Corona – Wahn oder Wissenschaft?

Plädoyer für Vernunft

Corona – Wahn oder Wissenschaft?

Foto: Pixabay.com / miguelalvaro

Die Coronapandemie stellt die Gesellschaft vor große Herausforderungen und deckt gravierende Fehlentwicklungen auf. Vielen mangelt es an elementaren Kenntnissen der Natur. Esoterik und (Aber-) Glaube ersetzen ihnen den Zugang zur Wirklichkeit. Sie misstrauen fundamentalen Prinzipien empirischer Forschung. Vernunft und Wissenschaft sind ihnen suspekt. Obgleich gut Verständliches zum Coronavirus früh im Netz verfügbar war, bevorzugen sie pseudowissenschaftliche Erklärungen, krude Heilverfahren und obskure (Verschwörungs-) Mythen.

Mitunter findet sich Haarsträubendes in ansonsten diskussionswürdigen Beiträgen. Manche argumentieren bei der Sterblichkeit gar mit einer Zyklischen Welle: Es träfe vor allem jene, die in einem halben Jahr sowieso (an was auch immer) gestorben wären. Deren Tod wäre zu erwarten, im Falle von Coronamaßnahmen im Folgejahr lediglich nachgeholt. Das ist natürlich mehr als zynisch: Wer will das einem alten Menschen im Pflegeheim beibringen? Wer maßt sich die Entscheidung darüber an, ob es sich für einen Anderen lohnt, noch ein paar zusätzliche Monate zu leben?

Immer wieder wird auch bezweifelt, ob die zum Nachweis von SARS-CoV-2 (Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2) verwendete PCR (Polymerase Chain Reaction) für diesen Einsatzzweck geeignet ist. Aufgrund der hohen Testsensitivität sind z. B. (Rück-) Kontaminationen von Laborproben unbedingt auszuschließen. Bei korrekter Durchführung und Validierung sind die PCR-Tests jedoch sehr wohl in der Lage, ein SARS-CoV-2-Kontagion[1] sicher zu detektieren und damit den pandemischen Verlauf abzubilden.[2] Ob es bei positiven PCR-Befunden zu einer Infektion i.S.d. Infektionsschutzgesetzes (IfSG) kommt, ist eine ganz andere Frage.[3]

Übersterblichkeit (Exzessmortalität)

Vor allem (tatsächlich oder vermeintlich) fehlende Übersterblichkeit wird immer wieder für eine relative Harmlosigkeit des SARS-CoV-2-Erregers ins Feld geführt. Exzessmortalität ist jedoch schwer zu erfassen und zu interpretieren. Sie bezieht sich stets auf eine definierte Gruppe (Alterskohorte, Erkrankungskollektiv, Gesamtbevölkerung, etc.) und eine bestimmte Zeitspanne. Um Über- oder Untersterblichkeit zu ermitteln, vergleicht man mit einem Erwartungswert („Basismortalität“). Dieser unterliegt seinerseits (zeitlichen) Veränderungen (Trends).

Der Wahl des Betrachtungszeitraums und der Kenntnis sämtlicher Einflüsse auf die (Basis-) Mortalität kommt entscheidende Bedeutung zu. Ändert sich die Zusammensetzung des Kollektivs (z. B. durch Einwanderung relativ Jüngerer, wachsendem Anteil von Frauen unter Rauchern, etc.), so wirkt sich das auf die Basismortalität und folglich auf die kalkulierte Über- oder Untersterblichkeit aus. Vergleicht man Sterblichkeiten, so benötigt man zudem immer auch absolute Werte. Der Anteil der über 80-Jährigen beträgt in den USA z. B. knapp 4 %, in Deutschland dagegen 6 %. Ein Vergleich auf Basis ausschließlich relativer Größen ergäbe hier ein verzerrtes Bild. Unverzichtbar ist stets auch die genaue Definition eines Todesfalls.[4] All das ist keineswegs trivial. Und so war selbst bei stärkeren Grippewellen vergangener Jahrzehnte nicht immer eine Exzessmortalität festzustellen.

In vielen Ländern war die Übersterblichkeit im Jahr 2020 signifikant, so z. B. in Italien, Spanien, Frankreich, Portugal, Belgien, Mexico, Peru, Equador, u. a.. Das war aber nicht überall so. Für Deutschland betrug sie je nach Berechnungsmethode bis zu 1 %. Auffällig hoch war sie in der Alterskohorte der über 80-Jährigen.[5] Doch infolge mancher der Infektionsschutz- und pandemiemaßnahmen gab es sehr wahrscheinlich auch weniger Todesfälle durch Grippe, (Verkehrs-) Unfälle, nosokomiale Infektionen, Behandlungsfehler, u. a.. Dieses Phänomen ist als Präventionsparadoxon bekannt. Ferner registrierte man hierzulande, ebenso wie in Israel, Polen, USA, Italien, Neuseeland, eine Untersterblichkeit bei Kindern bis 14 Jahren. Einflüsse dieser Art wirken sich auf die Basismortalität aus. So ist es, vorsichtig formuliert, durchaus möglich, dass keine oder nur geringe (Gesamt-) Übersterblichkeit resultiert. Daraus den Schluss zu ziehen, Pandemie oder Erreger wären harmlos, ist unlogisch und methodisch fehlerhaft. Es zeigt lediglich, dass es problematisch sein kann, ausschließlich die Übersterblichkeit zum Maßstab für die Gefährlichkeit einer Pandemie zu machen.

Für das bevölkerungsreiche Indien gingen einige schon im Oktober 2020 davon aus, dass die Zahl der Infizierten (und wohl auch der CoViD-19-Toten) deutlich höher ist als berichtet. Prospektive Studien für Indien (und auch für manch afrikanisches Land) zeigten, dass dies nicht unrealistisch war und sich leider im Frühjahr 2021 bestätigte.[6] Im Verhältnis zur Bevölkerung ist die Testrate in diesen Regionen sehr gering. Menschen aus Armutsvierteln, die auf der Straße oder dem platten Land verenden, werden i. d. R. post mortem nicht auf das Coronavirus untersucht. Aufgrund des hohen Anteils Jüngerer (nur 16 % der Inder sind älter als 45 Jahre) sind die Todesraten in diesen Ländern dennoch niedriger als manche ursprünglich erwartet hatten. Die Datenlage für die CoViD-19-Toten Indiens jedoch ist -ebenso wie z. B. diejenige vieler Staaten Afrikas- insgesamt nicht sehr zuverlässig. So ging man im November 2021 z. B. davon aus, dass in Wirklichkeit mindestens 70 % der Bevölkerung Indiens bereits infiziert waren.

Menschen sterben aber nicht nur trotz sondern auch wegen der Maßnahmen gegen Corona. Dazu gibt es jedoch kaum verlässliche Daten. Für die Tuberkulose, eine typische Armutserkrankung, existieren relativ belastbare Prognosen: Die Mehrheit der Betroffenen hatte schon vor Corona keinen Zugang zu ausreichender Gesundheitsversorgung. Das ist noch immer so. Wegbrechende Einkommen aus Tourismus, Handel oder Dienstleistungen verschärfen nun aber ihre ehedem prekäre (Ernährungs-) Lage und schwächen ihre bereits durch die Tuberkulose angegriffene Resilienz. Und leider war der gerne beschworenen Internationalen Gemeinschaft das Hemd immer schon näher als die Hose:[7] So trifft CoViD-19 zwar hauptsächlich gealterte Gesellschaften, mittelbar aber auch die durchschnittlich jüngeren und meist ärmeren. Nicht zuletzt ist das auch ein ethisches Dilemma.

Das RKI wertet alle SARS-CoV-2-Befunde mittels Nukleinsäurenachweis oder Erregerisolierung (unabhängig von der klinischen Symptomatik) als CoViD-19-Fälle. Im Unterschied zur saisonalen Grippe werden also auch asymptomatische Infektionen erfasst. Vielfach wird daher behauptet, die offiziellen Todeszahlen wären nicht korrekt, da viele zwar positiv getestet, aber nicht an SARS-CoV-2 sondern nur (zufällig) mit dem Erreger gestorben wären.[8] Selbstverständlich sind unter den „an oder mit Corona“ Verstorbenen auch welche, bei denen die unmittelbare Todesursache nicht das Virus war. Wer mit CoViD-19 stirbt, ist meist alt,[9] vorerkrankt oder beides. Die Infektion durch das Coronavirus ist dennoch (in aller Regel) die Todesursache. Das heißt, ohne die Infektion hätten die Menschen länger gelebt. Dies ließ sich frühzeitig schon u. a. an den Ergebnissen mehrerer Autopsieserien des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) ableiten.[10] Bei (insgesamt) 735 Obduktionen zeigte sich, dass 618 der Toten eindeutig an CoViD-19 verstarben. Nur bei 7 % war eine andere Ursache für den Tod verantwortlich. Subtrahiert man bei kritischer Betrachtung der Autopsiebefunde weitere ca. 10 % an "möglicherweise konkurrierenden" Todesursachen so resultieren immer noch ca. 85 % gesicherte CoViD-19-Diagnosen.

Inzidenz und Letalität

Mit zunehmender Verbreitung des Virus steigt die ermittelte Inzidenz. Da Testfrequenz und -rate jedoch nicht statisch sind, die Resultate keine repräsentative Stichprobe darstellen, steigt die Inzidenz aber auch dann, wenn (ceteris paribus) mehr getestet wird. Hält die Testkapazität dagegen mit der Verbreitungskinetik des Virus nicht Schritt, ist vice versa auch eine Untererfassung möglich. Daher sollte die Zahl der SARS-CoV-2-Positiven ins Verhältnis zur jeweiligen Testrate gesetzt und als (Inzidenz-) Quotient berichtet werden. Labore sollten dabei global nach einheitlichen Standards vorgehen. PCR-Tests, die ggf. zur Kontrolle positiver Antigenschnelltests erfolgen, dürfen selbstredend nicht als zusätzliche Infektionsfälle gewertet werden.

Zu Beginn der Pandemie wurden fast ausschließlich Infizierte mit Symptomen auf SARS-CoV-2 getestet, im weiteren Verlauf dann aber auch immer mehr asymptomatische CoViD-19-Fälle erfasst. Das erhöhte die Inzidenz, reduzierte aber auch die Todesrate, da der Anteil der Todesfälle unter den Infizierten sank. Inzidenzen sollten also ins Verhältnis zur jeweiligen Testrate gesetzt werden und die CoViD-19-Todesfälle dann auf diesen (Inzidenz-) Quotienten Bezug nehmen![11] Dann erhält man auch stratifizierte und aussagefähige Kennziffern zur Letalität.

Denn gerade die Letalität von CoViD-19 wird heftig diskutiert. Manche behaupten, sie wäre nicht höher als bei einer saisonalen Grippe. Eine solche kann schwerwiegend verlaufen, eine Grippepandemie sogar verheerend sein.[12] Das macht Corona aber nicht harmlos. Grob geschätzt dürfte die Infektionssterblichkeit (IFR),[13] die „virusintrinsische“ Letalität des SARS-CoV-2-Erregers, mindestens das 3- (bis 6-) fache des Influenza A Kontagions, des (Haupt-) Erregers der saisonalen Grippe, betragen. Allerdings ist die Untererfassung sowohl der Erkrankungs- als auch der Todesfälle bei Grippe aufgrund fehlender Labordaten weit höher als das bei CoViD-19 nun der Fall ist.[14]

Die stark altersabhängige und daher auch regional heterogene IFR kann nur geschätzt werden, da die Dunkelziffer tatsächlich Infizierter unbekannt ist. In Ländern mit hohem Anteil Jüngerer lagen mittlere IFR-Raten 2020 für die Gesamtbevölkerung bei 0,23 %, in Industrienationen mit morbiderer Bevölkerung dagegen bei bis zu 1,15 %. In Spanien erreichte die mittlere IFR (auf Basis repräsentativer Serosurveys) in der ersten Welle z. B. 0,8 %,[15] während global über alle Altersgruppen hinweg eine mediane IFR von ca. 0,3 % errechnet wurde.[16] Diese veränderte sich und sank zwischen 15. April 2020 und 1. Januar 2021 (noch vor Einführung der Impfungen) global von 0,47 % auf 0,31 %.[17] Dabei unterschieden sich die 190 untersuchten Länder und Regionen bis um den Faktor 30.[18] Für über 60-Jährige liegt die IFR allerdings weit über 0,3 %. Eine US-Studie ermittelte z. B. einen Wert von 1,71 %.[19]

Indes: Belastbare Daten zur Infektionssterblichkeit von SARS-CoV-2 werden erst nach Ende der Pandemie bekannt sein. Man benötigt dazu exakte Angaben zur Zahl der Verstorbenen innerhalb einer definierten Zeitspanne, zu Prävalenz und Infektionsquote (asymptomatisch Infizierte?), zu Art und Häufigkeit der Tests, zur Altersstruktur der jeweiligen Population, der Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens (regionale Intensivkapazitäten), u. v. m.. Effekte von Maßnahmen zum Infektionsschutz müssen evaluiert und berücksichtigt werden. Doch sollte man bis dahin tatenlos abwarten, nur um dann festzustellen, dass das Ereignis „Corona“ vielleicht doch etwas gefährlicher war, als zuvor angenommen?

Vielfach ist zu lesen, SARS-CoV-2 wäre schließlich kein Killervirus. Das hat, mit Verlaub, auch kein seriöser Forscher je behauptet. Der Begriff ist in der Fachwelt gar nicht definiert. Obgleich kontagiöser, ist das Coronavirus z. B. weit weniger letal als ein Marburg- oder Ebolavirus. Doch es provoziert massive Thromboembolien, verursacht Myokarditiden und ist bedrohlicher als Influenza A: So führt SARS-CoV-2 häufiger zu einem sog. Zytokinsturm, blockiert durch Bildung von Autoantikörpern gegen körpereigene Interferone zugleich aber auch die Immunabwehr.[20] Und neben der Lunge sind nicht selten auch noch andere Organe[21] betroffen. Nachgewiesen wurden bislang u. a. Herz-[22] und ZNS-Schäden, Thrombosen tiefliegender Venen, Störungen von Geruchs- und Geschmackssinn sowie Schädigungen der Nieren. Verglichen mit Influenza A treten offenbar auch mehr Spätfolgen auf. Die scheinen selbst Jüngere und Infizierte mit mildem Akutverlauf zu betreffen. Dies ist jedoch noch nicht gesichert. Klinische (Langzeit-) Studien hierzu sind initiiert.

Die Sterblichkeit hospitalisierter CoViD-19-Patienten betrug im Frühjahr 2020 etwa 20 %.[23] Das war höher als bei anderen Pneumonieerregern. Das Todesrisiko intensivpflichtiger Patienten betrug 30 bis 40 %, bei invasiv Beatmeten sogar ca. 50 %.[24] Im Vergleich zur Grippe musste häufiger intensivmedizinisch betreut und ca. doppelt so oft (und auch länger) beatmet werden. Ausschlaggebend für das Letalitätsrisiko sind hohes Alter, Übergewicht, kardiopulmonale Grunderkrankungen und männliches Geschlecht. Männer haben ein rund 1,6-fach höheres Sterberisiko als Frauen.

Für schwere saisonale Grippewellen, wie sie zuletzt etwa 2012/13 und 2017/18 auftraten, schätzte das RKI die influenzabedingten Todesfälle auf 20.000 bzw. 25.000.[25] Doch trotz aller Interventionen zum Infektionsschutz und selbst nach Einführung wirksamer Impfungen sind bis zum 15. April 2021, gut 15 Monate nach Ausbruch der Pandemie, allein in Deutschland bereits 80.000 nachweislich SARS-CoV-2-Infizierte an CoViD-19 verstorben. Einer ähnlich verheerenden Grippewelle der letzten Jahrzehnte kann ich mich nicht entsinnen.

Eine Infektion mit Influenza A führt i. d. R. rasch zu offensichtlichen Symptomen.[26] Eine solche mit SARS-CoV-2 verläuft jedoch oft symptomlos oder ist erst nach Tagen zu erkennen. Ist die Viruslast auf Schleimhäuten hoch genug, übertragen aber auch Asymptomatische das Virus. Denn im Gegensatz zu ebenfalls aerosol verbreiteten Viren, wie etwa den Masern, repliziert das Coronavirus (auch) direkt in den Mukosazellen der Alveolen und Bronchiolen. Zudem degradieren die gebildeten Immunglobuline (dimeres IgA u. a.) dort nach kurzer Zeit wieder. Daher kann man sich bereits wenige Wochen nach Infektion oder Impfung erneut infizieren.[27]

Dass die Antikörpertiter im Blut im Zuge der Affinitätsreifung[28] wieder sinken, ist normal und war zu erwarten. Für CoViD-19 ging das früh auch aus einer lokalen Studie des Robert Koch-Instituts hervor. Bei 40 % derjenigen, die im Frühjahr 2020 in Bad Feilnbach einen positiven Coronatest hatten, konnten Anfang Juli bereits keine Antikörper mehr im Plasma nachgewiesen werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass keine systemische Immunität mehr besteht. Sie ist nur nicht steril, da die Atemwegsmukosa eben erneut durch übertragbare Viren besiedelt werden kann.

Auch das Letalitätsrisiko verschwindet mit der Vakzination nicht vollständig. Das gilt besonders für aggressivere Mutanten und Hochrisikogruppen. Es sinkt aber nach zwei Impfdosen signifikant![29] Schwere Krankheitsverläufe sind dann seltener. Außerdem nimmt bei Geimpften die Viruslast nach einer Infektion schneller ab.

Mutierte Varianten des Virus, z. B. B.1.1.7 (England), B.1.351 (Südafrika ), P.1 (Brasilien) oder Omikron waren entweder kontagiöser oder virulenter als der ursprüngliche Wildtyp. Mutationen zugunsten der Kontagiosität führten dabei bislang zu geringerer Virulenz - was aber keineswegs so bleiben muss! In beiden Fällen besteht ein erhöhtes Risiko (zumindest zeitweise) überlasteter Intensivkapazitäten. Der Selektionsdruck[30] auf das Virus könnte durch global[31] unterschiedlich schnell voranschreitende Impfkampagnen[32] auch noch steigen. Außerdem können Escapevarianten auftreten gegen die bisherige Impfungen nicht mehr ausreichend wirken. Multiple Mutationen könnten zur Bildung von SARS-CoV-2-Reassortanten führen, oder, bei Co-Infektionen, sogar zu solchen mit Influenza A. Auch deshalb ist eine Genomsequenzierung wichtig. In Großbritannien wurden frühzeitig 15 % aller Virusproben sequenziert. Deutschland („Wir schaffen das“) war hierzu nicht in der Lage.[33] Da das nun zirkulierende SARS-CoV-2 aber eine völlig neue Variante der Coronaviridae ist, gibt es kaum naive Immunität.[34] Vielleicht erklärt das die zeitweise panischen Reaktionen der Politik.[35]

Infektionsschutz- und Pandemiemaßnahmen

Wie viele Todesfälle gäbe es denn nun bei Verzicht auf jegliche Maßnahme oder Intervention? Diese Frage ist spekulativ. Wir werden die Antwort nie kennen, weil ein solches Experiment -aus guten Gründen- niemand wagen wollte. Das schwedische Modell hat trotz geringerer Bevölkerungsdichte bislang mehr Tote pro Einwohner produziert als das deutsche.[36] Eine durchgestandene Infektion und der dadurch aufgebaute zelluläre und humorale Immunschutz senken zwar das Risiko, sich erneut mit dem Coronavirus anzustecken. Doch eine (stabile) natürliche Herdenimmunität scheint bei diesem Atemwegserreger (auch) angesichts des raschen Abbaus der Immunglobuline auf Bronchialschleimhäuten mehr als fraglich. Manaus (Brasilien) zeigte eindrücklich, was geschehen könnte, ließe man sich auf den Versuch einer unkontrollierten Ausbreitung des Virus ein. Bei einer Erkrankungs(fall-) Sterblichkeit (CFR)[37] von durchschnittlich ca. 2,3 % für Deutschland darauf zu setzen, wäre ein hohes Risiko und wohl keine Option. Denn selbst wenn man mit einer Infektionssterblichkeit (IFR) von nur 0,3 % kalkuliert, riskiert man bei 83,5 Mio. Einwohnern und einer Herdenimmunitätsschwelle von 0,8 bereits über 200.000 Tote. Und selbst dafür ist Voraussetzung, dass die Intensivkapazitäten zu keinem Zeitpunkt überlastet werden oder gar kollabieren. Von gesundheitlichen Spätfolgen bei Überlebenden ganz abgesehen.

Doch den Zeitvorsprung, den der Rückgang der Inzidenzraten im Sommer 2020 brachte, hatte unsere schlaue Führung sträflich verschlafen.[38] Nicht nur der wirtschaftliche Schaden wäre wohl geringer, hätte man konsequent und vorausschauend gehandelt. Doch Party-, Event-, Reise-,[39] und Lifestyle-Industrie – Ischgl, Ballermann, Bundesliga,[40] Wellness-, Piercing-, Nagel- und Tattoostudios etc., schienen einfach zu wichtig. Wichtiger jedenfalls als Ältere und chronisch Kranke, die -außer als Konsumenten- sowieso nichts mehr zum BIP beitragen?

Auch beim Thema Schulen behauptete die Lobby monatelang und ohne Widerspruch zu ernten, dass diese als Infektionsquellen unbedeutend wären.[41] Weshalb? Weil Kinder und Jugendliche, die dicht gedrängt in Klassenzimmern sitzen und regelmäßig in überfüllte Schulbusse gepfercht werden, nicht zur Gattung Homo gehören und daher nicht zur Verbreitung beitragen? Wer mitdachte, konnte schon damals den Unsinn dieser Äußerung erkennen.

Die Intensivstationen arbeit(et)en vielerorts am Limit.[42] Es galt, einen Kollaps zu vermeiden.[43] Die hohen Todesraten in Bergamo oder New York im Frühjahr 2020 waren u. a. auf eine Überlastung der Intensivstationen zurückzuführen. Und was nützen Apparate ohne die Fachleute, die sie bedienen können und das Pflegepersonal, das die Patienten dann wochenlang versorgt? In Deutschland wurden bis Herbst 2021 in nur einem Jahr 20 % der Intensivbetten aufgrund Personalmangels abgebaut! Bis dahin waren bereits mehr als 100.000 Coronatote zu beklagen, weltweit mehr als 5 Millionen. Wann also sollte man eingreifen?

Erreicht ein Virus aufgrund hoher Kontagiosität und der Art seiner Übertragung eine exponentielle Infektionskinetik,[44] ist es angesichts der globalen Vernetzung für eine (lokale) Eindämmung meist zu spät. Das gilt selbst für rigorose Systeme mit digitaler Totalüberwachung, die sich um Rechtsstaatlichkeit nicht kümmern. Bei der mexikanischen Schweinegrippe (H1N1 2009/10) und der Vogelgrippe, die von manchen zu Vergleichen herangezogen werden, war der mediale Hype pandemisch gesehen letztlich übertrieben. Milliarden wurden für Neuraminidasehemmer und andere Arzneimittel verschwendet. Im Nachhinein war das mehr als ärgerlich.[45]

Nur: Die Fachwelt wusste seit vielen Jahren, dass irgendwann ein fatales Virus auftauchen könnte.[46] Nicht wann und nicht welches. Aber dass Zoonosen einen Übergang von einer Spezies auf eine andere vollziehen, ist nicht neu. Wir haben jetzt vielleicht noch Glück gehabt: Eine Pandemie mit einem Atemwegserreger, der die Letalität eines Marburg-, die genetische Variabilität eines Influenza-, und die Kontagiosität eines Herpesvirus besäße, könnte die Weltbevölkerung (mutmaßlich) im 100-Millionen-Maßstab dezimieren. Wie laut wäre dann der Schrei nach der (ansonsten so verabscheuten) Pharmaindustrie,[47] sie möge doch bitte in Windeseile etwas Wirksames dagegen aus dem Hut zaubern. Die Finanzbranche, die die Katastrophe 2008 selbst (!) verursachte, gigantische Wirtschaftsschäden (und infolgedessen global zehntausende Todesfälle) hinterließ, und die von Steuerzahler und Kleinsparer mit Billionen bis Sankt Nimmerlein gerettet wird, kann uns da nicht helfen. Es gibt Berufe und Branchen, die sind für die menschliche Existenz entbehrlicher als andere.

Vernunft und Wissenschaft – oder: „Die Alltagsmaske“

Gerade in der Politik ist kritische Vernunft als Maxime pragmatischen Handelns gefragt. Ein Staat sollte daher niemals aufgrund von Wunschvorstellungen, Gesinnungen oder Ideologien agieren sondern stets und ausschließlich auf Basis solider Forschungsergebnisse und wissenschaftlicher Erkenntnisse. Sind solche in einer unklaren Krisenlage (verständlicherweise noch) nicht vorhanden, muss er das transparent machen und die eigentlichen Motive offenlegen: Im Falle sogenannter Alltagsmasken war dies nämlich der hilflose Versuch, in Ermangelung anderer Handlungsoptionen,[48] wenigstens irgendetwas zu tun. Man ließ die Leute sogar glauben, auch Kaffeefiltertüten oder Schals vor der Nase hätten einen Schutzeffekt.[49] Doch für solche Alltagsmasken[50] existierten weder randomisierte kontrollierte klinische Studien noch valide in-vitro Untersuchungen.[51] Erkenntnisse aus der Pharmazeutischen- und der Reinraum-Technologie zu Aerosolkinetik, Filtersystemen, Abscheide- und Leckageraten etc. ließen vermuten, dass deren (aktive als auch passive) Schutzwirkungen im Falle viraler Flüssigaerosole, mit Fraktionen[52] (auch) deutlich unterhalb von 5 µm, völlig unzureichend sind.[53] Das Allerlei an Unterschiedlichem vor dem Gesicht ist weder spezifiziert noch spezifizierbar, lenkte aber von tatsächlich wirksamen Maßnahmen ab.

OP-Masken (Mund-Nasen-Schutz, MNS), erstmals 1897 durch den Chirurgen Mikulicz-Radecki in Breslau eingesetzt, bieten keinen Infektionsschutz für den Träger.[54] 60 bis 90 % des Luftstroms gelangen seitlich in die Atemwege. MNS dienen (ausschließlich) dazu, bei Behandlungen von Patienten die Abgabe größerer (!) Tröpfchen auf kurze Distanz zu reduzieren. Sie wirken nicht gegen die Aufnahme (und Abgabe) kleinpartikulärer Aerosole. Genau dies wäre aber im Falle der hauptsächlich durch Aerosole verbreiteten Coronaviren erforderlich!

FFP-2-Masken wiederum wurden vorrangig für den Arbeitsschutz (Feststoffaerosole) und nicht für den medizinischen Einsatz bei kleinpartikulären Flüssigaerosolen entwickelt. (Bei viralen Bedrohungen müssten mindestens Atemschutzmasken der Kategorie FFP-3 mit einer maximalen Gesamtleckagerate von 2 % zur Anwendung kommen.) Die für FFP-2-Masken reklamierte Schutzwirkung gegen eine Infektion durch Coronaviren müsste wissenschaftlich belegt werden. Doch bislang fehlen belastbare Forschungsergebnisse dazu.[55] Dass man bei Ausbruch der Pandemie prophylaktisch etwas vor die Atemwege hält, ist nachvollziehbar. Dass man es ohne validen Wirksamkeitsnachweis dabei belässt, nicht. Die etablierte Maskenkultur vermittelt daher ein trügerisches Gefühl von Sicherheit.

Vermutlich reduzieren manche dieser Masken das Risiko einer Transmission. Aber welche, unter welchen Bedingungen, und in welchem Ausmaß? Im Herbst 2021 wollen Ärzteverbände bei Schülern und in Kindertagesstätten auf Masken verzichten. Virologen hingegen daran festhalten. Wer hat recht? Sollen wir würfeln? Noch immer lassen sich Effekte des Abstandhaltens, des Aufenthalts im Freien, des Verzichts auf Händeschütteln, etc. nicht klar von einem (bescheidenen?) Effekt des Masketragens trennen. Auch ist völlig unklar, wie lange getrocknete virushaltige Aerosolpartikel nach dem Ausatmen kontagiös bleiben. Noch vor Etablierung der Omikronvariante hatte sich z. B. von Juli 2021 (Inzidenz < 10) bis November (Inzidenz > 300) am Gebrauch der Masken NICHTS geändert. Wohl aber an der mittleren Aufenthaltsdauer in Innenräumen, wo die Leute dann für längere Zeit dieselbe aerosolhaltige Luft atmen. Ceteris paribus ein starkes Indiz gegen (nennenswerte) Effekte der Masken! Dennoch glaubt(e) man, auf umfangreiche epidemiologische, klinische und labortechnische Untersuchungen verzichten zu können. Doch das ist ein Irrtum. Vor Einführung einer Tragepflicht sollte der Nachweis erbracht werden, dass Masken effektiv und wirksam schützen. Das muss methodisch einwandfrei und nach wissenschaftlichen Standards erfolgen. Dann lässt sich eine Rechtsverordnung auch vernünftig begründen und überzeugender durchsetzen.

Fehlen jedoch solche Belege, unterminiert eine staatlich angeordnete Tragepflicht von Mund-Nasen-Bedeckungen die Glaubwürdigkeit von Politik und Wissenschaft gleichermaßen. Das führt in der Folge auch zu leichtsinnigem Verhalten im Hinblick auf Maßnahmen, die nachweislich wirksam sind. Staatliches Handeln sollte sich an Vernunft und Wissenschaft orientieren und nicht an Glaubenssätzen und unbewiesenen Behauptungen. So mancher trägt die Maske nicht deshalb, weil deren Nutzen zweifelsfrei belegt wäre, sondern weil er den "Corona-existiert-nicht"-Spinnern keine Munition liefern will. Folgende Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung aerogener Erreger sind dagegen durch entsprechende Forschung gestützt:

1. Kontaktreduktion – Beschränkung von Anzahl und Frequenz persönlicher Kontakte

2. Abstand – Dieser sollte zur Sicherheit mindestens 4 m betragen (Niesen)! Weil dies im Alltag kaum einzuhalten ist und (ausschließlich) größere Tröpfchen auch schon auf kürzerer Distanz sedimentieren, gibt man (willkürlich) 1,5 m vor. Hauptsächlich erfolgt die Infektion aber durch Transgression kleinpartikulärer Aerosolwolken![56]

3. Hohe Luftwechselraten – Da sich kleinpartikuläre Aerosolfraktionen mehrere Stunden in der Schwebe halten, ist es sehr wichtig, Innenräume gut und regelmäßig (mit Außenfrischluft) zu durchlüften![57] Optimal ist ein Aufenthalt im Freien – was im Winter naturgemäß schwierig ist.

4. Erregerspezifische Impfungen – Sobald solche verfügbar und zugelassen sind.

Skandalös ist / sind (die Liste kann fast beliebig verlängert werden):

– der vollkommen verspätete und halbherzige Versuch, besonders Vulnerable in Alten- und Pflegeheimen[58] zu schützen. Stattdessen wurden, wenig fokussiert und wissenschaftlich[59] unbegründet, generelle nächtliche Ausgangssperren verhängt. Vielleicht, weil bei individuellen Abendspaziergängen auf Feldwegen die Ansteckungsgefahr so hoch ist?

– die teils inkonsequenten Maßnahmen und die Tatsache, dass deren Effekte nicht systematisch überprüft und transparent berichtet werden. „Dass im Jahr 2020 die Infektionszahlen jeden Montag wegen des dazwischen liegenden Wochenendes nicht stimmen, ist absurd“ (Gerd Antes, Münchner Ärztliche Anzeigen), ebenso, dass Hospitalisierungsraten mit bis zu 2 Wochen Verzug berichtet werden oder man sich der Illusion hingibt, (prophylaktische) Antigentests[60] schützten Ansammlungen von Menschenmassen in Fussballstadien, Discotheken und Clubs. Auch mehrfache Korrekturen an Berechnungsmethoden des RKI erwiesen dessen Glaubwürdigkeit einen Bärendienst. 10 Monate nach Start der Kampagne kannte man die Impfquote nicht? +/– 5 % macht einen Unterschied von Millionen!

– dass auch in Leitmedien Schlagzeilen irreführend formuliert,[61] mal reißerisch, mal verharmlosend, schlampig recherchierte Angaben zu (unklar definierten) Todesraten gemacht und teils verwirrende Botschaften zur Gefährlichkeit des Virus verbreitet werden,

– ein in Summe diffuses Pandemiemanagement,[62] miserable Kommunikation und die mangelnde Systematik bei Meldung und Dokumentation der Erkrankungen und Todesfälle. Es fehlt sogar an einer exakten Definition Testpositiver, Infizierter und Erkrankter. Fallzahlen werden ohne Bezugsgrößen referiert und Inzidenzen nicht (wie z. B. in Österreich) nach Impfstatus aufgeschlüsselt. Das erschwert nicht zuletzt auch Risikovergleiche zwischen SARS-CoV-2 und Influenza A.

– dass man bisher immer wieder tausende vermeidbarer Grippetoter achselzuckend als saisonales Naturereignis hingenommen hatte,

– die meist katastrophalen hygienischen Zustände in deutschen Krankenhäusern:[63] Jeder dritte Patient, der wegen ganz anderer Beschwerden eingeliefert wird, infiziert sich erst im Krankenhaus mit (nicht selten multiresistenten) Keimen. Ein Deutscher, der in eine holländische Klinik eingeliefert wird, musste daher schon vor Corona zuerst in Quarantäne.

– die absurde Förderung der Multiresistenz durch prophylaktischen Einsatz von (Breitband-) Antibiotika in der Tiermast und ihrer massenhaften Fehlanwendung in der Humanmedizin: Zu oft kommen Breitbandantibiotika zum Einsatz obwohl vor Verordnung eigentlich eine Keimidentifikation geboten wäre,

Doch: Was kann man erwarten, wenn (diese Liste kann erst recht beliebig verlängert werden):

– selbst im 21. Jh. noch immer allerhand Wundermittel (Homöopathika, Anthroposophika) ohne klinischen Wirksamkeitsnachweis und ohne die für Allopathika erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung in Verkehr gebracht und sogar zulasten der gesetzlich Krankenversicherten verordnet werden!

– allabendlich der Reizdarmschwachsinn mit seinen existenzbedrohenden Blähungen über die Mattscheiben flimmert und damit eine offenbar breite Klientel an Blutentschlackern, Darmentgiftern und Datingfanatikern adressiert, ... man jedoch hierzulande nicht in der Lage ist, an stark frequentierten öffentlichen Orten überall berührungsfrei nutzbare Toiletten zu installieren. Das würde Infektionen aller Art reduzieren und wäre technisch (Mykenische Mauern, Sensoren) kein Problem!

– Impfgegner (darunter auch manche Ärzte) glauben, Impfungen würden die natürliche Persönlichkeit verändern, Pädagog*innen meinen, Masketragen würde die Kindesentwicklung beeinträchtigen und behauptet wird, die mRNA der Impfstoffe würde in DNA menschlicher Zellen integriert[64] und so angeblich „das Erbgut“ schädigen. Wo sind die (wissenschaftlichen) Belege?

– Ahnungslose von einer Coronadiktatur faseln, ohne begriffen zu haben, dass solche Verlautbarungen in einer echten Diktatur erst gar nicht möglich wären,[65]

– Bundesminister wie Hubertus H. auf eine durchlaufende Nummerierung beim Sozialgesetzbuch verzichten, angeblich, um den (Wahl-?) Bürger durch die „13“ nicht in dessen (Aber-) Glauben zu irritieren, oder gelernte Hotelfachfrauen und Kompetenzgranaten wie Anja K., die an einem Halbsatz mit drei englischen Vokabeln scheitern, für die Forschung (!) des Bundes zuständig sind,

– man sich hierzulande an 180 Lehrstühlen mit dem Gendern befasst, aber beispielsweise kein Lehrstuhl mehr (exklusiv) für die Erforschung der Gravitation existiert. Auch den LIGO (Laser Interferometer Gravitational Wave Observatory), Ergebnis früherer deutscher Gravitationsforschung, bauten die USA. Damit gelang 2015 der Nachweis der von A. Einstein prognostizierten Gravitationswellen. Der Nobelpreis für Physik ging 2017 dann (ohne deutsche Beteiligung) in die Staaten,

– eine sensationsgeile Boulevardpresse systematisch die Verdummung breiter Bevölkerungsschichten vorantreibt, Mythen en vogue sind und man sich für jede Interessenlage eine passende Koryphäe (fake expert) mieten kann,

– ein Narzisst wie Trump[66] mit Unterstützung Millionen Evangelikaler, die ernsthaft glauben, eine Evolution[67] hätte es nie gegeben, US-Präsident wird und den ganzen Planeten mit seiner Blödheit terrorisiert, sich sogenannte Alternative Fakten (fake news) über digitale Netze wie Viren verbreiten und es einem rechtsradikalen Bolsonaro völlig gleichgültig ist, was mit 210 Millionen Brasilianern in einem kollabierten Gesundheitswesen geschieht.

Wenige werden jemals ein Werk zur Erkenntnistheorie zur Hand nehmen oder sich mit wissenschaftlicher Methodik auseinandersetzen. Das mag auch nicht nötig sein. Viele aber sind nicht einmal in der Lage, einfache Sachverhalte zu recherchieren und mithilfe seriöser Quellen zu verifizieren. Alternative Fakten gibt es genauso wenig wie Alternative Wahrheiten. Der Gegensatz zur Wahrheit ist die Unwahrheit. Die Alternative zur Wahrheit immer die Lüge. Manche scheinen jedoch den Unterschied zwischen Meinen und Wissen nicht zu kennen. Sie glauben offenbar, Naturgesetze wie Schwerkraft oder Lichtgeschwindigkeit wären Ansichtssache, verhandelbar wie Brexitverträge oder eine weitere Art Homöopathischer Heilslehre. Doch Forschungsdaten sind keine Gegenstände demokratischer Abstimmung und wissenschaftliche Erkenntnisse kein Wahn.

In einer TV-Runde zur Pandemiebekämpfung haben Querdenker, Alternativmediziner und Esoteriker nichts verloren. Auch nicht aus Gründen falsch verstandener Meinungspluralität. Denn es geht nicht um Meinungen, sondern um Fakten. Hier sind Virologie und Immunologie gefragt, aber u. a. auch Epidemiologie, Statistik und Modellierung (Verbreitungskinetik), Pharmazie (Impfstoffe) und Intensivmedizin (Therapie). Beim Bau von E-Autos verlässt man sich auch nicht auf die Expertise eines Theo- oder Astrologen. Und geht es um Kernphysik oder Chirurgie, sucht keiner Rat bei Heilpraktiker oder Metzger. Obwohl die vielleicht auch gerne ihren Senf dazu abgäben.

Wer heilt, habe recht, liest man. Dieser oft kolportierte Spruch ist an Dämlichkeit nicht zu überbieten. Denn wahr oder falsch einer Behauptung einerseits und Erfolg oder Misserfolg einer therapeutischen Handlung andererseits haben (aussagen-) logisch nichts miteinander zu tun!

Leider erntet man nun in der Pandemie, was man jahrzehntelang gesät hat. Beliebiges Nebeneinander von Forschung und Aberglaube, Wissenschaft und Esoterik, musste in der Bevölkerung den Eindruck einer Gleichberechtigung von Aussagen erwecken. Ganz so, als wäre Vernunft oder Unsinn eben eine Frage des persönlichen Geschmacks, einer alternativen Weltanschauung. Doch zwischen Tatsachen und Blödsinn gibt es keinen Kompromiss. Es existiert kein Recht auf Aberglaube. CoViD-19 wird nicht von 5G-Handymasten ausgelöst. Auch nicht vielleicht! In der Folge stagnieren nun die Impfquoten. Die lassen sich jetzt, nach Jahrzehnten boomender Esoterik, auch durch mehr „Kommunikation mit dem Volk“ nicht wesentlich steigern.

Auffällig viele gefälschte Atteste sind an Waldorfschulen und im Dunstkreis von Anthroposophen und Vertretern anderer Sekten in Umlauf. Auch die Impfquoten sind hier viel niedriger. Eine überzogene Rücksicht auf die esoterischen Befindlichkeiten dieser ganzheitlich-alternativen Szene der Heil-er und -praktiker kostet Tausenden (zusätzlich) das Leben. Doch anstatt (rechtzeitig) für eine höhere Impfquote[68] zu sorgen, sollen sich Geimpfte aus Solidarität mit den Impfgegnern[69] ein drittes Mal impfen („boostern“) lassen.[70]

Auf der anderen Seite der Vernunftleugner sieht es nicht besser aus. Wo sich Zeugen Jehovas, erweckungsbewegte Pfingstkirchler, Puritaner, Pietisten und andere „freikirchlich-charismatische“ Gruppen tummeln hat die Abneigung gegen das (wissenschaftliche) Denken Tradition. Da ist die Welt dann, je nach Bibelstelle, mal zwischen vier- und achttausend Jahre alt. Die überwältigenden Belege für eine Evolution, die man am Beispiel der Mutationen des SARS-CoV-2 sogar im Zeitraffer studieren kann, finden in diesen Köpfen keinen Platz. Orthodoxe, Evangelikale, Islamisten und andere religiöse Fundamentalisten haben nie verstanden, dass Religionsfreiheit nicht zuletzt (auch) heißt: Freiheit von Religion.[71] Denn vom Glauben an Übernatürliches, Mystisches und Irrationales ist es oft nur ein kleiner Schritt zu absurdesten Theorien wie z. B. jenen von QAnon. GLAUBEN lässt sich schließlich ALLES! Überprüfbare Belege werden dafür ja gerade nicht gefordert.

Mythen und Märchen, Globuli und Glaube,[72] prägen aber leider weite Teile der Bevölkerung. Komplexes soll simpel, Vielschichtiges einfach sein. Halb- und Unwissen grassieren. Dies ist jedoch keineswegs harmlos.[73] Das inzwischen salonfähige Geschwafel über ein angeblich übertrieben szientistisches Weltbild diffamiert die Vernunft und leistet Ideologien aller Art Vorschub.

So haben die Esoteriker der Neuzeit nun Konjunktur: Geistheiler, Schamanen, Homöopathen, Heilpraktiker, Anthroposophen, Scharlatane, Quacksalber, Sektierer, Verschwörungsmythologen und Okkultisten aller Richtungen und Couleur. Von Masernparty bis Bachblüte: In den Echokammern sozialer Medien finden krudeste Ansichten weltweite Verbreitung und machen auch vor einer sich aufgeklärt wähnenden Generation Smartphone nicht halt.

Das gerne als „dunkel“ kolportierte Mittelalter nimmt sich angesichts dessen fast fortschrittlich aus. Denn die Mehrheit der Menschen hatte damals tatsächlich keinerlei Zugang zum Wissen ihrer Epoche. Aus Mangel an empirischer Forschung war auch Gebildeten so manche Erkenntnis de facto unmöglich. Immerhin aber waren sie in Logik geschult und Aristotelischer Vernunft verpflichtet.

Heute sind Lehrbücher und andere seriöse Informationsquellen für jeden verfügbar, Archive und Bibliotheken öffentlich zugänglich und vielfach sogar digital erreichbar. Information ist, aufbereitet für jeden Grad an Vorwissen und jeden Bildungsstand, nahezu überall und tagesaktuell erhältlich. Und dennoch scheint es Millionen zu mühsam, diese Quellen zu nutzen und Sachverhalte kritisch zu prüfen. Sie bequemen sich mit Ideo-Logik und verbreiten allerlei wahnhaften Unsinn. Und so gilt leider, was Dietrich Bonhoeffer 1943 formulierte:

„Die Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als die Bosheit.“

Zum Autor

Der Verfasser ist u. a. Fachapotheker für Öffentliches Gesundheitswesen, European Qualified Person für Arzneimittel und ehemals GMP-Inspektor der Europäischen Arzneimittelagentur EMA. Als solcher war er fast zwei Jahrzehnte in der Überwachung und Kontrolle international agierender Pharmakonzerne tätig.

Dieser Artikel erschien im Heft 82 von Aufklärung und Kritik (Oktober 2022, 29. Jahrgang, Nr. 4) der Gesellschaft für Kritische Philosophie Nürnberg (GKP).

Endnoten

[1]           Kontagiosität = Fähigkeit eines Erregers von einem Individuum zum anderen überzugehen.

[2]           Antigentests sind günstiger und schneller, aber weniger zuverlässig (Fehlerquote bis zu 40 %).

[3]           Positive Befunde bei hohen Ct-Werten (Cyclus treshold, PCR-Replikationszyklen) bedeuten nicht automatisch akute Infektiosität (Bei Ct > 35 sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass Viren kultivierbar sind, auf 8 %). Sie belegen jedoch einen Kontakt mit dem SARS-CoV-2-Erreger, weisen auf eine (mögliche) Infektiosität hin und sind für die Kenntnis der Verbreitungskinetik wichtig.

[4]           Stirbt ein Patient infolge Unfalls oder aber an schwerem CoViD-19-Verlauf ist die Klassifikation klar. Stirbt jemand an Krebs, weil seine OP verschoben werden musste, ist das ggf. CoViD-19 geschuldet – aber dennoch kein Todesfall durch das Virus. Weniger eindeutig ist es, wenn ein SARS-CoV-2-Positiver unter pulmonaler Beteiligung postoperativ an (bakterieller?) Sepsis stirbt.

[5]           De Nicola, G. et al., On assessing excess mortality in Germany during the CoViD-19 pandemic. AStA Wirtsch Sozialstat Arch 16, 5-20 (2022)

[6]           v. a. in Tamil Nadu und Andhra Pradesh; Im 7-Tage-Durchschnitt infizierten sich im April 2021 über 200.000 Personen. Man rätselte über die Ursachen und zog neue Mutationen und gestiegene Testraten in Betracht. Allerdings feierten hunderttausende Hindus dicht gedrängt das Fest Kumbh Mela. Kurz darauf meldeten die Behörden explodierende Inzidenzen. Und auch in Haridwar trafen sich laut Times of India an einem Tag 3,5 Millionen Pilger für ein Bad im heiligen Fluss.

[7]           Weltweit sterben jährlich ca. 4 Millionen Menschen an Infektionskrankheiten, die entweder behandelbar (z. B. Tuberkulose) oder stark reduzierbar wären (z. B. Malaria).

[8]           Sich an der Formulierung „an oder mit Corona“ zu reiben ist unsinnig: Wenn jemand am Abgrund steht und durch einen anderen einen kurzen Stoß erhält, ist der Aufprall am Boden zwar direkt todesursächlich. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Tote ohne den Stoß noch leben würde. Und so ist auch SARS-CoV-2 conditio sine qua non für die „an oder mit“ Verstorbenen.

[9]           Bis 18. 11. 2021 starben in D. 35 Jugendliche im Alter bis 19 Jahre. Wenige, aber 35 Fälle zuviel.

[10]         z. B.: Edler, C. et al., Dying with SARS-CoV-2 infection: an autopsy study of the first consecutive 80 cases in Hamburg, Germany, International Journal of Legal Medicine (2020) 134:1275-1284

[11]         Die Basisreproduktionszahl Ro der Omikronvariante ist höher als die des Wildtyps. Durch Bildung adäquater Quotienten (Hospitalisierung?) wären auch solche Virusmutanten besser zu beurteilen.

[12]         Ein früherer H1N1-Subtyp aus Kansas (USA) verursachte die Influenzapandemie von 1918/19, die sog. „Spanische“ Grippe. An ihr sind wahrscheinlich mehr als 50 Millionen Menschen gestorben. Die mutierte Virusvariante der 2. Welle erhöhte sogar die Gesamtsterblichkeit um 3 %!

[13]         Infektionssterblichkeit (Infection Fatality Rate, IFR in %) = Anteil derer, die nach Aufnahme (und Vermehrung) des Kontagions im Wirtsorganismus (= Infektion) am Erreger sterben.

[14]         Bei einer IFR für Influenza A von 0,1 bzw. 0,05. https://swprs.org/studies-on-CoViD-19-lethality

[15]         Pastor-Barriuso, R. et al., Infection fatality risk for SARS-CoV-2 in community dwelling population of Spain: nationwide seroepidemiological study, BMJ 371: m4509; 2020

[16]         Ioannidis, JPA, Infection fatality rate of COVID-19 inferred from seroprevalence data: Bull World Health Organ. 2021;99(1):19-33

[17]         Wang, H. et al., Estimating excess mortality due to the COVID-19 pandemic: a systematic analysis of COVID-19-related mortality 2020-21, The Lancet 2022; 399: 1513-36

[18]         Sorensen, R.J.D. et al., Variation in the COVID-19 infection-fatality ratio by age, time, and geography during the prevaccine era: a systematic analysis, The Lancet 2022; 399:1469-88

[19]         Blackburn, J. et al.: Infection Fatality Ratios for COVID-19 Among Noninstutionalized Persons 12 and Older: Results of a Random-Sample Prevalence Study. Ann Intern Med. 2021, 174 (1), 135f.

[20]         Das Virus löst die Bildung des Zytokins TGF-ß aus. Dieses hindert natürliche Killerzellen, infizierte Zellen abzutöten, und induziert Thrombosen. Radbruch, A., Laborjournal 4/2022, 16-19

[21]         v. a. solche, die ACE-2-Rezeptoren exprimieren. Über diese dringt SARS-CoV-2 ein. Sie finden sich z. B. in Lunge, Herz, Nieren, Leber, Bauchspeicheldrüse, Endothel und im Magen-Darm-Trakt.

[22]         Wenzel, P. et al., Evidence of SARS-CoV-2 mRNA in endomyocardial biopsies of patients with clinically suspected myocarditis tested negative for CoViD-19 in nasopharyngeal swab, Cardiovascular Research (2020) 116, 1661-1663

[23]         Xie Y., et al., Comparative evalution of clinical manifestations and risk of death in patients admitted to hospitals with CoViD-19 and seasonal influenza: a cohort study: BMJ 2020;371:m4677

[24]         Tagelanges Ersticken in Bauchlage ist keine angenehme Todesart! Inzwischen ist die Letalität auf Intensivstationen aber gesunken. Im Frühjahr 2020 fehlte Erfahrung, wurde oft vorschnell invasiv beatmet (ECMO) und Antikoagulantien und Glucocorticoide nicht (oder zu spät) verabreicht.

[25]         Buchholz, U., Aktualisierung der der Influenza zugeschriebenen Mortalität bis einschließlich der Saison 2012/13, Epid Bull 2015; 3:17-20; Die Grippe wird über die Labormeldepflicht nach IfSG nur rudimentär erfasst. Obgleich oft (mit-) ursächlich für den Tod, verbirgt sie sich statistisch meist unter anderen Diagnosen (Pneumonie, Herzmuskelentzündung, Diabetes). Influenzaassoziierte Todesfälle müssen daher durch Modellierungen geschätzt werden: Zucs, P., et al, Influenza associated excess mortality in Germany, 1985-2001, Emerg Themes Epidemiol 2005;2

[26]         Rasant ansteigendes Fieber, schwere Abgeschlagenheit. Allerdings wurden bei Influenza A nie vergleichbar viele flächendeckende PCR-Tests durchgeführt. Daher wissen wir nicht, ob nicht auch dort mehr (asymptomatisch) infiziert sind als dann erkranken. An der Einschätzung der Gefährlichkeit von SARS-CoV-2 ändert das nichts.

[27]         Cohen, J.I. et al., Reinfection with SARS-CoV-2: Implications for Vaccines, Clinical Infectious Diseases, (Metastudie); Teran, R.A. et al., Postvaccination SARS-CoV-2 Infections Among Skilled Nursing Facility Residents and Staff Members - Chicago, Illinois, December 2020 to March 2021. MMWR Morb Mortal Wkly Rep. 2021 Apr 30;70(17):632-638.

[28]         Es werden jene antikörperproduzierende ß-Lymphozyten selektiert, die selbst bei geringerer Antigenkonzentration noch gut funktionieren. Deren Effektivität kann bis zu 100 mal höher sein.

[29]         Zheng, C. et al., Real-world effectiveness of COVID-19 vaccines: a literature review and meta-analysis. Int J Infect Dis. 2022; 114:252-260; Bernal, J.L., Effectiveness of Covid-19 Vaccines against the B.1.617.2 (Delta) Variant. N Engl J Med 2021, 385:585-594; Deplanque, D. et al., Efficacy of COVID-19 vaccines: From clinical trials to real life. Therapie, 2021; 76(4):277-283

[30]         Wise, J., CoViD-19: The E484K mutation and the risks it poses, BMJ 2021; 372; Besonders in Immunsupprimierten kann das Virus bis zu einem 1/2 Jahr replizieren und unzählige Mutationen versuchsweise kombinieren, vgl. Watzl, C., Laborjournal 11/2021, S. 15

[31]         Varianten mit ähnlichen Mutationen (S-N501Y; K417N/T; E484K) in geografisch getrennten Weltregionen sind ein Indiz für konvergente Evolution.

[32]         Handelt die EU in einer globalen Pandemie tatsächlich Verträge mit Herstellern aus, die es ihr verbieten, überschüssige Impfstoffkontingente an ärmere Staaten abzutreten – um das Material dann nach Ablauf der Verwendbarkeit einer teuren Sondervernichtung zuzuführen?

[33]         Ab 20. 1. 2021 sollen 5 % der Proben sequenziert werden.

[34]         Nicht die kleine Horde Conquistadores dezimierte die Indianer Südamerikas. Es waren Viren, die für Europäer, da deren Immunsysteme mit diesen schon lange vertraut, weit ungefährlicher waren.

[35]         Tausende geplante OP-Eingriffe zu einem Zeitpunkt zu verschieben, an dem die Intensivstationen noch ausreichend (Puffer-) Kapazitäten hatten, war vielleicht nicht die klügste Entscheidung.

[36]         Hier wie dort leben ca. 50 % in Städten. Am 23. 1. 2021 verzeichnete Schweden (S), trotz eines um ca. 10 % geringeren Anteils über 65-Jähriger, 1.066 Tote pro Million Einwohner. Deutschland (D) dagegen 623 Tote/Mio E.. Am 26. 4. 2021 hatte D 984 Tote/Mio E. zu beklagen, S 1361 Tote/Mio E. Der Quotient der Todesraten sank von 1,71:1 auf 1,38:1 (S:D), da D erneut wertvolle Zeit mit Öffnungsdiskussionen und ineffektiven Maßnahmen verplemperte. S verbesserte dagegen den Schutz seiner Pflegeheimbewohner, führte aber ebenfalls restriktive Maßnahmen ein (Kontaktreduktion) und hielt die Strategie der Herdenimmunität gar nicht konsequent durch! Am 27. 4. 2022 näherte sich der Quotient beider Länder dann an und betrug nur noch 1,12:1 (S:D).

[37]         Die Erkrankungs(fall-) Sterblichkeit (Case Fatality Ratio, CFR in %) bezeichnet den Anteil derer, die an den Folgen einer spezifischen Erkrankung sterben. Beeinflusst durch die Altersstruktur der Population und den Ressourcen des Gesundheitssystems (Intensivkapazität) hängt sie auch von der Qualität des Pandemiemanagements eines Landes ab. Im Gegensatz zur IFR bezieht sie sich aber nicht (!) auf die Zahl der (insgesamt) Infizierten und ist daher höher als die IFR.

[38]         2021 wiederholte sich das: Inzidenz im Juli < 8, am 18. November = 337

[39]         Bei Rückkehr war eine 14-tägige überwachte Quarantäne angezeigt. Die schien aber unpopulär, obwohl längst bekannt war, dass 97,5 % der Infizierten Symptome (erst) innerhalb einer Spanne von 8,2 bis 15,6 Tagen entwickeln. 10 Monate später fing man sich auch die Südafrikavariante ein.

[40]         Weshalb die Kicker bei Inzidenzen um 450 (2.12.2021) weder nach Auslandsaufenthalt noch nach Infektionsfall im Team in Quarantäne müssen, während Kitas geschlossen sind, bleibt ein Rätsel.

[41]         Da Jüngere kaum Symptome hatten, wurden sie kaum getestet. Deshalb war auch kaum jemand positiv. Daraus wurde der „Schluss“ gezogen, sie könnten das Virus nicht übertragen. Wie bitte?

[42]         Nicht grundlos ist die Triage ein heißes Thema: u. a.: Ehlers, P.F. et al., Rechtliche Regelung der „Triage“ - Gesundheitssysteme an ihren Grenzen, MedR (2021) 39: 416–423; Tham, J. et al., Withdrawing critical care from patients in a triage situation, Medicine, Health Care and Philosophy (2021) 24:205–211; Notfallsanitäter kleinerer Städte berichten im Frühjahr 2021, dass angesichts fehlender ECMO-Geräte und Intensivbetten längst Triageentscheidungen fallen: Es wird nämlich gefragt, bei wem es sich (noch) lohnt, in die nächst besser ausgerüstete Klinik zu verlegen?

[43]         Entscheidend ist, die Intensivkapazität zu keinem Zeitpunkt zu überlasten, da sonst die CFR rasant steigen würde. Der Anteil dennoch nicht vermeidbarer Todesfälle wird zeitlich gestreckt. Dadurch gibt es aber auch insgesamt weniger Tote. Für diese Strategie muss man jedoch (permanent) einen Puffer an Intensivkapazität als Reserve vorhalten. Das scheint nicht jeder zu begreifen.

[44]         Erregerausbreitung lässt sich anhand der Genomsequenzkartographie nachvollziehen: www.nextstrain.org; komplette Sequenzen, Strukturproteine u. v. a. unter: www.ncbi.nlm.nih.gov

[45]         ... und in einer gerechten Welt besäßen Firmen wie die Schweizer Roche (Tamiflu®) den Anstand, einen großen Teil dieser Gewinne wieder an Staaten und Steuerzahler zurückzuzahlen ...

[46]         Das Coronavirus ist nicht der letzte pandemische Erreger, vielleicht auch nicht der verheerendste.

[47]         In der es -abgesehen von der Finanzcamorra, in der Betrug systemimmanent und Teil des Geschäftsmodells ist- natürlich genauso viele Schwarze Schafe gibt, wie in allen anderen Branchen.

[48]         Es fehlte sogar an primitiven Desinfektionsmitteln wie Isopropanol 70 %. Deutschland war trotz nationaler Pandemiepläne des RKI nicht auf eine Pandemielage vorbereitet, weil die Politik, die in Legislaturzeiträumen und an Machterhalt denkt, das Problem nie wirklich ernst nahm.

[49]         Zu Pandemiebeginn angeblich sinnvoll. Am 25. 1. 2021 müssen es dann zwingend FFP-2-Masken sein. Als äquivalent gelten OP-Masken, die jedoch eine ganz andere Funktion haben. Grotesk!

[50]         Leider lieferte auch Prof. Drosten ein Beispiel politisch korrekter Selbstzensur: Von Abgeordneten um eine Aussage zu Alltagsmasken gebeten, schwurbelte er (sich der Brisanz bewusst): „[...] wir wissen nicht [sic!], ob nicht die Verwendung von Alltagsmasken in großer Verbreitungsweite, ob das nicht dazu führt, dass im Durchschnitt die erhaltene Virusdosis in einer Infektion geringer ist, und, dass im Durchschnitt deshalb der Krankheitsverlauf auch nicht wirklich schädlich sein könnte. Aber das ist reine Spekulation“[...]. Letztlich sagte Drosten zu Recht (!), dass wir nicht wissen, ob Alltagsmasken nicht doch irgendeine Schutzwirkung haben. Aber das trifft auf alles und jedes zu. Wir könnten auch Aderlass treiben oder uns Wattestäbchen ins Ohr stecken. Von all dem wissen wir auch nicht, ob es nicht „vielleicht“ nützt. Doch in der Wissenschaft gilt: Derjenige, der etwas behauptet, muss dieses auch belegen! Nicht etwa umgekehrt. Niemand muss nachweisen, dass ein Präparat unwirksam ist, dass es keine Hexen, Marsmännchen oder Gnome gibt, dass ...

[51]         Zu Pandemiebeginn vielleicht verständlich. Weshalb aber selbst ein Jahr danach noch Daten zur Aerosolretention relevanter Partikelfraktionen und deren klinischer Bedeutung fehlten, war mehr als seltsam. Am 7. 12. 2021 erschien dann eine erste aerosolkinetische Studie: Bagheri, G. et al., An upper bound on one-to-one exposure to infectious human respiratory particles, PNAS, 118 (49). Die (gute experimentelle) Arbeit differenziert jedoch nicht nach Partikel(sub)fraktionen und nutzt letztlich zu große Partikel (bis d < 50 µm). Auch fehlt der klinische Aspekt (Radiomarker?).

[52]         Das SARS-CoV-2-Partikel selbst (ohne Aerosolhülle) misst etwa 0,06 bis 0,14 µm. Der Durchmesser der Hülle verringert sich nach dem Ausatmen noch durch Evaporation („shrinkage“).

[53]         Penconek, A. et al, Penetration of diesel exhaust particles through commercially available dust half masks, Ann. Occup. Hyg.,57 (3), 360-373 (2013)

[54]         Notfall- und Katastrophenpharmazie, Bd. I, 5.4.6, Hrsg. v. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe & Deutsche Gesellschaft für Katastrophenmedizin e. V., Bonn 2009

[55]         Die reklamierte Äquivalenz von FFP2 (EN 149-2001), N95 (NIOSH-42CFR84) und KN95 (GB2626-2006) basierte lediglich auf Technical Bulletins, z.B. der Firma 3M (1/2020, Rev. 2). Das sind jedoch keine wissenschaftlichen Studien. Diese Kleinigkeit hinderte die Bundesregierung aber nicht daran, 1 Milliarde Masken aus China zu importieren. Diese waren fälschlich mit CE-Kennzeichnung versehen und äußerlich als FFP-2-Maske deklariert. Aus Hygienegründen in Sacchets eingeschweißt, waren sie erst nach Öffnen der Versiegelung als KN95 zu entlarven. Eine Identitätsprüfung durch Apotheken war -entgegen der Rechtslage- wohl nicht vorgesehen. Selbst wenn man Äquivalenz mit der FFP2-Maske annimmt, handelte es sich also um Etikettenschwindel.

[56]         Lewis, D., Why the WHO took two years to say COVID is airborne, Nature 604, 26-31 (2022)

[57]         Li, Y. et al., Probable airborne transmission of SARS-CoV-2 in a poorly ventilated restaurant, Building and Environment, 196 (2021)

[58]         In KW 1 bis 15 war die Sterblichkeit vollstationär Pflegebedürftiger der Jahre 2015 bis 2020 (meist aufgrund der saisonalen Grippe) stets erhöht. Skandalös ist 2020 jedoch die Explosion der Sterblichkeit ab KW 45. Mit 13 Verstorbenen je 1.000 Pflegeheimbewohner war sie um 81 % höher als in den entsprechenden Vorjahreswochen. Heime wurden zum Risiko: Während 36 % der 60- bis 64-jährigen Pflegeheimbewohner verstarben, wenn sie mit CoViD-19 hospitalisiert waren, lag die Rate Gleichaltriger (außerhalb der Heime Gepflegter) nur bei 9 % (!); Man wußte was geschehen würde und hat dennoch nicht rechtzeitig gehandelt: vgl. Jacobs, K. et al., AOK Pflege-Report 2021

[59]         Der berühmte Inzidenzwert von 50 orientierte sich an (vermuteten) Kapazitäten der Amtsärzte zur Rückverfolgung und nicht an epidemiologischen Parametern der Infektionskinetik.

[60]         Die Aussagekraft der Testergebnisse hängt (auch) von der Prävalenz ab. Diese kann i. d. R. nur anhand von Stichproben geschätzt werden. Je höher sie tatsächlich ist, desto zuverlässiger sind positive Testresultate, je niedriger, desto zuverlässiger sind negative Testresultate – et vice versa. Wenn die Prävalenz also im Verlauf der Pandemie durch Verbreitung des Erregers zunimmt, dann verlieren negative Testresultate ihre Zuverlässigkeit schon aus rein statistischen Gründen!

[61]         So wurde z. B. behauptet, 90 % der (Corona-) Intensivbetten wären durch Ungeimpfte belegt. Wer dies bestritt, wurde diffamiert. Gemeint war Folgendes: Unter den über 60-Jährigen waren 88 % geimpft, 12 % ungeimpft. Diese 12 % Ungeimpften belegten 59 % der Intensivbetten, die 88 % Geimpften die restlichen 41 %. Im Verhältnis zu ihrer Anzahl nutzten Ungeimpfte (dieser Alterskohorte) also 10,5 mal mehr Betten als Geimpfte. Mit anderen Worten: Als Ungeimpfter 60+ war das Risiko, wegen Corona auf der Intensivstation zu landen, 10 mal so hoch! Doch belegten Geimpfte immerhin 41 % aller (Corona-) Intensivbetten. Obige Aussage war also falsch. Das erfuhr man aber erst, wenn man den Wochenbericht des RKI vom 7. 12. 2021 durchsuchte, sich Tabelle 3 ansah und dann auch noch gerechnet hat. Dies aber wäre eigentlich Aufgabe seriösen Journalismus'!

[62]         Bis zum 22. 3. 2022 verzeichnet Deutschland (auf Basis der CFR) 7 mal (!) mehr Tote pro Million Einwohner als Japan mit seiner ebenfalls gealterten Bevölkerung. Man fragt sich: weshalb?

[63]         Zacher, B. et al., Application of a new methodology and R package reveals a high burden of healthcare-associated infections (HAI) in Germany compared to the average in the European Union/ European Economic Area, 2011 to 2012: Euro Surveill. 2019;24(46):pii=1900135.

[64]         Aldén, M. et al., Intracellular Reverse Transcription of Pzer BioNTech CoViD-19 mRNA Vaccine BNT162b2 In Vitro in Human Liver Cell Line; Curr. Issues Mol. Biol. 2022, 44, 1115–1126: In vitro wurde hier gezeigt, dass Comirnaty® (vermutlich) mithilfe der endogenen Reversen Transkriptase LINE-1 in humanen Hepatozyten zu DNA transkribiert werden kann. Das Zellmodel, eine Krebszellline, unterscheidet sich jedoch durch frequentere Replikation, abweichenden RNA-Metabolismus und eine andere Gen- und Proteinexpression von gesunden (somatischen) Zellen. Belege für eine Integration der DNA-Produkte in das Hostgenom wurden nicht gefunden. Selbst dann wäre aber nicht das Erbgut (= die Zellen der Keimbahn) betroffen. Dagegen ist erwiesen, dass das menschliche Genom im Laufe der Evolution immer wieder genetisches Material von natürlich auftretenden Viren integrierte. Durch Infektion mit dem SARS-CoV-2-Erreger wäre eine Modifikation des Genoms wahrscheinlicher als durch eine Impfung!

[65]         Was soll man davon halten, wenn mehrere Kindergärtnerinnen nachweislich infiziert sind, die Gemeinde daraufhin kostenlose Tests für Kinder, (Groß-) Eltern und Geschwister anbietet, diese dann aber von kaum 10 % der Betroffenen wahrgenommen werden? Ist ein Angebot Diktatur?

[66]         Lee, B. X. (Hrsg.), Wie gefährlich ist Donald Trump? Psychosozial Verlag, Gießen 2018

[67]         Zrzavý, J. et al., Evolution – Ein Lese-Lehrbuch, Springer, Berlin 2013

[68]         Eine Impfpflicht für über 60-Jährige wäre medizinisch sinnvoll und ethisch gut vertretbar. Ältere profitieren persönlich eindeutig von einer Impfung. Bei Kindern ist die Abwägung eine andere.

[69]         Wer sich nicht impfen lassen will, sollte in einer Notsituation, in der Triage unausweichlich wird, Geimpften bei Intensivmedizinischer Hilfe konsequenterweise den Vortritt lassen.

[70]         Die Wahrscheinlichkeit, sich nicht zu infizieren, steigt mit der dritten Dosis um gut 2 %, diejenige, nicht schwer zu erkranken, um knapp 0,2 %; Booster-Impfungen waren nicht Gegenstand der ursprünglichen Zulassungsverfahren. Erst nachdem bereits empfohlen, wurde das entsprechende EU-Variationsverfahren durch die EMA gestartet. Am 22. 12. 2021 waren noch keine Abschlussberichte verfügbar. Zu frühes Boostern unterdrückt die Affinitätsreifung, zu häufiges desensibilisiert die körpereigene Abwehr, vgl.: Radbruch, A., Laborjournal 4/2022, 16-19.

[71]         Weshalb wird z. B. für die Religionsausübung in Sachsen im November 2021 eine Ausnahme von der dort sonst geltenden 2G-Regel gemacht ? Fürchtet man potente Kirchenkonzerne?

[72]         vgl. das exzellente Buch von Beckermann, A., Glaube, De Gruyter, Berlin 2013; Dworschak, M., Die Erfinder Gottes, Der Spiegel 52/2012; Dawkins, R., Der Gotteswahn, Ullstein, Berlin 2007; Junker, T., Warum sind Menschen religiös? Archäologische Informationen 37, 67-76, 2014.

[73]         Obwohl Rumänien z. B. im September 2021 einen rasanten Anstieg von Coronaerkrankungen verzeichnet, bezweifeln viele die Existenz des Virus. Andere behaupten, es sei "eine Strafe, mithilfe derer Gott seine Existenz beweisen" würde. Ohne jede Rücksicht auf Hygieneregeln und befeuert durch die orthodoxe Kirchenführung küssen ganze Pilgerscharen eine "wundertätige" Ikone.

Kommentare

  1. userpic
    Jörg

    Hey, hey!
    Wie sektiererisch und einseitig dieser Beitrag, Herr Dr.. Die Zeit (s. Schweden) und die Ergebnisse der Maßnahmen und Impfungen machen Ihre “wissenschaftliche Betrachtung!” fortgesetzt zu einer Unwissenschaftlichen. Abwägung ist doch angebracht. Eine übereilte Hymne auf die Pharmaindustrie. Apotheker Sichtweise halt, die jedes Tun ohne Droge als Hokuspokus abqualifiziert. Mir ist nicht klar, warum dieser Beitrag hier erscheinen kann?

    Antworten

    1. userpic
      adfontes!

      @ Jörg

      ad: Mir ist nicht klar, warum dieser Beitrag hier erscheinen kann?
      Die Beiträge auf den Seiten von Richard Dawkins sind i.d.R. solide recherchiert und sorgfältig verfasst. Deshalb erscheinen diese Artikel hier - und nicht etwa auf einer der zahllosen "Hokuspokus"-Seiten. Doch sollten sie dann -[inkl. Endnoten]- auch sorgfältig gelesen werden!

      ad: Ergebnisse der Maßnahmen und Impfungen
      z. B.: [43]
      "Entscheidend ist, die Intensivkapazität zu keinem Zeitpunkt zu überlasten, da sonst die CFR rasant steigen würde. (...). Dadurch gibt es aber auch insgesamt weniger Tote." ...
      oder
      [61] ... "Als Ungeimpfter 60+ war das Risiko, wegen Corona auf der Intensivstation zu landen, 10 mal so hoch!" etc., ...

      ad: Schweden
      z. B.: [36]; ...

      ad: sektiererisch und einseitig
      Inwiefern? Weil sich der Text (explizit) gegen Sektierertum wendet (s.o.)? - Muss man das verstehen?

      ad: Hymne auf die Pharmaindustrie
      z. B.: [32]; [45]; [47]; [70] - Klingt das nach einer "Hymne"?

      ad: Apotheker Sichtweise halt, die jedes Tun ohne Droge als Hokuspokus abqualifiziert.
      3 der 4 erwähnten "Maßnahmen zur Eindämmung der (...) Erreger" sind gerade keine pharmazeutischen Interventionen! (="Tun ohne Droge")!

      ad: übereilt
      Es gibt einen sog. "Stand der Wissenschaft". Die Wissenschaft ist -i.G.z. Glaubenssystemen- aber jederzeit offen für neue Erkenntnisse. Allerdings bringt Ihr Kommentar weder (neue) Fakten noch Argumente vor, sondern äußert eine wenig fundierte persönliche Meinung.
      Offenbar sind die Fakten nicht nach Ihrem Geschmack. Das ist natürlich Ihr gutes Recht. Dennoch gibt der -in weiten Teilen durchaus coronakritische- Artikel die Sachlage (noch immer) korrekt wieder. Zugegeben: Für medizinisch-pharmazeutische Laien ist das schwer zu beurteilen. Daher vielleicht auch die wenigen spärlichen Kommentare hier ;-)

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      1. userpic
        A.G.science

        Der Beitrag ist z. T. recht fachspezifisch ([51];[64]). Außerdem sind die Endnoten hier leider nicht aktiv im Text verlinkt. Dies macht das Lesen unnötig mühsam!

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