Weshalb eine Gegenüberstellung nicht statthaft ist
Immer wieder stoße ich sowohl in den Printmedien als auch im Internet auf Artikel und Interviews, in welchen die Bibel dem Koran gegenübergestellt wird. Bei diesen Texten respektive Interviews, die teilweise auch ganz spontan auf der Strasse mit Passanten durchgeführt werden, handelt es sich regelmäßig um eine moderne Form von Whataboutism, dessen Zweck darin besteht, dem Europäer aufzuzeigen, dass in der Bibel weitaus die bedenklicheren Gewaltpassagen respektive Inhalte vorzufinden sind als im Koran. Damit sollen einerseits problematisch erscheinende koranische Inhalte relativiert werden und andererseits soll der Islam vor vermeintlich unverhältnismäßiger Kritik respektive Vorurteilen geschützt werden. Um dies zu erreichen, hält man dem Menschen aus dem Westen gewissermaßen den Spiegel vor die Nase, indem man ihm aus „seiner“ Bibel zitiert, welche die meisten freilich nur ungenügend kennen, erst recht nicht solche grauenhaften Inhalte. Meistens müssen Leser oder Interviewpartner erraten, ob eine grauenvolle respektive Abscheu erregende Textstelle koranisch oder biblisch ist, wobei die haarsträubendsten meistens biblisch sind, was ein säkular lebender europäischer Normalbürger, der nicht so bibelfest ist wie eine Angela Merkel, nicht auf Anhieb erkennen kann und die Passage meistens fälschlicherweise dem Koran zuordnet. Genau das ist freilich die Absicht des Interviewers. Solche provozierten Fehler sollen bewirken, dass man als Europäer vermeintliche Vorurteile gegenüber dem Islam bei sich entdeckt, diese als solche anerkennt, Schuldgefühle bekommt und die vermeintlichen Vorurteile beseitigt. Das erzieherische Ziel solcher Artikel und Interviews soll damit die Erkenntnis sein, dass der Islam keineswegs schlechter ist als das im Westen wesentlich bekanntere Christentum und Judentum. Mehr noch: Aufgrund der zitierten Stellen soll stückweit sogar der Eindruck entstehen, dass das Gegenteil davon zutrifft.
Wer als Journalist oder Islam-Apologet solche Vergleiche aufstellt, mag sich vielleicht mehrfach hingesetzt haben, um den ganzen Koran von der ersten Seite an bis zum Schluss durchzulesen, um womöglich auch die entsprechenden Gewaltpassagen tatsächlich vorzufinden, die unstrittig vorhanden sind. Zum islamischen Kanon gehört allerdings nicht nur der Koran sondern vielmehr etwa auch die Hadithe (Sprüche und Taten des Propheten) sowie die Sira (fromme Prophetenbiographie). Deren komplette Nichtberücksichtigung macht solche Vergleiche von Vornherein untauglich, zumal sie einen wesentlichen Teil des orthodoxen Islam ausmachen. Gerne möchte ich dies nachfolgend etwas näher erläutern.
Der Koran gilt gemäß islamischer Tradition, wie ich dies schon mehrfach in anderen Artikeln dargelegt habe, als das von Gott unmittelbar gesprochene Wort, das den Menschen über den Propheten Mohammed offenbart worden sei. Deshalb ist er vornehmlich in direkter Rede verfasst, wobei der Sprechende nach islamischem Verständnis Allah (das arabische Wort für Gott) höchstpersönlich ist. Über die Person von Mohammed erfährt man vom Koran, wenn man die Interpretation von koranischen Inhalten über die Hadithe und die Sira vollständig weglässt, nichts. Man kann damit gewissermaßen sagen, dass die Person Mohammed, die im Islam eine derart zentrale Rolle spielt, ausschließlich von den Hadithen und von der Sira gezeichnet wird. Es ist daher auch nicht erstaunlich, dass das Wort „mohammad“ im Koran nur viermal vorkommt (Suren 3:144; 33:40; 47:2; 48:29), wobei die entsprechenden Stellen auch mit „der zu preisende“ (Gerundiv) übersetzt werden können, wie Christoph Luxenberg dies tut und unter diesem Begriff eine ganz andere Person versteht, namentlich Jesus, was bei einer von den Hadithen und der Sira losgelösten Betrachtung des Korantextes möglich ist. Selbst wenn man diese Passagen mit dem Eigennamen Mohammed übersetzen sollte, wie die Tradition dies tut, sagen sie nichts über die Person Mohammed aus, namentlich über dessen Biographie oder Charaktereigenschaften. Wie er gelebt hat, was er für ein Mensch war, Informationen über seine Familie, seine Gewohnheiten etc. kann man damit im Koran vergeblich suchen, insbesondere wenn man keine unterstützende Literatur wie die Hadithe und die Sira, die rund zweihundert Jahre nach dem Koran schriftlich niedergelegt wurden, beizieht, um den Korantext zu interpretieren. Selbst der Ort, wo er zunächst gelebt haben soll, namentlich Mekka, wird im Koran nicht ein einziges Mal erwähnt. Es ist von Baka die Rede, was die Tradition kritiklos als Mekka übersetzt. Zusammengefasst bedeutet dies damit, dass die Verfasser der vorerwähnten Artikel und Interviews in ihren Vergleich die Person Mohammed überhaupt nicht einbeziehen, weil alles, was über ihn und dessen Charaktereigenschaften erzählt wird, über andere kanonische Schriften vermittelt wird und nicht über den Koran. Damit haben wir es bei diesen Bibel-Koran-Vergleichen stets mit einem Islam ohne Mohammed zu tun! Das ist insofern nicht irrelevant, weil der Koran in Sure 3:32 den Muslimen befiehlt, den Geboten von Allah aber auch denjenigen des Gesandten von Allah zu folgen, worunter gläubige Muslime Mohammed verstehen. Darüber hinaus sollen Gläubige ihn zum Vorbild nehmen (Sure 33:21), was so viel heißt wie, dass sie sein Verhalten möglichst nachahmen respektive kopieren sollen. Damit sollen Muslime der sogenannten Sunna des Propheten folgen, was einen wesentlichen Teil des orthodoxen Islam ausmacht, wobei Muslime diese Inhalte vor allem aus den Hadithen entnehmen.
Bereits schon aufgrund der Tatsache, dass die angesprochenen Interviews und Artikel die Hadithe und die Sira und damit auch den Propheten Mohammed in den Vergleich mit der Bibel nicht einbeziehen, sind sie aus meiner Sicht für nichts zu gebrauchen. Es gibt aber einen noch erheblicheren Grund, weshalb solche Vergleiche schlicht und einfach nicht redlich sind. Es geht dabei um die Frage, wie Religionsgemeinschaften mit den problematischen Passagen in ihren Schriften, die durchaus vorhanden sind, heute im Jahr 2018 umgehen. Wie sieht ihre heutige Praxis aus? Wie werden diese Texte aktuell verstanden und umgesetzt? Genau hier liegt nämlich der springende Punkt!
Es ist unstrittig, dass beispielsweise die Steinigung im Alten Testament durchaus als Strafe vorgesehen ist, teilweise auch für „Straftatbestände“, die heute vom Strafrecht nicht einmal mehr erfasst werden, wie etwa für Ungehorsam gegenüber den Eltern oder Ehebruch. Im Judentum wurde diese archaische und als barbarisch zu bezeichnende Form der Bestrafung allerdings schon seit dem Altertum nicht mehr eingesetzt und seit frühesten Zeiten von einflussreichen Rabbinern sehr heftig kritisiert. Wenn man von Lynchmorden absieht, hat es Steinigungen in Europa auch im christlichen Kontext schon seit dem Frühmittelalter keine mehr gegeben. Es ist damit nicht statthaft, auf die Steinigungen im Alten Testament hinzuweisen und diese mit der Steinigung im Islam zu vergleichen, zumal diese sowohl im jüdischen als auch im christlichen Kontext seit Jahrhunderten keine Rolle mehr gespielt haben, wohingegen im Islam die Steinigung zur heute noch gelebten islamischen Praxis gehört. Sie ist in einigen islamisch geprägten Ländern staatliches Recht und wird, obwohl sie gegen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verstößt (Verbot grausamer Strafen gemäß Art. 5), vollstreckt, auch von Ländern, die UN-Mitglieder sind.
Scharia mit frauendiskriminierenden Inhalten
Es gibt auch andere – zugegebenermaßen haarsträubende – Stellen im Alten Testament, die von religionskritischen Personen immer wieder gerne zitiert werden, beispielsweise diese hier aus dem 5. Buch Mose (Deut 28, 29):
„Wenn ein Mann dabei ertappt wird, dass er ein unberührtes Mädchen vergewaltigt, muss er dem Vater des Mädchens 50 Silberstücke geben. Er muss das Mädchen zur Frau nehmen, weil er es entjungfert hat; er darf es zeitlebens nie mehr wegschicken.“
Auch diesbezüglich sollten keine Zweifel darüber bestehen, dass diese absurde Regelung keinerlei aktuelle Bedeutung mehr hat, natürlich auch nicht in Israel, obwohl das Judentum das israelische Staatswesen durchaus noch beeinflusst. Der Fall des früheren israelischen Staatspräsidenten Mosche Katzav, der wegen Vergewaltigung und anderen Sexualstraftaten verurteilt wurde, zeigt in aller Deutlichkeit, dass die vorhin zitierte biblische Vorgehensweise in Israel des 21. Jahrhunderts überhaupt keine Rolle spielt, nicht einmal bei einem Staatspräsidenten, der während er noch im Amt war, mit der Strafverfolgung des israelischen Rechtsstaates konfrontiert war. Ähnliches lässt sich im islamischen Kontext nicht wirklich sagen. Ganz im Gegenteil bewirkt die Scharia mit ihren frauendiskriminierenden Inhalten heute noch, dass ein Vergewaltigungsopfer zum Täter und der männliche Täter zum Opfer gemacht wird. Man denke dabei nur an den Fall der bedauernswerten Reyhaneh Jabbari im Iran, die gehängt wurde. Das Ganze hat freilich damit zu tun, dass sich der Scharia-Islam bei einer Vergewaltigung mehr dafür interessiert, dass dabei außerehelicher Geschlechtsverkehr stattgefunden hat, was im Sinne der Scharia bestraft werden muss und nicht für das, was zivilisierte Staaten an einer Vergewaltigung ungerecht finden und weshalb sie diesen Straftatbestand in ihren Strafgesetzen haben.
Natürlich gibt es problematische biblische Inhalte nicht ausschließlich im Alten Testament. Wenn man den im Neuen Testament durchaus vorzufindenden Antisemitismus mit dem Antisemitismus im Islam vergleicht, der in allen Quellen der Scharia vorkommt, wie ich in einem anderen Artikel ausführlich erläutert habe, sollte man nicht außer Acht lassen, dass der biblische Antisemitismus mindestens heute und in unseren Breitengraden in keiner Kirche gepredigt und gefördert wird. Es gibt heute keine christlichen Geistlichen in Europa, die in ihren Kirchen gegen Juden oder gegen andere Religionsgemeinschaften hetzen. Das lässt sich mit dem Antisemitismus im Islam und dessen Bedeutung in der aktuellen islamischen Praxis überhaupt nicht vergleichen. Überall auf der Welt wird in Moscheen gegen Juden aber auch gegen Christen, Hindus und Atheisten gehetzt, übrigens auch in Europa. In keiner europäischen Kirche im 21. Jahrhundert wird für einen heiligen Krieg gebetet, wohingegen gerade neulich in Ditib-Moscheen in der Bundesrepublik für den Dschihad in Syrien gebetet wurde.
Was in den Gegenüberstellungen des Koran mit der Bibel damit unberücksichtigt bleibt, namentlich die Person Mohammed und dessen Charaktereigenschaften sowie die völlige Ausklammerung der aktuell gelebten oder eben nicht gelebten Praxis im Zusammenhang mit den problematischen Textstellen, weist meines Erachtens just auf die Kernprobleme hin, die wir in Europa aktuell mit dem Islam haben. Das bedeutet, dass sich die Verfasser und Urheber solcher Artikel und Interviews genau damit nicht befassen wollen, was meines Erachtens nicht hinnehmbar ist. Mit diesen Gedanken, die ich etwas näher erläutern will, möchte ich meinen heutigen Blog abschließen.
Der Prophet des Islam, Mohammed, ob er nun tatsächlich gelebt hat oder nicht, kann meines Erachtens unmöglich ein nachzuahmendes Vorbild in Europa sein. Sein gesamter Lifestyle, sein Gesellschaftsverständnis, seine Werte, insbesondere sein Umgang mit Frauen, mit Andersgläubigen und Andersdenkenden, sein polygamer Lebenswandel, seine Minderjährigenheirat, seine Tipps bei Vornahme von weiblichen Genitalverstümmelungen, seine Tötungsbefehle und ähnliche archaische Handlungsweisen, die über ihn mittels Hadithe und Sira vermittelt werden, können und dürfen in Europa des 21. Jahrhunderts keinen Maßstab bilden, nach dem eine Person sein Leben führt. Da ich anders als Hamad Abdel-Samad nicht davon überzeugt bin, dass es die Person Mohammed jemals gab und eher davon ausgehe, dass es sich dabei um eine nachkoranische Erfindung handelt, die auf der Grundlage der wesentlich später entstandenen Hadithe und der Sira gezeichnet wurde, möchte ich ihn anders als er nicht psychologisieren respektive pathologisieren. Völlig unabhängig davon, ob es Mohammed gab oder nicht, denke ich allerdings nicht, dass Menschen gewisse höchst problematische Eigenschaften dieses Mannes nachahmen sollten, die über die Hadithe und die Sira vermittelt wurden. Überhaupt müssen Muslime zwingend eklektizistisch mit ihrer Religion umgehen, wenn sie in Europa leben wollen und ihren muslimischen Werten neue europäische Werte hinzufügen. Sie müssen dabei ganz bewusst bestimmte Inhalte ihrer Religion ablehnen und diese aufgrund höher einzustufenden Werten nicht praktizieren. Die überwiegende Mehrheit der praktizierenden Juden und Christen in Europa – man könnte sogar sagen, dass es beinahe alle sind – lebt genau nach diesem Maßstab, versteht namentlich die problematischen Inhalte der Bibel in einem historischen Kontext und steht diesen sogar kritisch gegenüber. Niemand lobt die Genozide im Alten Testament, die für die meisten modernen Menschen ohnehin nur noch eine allegorische Bedeutung haben. Diese kritische Haltung ist nicht nur in den säkular geprägten europäischen Gesellschaften, sondern vielmehr auch selbst bei den obersten Vertretern der Glaubensgemeinschaften vorzufinden. Man denke dabei nur an Papst Johannes Paul II., dessen selbstkritischen Umgang mit dem katholischen Antisemitismus und seine Bestrebungen für die Versöhnung seiner Kirche mit dem Judentum. Ein solches bewusstes Weglassen von Glaubensinhalten, die in den islamischen Schriften vorkommen und eine bewusste ablehnende Haltung ihnen gegenüber, ist in islamischen Gesellschaften bei weitem nicht so ausgeprägt wie in jüdischen und christlichen. Während westlich zivilisierte Staaten die Grenzen der Religion in den Werten des Humanismus, Rationalismus, Menschenrechten, Demokratie, und Rechtsstaatlichkeit erkennen, haben islamische Staaten den Menschenrechten mit ihrer Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam sogar einen Scharia-Vorbehalt vorangesetzt. Eine solche Haltung dürfen wir Europäer jedenfalls hier in Europa unter keinen Umständen akzeptieren, auch nicht aufgrund eines fehlgeleiteten Religionsfreiheitsverständnisses. Ganz im Gegenteil müssen wir insbesondere von den Muslimen, die nicht in der Lage sind, sich eklektizistisch zu verhalten und neue europäische Werte anzunehmen, genau diese Haltung einfordern.
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Lieber Herr Brunello,
wären Ihre Gedanken nicht auch auf einem Drittel/Viertel....des Textumfangs darstellbar gewesen? An Prägnanz hätten sie gewonnen und auch mehr Leselust erzeugt.
MfG
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Danke, sehr gut und nachvollziehbar, bietet ihr Artikel eine hervorragende Diskussionsgrundlage.
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Der Unterschied liegt vor allem in zwei Dingen: Christen orientieren sich an Jesus Christus, er ist Maßstab für die Űbernahme oder Ablehnung der biblischen Űberlieferung.
Zweitens: Viele Christen denken geschichtlich und orientieren sich an gegenwärtigen Erkenntnissen.
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