Begründet glauben - Eine Rezension Teil 1/2

Ein Review von Stephan Langes Buch

Begründet glauben - Eine Rezension Teil 1/2

Foto: Pixabay.com / enriquelopezgarre

William Lane Craig - welcher ebenfalls im Buch zitiert wird - hat die Internetseite „www.reasonablefaith.org“ ins Leben gerufen. Möglicherweise hat sich S. Lange bei der Findung seines Buchtitels daran orientiert.

Einzelne Buchinhalte sind im Konjunktiv verfasst und kursiv hervorgehoben. Darauf erfolgt meine atheistische Version einer skeptischen Erwiderung.

S. Lange hält Skepsis nicht nur für richtig und wichtig, sondern auch für erlaubt und erwünscht - als Leser solle man nach 1. Thes 5, 21 alles prüfen und das Gute behalten. Es reicht ihm nicht seinen Lesern ein Buch an die Hand zu geben, das Gott als nicht nachweisbar, aber auch nicht als widerlegbar ansieht (vgl. S. 10).

Ob S. Lange damit dem Anspruch an einer umfassenden, der Logik verschriebenen Aufklärung gerecht werden kann, werden Sie nach dem Lesen der Rezension besser beurteilen können. Das Wort „Vernunft“ findet im Buch eine geradezu inflationäre Verwendung. Außerdem wird der Vernunft „geistig Gewalt angetan“.

S. Lange findet es großartig, wenn jemand mit seinen Fragen „hart nachbohrt“. Diesbezüglich weist er auf seinen Internetblog hin und lädt den Leser dazu ein, ihm sogar eine persönliche E-Mail zu schreiben (S. 184 ff.).

Im Buch werden folgende Themen besprochen:

der methodische Atheismus; die Multiversentheorie; Gott als vernünftige Antwort auf die Fragen, warum unser Universum existiert, lebensfreundlich und verstehbar ist; aufgrund der Bibelkompatibilität wäre nur die christliche Religion die Richtige; das Zentrum der Religion sei nicht die Nächstenliebe, man müsse nur das Angebot der Vergebung in Anspruch nehmen; der historische Jesus; der Überlieferungsprozess der Evangelien: oral tradition und oral history; sind Wunder religiös oder naturwissenschaftlich zu deuten?; wie wurden biblische Autoren inspiriert?; den „historischen Rand“ der Auferstehung: das leere Grab, die aufrichtige Überzeugung der Erscheinung des Auferstandenen, für Juden war die Auferstehung in Mitten der Weltgeschichte unvorstellbar; Messianische Bewegungen zur Zeit Jesu; war die Auferstehung Erfindung, Einbildung (Halluzination) oder Wahrheit?; die Offenbarung; Hoffnung; der Aufruf in den Evangelien zu lesen und zu beten; warum Gott das Leid zulässt; Leid als Preis der Freiheit oder Warnsignal; die Hölle; 

Feen, Kobolde, Einhörner, Gott?

Bei der Frage, ob nur das existiert, was nachweisbar ist, verweist S. Lange auf den methodischen Atheismus - die Naturwissenschaft arbeite nach dem Prinzip, als wenn es Gott nicht gäbe (vgl. S. 23).

Da es Gravitationswellen auch schon vor ihrer Entdeckung durch die Wissenschaft gegeben habe, sei es falsch gedacht, die Nichtnachweisbarkeit Gottes gegen seine Existenz sprechen zu lassen (vgl. S. 24). Skeptiker würden sich zu Recht darüber aufregen, dass dies Tür und Tor für Feen, Kobolde und Einhörner öffnen würde (vgl. S. 24). Es solle lediglich das in Betracht gezogen werden, was auch vernünftig (rational) begründbar sei (vgl. S. 25). Herr Lange versichert, wenn je ein Buch über die Vernünftigkeit des Einhornglaubens geschrieben werden sollte, würde er es lesen (vgl. S. 25).

Zum Kern des Problems ist Herr Lange mit dieser Art von Skepsis jedoch nicht vorgedrungen! Wer die Existenzhypothese "Es gibt eine Übernatur" vertreten möchte, muss die zugehörige Negation "Es gibt keine Übernatur" empirisch oder rational-argumentativ widerlegen. In den Naturwissenschaften würde man sagen, man muss die Nullhypothese falsifizieren. Im Falle von Existenzbehauptungen sagen die zugehörigen Nullhypothesen, dass eine Eigenschaft, ein Gegenstand oder ein Zusammenhang zwischen zwei Variablen nicht existiert. So müssen positive Hypothesen wie „Es gibt Gott“ bestätigt werden, indem die entsprechende Nullhypothese, wonach es keinen Gott gibt, empirisch widerlegt werden. Solange keine empirischen Belege für die Existenzbehauptung beigebracht wird, ist von der Richtigkeit der betreffenden Nullhypothese auszugehen. Würde man dies nicht tun, müsste man zunächst von der Existenz beliebig vieler denkbarer Entitäten bzw. Entitätsklassen ausgehen, bis die eine oder andere später vielleicht empirisch eliminiert würde. Mit dieser Forderung entgeht man also dem Proliferationsproblem („Wenn man den Teufel zulässt, kann auch seine Großmutter zulassen“) (Quelle: Naturalismus, Martin Mahner, 2019, vgl. S. 95). Der "Hauptsatz des ontologischen Naturalismus" kann also als metaphysische Nullhypothese begriffen werden, die von denen, wenn schon nicht empirisch zu falsifizieren, so doch argumentativ zu entkräften ist, die meinen, neben der Natur existiere eine Übernatur (Quelle: Naturalismus, Martin Mahner, 2019, vgl. S. 60 f.).

Der Gott der Lücken

An einem „Lückenbüßer-Gott“ sei Herr Lange nicht interessiert (S. 34).

Warum ist das erstaunlich? Dem Okkasionalismus zufolge wird alles supranatural verursacht. Nun ist für viele Theologen weder der Okkasioanalismus noch die Suche nach dem Lückenbüßer-Gott akzeptabel, so dass sie sich auf das Transnaturale zurückziehen. Der bis heute wohl beliebteste Ansatz dazu ist die bereits von Thomas von Aquin ins Spiel gebracht Verursachungsverdoppelung: Die Unterscheidung von primärer und sekundärer Verursachung. Demnach läuft das Weltgeschehen mittels natürlicher (= sekundärer) Ursache ab, während ein transnatürlicher Gott die primäre und damit indirekte Ursache „hinter den Kulissen“ darstellt. Damit will man nicht nur den Okkasionalismus vermeiden, sondern sich auch unangreifbar machen: Gott kann ohne Gefahr empirischer Kritik immer dort als primäre Ursache ins Spiel gebracht werden, wo man ihn gerade braucht. Und wo man ihn nicht braucht oder wo er nicht durch Kritik unter Beschuss geraten soll, kann man allein auf die der wissenschaftlichen Untersuchung zugänglichen sekundären Ursachen verweisen. Diese Immunisierungsstrategie verfängt jedoch nicht, denn da letztlich niemand wissen kann, wie viel primäre Verursachung im Universum stattfindet, könnte die göttliche Interventionsrate genauso gut 100 Prozent betragen. Ein relevanter Unterschied zum Okkasionalismus lässt sich also nicht ausmachen. Deshalb löst man dadurch auch das Problem der All-Erklärung nicht, denn auch mit der primären Verursachung lässt sich nach Bedarf Beliebiges erklären - und damit letztlich nichts. Man hat nur den Spielraum gewonnen, nicht mehr alles mit einem supranaturalistischen All-Explanans „erklären“ zu müssen, sondern nur noch das, was einem gerade wichtig ist. So kann man den Rekurs auf den Lückenbüßer-Gott im Bereich der Wissenschaft ein Stück weit vermeiden, kommt aber wieder nicht ganz um ihn herum, denn für bestimmte Ereignisse - wie z. B. die Entstehung der Welt, des Lebens oder des Geistes oder was für die gegebene Theologie gerade relevant ist - müssen Theisten weiterhin auf die primäre Verursachung zurückgreifen. Selbst wenn sie dabei nicht direkt eine wissenschaftliche Erklärung anbieten, weil sie sich auf der Ebene der Naturphilosophie bewegen mögen, unterstellt dieser Rückgriff auf eine primäre supranaturale Verursachung doch eine Unzulänglichkeit der betreffenden - sekundären - wissenschaftlichen Erklärung bzw. Weltbeschreibung. Welche Auswege sie sich durch die Zuflucht zum Transnaturalen auch offenhalten wollen, kommen diejenigen, die meinen, das Übernatürliche könne oder müsse gar empirisch belegt werden, nicht um einen direkt intervenierenden Lückenbüßer-Gott herum (Quelle: Naturalismus, Martin Mahner, 2019, Verlag: Alibri, vgl. S. 93 f.).

Ist die Frage: „Wer hat Gott erschaffen“ legitim?

Gott sei eine „vernünftige“ Erklärung für die Fragen, warum unser Universum existiere, warum seine Bedingungen so lebensfreundlich seien und warum es überhaupt verstehbar sei (S. 33 f.). Richard Dawkins könne in Bezug auf die Existenz des Universums schlecht fragen, wer Gott erschuf. Die Idee des Erschaffens wäre bereits Gottes Idee gewesen (S. 42).

Hier wendet S. Lange das Proliferationsproblem (wie zuvor erwähnt) trickreich ab, indem er dem Schöpfer notwendige Existenz zuschreibt (Quelle: Naturalismus, Martin Mahner, 2019, Verlag: Alibri, S. 96). Der skeptische Leser wird mit folgender Aussage „abgespeist“: Zähle man die Existenz Gottes zu seinem „Repertoire der vernünftigen Annahmen“, hieße das noch lange nicht, man würde sagen: „Gott existiert“. Man dürfe dann aber sagen: „Es könne – da vernünftig begründbar – sein, dass Gott existiert (S. 65)“.

S. Lange fällt offenbar nicht auf, dass er es Gläubigen als auch Atheisten/Skeptikern nicht gleichzeitig recht machen kann, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln! Wer auf ein kohärentes Weltbild (bzw. eine kohärente Weltanschauung) Wert legt, kann nicht zugleich eine naturalistische und supranaturalistische Metaphysik und Methodologie vertreten (Quelle: Naturalismus, Martin Mahner, 2019, Verlag: Alibri, vgl. S. 183)! Auch wenn es für Gläubige hart erscheinen mag, aus erkenntnistheoretischen Gründen kann über die Existenz Gottes nichts ausgesagt werden (Quelle: Mensch- Leid-Gott, Herbert Rommel, 2011, Verlag: Ferdinand Schöningh Paderborn, vgl. S. 97). Seit Immanuel Kant und seiner „Kritik der reinen Vernunft“ wissen wir, dass Gott kein Gegenstand der menschlichen Erkenntnis ist (Quelle: Mensch- Leid-Gott, Herbert Rommel, 2011, Verlag: Ferdinand Schöningh Paderborn, vgl. S. 140)!

Naturkonstanten und Multiversentheorie

Die lebensfreundlichen Bedingungen des Universums ließen sich durch die Feinabstimmung der Naturkonstanten erklären (S. 44). Eine Seite später zitiert S. Lange dann S. Hawking, hier wird das „starke anthropische Prinzip“ erwähnt (vgl. S. 45).

Das starke anthropische Prinzip behauptet, die Welt und auch die Naturgesetze seien so, wie sie sind, damit es uns geben konnte. Diese Antwort ist teleologisch; sie setzt einen Planer voraus und wird deshalb von Naturwissenschaftlern im Allgemeinen nicht akzeptiert. Diese Ablehnung erfolgt nicht dogmatisch: Teleologische Erklärungen waren lange Zeit Teil der Naturwissenschaft; doch haben sie sich mehr und mehr als entbehrlich erwiesen, zunächst in der Physik, dann in der Biologie. Eine Rückkehr zu teleologischem Denken wird man sich nur dann leisten, wenn gar keine andere Erklärungs- und Deutungsmöglichkeiten bestehen (Quelle: Wieso können wir die Welt erkennen? Neue Beiträge zur Wissenschaftstheorie, G. Vollmer, 2003, Verlag: S. Hirzel, S. 185). Außerdem möchte ich bezüglich der Feinabstimmung auf folgenden Artikel verweisen: Das Argument der Feinabstimmung der Naturkonstanten

Der skeptische Einwand des Lottogewinns sei zwar ungeheuer erstaunlich, aber bei weitem nicht so eindrucksvoll wie die Naturkonstanten (S. 50). Dann fragt S. Lange, ob man sich mit der Erklärung des reinen Zufalls für die Naturkonstanten „abfertigen“ lassen würde (S. 51). Der Schluss auf ein Multiversum wäre hier naheliegend, selbst wenn S. Lange richtig einräumt, dass wir diese vielen Welten weder sehen noch experimentell greifen könnten (S. 57 f.). Wer behaupte, wir hätten uns zwischen Gott und dem Multiversum zu entscheiden, biete eine falsche Alternative. Selbst ein mögliches Multiversum würde Gott nicht wegerklären (S. 59).

Was lässt sich darauf erwidern? Der wichtigste Unterschied zwischen der wirklich weit hergeholten Gotteshypothese und der scheinbar weit hergeholten Hypothese vom Multiversum liegt laut R. Dawkins in der statistischen Unwahrscheinlichkeit. Das Multiversum ist bei aller Exotik einfach. Gott oder jedes intelligente Agens, das Berechnungen vornimmt und Entscheidungen trifft, muss dagegen höchst unwahrscheinlich sein - unwahrscheinlich in demselben statistischen Sinn wie die Gebilde, die es angeblich erklärt. Das Multiversum mag exotisch erscheinen, was die schiere Zahl der Universen betrifft. Aber jedes dieser Universen ist in seinen Grundgesetzen einfach - das heißt, wir postulieren nichts, was höchst unwahrscheinlich wäre. Über jede Art von Intelligenz indes müsste man genau das Gegenteil sagen (Quelle: Der Gotteswahn, R. Dawkins, 2016, S. 206 f.).

Hier begeht R. Dawkins einen Denkfehler! Plausibilitäten sind eigentlich semi-quantitativ - Aussagen sind nur mehr oder weniger plausibel im Vergleich zu anderen, während der Wahrscheinlichkeitskalkül quantitativ ist, d. h., jeder Wahrscheinlichkeitswert bildet eine reelle Zahl zwischen 0 und 1 (Quelle: Naturalismus, Martin Mahner, 2019, Verlag: Alibri, S. 79). Der amerikanische Physiker Stephen Unwin erregte im Jahre 2003 Aufsehen, als er verkündete, die Wahrscheinlichkeit der Existenz Gottes betrage seinen Berechnungen zufolge 0,67 (Quelle: Naturalismus, Martin Mahner, 2019, Verlag: Alibri, vgl. S. 80). Wie will man mithilfe der Bayes´schen Formel eine Plausibilitätsabwägung zwischen Naturalismus und Supernaturalismus treffen, wenn man bei der Gewinnung der dazu nötigen empirischen Belege bereits den Naturalismus voraussetzen muss? Selbst potenzielle Belege für den Supernaturalismus müssten demnach auf rein naturalistischem Wege zustande kommen. Dieses Problem wird von den Empiristen - hier von R. Dawkins - geflissentlich ignoriert. Man kann metaphysische Voraussetzungen nicht wie empirische Hypothesen behandeln, obgleich man auf der Meta-Ebene der Philosophie durchaus das Pro und Kontra von Naturalismus und Supernaturalismus erörtern kann (Quelle: Naturalismus, Martin Mahner, 2019, Verlag: Alibri, S. 82). Den Glaubwürdigkeitsgrad der Hypothese „Gott existiert“ kann man nur subjektiv festlegen (Quelle: Naturalismus, Martin Mahner, 2019, Verlag: Alibri, vgl. S. 78)!

Bezüglich des Zufalls schreibt R. Dawkins: Im Prinzip könnte eine Art Multiversumtheorie in der Physik die gleiche Erklärungsarbeit leisten wie der Darwinismus in der Biologie. Auf den ersten Blick ist eine solche Erklärung weniger befriedigend als die biologische Version des Darwinismus, weil sie größere Anforderungen an den Zufall stellt. Aber wegen des anthropischen Prinzips dürfen wir viel mehr Zufall postulieren, als es unserer begrenzten menschlichen Intuition angenehm erscheint (Quelle: Der Gotteswahn, R. Dawkins, 2016, Verlag: Ullstein, S. 223).

S. Lange meint, ein Multiversum würde Gott nicht wegerklären, es würde sich um zwei falsche Alternativen handeln. Dabei übersieht er, dass es sich bei Gott bzw. dem anthropischen Prinzip sehr wohl um zwei Alternativvorschläge handelt. Nach R. Dawkins käme die Verwirrung im religiösen Denken dadurch zustande, dass das anthropische Prinzip immer nur im Zusammenhang mit dem Problem erwähnt wird, das es löst - die Tatsache, dass wir uns an einem lebensfreundlichen Ort befinden (Quelle: Der Gotteswahn, R. Dawkins, 2016, Verlag: Ullstein, vgl. S. 119)!

Legt man die Karten auf den Tisch, muss man festhalten: Ob Paralleluniversen existieren oder nicht, bleibt unentschieden. Gegen eine philosophische Spekulation auf wissenschaftlicher Grundlage ist an sich nichts einzuwenden. Nur sollten wir dann das Kind beim Namen nennen. Um neue Erkenntnisse zu gewinnen, müssen wir an der Idee festhalten, dass Empirie den Kern der Wissenschaft ausmacht. Wenn eine Entität zwar unbeobachtbar, aber absolut notwendig ist für andere, tatsächlich verifizierte Entitäten, kann sie selbst als verifiziert gelten. Aber dann muss das Netzwerk der Erklärungen die Beweislast tragen. Meine kritische Frage an die Befürworter des Muliversums lautet: Könnt ihr beweisen, dass unsichtbare Paralleluniversen nötig sind, um die sichtbare Welt zu erklären? Ist die Verbindung wesentlich und unausweichlich (Quelle: Urknall, Sterne, Schwarze Löcher, Dominik Elsässer, 2019, Springer-Verlag, S. 182)?

Dass Gott eine vernünftige Erklärung für die Feinabstimmung des Universums sein könne, würden erstaunlicherweise manche Glaubenskritiker nicht bestreiten, womit sich S. Lange auf Martin Neukamm bezieht, einen bekennenden Atheisten und Evolutionsbiologen (S. 56). Später heisst es, Theisten als auch Skeptiker wie Neukamm seien sich einig, dass das Handeln eines Gottes eine vernünftige Erklärung für die Feinabstimmung des Universums sei (S. 60).

M. Neukamm ist kein Evolutionsbiologe, sondern Chemie-Ingenieur und Geschäftsführer der AG-Evolutionsbiologie, einer Vereinigung zur Aufklärung über das interdisziplinäre Konzept der Evolution sowie über die Evolutionsbiologie im Spannungsfeld religiöser Ideologien (Kreationismus, Intelligent Design). Hätte sich S. Lange einmal auf der Internetseite der AG-Evolutionsbiologie - welche für „Skeptiker“ übrigens sehr zu empfehlen ist - umgesehen, wäre ihm diese beiden Falschaussagen nicht passiert!

Sind Verstand und Natur aufeinander abgestimmt?

Zur Frage, warum wir das Universum verstehen können, meint S. Lange, wir hätten es nicht mit einer naturwissenschaftlich nachgewiesenen Aussage zu tun, wenn gesagt würde, Verstand und Natur müssten evolutionär aufeinander abgestimmt sein (S. 63).

Diese kurze und ungenügende Antwort zeugt lediglich von S. Langes Unwissenheit über diesen Zusammenhang. Damit die Welt für kognitive Systeme - wie wir sie kennen und darstellen - erkennbar ist, muß sie eine ganze Reihe von Voraussetzungen erfüllen. Dazu gehören:

- Quasi-Separabilität (die Welt muß aus Teilsystemen bestehen, und diese Teile müssen voneinander unterschieden und näherungsweise voneinander getrennt werden können. Es genügt, wenn die Systeme relativ abgeschlossen sind, wenn also ihre Kopplung an die Umgebung schwächer ist als die innere Kopplung der Teile aneinander) (Quelle 2: Auf der Suche nach der Ordnung, G. Vollmer, 1995, S. 116).

- Stabilität (unsere „Um“-Welt muß eine gewisse Stabilität besitzen. Sie muss so groß sein, daß sich kognitive Systeme bilden können. Dazu gehören die Bildung und Stabilität von Sternen, von Planeten, von evolutionsfähigen Organismen, von fühlenden und intelligenten Wesen (Quelle 2, S. 116 f.).

- Gleichheit und Wiederholbarkeit (es müssen nicht nur einige Lage-Beziehungen konstant, dafür müssen auch Objekte wiedererkennbar und identifizierbar sein) (Quelle 2, S. 118).

- Relative Einfachheit (die Beziehungen zwischen den Teilen der Welt dürfen nicht alle beliebig komplex sein, was auch undurchschaubare Komplexität einiger Teile nicht ausschließt. Faktoren, welche die Komplexität erhöhen und das Verständnis darüber erhöhen sind u. a. Vernetzung, Nichtlinearität, Rückkopplungen, Zufallselemente, kausale Verzweigungen, chaotische Systeme, Phasenübergänge und Singularitäten) (Quelle 2, S. 120).

- Projizierbarkeit (Teile der Welt müssen auf unsere Erfahrung-„Ebene“ projizierbar sein. Anderenfalls gäbe es gar keine empirische Wissenschaft, sondern nur apriorische Wissenschaften und reine Spekulationen - falls es uns überhaupt gäbe. Die Signale, über die die äußere Welt mit uns als erkennenden Wesen in Wechselwirkung tritt, sind - soweit wir bisher wissen - „direkte“ Berührung (Tastsinn), elektromagnetische Wellen (Licht und Wärme), Schallwellen, Moleküle (bei den chemischen Sinnen Geruch und Geschmack), Gravitationsfelder (Schweresinn und Orientierung), in geringem Ausmaß vielleicht auch elektrische und magnetische Felder. Aus diesen Signalen muss unser Weltbild aufgebaut, muß die Welt rekonstruiert werden Quelle 2, vgl. S. 120). Zur Rekonstruktion ist folgendes zu sagen: Bei der Wirklichkeitserkenntnis darf es sich nicht einfach um Konstruktion, als um z. B. beliebige Spekulation handeln. Es geht vielmehr um adäquate Rekonstruktion und Identifikation. Es ist also durchaus noch von Wahrheits- und Objektivitätskriterien die Rede, worauf z. B. der radikale Konstruktivismus verzichten zu müssen glaubt. Bei einer Projektion geht im allgemeinen Information verloren, diese kann in der Rekonstruktion immer nur versuchsweise zurückgewonnen werden. Die Rekonstruktion muss folgende Kriterien erfüllen um Aussicht auf Richtigkeit zu haben: Widerspruchsfreiheit, Intersubjektivität, Unabhängigkeit vom Messverfahren, Unabhängigkeit von Konventionen, im wesentlichen Invarianzkriterien (Quelle 2, S. 114 f.).

Damit wir die Welt erkennen können, müssen wir weitere Bedingungen erfüllen, sie gehören zu den „Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung“. Das kognitive System - das erkennende Subjekt - muss Information aus der Umwelt aufnehmen, weiterleiten und angemessen verarbeiten. Zur Aufnahme ist ein geeigneter Projektionsschirm erforderlich. Beim Menschen stellen Haut und Sinnesorgane (einschließlich des Labyrinthes im Innenohr für den Gleichgewichtssinn) einen solchen Schirm dar. Die Weitergabe der Information erfolgt i. d. R. über die Nervenreizleitung. Auch hier sind Alternativen denkbar und biologisch realisiert, wie Hormone, Botenstoffe, Pheromone, Neurotransmitter usw. Die gewaltigste Aufgabe stellt die angemessene Verarbeitung der aufgenommenen Informationen dar. Dazu bedarf der erkennende Organismus eines leistungsfähigen informationsverarbeitenden Systems („Hardware“) und zahlreicher effektiver Algorithmen und Heuristiken („Software“), die eine interne Konstruktion bzw. Rekonstruktion von Außenweltstrukturen erlauben und auch tatsächlich leisten. Erforderlich sind Algorithmen zur Klassen- und Begriffsbildung, zur Hypothesenbildung, zur Bewertung, Auswahl und Anwendung von Hypothesen zum Speichern und Abrufen von Informationen, zum Vergleichen und Identifizieren von Objekten, zum Formulieren und Prüfen von Gesetzmäßigkeiten, zur Entdeckung von Abweichungen („Unregelmäßigkeiten“), zur Umsetzung von Erfahrungen in Erwartungen, zum Aufspüren von Symmetrien und Asymmetrien, von zeitlichen und kausalen Beziehungen, von Abhängigkeiten und Invarianzen (Quelle 2, S. 120 ff.). Eine Garantie für Wahrheit und Objektivität unserer Erkenntnis gibt es leider nicht. Es gibt Kontrollmechanismen, um einige Fehler („Fehlkonstruktionen“) zu entdecken und auszuschließen: Kontrolle durch den Vergleich mehrerer Sinnesorgane, Wiederholung, Invariantenbildung, Mitteilung und intersubjektive Überprüfung. Ein weiterer Kontrollmechanismus - wieder ohne Wahrheitsgarantie - ist die Selektion verschiedener Erkenntnisapparate (Quelle 2, S. 123).

Haben wir uns einmal auf einen projektiv-rekonstruktiven Erkenntnisbegriff festgelegt, so folgt logisch zwingen, daß auch die Bedingungen der Quasi-Separabilität, der mesokosmischen Stabilität, der Gleichheit und Widerholbarkeit, der relativen Einfachheit und der Projizierbarkeit erfüllt sein müssen. Wie wird nun darüber hinaus auch empirisch leicht feststellen, sind diese Bedingungen in der realen Welt tatsächlich (mehr als) erfüllt. Schwieriger ist dann doch die Frage nach den Realgründen: Wie kommt es, daß die Bedingungen der Möglichkeiten für Erkenntnis erfüllt sind? Auch hier muss man zwischen den objektiven Bedingungen (an die Welt) und den subjektiven Bedingungen (an das kognitive System) unterscheiden. Auf diese Frage gibt es keine letzte Erklärung. In der Frage, warum die ontologischen Voraussetzungen (an die Welt) für die Möglichkeit von Erkenntnis erfüllt sind, hilft uns die Physik weiter. In der Frage, warum auch die subjektiven Bedingungen (an kognitive Systeme) erfüllt sind, dagegen die Biologie. Die Zerlegbarkeit und Stabilität der Welt beruht dabei auf folgenden Tatsachen:

- gewisse Naturkonstanten (die Kopplungskonstante der verschiedenen physikalischen Wechselwirkungen)

- verschiedene Wechselwirkungen (Naturkräfte) haben untereinander deutlich verschiedene Stärken und Reichweiten

- die durchschnittliche Energiedichte des Universums ist relativ gering, so dass viele Systeme durch anziehende Wechselwirkungen gebunden sind und stabil bleiben

- es gibt starke konzentrierte Energiequellen, insbesondere Hauptreihensterne (die Sonne), aber auch große Entropiesenken, insbesondere das expandierende Weltall

Fragen wir nun, warum wir als erkennende Wesen die Mindestbedingungen an kognitive Systeme erfüllen, können wir uns für die Antwort auf die biologische Evolution berufen (Quelle 2, S. 124 f.).

Das Weiteren sollte zur Koppelung von Verstand und Natur die Evolutionären Erkenntnistheorie herangezogen werden. Man kann sich fragen, ob die Biologie zur Erkenntnistheorie und diese gleichzeitig zur Biologie beitragen kann. Tatsächlich besteht hier eine gewisse Rückkopplung, freilich kein vitiöser, sondern viel eher ein virtuoser Zirkel. Das Verhältnis zwischen faktischer Erkenntnis und Erkenntnistheorie ist ein fruchtbarer, selbstkorrigierender Regelkreis, in dem das eine für das andere unentbehrlich ist und beide zusammen mehr leisten als jedes für sich allein. Eine Letztbegründung wird dabei allerdings weder angestrebt noch erreicht. Der Beitrag der Biologie in dieser Partnerschaft geht auch nicht so weit, eine bestimmte Erkenntnistheorie zu beweisen; er kann aber durchaus dazu dienen, gewisse erkenntnistheoretische Auffassungen auszuschließen oder auch zu stützen. Die Evolutionäre Erkenntnistheorie geht von einer Passung unserer kognitiven Strukturen mit den objektiven Strukturen (der realen Welt) aus. Nach der EE ist unser Gehirn nicht als Erkenntnis-, sondern als Überlebensorgan entstanden. Trotz ihrer Verkopplung von formalen, faktischen und normativen Elementen ist die EE keine vollständige oder gar abgeschlossene Theorie. Erstens setzt sie schon in Fragestellung und Formulierung einige erkenntnistheoretische Probleme als (wenigstens vermutungsweise) gelöst voraus, so einen hypothetischen (oder kritischen oder wissenschaftlichen) Realismus, eine systemtheoretisch (Systemtheorie) orientierte Identitätstheorie und ein projektives Erkenntnismodell (danach ist Erkenntnis eine Funktion des Gehirns) – Positionen, die sie dann ihrerseits wieder bestätigt, indem sie mit ihrer Hilfe Probleme löst und neue Probleme erkennen und formulieren hilft. Zweitens ist die EE in vieler Hinsicht eher mit einem Forschungsprogramm zu vergleichen.

Im Supermarkt der Religionen

Selbst wenn man davon ausgehe, dass Gott existiert, sei nichts darüber gesagt, welche Religion denn nun stimmen würde (S. 69). S. Lange ist offensichtlich nicht viel an einer „versöhnlichen Position“ gelegen.

Weltbilder seien nicht per se richtig. Wer denkt, sein christlicher Glaube würde stimmen, weil seine Eltern Christen seien, müsse sich zu Recht den Vorwurf gefallen lassen, dass dies ein sehr schlechtes Argument für die eigene Überzeugung sei (vgl. S. 69 f.).

Genau genommen hätte S. Lange statt von einem „Weltbild“ von einer „Weltanschauung“ sprechen müssen. Eine Weltanschauung ist eine vorwissenschaftliche oder philosophisch formulierte Gesamtauffassung der Welt mit handlungsorientierter Intention. Dagegen ist ein Weltbild die Zusammenfassung der Ergebnisse objektivierbaren Wissens zu einer Gesamtsicht der Welt. Es wird meist als naturwissenschaftliches, soziologisches oder philosophisches Weltbild verstanden (Quelle: Der Pfauenschwanz der Gläubigen, Religiosität als kulturell verselbständigtes Balzverhalten, 2014, Alibri Verlag Aschaffenburg, S. 61 f.).

Als Antwort auf die Frage, ob nicht alle Religionen zu Gott führen würden, entgegnet S. Lange, zwei sich widersprechende könnten nicht gleichzeitig richtigliegen (vgl. S. 70). Keine geringere als die Logik verbiete uns davon auszugehen, dass alle Religionen gleichzeitig stimmen. Dies dürfe natürlich nicht so verstanden werden, als sei der interreligiöse Dialog dazu verdammt ein intoleranter zu sein. S. Lange hält es für richtig, sich an Johannes 14,6 („Ich bin der Weg, die Wahrheit und ich bin das Leben. Zum Vater kommt man nur durch mich.“) zu orientieren, da dies „bibelkompatibel“ sei (S. 71).

Apropos Logik, welche bekanntermaßen mit dem Glauben nur flüchtig bekannt ist: Aus atheistischer Perspektive liegt der eigentliche Grund für die Inkompatibilität verschiedener religiöser „Wahrheiten“ in der Zwischengruppenkonkurrenz begründet (Quelle: Evolutionstheorie und Kreationismus. Ein Gegensatz, Kraus Otto, 2009, S. 89).

Zur „Bibelkompatibilität“ ist einzuwenden, dass es sich hier um einen Zirkelschluss handelt. Ein Scheinproblem ist schließlich auch die Frage, wie der Primat der christlichen heiligen Schrift hervorzuheben ist angesichts der Tatsache, dass es heilige Schriften auch in vielen anderen Religionen gibt. Denn nur wenn man meint, dass eine Religion doch die richtige sei, tritt das Problem überhaupt auf. Geht man aber davon aus, dass alle Religionen nur je unterschiedliche Ausprägungen religiösen Aberglaubens sind (und damit auch deren heiligen Schriften), müssen wir uns auch um die Frage nicht mehr kümmern (Quelle: Der Dogmenwahn, Heinz-Werner Kubitza, 2015, Verlag: Tectum, vgl. S. 131 f.).

Wunder - Des Glaubens liebstes Kind

Sofern man die Fürsprache S. Langes als überzeugend einstuft, würde man damit nicht sagen, dass es Gott gäbe, dass es aber vernünftigerweise sein könne, dass er existiert. Wenn dem so sei, wären auch Wunder nicht prinzipiell ausgeschlossen (S. 91). Wer Gott nicht kategorisch ausschließe, leugne damit nicht die Gültigkeit der Naturgesetze. Dann bringt S. Lange das Beispiel seines Großcousins Tom, dessen Chance bei 100% läge, übers Wasser zu laufen, wenn S. Lange neben ihm am Pool hergehen und seine Hände halten würde. Toms Poolüberquerung wäre (nur) durch S. Langes Eingriff ermöglicht worden, die Schwerkraft funktionierte auch währenddessen tadellos (S. 91 f.).

Hier bin ich mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob S. Lange dieses Beispiel wirklich ernst oder ironisch meint.

Jesus, der kein Messias sein wollte, lehnte Wunder zum Erweis der Wahrheit seiner Botschaft ab: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, dann glaubt ihr nicht“ (Joh 4, 48) (Quelle: Nein und Amen, Mein Abschied vom traditionellen Christentum, Uta Ranke-Heinemann, 9. Auflage, Wilhelm Heyne Verlag München, S. 118 f.).

Im ältesten Markusevangelium gebietet Jesus z. B. nach Wundern immer wieder seinen Jüngern, man solle nicht davon sprechen. William Wrede hat mit einem vielbeachteten Buch daraus den Schluss gezogen, dass das Leben Jesu im Wesentlichen unmessianisch war, und die Schweigegebote nur den Sinn haben zu erklären, warum der Messias (als den man ihn ja inzwischen glaubte) nicht auch als solcher aufgetreten sei (Quelle: Der Dogmenwahn, Heinz-Werner Kubitza, 2015, Verlag: Tectum, vgl. S. 324).

Nun zum angeblichen Wunder des auf dem Wasser laufenden Jesus: Bei den Evangelisten Matthäus, Markus und Johannes lesen wir, daß Jesus seine Jünger im Boot losfahren ließ. Später kam er dann nach, indem er „auf dem See ging“. Rekonstruieren wir den Sachverhalt. Jesus Jünger benutzten ein Boot, um von Kapernaum nach Tiberias zu gelangen. Wieso heißt es dann bei Johannes: „Am Abend aber gingen seine Jünger hinab an den See, steigen in ein Boot und fuhren über den See nach Kapernaum?“ Beide Orte lagen am gleichen Ufer, die Jünger mußten also gar nicht „über den See“ fahren. Es reichte völlig aus, wenn sie dem Ufer folgten. Wenn die Bootsfahrt am Ufer entlang führte, wandelte dann Jesus vom Ufer aus über das Wasser zum Boot? Matthäus, Markus und Johannes verfaßten ihre Texte nicht in griechischer Sprache, sondern in Aramäisch. Das war die Sprache Jesu und seiner Jünger. Jesu redete und predigte auf Aramäisch. Die aramäische Version des „Neuen Testaments“ ist bis in unsere Zeiten erhalten geblieben. Gewiß, nach dem griechischen Text schritt Jesus auf dem Wasser. Wie aber heißt es im Aramäischen? „Al yama“. Yama bedeutet See. Und al? Beim Psalmisten lesen wir auf Aramäisch „Al nahrawatha d-Babel…“ Die Übersetzung ist eindeutig: „An den Wassern von Babylon saßen wir…“ Auf den Wassern von Babylon wäre vollkommen unsinnig. Al yama bedeutet also nicht auf dem See, sondern am See.

Gleich zu Beginn des „Alten Testaments“ heißt es bei Mose: „Der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.“ Im Aramäischen wird das Wort „apey“ benützt, im Hebräischen „paney“. Der Geist Gottes schwebte demnach „auf dem Gesicht des Wassers“. Hätten die Evangelisten ausdrücken wollen, daß Jesus auf dem Wasser ging, dann hätten sie zu „apey“ und nicht zu „al“ gegriffen (Quelle: Lexikon der biblischen Irrtümer, Walter-Jörg Langbein, 2006, Aufbau Taschenbuch Verlag, S. 324 f.)!

Wie wurde die Bibel geschrieben?

In einem Kapitel über die Art des antiken Schreibens heisst es: Im Sinne der Ideeninspiration, nach der Gott zwar die Gedanken der biblischen Autoren inspiriert hätte, nicht aber die von ihnen gebrauchten Worte, könnte Jesus trotzdem von den Toten auferstanden und der christliche Glaube wahr sein. Des Weiteren erwähnt S. Lange die „mechanische Inspiration“, nach der die Bibelautoren die „Schreibmaschine Gottes“ wären, sowie die „völlige Inspiration“, nach der die Autoren unter der Führung Gottes standen, der sich ihrer Individualität und Begabung bediente (vgl. S. 101).

Zuallererst möchte ich darüber informieren, was es zur Ideeninspiration zu sagen gibt. Die neutestamentlichen Schriften galten bald nach ihrer Entstehung als vom Geist Gottes irgendwie inspiriert. Schon der Apologet Justin vertritt im zweiten Jahrhundert eine ausgebildetere Inspirationslehre. Und die Kirchenväter und Theologen des Mittelalters sind immer von einer Inspiration ausgegangen. Vorbild waren natürlich die alttestamentlichen Schriften, die seit der Erstellung des jüdischen Kanons ebenfalls gottgewirkt galten. Vor allem mit zwei Bibelstellen (2. Tim 3,16; 2. Petr 1, 20-21) soll die Inspiriertheit der Heiligen Schrift bewiesen werden. Das Argument ist natürlich ein Zirkelschluss. Mit einem biblischen Zitat soll die Geltung des biblischen Wortes beglaubigt werden. Das ist in etwas so, als wäre der Koran wahr, weil es so im Koran steht. Kein Gläubiger würde bei einer fremden Religion auf solch eine durchsichtige Argumentation hereinfallen. Zu der Zeit, als die beiden zitierten Briefe geschrieben wurden, gab es überhaupt noch kein Neues Testament. Die beiden Zitate stammen aus einem Brief des Petrus und einem Brief des Paulus an Timotheus. Die kritische neutestamentliche Forschung ist sich einig, dass es sich dabei um Fälschungen (vornehm ausgedrückt: Pseudographen) handelt. Weder stammen die Timotheusbriefe von Paulus noch die Petrusbriefe von Petrus. Es zeigt sich also der pikante Umstand, dass mit gefälschten Zitaten die Wahrheit der biblischen Schriften belegt werden soll (Quelle: Der Dogmenwahn, Heinz-Werner Kubitza, 2015, Verlag: Tectum, vgl. S. 113 f.).

Mit der „völligen Inspiration“ hat S. Lange wahrscheinlich die Verbalinspiration gemeint, nach der der biblische Text bis in den Wortlaut hinein von Gott vorgegeben worden sei. Dies wird heute von Theologen an staatlichen Universitäten natürlich nicht mehr vertreten und sogar heftig bestritten (Quelle: Der Dogmenwahn, Heinz-Werner Kubitza, 2015, Verlag: Tectum, vgl. S. 113).

Bezüglich der „mechanischen Inspiration“ schreibt Thomas Jeising, dass in der Geschichte der christlichen Kirche kaum irgendwo eine mechanistische Diktattheorie vertreten wurde.

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