Das freiwillige Tragen des islamischen Kopftuchs

Die islamische Orthodoxie und die Freiwilligkeit

Das freiwillige Tragen des islamischen Kopftuchs

Foto: pixabay.com / makunin

Nachdem ich mich bereits einmal sehr ausführlich zum islamischen Kopftuch geäußert habe, möchte ich meinen ersten Blog-Artikel in diesem Jahr einem besonderen Aspekt dieses Themas widmen. Es soll im Nachfolgenden um die Frage nach der Freiwilligkeit des Tragens des islamischen Kopftuchs und anderer Verhüllungsformen des orthodoxen Islams gehen. Diese angebliche Freiwilligkeit ist bei Diskussionen unter Europäern sehr oft das schlagende Argument schlechthin, das sich jeweils ungefähr so anhört: „Ja, wissen Sie… Ich bin zwar auch kein Fan vom islamischen Kopftuch, aber solange eine Frau das freiwillig macht, darf und soll man sie nicht davon abhalten wollen!“ Selbstverständlich könnte dem entgegengehalten werden, dass das politische Statement des islamischen Kopftuchs und die damit zum Ausdruck kommende Sexualmoral mit Geschlechterapartheid ohnehin völlig inakzeptabel sei und die Freiwilligkeit daher nicht wirklich eine Rolle spiele. Ich möchte es aber bei diesem einen Gegenargument nicht belassen, weil die meisten regressiven Linken dem entgegenhalten würden, dass diese Sexualmoral zulässig sein muss, solange sie auf freiwilliger Basis erfolge. Deshalb möchte ich genau auf diesen Punkt eingehen, namentlich auf die Freiwilligkeit selbst. Was bedeutet eigentlich „freiwillig“? Ist das Tragen des islamischen Kopftuches denn wirklich freiwillig?

Meines Erachtens können wir die angebliche Freiwilligkeit des Hijab-Tragens daran messen, wenn wir betrachten, was geschieht, wenn eine Frau oder eine Vielzahl von Frauen den Hijab nicht mehr tragen wollen. Wie wir wissen, ist dies in vielen Staaten dieser Erde überhaupt keine Option, womit wir es mindestens in diesen Fällen wohl unstrittig nicht mit Freiwilligkeit zu tun haben. Dann gibt es muslimisch geprägte Staaten, wo eine gesetzliche Pflicht zur Verschleierung zwar nicht besteht, aber der gesellschaftliche Druck so groß ist, dass etwas anderes nicht zur Debatte steht wie beispielsweise Ägypten. Und dann kennen wir den Umgang mit Frauen in Europa, die den Hijab ablegen. Regelmäßig werden solche Frauen bedroht und beschimpft. Meines Erachtens kann daher kaum bestritten werden, dass solche Dinge enorm einschüchternd wirken, so dass eine Frau auf einen solchen Schritt lieber verzichtet und es erst gar nicht wagt, das islamische Kopftuch oder den Niqab abzulegen.

Tatsache ist, dass die islamische Orthodoxie kein Ding der Freiwilligkeit ist und meines Erachtens sollten wir beim Gebrauch des Freiwilligkeitsbegriffs ohnehin etwas sorgsamer sein. Immerhin ist in diesem Wort der sogenannte „freie Wille“ versteckt, mit anderen Worten die Fähigkeit und die Freiheit, in Eigenverantwortung Entscheidungen treffen zu können und die Konsequenzen dieser Entscheidungen zu tragen. Um freien Willen zu haben, braucht es einerseits eine gewisse Reife (Urteils- und Handlungsfähigkeit) und vor allem darf es keinerlei Zwang geben. Ansonsten ist etwas nicht wirklich freiwillig.

Wenn eine Frau, die das Kopftuch ablegt, im besten Fall von Eltern, Verwandten und Freundeskreis gemobbt und gemieden  und im schlimmsten Fall verletzt oder sogar umgebracht wird, kann nicht wirklich von Freiwilligkeit die Rede sein. Und das ist genau der wichtige Unterschied, wenn wir von freiwilligen Entscheidungen im Bereiche der Religion sprechen. Ein gewöhnlicher Westeuropäer mit christlichen Wurzeln kann in aller Regel problemlos zu einer anderen christlichen Denomination oder zu einer anderen Religion wechseln und selbstverständlich auch ganz auf Religion verzichten, ohne dass dies gesellschaftliche, familiäre oder gar lebensbedrohliche Konsequenzen für ihn hätte. Eine Scharia-Muslimin hingegen, die das islamische Kopftuch angeblich freiwillig trägt, kann dieses nicht einfach so von einem Tag auf den anderen ablegen. Wer glaubt, dass dies mindestens in Europa möglich sei, lebt vermutlich in einem anderen Jahrzehnt.

Manchmal sagen Bilder mehr als tausend Worte und deshalb möchte ich den Lesern meines Blogs abschließend einige Fotos zeigen, die ich neulich auf einer türkischen Webseite gefunden habe. Die Fotos zeigen eine Hijab-Party („Kapanma partisi“) an einer Grundschule in der Türkei, bei der die Kinder sich verschleiern und diesen Anlass feiern. Wörtlich bedeutet „kapanmak“ (Verb) übrigens passenderweise „sich verschließen“ und somit würde die wörtliche Übersetzung dieses Anlasses „Die Party des Sich-Verschließens“ lauten. Wenn das kein Grund zum Feiern ist!

In diesem Kontext bedeuten die nachfolgenden Fotos, dass sich die Kinder hier zum ersten Mal aber auch für die Zukunft verschleiern, d.h. von nun an „Tesettür“ tragen werden, also ein Kopftuch und in der Regel ein Mantel oder etwas in dieser Art, sprich einen Hijab.

Auf den Tafeln steht: „Gott sei Dank habe ich mich verschleiert“; „Ich habe es getan, weil es Gottes Befehl ist“; „Glück ist ein gutes Geschäft“; eine andere Variante von „Gott sei Dank habe ich mich verschleiert“; „Los, verschleiere dich auch“; „Ich habe mich verschleiert, ich bin glücklich“; „Hoffentlich (inschallah) wird euch dies ebenfalls zuteilwerden“; „Auch ich habe mich nun verschleiert“

Auf dem „Bilderrahmen“ steht „Wir sind glücklich mit Tesettür“

Auch wenn diese Bilder vermutlich zunächst schockierend wirken, kann ich meinen Lesern versichern, dass die Hirnwäsche, die auf diesen drei Bildern dokumentiert wird, noch eine harmlose ja sogar eine liebevolle Variante der Kinderverschleierung darstellt. In aller Regel findet für so etwas keine Party statt. Vielmehr kommt die Mutter im Auftrag des Vaters eines schönen Tages zur Tochter und gibt den Befehl durch, dass sie sich von nun an verschleiern müsse. So sieht die „Freiwilligkeit“ des Kopftuchs in den meisten Fällen faktisch aus.

Natürlich bedeutet das noch lange nicht, dass sich alle Musliminnen, die sich an diesem einen Tag in ihrem Leben verschleierten und seither verschleiert geblieben sind, unterdrückt fühlen. Der Hijab ist für viele dieser Frauen seit jenem schicksalshaften Tag ein Teil ihres Lebens, den sie oft auch akzeptiert haben und der seither irgendwie zu ihnen gehört. Doch das bedeutet wiederum nicht, dass wir es vorliegend mit „Freiwilligkeit“ zu tun haben, weil sofern etwas wirklich freiwillig sein soll, eine echte Option bestehen muss, genau das Gegenteil zu tun, namentlich das Kopftuch abzulegen, was die wenigsten Frauen, die das islamische Kopftuch tragen, tun können.

Kommentare

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    ChrisV

    Die muslimischen Mädchen bzw. Frauen tragen so "freiwillig" einen Hijab,
    - wie muslimische oder jüdische Jungen "freiwillig" beschnitten werden,
    - wie Zeugen Jehovas "freiwillig" den Wachtturm oder Erwachet! verkaufen,
    - wie Mormonen "freiwilligen" Missionarsdientst ableisten,
    - wie katholische getaufte Kinder "freiwillig" die Erstkommunion begehen,
    um nur ein paar Beispiele zu nennen.

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      Marron

      Da werden aber Äpfel mit Birnen verglichen. Taufen ist nur kurz Wasser über den Kopf und fertig, daran erinnert sich kein Mensch. Beschneidung, etwas kritischer, passiert aber auch im Babyalter, es wird sich nicht dran erinnert, sollte in der Regel auch keine Gefahr darstellen, schon gar nicht zukünftig im Sinne von Beeinträchtigung der Gesundheit oder Psyche. Ich habe noch nie von einem Mann gelesen, der in Therapie musste, weil er mit der Beschneidung nicht zurecht kam. Aber sich zu verschleiern, ein Leben lang, damit eine gewisse Selbstbestimmtheit und Individualität aufzugeben und es nicht einfach beenden zu können, obwohl man es möchte, weil einem Gewalt droht, ist doch etwas ganz anderes

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        Zainab

        Ich war in einer Schule mit sehr verschiedenen Schülern
        Es gab muslimische Mädchen mit und ohne Kopftuch ich kenne sehr viele auch meine besten Freundinnen tragen Kopftuch und das ganz freiwillig
        Leider gibt es auch in anderen Ländern einen Zwang aber es gibt sehr viele die es freiwillig tragen weil sie an ihre Religion glauben
        Es gibt auch die andere Seite meine Schwester und ich würden sehr gerne ein Kopftuch tragen aber leider können wir es nicht weil das wie man sieht falsch verstanden wird
        Ein Stück Stoff tut nicht weh und in Europa tragen es die Frauen freiwillig meine christliche Oma hatte auch ein Kopftuch
        eigentlich ist das Kopftuch eine größere Pflicht bei den Christen wenn man die Bibel liest

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          kub0711

          Bitte nicht die Beschneidung herunterspielen. Die Männer in Therapie wegen Beschneidung gibt es. Und Beschneidung ist ein massiver Eingriff in das sexuelle Empfinden, das IST eine Gefahr für Gesundheit und Psyche, von anderen Folgen wie Keratinisierung u.ä. noch gar nicht angefangen.

          Vergleiche solcher Misshandlungen verbieten sich sowieso generell, denn die individuelle Betroffenheit lässt sich nicht mit einem allgemeingültigen Maßband messen.

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            Constanze Cremer

            Na so ganz ohne ist das auch nicht:

            "Wird die Vorhaut, in der etwa 70 Prozent des sensorischen Gewebes des Penis zu finden ist, entfernt, führt dies unweigerlich zu einem Sensibilitätsverlust. Männer, die im Erwachsenenalter beschnitten wurden und sexuelle Erfahrungen vor dem Eingriff hatten, klagen häufig über massive Einbußen ihres sexuellen Lustempfindens. Andere hingegen empfinden den mit der Beschneidung einhergehenden Sensibilitätsverlust als weniger dramatisch. Nur eine Minderheit stellt eine Verbesserung des Lustempfindens fest. Worauf diese unterschiedlichen subjektiven Einschätzungen zurückzuführen sind, ist noch nicht erforscht. Erwiesen ist aber, dass beschnittene Männern im Alter signifikant häufiger unter Erektionsproblemen und Orgasmus-Schwierigkeiten leiden."
            https://pro-kinderrechte.de/faq/#2

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          Norbert Schönecker

          Ich denke mal ein bisschen herum:

          Einerseits
          gefiele mir folgende Idee: Wenn das nächste Mal eine Frau irgendwo auf der Welt wegen des Ablegens ihrer Bedeckung von ihrer muslimischen Umgebung getötet wird, dann rufen die liberalen Musliminnen in Europa dazu auf, dass alle muslimischen Frauen aus Protest einen Tag lang ohne Kopfbedeckung in die Öffentlichkeit gehen. Mich würde interessieren, wie viele Frauen mitmachen (und wie viele männliche Verwandte das dulden).

          Andererseits
          habe ich mir gedacht: Wie würde ich reagieren, wenn man mich dazu aufriefe, aus Protest gegen die Verfolgung von Nudisten einen Tag lang nackt durch Wien zu gehen? Im Ernst: Das würde mich echt viel, viel Überwindung kosten. Obwohl ich meine, mich freiwillig anzuziehen.

          Wieder andererseits
          fiele mir die Nacktheit sicher leichter, wenn ich in einem Umfeld lebte, wo 90% der Menschen ständig nackt herumliefen.

          Ein sichtbarer Akt der Solidarität mit Frauen, die durch diese islamische Tradition verfolgt werden, wäre also durchaus denkbar. Ausgehen müsste er aber von Muslimen selbst, und zwar sowohl von Frauen als auch von Männern, die gerne die Freiheit des Islam betonen.

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            Adrian Fellhauer

            Leider muss ich diesem Artikel zustimmen. Häufig ist da ein großer sozialer Zwang da, der eine Freiwilligkeit ausschließt. Im Gegensatz dazu würde ich NIE freiwillig nackt irgendwo rumlaufen. Nie!

            Ich habe all meine Kleidung (insb. Beinkleider) absolut freiwillig an. Da bin ich mir ganz sicher. Und ich will auch von keiner muslimischen Frau verlangen, selbige abzulegen.

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              markus bütler

              Warum wird den in den Medien nicht einmal die Frage gestellt: Warum müssen in vielen islamischen Ländern auch Atheisten, Agnostiker, Christen, Juden...sich der islamischen Kleidervorschriften unterwerfen? Gerade die Muslime die sogar das Recht auf die Burka fordern kritisieren so etwas in islamischen Ländern nie, aber von uns fordern sie Toleranz ein.

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                Marron

                Ich beschäftige mich auch schon eine Weile mit diesem Thema und versuche zu verstehen, wie eine Frau freiwillig ihr Haar, ihren Körper, ihre Reize, ihren Stil und/oder ihre Individualität verstecken möchte. Die häufigste Antwort die ich darauf gefunden habe war, dass so weniger Angst vor sexuellen Übergriffen haben müssen, weil ihre Reize ja versteckt sind. Vollkommen schockierend, denn das Problem ist ja nicht die Frau oder ihre Reize, sondern der Mann der glaubt ein Mensch sei Freiwild.
                Danke für diesen Artikel :)

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                  Dr.Elisabeth Amodi

                  Leider ist die Verschleierung nicht einmal als Schutz vor Belästigung dienlich wie man z.B. sehr gut in Ländern wie Ägypten sehen kann, wo "Taharrush" eins der größten gesellschaftlichen Probleme ist. Das Problem dürften wohl eher Männer sein, die die Sklaven ihrer Emotionen sind und nicht in der Lage ihre Triebe zu steuern. Eine peinliche Schwäche, derer man sich eigentlich schämen sollte.

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                  Rainer Loretan

                  Am drastischsten und 'ehrlichsten' drückt es ein Imam der Machosekte Islam aus, was dasTragens der Kopfwindel auf sich hat: "Wer ein Stück Fleisch uneingepackt auf die Strasse wirft muss sich nicht wundern, wenn es von den Kötern und Katzen vrrschlungen wird!" Soweit die Stimme des ultimativen Patriarchats. Abgesehen davon: Wer sich freiwillig der Unfreiheit unterwirft öffnet Tür und Tor für Sklaverei. Perversion des Freiheitsbegriffs.

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                    Dr.Elisabeth Amodi

                    Bei solch schönen Vergleichen vergessen die frommen Herren gerne dass sie sich damit selber mit den "Kötern" gleichsetzen. Ziemlich peinlich, oder?

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                    YB

                    In allen was hier und da geschrieben wird, darf und sollte man nicht vergessen, dass der Islam einer der 3 Weltreligionen ist und von allen die jüngste!

                    Erinnern sollte man sich auch daran wie lange es im Christentum gedauert hat, dass Menschen die anders waren oder sich anders verhalten haben nicht verfolgt oder getötet worden sind.

                    Das sind Prozesse die Jede Kultur und jede Gesellschaft durchlebt.

                    Schaut euch die Schweiz an wo die Frauen bis vor einigen Jahrzehnten in einigen Kantonen nicht mal freiwählen konnten, oder Deutschland wo die Frau bis im 20 Jahrhundert noch die Unterschrift des Mannes gebraucht hat um arbeiten zu dürfen.
                    Sie durften nicht wählen, kein Konto eröffnen oder Hosenanzüge tragen.

                    Manchmal dauert es halt etwas bis Menschen begreifen, dass der gegangene Weg nicht immer der Richtige ist.

                    Man sollte aufhören seinen eigenen Stempel auf andere aufdrücken zu wollen. Auch wenn es scheint richtig zu sein, doch die Prozesse müssen nicht wir sondern diese Menschen durchleben.

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                      kub0711

                      Solche eine Argumentation ist leider im Kern ebenso kulturrassistisch, wie es Menschen vorgeworfen wird, die das religiös begründete Kopftuch kritisieren.

                      Sie unterstellen damit ja Menschen, die fähig sind, dich in einem freiheitlich-demokratischen Land aller Möglichkeiten zu bedienen, wegen ihrer Herkunft nicht in der Lage seien, sich des freiheitlichen Denkens zu bedienen.

                      Und das übersieht auch, dass es nicht wenige sind, die das gerade erst hier beginnen, die überhaupt gar nicht den Kulturhintergrund haben.

                      Dazu kommt: Welche Kultur?
                      Im Iran waren es vor der "Revolution" nur wenige, die Kopftuch trugen, in Ägypten war das bis vor kurzem auch nicht üblich. Die große Verbreitung des Kopftuchs geht überall mit dem Erstarken reaktionärer islamisch-politischer Kräfte einher.
                      Kultur wäre davon aber unabhängig.

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