Die Wissenschaft enthüllt unsere tiefste Bestimmung
In einer Rückblende im Film Der Stadtneurotiker von 1977, will Woody Allens Charakter Alvy Singer, ein depressiver kleiner Junge, seine Hausaufgaben nicht machen, denn, so erklärt er seinem Doktor:
„Das Universum expandiert. […] Nun, das Universum ist alles und wenn es expandiert, wird es eines Tages auseinanderfallen und das wird dann das Ende der Welt sein.“
Seine wütende Mutter rügt ihn:
„Was hat das Universum bitteschön damit zu tun?! Du bist hier in Brooklyn. Brooklyn expandiert nicht!“.
Nennen wir es „Alvys Fehler“: Den Zweck von etwas auf der falschen Analyse-Stufe zu bewerten. Die Ebene auf der wir unser Handeln bewerten ist die menschliche Zeitskala von Tagen, Wochen, Monaten und Jahren – unsere Lebensspanne von 80 Jahren plus minus 10 – aber nicht die Milliarden Jahre auf dem kosmischen Kalender. Es ist ein Fehler, den Theologen häufig begeben, wenn sie behaupten, dass ohne eine externe Quelle, aus der sich Moral und Sinnstiftung ableiten lassen, nichts von Bedeutung ist.
Einer der prominentesten Theologen unserer Zeit, William Lane Craig, war vor Alvys Fehler nicht gefeit, als er 2009 in einer Debatte an der Columbia University mit dem Philosophen Shelly Kagan von der Universität Yale verkündete
„Gemäß der naturalistischen Sichtweise wird alles letztendlich des Universums im Wärmetod zugrunde gehen. Wenn das Universum expandiert, kühlt es nach und nach ab, bis die Energie verbraucht ist. Irgendwann sind alle Sterne ausgebrannt, alle Materie wird zu toten Sternen und schwarzen Löchern kollabieren, es wird kein Leben geben, keine Wärme, kein Licht – nur Sternenleichen und Galaxien, die in die ewige Dunkelheit entfliehen. In Anbetracht dieses Endes erscheint es mir schwer verständlich, warum unsere moralischen Entscheidungen irgendeine Art von Bedeutung haben sollten. Es gibt keine moralische Rechenschaft. Das Universum ist weder besser oder schlechter, egal was wir tun. Unser moralisches Leben wird ausgehöhlt, weil wir keinerlei kosmologische Bedeutung haben.“
Kagan nagelte Craig auf diese Aussage fest und bezog sich auf dessen Beispiel der gottlosen Folterer:
„Ich habe den Eindruck, dass das ein unverschämter Einwand ist. Es ist also völlig egal? Es ist dem Folteropfer zweifelsfrei nicht egal, ob es gefoltert wird. Es muss keinen großen kosmischen Unterschied für die ewige Bedeutung Universum darstellen, wenn es darauf ankommt, ob ein Mensch gefoltert wird. Es ist ihnen nicht egal, es ist ihren Familien nicht egal und es ist uns nicht egal.“
Craig beging einen ähnlichen Fehler, als er behauptete, dass es „ohne Gott keine objektiven moralischen Werte, moralischen Verpflichtungen oder moralische Rechenschaft gäbe“, und dass „falls das Leben am Grab endet [es also kein Jenseits gibt], es dann letztlich keinen Unterschied macht, ob man als Stalin oder als Mutter Teresa gelebt hat.“ Nennen wir es den „Craigschen Kategorienfehler: Den Wert von etwas anhand des falschen Kriteriums zu er messen. In meinem neuen Buch „Heavens on Earth“, das kürzlich veröffentlich wurde, widerlege ich die weitverbreitete Auffassung, dass unser Leben ohne Gott und ein Leben nach dem Tod keinerlei Moral oder Sinn hat. Wir leben im Hier und Jetzt, nicht im Jenseits, also müssen unsere Handlungen nach diesem Kriterium bewertet werden, egal ob die Kategorie eines gottgegebenen Jenseits existiert oder nicht.
Ob man sich verhält wie ein sowjetischer Diktator, der zig Millionen Menschen umgebracht hat oder eine römisch-katholische Missionarin, die sich um die Armen sorgte, betrifft sehr wohl die Opfer von Totalitarismus und Armut. Warum es uns etwas angeht? Weil wir empfindungsfähige Wesen sind, die von der Evolution geformt wurden, auch in den Klauen der Entropie und des Todes zu überleben und zu gedeihen. Das Zweite Hauptsatz der Thermodynamik (die Entropie) ist der erste Hauptsatz des Lebens. Wenn man nichts tut, wird die Entropie voranschreiten und man bewegt sich auf eine erhöhte Unordnung hinzu, die im Tod endet. Also ist unser wichtigster Sinn im Leben, die Entropie dadurch zu bekämpfen, dass wir etwas „extropisches“ tun – Energie aufwenden, um zu überleben und zu gedeihen.
Nett zu sein und anderen zu helfen war eine erfolgreiche Strategie und steinzeitliche Stalins zu bestrafen war eine andere. Und aus diesen Handlungen hat sich die Moral herausgebildet. In diesem Sinne hat uns die Evolution kraft der Naturgesetze Moral und ein sinnerfülltes Leben beschert. Wir brauchen keine höhere Macht als dies um Sinn oder Moral zu entdecken.
Auf lange Sicht wird die Entropie das Ende von allem im Universum besiegeln auch das Ende des Universums selbst, aber wir leben nun mal nicht im „Auf lange Sicht“. Wir leben jetzt. Wir leben in Brooklyn, also sollten wir besser unsere Hausaufgaben machen. And genauso ist es wichtig, dass wir dieser Pflicht für uns selbst nachkommen, für unsere Liebsten, für unsere Gesellschaft, unsere Spezies und unseren Planeten.
Übersetzung: Lukas Mihr und Jörg Elbe
Kommentare
Wir sind Sternenstaub. Sternenstaub hat die Eigenschaft, Bewusstsein kreieren zu können. Was in der Natur im Kleinen Vorkommt, kommt auch im Großen vor (Atome, Planeten etc.). Wenn wir intuitiv um das Weiter-/Überleben kämpfen, dann tut es auch das Universum (als Person/Organismus betrachtet). Folglich ist Sinn des Bewusstseins, die Existenz zu sichern. Simpler ausgedrückt: Unsere Aufgabe ist es, das Ende der Entropie des Universums zu verhindern, um die Weiterexistenz des Universums zu sichern. Folglich müssten wir drüber nachdenken, wie man Gravitation gezielt beeinflusst, um die alles aufsaugenden schwarzen Löcher zu splitten und die Materie für neues Leben wieder frei zu geben. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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