Bekenntnis: ja, Mission: nein!

Kommentar zum Muezzin-Ruf in Köln

Bekenntnis: ja, Mission: nein!

© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Die Religionsfreiheit in Deutschland ermöglicht nicht nur, uns auch äußerlich in definierten Grenzen zu einer bestimmten Religionszugehörigkeit zu bekennen. Auch unser Gegenüber ist durch die Verfassung dazu angehalten, diesen Ausdruck religiöser Verbindung des Anderen zu respektieren – denn sie ist auch für den Anders- oder Nicht-Gläubigen in einem gewissen Ausmaße „zumutbar“. Der entsprechende Artikel des Grundgesetzes ist damit Garant für ein friedliches Miteinander der Religionen und Türöffner für interkulturelles Zusammenleben. Gemäß unseres Rechtsstaatsgedankens hat also Freiheit des Einzelnen so viel Platz zur Wirkung, bis der Mitmensch in seinen Grenzen tangiert wird. Insofern ergibt sich daraus zwar ein stetiges Spannungsverhältnis, das in einer toleranten Bundesrepublik trotz beschämender Schlagzeilen nach meiner festen Überzeugung weitgehend funktioniert. Denn jeder von uns hat ein grundlegendes Empfinden darüber, wann die religiösen Gefühle des Mitbürgers durch das Ausleben der eigenen Religiosität verletzt werden. Von einem Gegenüber kann insbesondere erwartet werden, dass ein passives Bekenntnis in Form einer Kopfbedeckung, einer Kette mit Anhänger oder einer angemessenen Körperbekleidung hingenommen werden muss, solange damit kein aktives Werben für eine bestimmte Religion verbunden ist. Wegweisend bleibt vor allem auch, ob mit dem reinen Bekenntnis eine sachliche Botschaft verknüpft ist, die in der Lage erscheint, missionarischen Charakter zu entfalten. An dieser Stelle dürfte nach meinem Verständnis die Grenzlinie verlaufen, an der sich Religionsfreiheit von religiösem Eifer trennt.

Kritisch reflektieren

Deshalb ist auch die Debatte um den Muezzin-Ruf auf Kölner Gebetshäusern überaus kritisch zu reflektieren. Denn während wir das Glockengeläut der Kirchen als Symbol ohne inhaltliche Konnotation verstehen können, werden über das Minarett Aufforderungen verbreitet, die fähig dazu sind, religiöse Konfrontation zu schüren und Unfrieden zu stiften. Dabei ist die Frage nachrangig, inwieweit die übermittelten Worte für eine nicht nur in der Mehrheit stehende Bevölkerungsgruppe von Andersdenkenden tatsächlich anstößig sein kann. Der alleinige Wesenscharakter als appellierender Aufruf überschreitet für mein Verständnis bereits das Limit größtmöglichen Pietät. Es kann vom andersgläubigen Mitbürger nicht erwartet werden, dass er die Worte des Muezzins ausblendet und sich dem Über- und Unterredungsversuch durch eine Religion zu unterwerfen verpflichtet ist, weil er ihr nicht entkommen kann. Das Lautspiel einer Glocke kann störend sein, ist aber nicht vordergründig mit einem oktroyierenden Charakter verbunden. Abseits der Frage über die öffentliche Sicherheit muss bei der Gestattung des Muezzin-Rufs tatsächlich auch beachtet werden, ob die wortgewaltige Unterbrechung des Alltags durch eine Glaubensgemeinschaft, die weiterhin eine erkennbare Minorität in unserem Land darstellt, verhältnismäßig ist und nicht einzelnen Religionsanhängern überproportional viele Rechte zugesteht. Denn Religionsfreiheit muss nicht zwingend Religionsgleichheit bedeuten. Immerhin scheint es um des friedenstiftenden Charakters von Multireligiosität angezeigt, das Ausmaß von Freiheitrechtsrechten in Äquivalenz zur Bevölkerungszahl derer zu stellen, die der jeweiligen Religionsgruppierung angehören. Dabei spielt nun weniger die polemische Debatte darüber, ob der Islam zu Deutschland und seiner religiösen und kulturellen Tradition gehört, eine entscheidende Rolle. Viel eher ist es die Aufgabe des Staates, die Vielfalt der Religionen authentisch abzubilden und nicht einzelnen Gemeinschaften aus Gründen dort artikulierter Benachteiligung Vorschub zu leisten, um manchem Mainstream religiöser Weltoffenheit gerecht zu werden. Wer ein faires Zusammenleben möchte, kann Proportionalitäten nicht übergehen.

Kommentare

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    Uwe Lehnert

    Stimme der sehr differenzierten Analyse des Kommentars weitgehend zu. Allerdings meint der Autor, dass das “Lautspiel einer Glocke störend sein kann, aber nicht vordergründig mit einem oktroyierenden Charakter verbunden ist“. Aber so wie die Ex-Muslimin Mina Ahadi zurecht darauf verwies, dass Tausende Muslime, die dieser Religion mit ihren barbarischen Methoden sog. Ungläubige zu verfolgen, in unser Land flohen, so mag so mancher durch die, insbesondere katholische Kirche missbrauchte Mensch an sein Martyrium erinnert werden. Allein in Deutschland sind es Hunderttausende, die durch Vertreter einer Lehre, die das Liebesgebot sehr einseitig ausgelegt haben, gequält wurden und bis heute darunter leiden..

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      Helmut Lambert

      Herr Lehnert, verstehe ich sie richtig, dass Sie damit für die Abschaffung des Glockengeläuts einsetzen? Fände ich angesichts der großen und steigenden Zahl von kirchlich nicht gebundenen Menschen bei uns folgerichtig.

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        Uwe Lehnert

        Lieber Herr Lambert, ich bin da relativ emotionslos bis gleichgültig eingestellt. Die nächste Kirche ist von meiner Wohnung so weit entfernt, dass ich das Läuten der Glocken eher als akustische Untermalung meines Alltags empfinde. Manche Glocken großer Kirchen klingen – rein akustisch betrachtet! – wirklich schön. Will – als betont nichtreligiöser Mensch – damit sagen, dass ich das Glockenläuten völlig abstrahiere von seinem eigentlichen Zweck, eher als interessante Unterbrechung oder fast wohltuende Übertönung des Straßenlärms betrachte. So wie ich zum Beispiel Weihnachten als kulturelles Erbe betrachte und feiere, obwohl ich Nichtchrist bin, so nehme ich das Glockenläuten als Bestandteil einer Kultur hin, deren Wurzeln für mich allerdings als gekappt gelten.

        Ich habe es an anderer Stelle (»Warum ich kein Christ sein will«, 7. Auflage, 2018, S. 331, Tectum Wissenschaftsverlag) mal so ausgedrückt:

        »Ich denke, dass es falsch und unhistorisch gedacht wäre, den ganzen einmaligen Reichtum an Traditionen, Musik, Malerei und Architektur ablehnen, gar verachten zu wollen, der im Laufe der Jahrhunderte entstand und der Phantasie und der Schöpferkraft gläubiger Menschen zu verdanken ist. Es käme einer Bilderstürmerei von talibanischer Gesinnung gleich und würde die Zeitlosigkeit von Kunst verkennen, wollte man sich dieses kulturellen Erbes nur deswegen entledigen, weil der Grund seines Vorhandenseins – jedenfalls für mich und jene, für die der christliche Glaube seine ursprüngliche Bedeutung verloren hat – eine gedankliche Konstruktion war. . . .«

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