Warum sind so viele Menschen gefangen in antiken Gottesideologien (Religionen)?
Ja, Religion ist in der Regel eine Ideologie.
Das Wort Ideologie bedeutet wörtlich Ideenlehre. Demnach wären auch Mathematik, Physik, Biologie etc. Ideenlehren. Aber der Begriff Ideologie meint eine spezielle Form der Ideenlehre. Damit man eine Ideenlehre als Ideologie klassifizieren kann, müssen fünf Kriterien erfüllt sein, nicht alle unbedingt idealtypisch.
Dogmatismus: Man behauptet, die absolute Wahrheit schon zu besitzen.
Kritikimmunisierung: Kernideen werden vor Widerlegung geschützt.
Verschwörungstheorien: Es gibt einen Hang, Verschwörungstheorien auszubilden, nach denen unsichtbare Mächte im Hintergrund die Fäden ziehen.
Utopie: Teil der Lehre ist es, dass es einen Idealzustand der Menschheit gab und/oder geben wird, in der alle in Harmonie lebten und/oder leben werden.
Werturteile: Werturteile werden als Tatsachen behandelt.
Untersuchen wir die Religion, die die meisten von uns kennen, hinsichtlich dieser fünf Elemente, das Christentum. Es gibt eine riesige Zahl unterschiedlicher Varianten, aber der absoluten Mehrheit ist gemeinsam, dass sie Dogmen haben, Sätze, die als absolut wahr gelten, ohne dass es möglich ist, deren Wahrheitsgehalt zu beweisen. Diese werden als Glaubenssätze bezeichnet, also Aussagen, die man ohne Beweise glauben muss, weil sie nicht bewiesen werden können. Dazu gehört beispielsweise die Existenz Gottes, die behauptet wird, aber für diese Behauptung wurde niemals ein gültiger Beweis gefunden. Alle bisher gefundenen Gottesbeweise sind entweder ungültig, weil sie logische Strukturfehler aufweisen, oder weil ihre Prämissen aus unbewiesenen Behauptungen bestehen, die teilweise sogar der Realität widersprechen.
Der Begriff Gott dürfte das am sorgfältigsten gegen Kritik immunisierte menschliche Ideenkonstrukt sein, das Menschen bisher ersonnen haben. Eine gegen Kritik immunisierte Idee ist unwiderlegbar, d. h., es können keine Tatsachen existieren, die logisch dieser Idee widersprechen. Die Kehrseite dieser Immunisierung ist, dass dann auch keine Tatsachen bestehen können, die diese Idee logisch stützen. Mit anderen Worten, die unwiderlegbare Idee hat keinen Bezug zu irgendwelchen Tatsachen.
Menschen neigen dazu, eine Idee für wahr zu halten, wenn man sie nicht widerlegen kann. Was die Mehrheit jedoch nicht weiß: Wenn eine Idee A nicht widerlegbar ist, kann das logische Gegenteil Nicht-A ebenso wenig widerlegt oder bewiesen werden. Jede Aussage lässt sich prinzipiell leicht gegen Kritik immunisieren. Dies kann auf vielen Ebenen geschehen: Man kann Kritiker ermorden oder mit Mord bedrohen und mundtot machen, das ist die drastischste Form der Immunisierung. Das war früher im Christentum generell üblich, heute nicht mehr, im Islam ist es noch heute so, dass man Todesdrohungen gegen Kritiker ausspricht. Man unterbindet die Kritik. Man kann Kritik auch verhindern, indem man die Kritiker mit der Hölle bedroht, oder sozialer Ächtung.
Heute wird im Christentum durch allerlei logische Tricks gegen Kritik immunisiert, nicht mehr durch Drohung und Einschüchterung, abgesehen von den führenden Theologen, die ihre Professur für Theologie sofort verlieren, wenn sie ein Dogma anzweifeln. Das ist oft genug geschehen, um eine reale Bedrohung zu sein.
Hier ein Beispiel für eine einfache Form der Immunisierung:
A: Selbstverständlich gibt es Geister.
B: Hm, ich habe noch nie Geister gesehen, ich bezweifle daher, dass es welche gibt.
A: Aber das beweist doch nur, dass Du für geistige Dinge nicht empfänglich bist! Dein Skeptizismus behindert Dich dabei, diese wahrzunehmen.
Statt zu beweisen, dass es Geister gibt, wie A behauptet, immunisiert A die Behauptung gegen Kritik. Denn wenn es Geister gibt, ist es durchaus so, dass man sie beobachten könnte. Um diesen Einwand aus der Welt zu schaffen, konstruiert A ein Erkenntnisprivileg: Nur wer an Geister glaubt, ist empfänglich für ihre Wahrnehmung. Bei den anderen reicht deren Fähigkeit nicht aus, sie sind behindert, was ihre Fähigkeit der Beobachtung angeht. Woran erkennt man dieses Handicap? Die Kritiker sehen keine Geister, nur die Gläubigen, die also über eine privilegierte Einsicht verfügen. Der logische Zirkel, der hier zur Abwehr der Kritik eingesetzt wird, fällt nicht jedem sofort auf.
Man kann den Spieß leicht umdrehen und einfach behaupten, dass dieses Erkenntnisprivileg nur darin besteht, dass man sich leichter täuscht, dass man überempfindlich ist etc. Denn bei allen kritikimmunen Ideen gilt, dass das logische Gegenteil automatisch ebenfalls immun ist gegen Kritik. Man kann jedes Argument, das zur Herstellung der Kritikimmunität dient, einfach umdrehen.
Glaubt man also eine kritikimmune Idee, weil sie nicht widerlegt werden kann, dann müsste man auch das genaue logische Gegenteil für wahr halten, denn das kann man auch nicht widerlegen (oder beweisen). Beides zusammen kann man jedoch nicht, es sei denn, es geht einher mit einer schweren kognitiven Störung.
Es gibt einen einfachen Test auf Kritikimmunität: Welche allgemein beobachtbare (empirische) Tatsache würde Dich dazu bewegen, die Behauptung zurückzuweisen?
Fragt man beispielsweise Kreationisten, welche empirische Tatsache ihre Behauptung, es gäbe einen intelligenten Designer, widerlegen würde, so bekommt man keine Antwort. Fragt man hingegen einen Biologen, welche mögliche Tatsache die Evolutionstheorie widerlegen würde, so kann dieser nach kurzem Nachdenken mehr als ein Dutzend solcher Beobachtungen anführen. Daher ist Kreationismus kritikimmun, die Evolutionstheorie jedoch nicht.
Man muss also fragen: Welche allgemein beobachtbare Tatsache würde die Existenz Gottes widerlegen? Kann man nicht mindestens eine solche Tatsache nennen, ist man einer gegen Kritik immunisierten Behauptung erlegen. Das bedeutet, dass die Behauptung, Gott würde existieren, in keinerlei Verbindung zu irgendwelchen Beobachtungen oder Tatsachen steht.
Nächster Punkt ist der Hang zu Verschwörungstheorien. Eine Verschwörungstheorie besteht in der Behauptung, dass unsichtbare Mächte im Hintergrund die Fäden ziehen und so über unser Schicksal bestimmen. Gott ist genauso eine unsichtbare Macht, daher basiert jede monotheistische Religion auf einer Verschwörungstheorie.
Was würde passieren, wenn sich jeder Mensch an Gottes Gebote hält? Glaubt man den Christen, dann bricht dadurch das Paradies auf Erden herein. Das Christentum lebt von seinen Utopien, denn spätestens nach dem Tod wartet auf die Anhänger das ideale Paradies schlechthin (den Kritikern wird es allerdings schlecht ergehen). Damit ist auch der vierte Punkt, das Bestehen einer Utopie, für das Christentum gegeben.
Auch der fünfte Punkt ist erfüllt, denn es wird eine absolute Moral behauptet, die es nur geben kann, wenn man absolute Werte hat. Absolute Werte sind jedoch nichts anderes als Werte als Tatsachen. Aber Werturteile sind keine Tatsachen, da Werte keine sind. Wir wissen inzwischen, dass es keine Letztbegründungen geben kann, das gilt für Werte wie für Behauptungen. Lediglich Gott wird von seinen Anhängern noch als eine Letztbegründung angesehen.
Ist der Atheismus eine Ideologie?
Wie wir sehen, erfüllt der Monotheismus alle Kriterien einer Ideologie. Dabei ist keine Ideologie im Sinne der Wissenssoziologie gemeint, die man davon unterscheiden muss, da dort der Begriff in anderer Bedeutung verwendet wird.
Ist der Atheismus eine Ideologie? Das wird von Religiösen gerne behauptet, nach dem Motto: auch Du, mein Sohn Brutus. Denn wenn der eigene Monotheismus sich so eindeutig als Ideologie klassifizieren lässt, kann es doch nicht so schlimm sein, wenn das Gegenteil auch eine Ideologie ist. Aber erstens ist der Atheismus nicht das Gegenteil vom Monotheismus, sondern vom Theismus, und Theismus ist an sich noch keine Ideologie. Theismus besteht nur aus einer einzigen Behauptung: Ich glaube an Gott. Das ist nur eine Idee, noch keine Ideenlehre, und beschreibt lediglich eine Tatsache, nämlich die, dass ich an Gott glaube. Dasselbe gilt für den Atheismus, der auch nur behauptet: Ich glaube nicht an Gott. Das reine Fürwahrhalten einer Behauptung, oder das Bestreiten einer solchen, ist noch keine Ideologie, denn dann wäre alles eine Ideologie und der Begriff wertlos. Es hängt davon ab, welche Strategien man hat, um seine Behauptung gegen Einwände zu verteidigen.
Selbstverständlich könnte man einen Atheismus konstruieren, der eine Ideologie darstellt. Nur hat das bisher noch nie jemand auch nur versucht.
Ideologien kann man als das Gift der Intellektuellen bezeichnen. Es erfordert eine gewisse intellektuelle Anstrengung, eine Ideologie aus einer Idee zu machen. Offensichtlich ist Intelligenz alleine kein Schutz dagegen. Denn politische Ideologien wie Faschismus oder Kommunismus wurden in erster Linie von Intellektuellen begründet und verteidigt, viele davon mit einer Intelligenz weit über dem Durchschnitt.
Der Grund dafür ist, dass die treibende Kraft für ideologisches oder illusionäres Denken aus den menschlichen Wünschen kommt. Der Wunsch, z. B. nach einer einfachen Welterklärung, ist die treibende Kraft einer jeden Ideologie. Gerade die Kritikimmunität wird dadurch angetrieben.
Rein logisch, wenn eine Idee nicht widerlegbar ist, aber ihr Gegenteil auch nicht, müsste man sich auf den Standpunkt stellen, dass die Idee zur Erklärung der Realität unbrauchbar ist. Lediglich der Wunsch, es möge so sein, wie man es sich vorstellt, führt zu einer Entscheidung für die Idee und nicht dagegen (oder umgekehrt). Man müsste also die Idee, dass Gott existiert, alleine auf der Basis zurückweisen, dass die Idee von Gott sorgfältig gegen Kritik immunisiert wurde. Denn eine kritikimmune Idee ist nicht einfach nur falsch, es ist viel schlimmer, die Idee ist sinnfrei. Eine Behauptung ohne jeden Sinn ist das Ende einer jeden Erkenntnismöglichkeit, ein Irrtum, eine falsche Idee, kann jedoch der Anfang der Erkenntnis sein - vorausgesetzt, man hat eine Möglichkeit, ihre Falschheit nachzuweisen. Dies ist bei einer kritikimmunen Idee nicht gegeben. Wahrheit kann es nur dort geben, wo es auch Falschheit gibt. Kritikimmune Ideen haben jedoch mit Wahrheit nichts zu tun, sie können einzig und alleine etwas über unsere Wünsche mitteilen.
Ein Beispiel für die Immunisierung gegen Kritk bei der Frage nach Gott:
Die Existenz Gottes lässt sich nicht widerlegen. Damit der Atheist jedoch ein Recht hätte, sich zum Atheismus zu bekennen, müsste er beweisen, dass Gott nicht existiert. Das wird aber als Möglichkeit ausgeschlossen.
Der Fehler liegt darin, eine falsche Definition von Atheismus zu nehmen. Nur behauptet der Atheist nicht, dass Gott nicht existiert, sondern nur, dass er nicht an Gott glaubt. Das ist aber unabhängig von der Existenz Gottes so, selbst wenn Gott existiert, wenn der Atheist nicht an ihn glaubt, so ist das alles, was er zur Rechtfertigung seines Atheismus benötigt. Um einen positiven Atheismus zu rechtfertigen benötigt es etwas mehr Mühe: Wenn man nachweist, dass der Begriff Gottes im Monotheismus sinnlos ist, frei von Sinn, also beispielsweise kritikimmun, so ist es richtig zu sagen: Ein kritikimmuner Gott kann nicht existieren, da die Idee frei von allen Tatsachen ist und keine Beziehung zur Wahrheit haben kann.
Interessant ist, dass sich die Gläubigen grob in zwei Gruppen spalten in Bezug auf die Beweisbarkeit Gottes. Die einen sagen, Gott sei selbstverständlich beweisbar, aber nicht widerlegbar, die anderen sagen, es funktioniere weder das eine noch das andere. Im Punkt Beweisbarkeit gibt es dann wieder zwei Ansichten, die einen sagen, Gott sei nicht absolut beweisbar, sondern nur relativ gut, während die anderen die Gottesbeweise als sehr gut betrachten.
Aber wissenschaftlich gesehen ist nur der Gott nicht beweisbar, der niemals in diese Welt eingreift. Ein eingreifender Gott wäre durchaus beweisbar, durch die Folgen des Eingreifens. Jetzt funktioniert die Immunisierung gegen Kritik so: Man behauptet, Gott sei nicht beweisbar, weil er transzendent sei. Das ist purer Unsinn, denn es spielt keine Rolle, ob Gott über der Natur steht oder nicht, entweder er greift in die natürlichen Abläufe der Welt ein, dann ist er beweisbar (und damit auch widerlegbar), tut er es nicht, ist er tatsächlich nicht beweisbar. Dieser nicht-eingreifende, deistische Gott wird dem Skeptiker (Atheisten) vorgehalten. Aber das ist nicht der Gott irgendeiner Religion, die Deisten, die an einen solchen Gott glauben, hatten keine Religion, sie haben diese sogar teilweise verachtet. Voltaire war kein Atheist, sondern Deist, aber von der christlichen Religion hielt er nichts. Wenn Gott nicht eingreift, gibt es keine göttliche Moral, keine göttliche Offenbarung, alle Religion ist reines Menschenwerk.
Tatsächlich sind recht viele Christen auch Deisten, aber halten ihre Religion trotzdem hoch, wenn auch aus ganz anderen Gründen als der Rest. Diesen Christen kann man keinen Vorwurf machen, sie sind in der Regel gegenüber Atheisten auch toleranter. Aber wer einem Skeptiker den deistischen Gott vorhält, an den er selbst nicht glaubt, widerspricht nicht nur sich selbst, er versucht vor allem, Gott gegen Kritik zu immunisieren. Er immunisiert allerdings nicht den Gott, an den er glaubt, sondern ein reines Gedankenkonstrukt, einen (für den Skeptiker) von ihm erfunden Gott. Er benutzt die Immunisierung aber gegen den Skeptiker oder Atheisten, als ob dies auch den Gott seines Glaubens beträfe.
Wenn Gott, beispielsweise, mit Heilungswundern eingreift, dann ließe sich das wissenschaftlich beweisen, auch wenn Gott das nur ab und zu nach unbekannten Regeln tut. Dafür gibt es statistische Verfahren, mit denen man das beweisen kann. Alle Versuche, einen solchen Gott zu beweisen, sind hochgradig gescheitert, so dass man mit der üblichen gebotenen Vorsicht sagen kann: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit existiert so ein Gott nicht. Ein Gott, der eingreift, es aber stets so tut, dass nur der Skeptiker nichts davon bemerkt, ist hochgradig gegen Kritik immunisiert und daher reiner Unsinn. Je mehr man Gott gegen Tatsachen abschirmt, um so sinnloser wird die Annahme seiner Existenz. Dann haben wir den Gott der reinen Ideologie, und damit wird auch die Religion zu einer puren Ideologie, speziell wenn man bedenkt, dass ja auch die restlichen Kriterien erfüllt sind.
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