichste, was während der Brexit-Kampagne gesagt wurde, schlimmer als die 350-Millionen-Pfund-Lüge, war die Ermahnung, Experten zu misstrauen. „Du, der Wähler, bist der Experte.“ Nein, bin ich nicht. Es ist ein Skandal, dass ich zur Wahl gebeten wurde. Ich habe weder einen Abschluss in Ökonomie noch in Geschichtswissenschaft noch in den Sozialwissenschaften, und Sie, es sei denn, Sie haben einen, sind ebenfalls kein Experte zum Thema, ob es ratsam wäre, die Europäische Union zu verlassen. Also, ja, dort wo es um wirklich wichtige und komplexe Entscheidungen geht, ein Hoch dem Elitedenken!

Vorschläge eines „Wählerführerscheins“ werden mit Protestgeheul quittiert, obwohl es schon einen dienlichen Präzedenzfall gibt, nämlich den Einbürgerungstest für Immigranten in die USA. Andere unpopuläre Anregungen schließen die Idee ein, Akademiker sollten zwei Stimmen haben. Ungeheuerlich! Sind nicht alle Menschen gleich erschaffen? Aber ja doch!

Warum hat dann bei der Senatorenwahl ein Bürger von Wyoming das Äquivalent von 66 Stimmen, verglichen mit einem Kalifornier?

Das kommt heraus, wenn man die relative Gewichtung der Stimmen bei der Senatorenwahl berechnet. Warum hat jemand aus Oklahoma zehn Stimmen, ein New Yorker aber nur zwei? Natürlich kennen wir die historische Begründung, warum jeder Staat unabhängig von seiner Bevölkerung zwei Senatoren hat, und sie verdient Achtung. Dennoch – wenn wir betrachten, dass ein einzelner Mensch in North Dakota fünfzigmal so viel Einfluss bei der Senatorenwahl hat wie ein Texaner – macht uns das nicht nachdenklich? Solche Berechnungen lassen sich auch mit dem Wahlmännergremium bei der Präsidentenwahl anstellen, und sie liefern ähnliche, wenn auch weniger dramatische Ungleichheiten.

Ein annehmbarer Widerspruch gegen die Wählerführerschein-Idee ist, dass sie die Armen und Benachteiligten diskriminiert – ein überzeugender, vielleicht endgültiger Einwand. Aber wenn Diskriminierung auf der Grundlage von Bildung oder wirtschaftlichem Erfolg widerwärtig ist, gilt es zumindest zu begründen, warum Diskriminierung nach dem Staat, in dem man zufällig lebt, es weniger ist. Gelinde gesagt, das Fallbeispiel haben wir, und es ist beschämend.

Zwei Stimmen für einen Doktor erscheinen geradezu maßvoll verglichen mit 66 Stimmen, nur, weil man in einem bestimmten Staat lebt. Und der Präzedenzfall, um von „eine Person, eine Stimme“ abzuweichen, ist nicht nur erfüllt, sondern vielfach, bis zu 66-fach übererfüllt.

Was den „Führerschein“ betrifft, gilt der Einwand, dass er benachteiligte Wähler diskriminiert, nicht für Wahlkandidaten. Wenn wir einen qualifizierten Chirurgen oder Piloten verlangen, wäre es wirklich so schrecklich, einen unkundigen Amateur als Präsidenten zu diskriminieren? Wenn der Einbürgerungstest als Mindestqualifikation übernommen würde, wie sicher könnten wir sein, dass die Kandidaten für Präsidenten- und Vizepräsidentenamt ihn bestehen würden?

Von der guten Quelle seines Ghostwriters wissen wir, dass Donald Trump in seinem Erwachsenenleben niemals ein Buch gelesen hat und schreiben seine Verachtung für verfassungskonforme Rechtmäßigkeit noch gutwillig seiner Unwissenheit zu. Was nun Sarah Palin betrifft...

Übersetzung: Harald Grundner, Jörg Elbe

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Kommentare

  1. userpic
    Saskia

    Zunächst würde ich die Ungleichheit, dass "ein einzelner Mensch in North Dakota fünfzigmal so viel Einfluss bei der Senatorenwahl hat wie ein Texaner" begleichen. Außerdem finde ich die Idee, den Einbürgerungstest zu bestehen, als Grundvorraussetzung dafür, Präsident zu werden, gut. Ich bin mir sicher, dass Trump den nicht bestehen würde ...
    Aber hey, ich habe keinen Abschluss in Politikwissenschaften oder ähnlichem, also was weiß ich schon.

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