Wenn jemand mit seinem „unsichtbaren Freund“ redet, liegt der Verdacht auf Schizophrenie nahe.
Reden aber viele unter unnatürlichen Umständen mit ihrem unsichtbaren Freund, heißt das Religion bzw. „Beten“ und wird gemeinhin plötzlich als ganz normal angesehen. Oft wird das „Beten“, also das rituelle Hineinsprechen in den leeren Raum, noch nicht einmal von Außenstehenden als befremdlich empfunden, sobald es nur viele Menschen machen und diese sich „Gläubige“ nennen. Doch wir sollten ihre Wahrnehmungsstörung mit Sorge betrachten und den betroffenen Menschen helfen, schon allein da u.a. das Delegieren von Problemen oft zu einer eigenen Passivität führt.
Man stelle sich nur vor, wo wir stehen könnten, wenn in jeder bis zum heutigen Tag verbeteten Minute wirklich geholfen, und wenn jeder an religiöse Institutionen gespendeter Cent in die ihre Versprechen haltende Forschung geflossen wäre.
1. Theodizee
Die Sinnlosigkeit eines Gebetes an (den christlichen) Gott zeigt sich, wenn man die ihm zugeschriebenen Attribute Allmacht, Allwissenheit und Allgüte analysiert:
(P1) Gott ist allwissend.
(K1) Gott um etwas zu beten ist sinnlos, er weiß schon längst, was du möchtest und wie die Sache ausgehen wird.
(K2) Gott weiß auch bereits, was das Beste für dich ist.
(K3) Gott um etwas zu beten ist anmaßend, es offenbart Zweifel an seinem perfekten Plan für uns und wirkt belehrend.
Trotz (K1) möchte Gott, dass wir ihn anflehen. Und trotz der verkorksten Welt, gegen die er offensichtlich nichts unternimmt, möchte er in seiner arroganten Selbstherrlichkeit angepriesen werden (ganz schlimm: 2.Mose 17: 8-13). Ein Gott, der es tatsächlich, spürbar gut mit uns meint und nicht angebetet werden möchte, den möchte ich anbeten!
(P2) Gott ist allmächtig.
(K4) Dann kann (P1) nicht wahr sein. Denn entweder Gott ist allwissend, d.h. z.B. er weiß, dass eindeutig X in Zukunft geschehen wird. Oder Gott ist allmächtig, d.h. er kann auch verhindern, dass X in Zukunft geschehen wird, und stattdessen Y bewerkstelligen. (P1) und (P2) sind also inkompatibel.
(K5) Aus (K4) geht hervor, dass der christliche Gott, mit den Attributen Allwissenheit und Allmacht, nicht existieren kann.
Die erste Prämisse führt aber noch zu weiteren Schwierigkeiten, gerade in Bezug auf das Gebet. Wenn (P1), ist alles determiniert (siehe K4). Wenn aber Gott allwissend und infolge alles determiniert sein muss, dann bringt es nichts mehr, für etwas zu beten, da sowieso schon alles unumkehrbar feststeht.
(P3) Gott ist allgütig.
Eigentlich ist bereits alles gesagt. Wenn Gott allgütig wäre (P3), würde er kein Leid zulassen wollen. Es gibt aber unbezweifelbar Leid auf dieser Erde, weswegen entweder (P2) (Gott kann das Leid nicht verhindern) oder (P3) (Gott will das Leid nicht verhindern) falsch sein muss.
In beiden nur möglichen Fällen ist es fraglich, ob Beten überhaupt sinnvoll ist:
Erklärung für das Leid 1: Wenn (P3) falsch ist, dann bringt es nichts, den Gott nach einer Tragödie um Hilfe zu beten, der nichts getan hat, um diese Tragödie abzuwenden. Wie kommst du auf die Idee, dass der Gott, der den Holocaust geschehen lassen hat, die Barmherzigkeit besitzt, dir eine bessere Klausurnote zu schenken?
Erklärung für das Leid 2: Wenn (P2) falsch ist, dann bringt es nichts, den Gott nach einer Tragödie um Hilfe zu beten, der nichts tun konnte, um diese Tragödie abzuwenden. Wie kommst du auf die Idee, dass Gott, der nicht mal was gegen lästigen Schnupfen machen kann, in der Lage ist, den Welthunger zu beenden?
Gläubige übersehen ihre eigene Widersprüchlichkeit nicht zuletzt auch aufgrund einer anderen Wahrnehmungsstörung, die der Selektiven Wahrnehmung:
Wenn die eigene Mannschaft im Fußball gewonnen hat -> Lobet und Preiset den Herrn!
Wenn ein Kleinkind trotz aller Gebete qualvoll an einem Tumor stirbt -> Niemand schiebt es Gott in die Schuhe (wahlweise auch: „die Wege des Herrn sind unergründlich.“)
2. Hilft Beten?
Sieht man einmal von all diesen abstrakten Einwänden ab, kann man sich ganz praktisch fragen, ob Beten was nützt? Und ich meine damit nicht, dass einmal für einen Patienten gebetet wurde und dieser dann gesund wurde. Für die Genesung von Patienten gibt es eine gewisse statistische Wahrscheinlichkeit und auch der Verweis auf Wunder ist kein Beweis für die Nützlichkeit von Gebeten, sofern kein wissenschaftlicher Beweis für dieses hervorgebracht wird und jeder behaupten kann, er habe ein Wunder erlebt. Nein, für einen Beweis der Nützlichkeit von Gebeten muss schon experimentell nachgewiesen werden, dass Patienten für die gebetet wird, im Schnitt und signifikant schneller genesen.
Darwins Cousin Galton war der Erste, der ein solches „Gebetsexperiment“ anstrengte. Galton machte darauf aufmerksam, dass in den britischen Gemeinden jeden Sonntag für die Gesundheit der königlichen Familie gebetet wurde. Müssten die Monarchen demnach nicht im Vergleich zu der restlichen Bevölkerung, die nur in den Gebeten ihrer nächsten Angehörigen vorkamen, besonders gesund und munter sein, wenn Beten was nützt? Bezeichnenderweise fand Galton keinen statistischen Unterschied. Er betete auch noch für zufällig ausgewählte Grundstücke, weil er (aus Neugier oder Spott?) herausfinden wollte, ob die Pflanzen dort dann besser wüchsen. Was auch nicht der Fall war.
In jüngerer Zeit setzte der Physiker Russell Stannard (der, wie wir noch sehen werden, einer der drei bekanntesten religiösen Naturwissenschaftler in Großbritannien ist) sich mit seinem Einfluss für eine Initiative ein, die von der sog. Templeton Foundation finanziert wurde: Er wollte experimentell die Vermutung überprüfen, dass die Gesundheit kranker Menschen sich durch Gebete verbessern würde. Um ein solches Experiment aussagekräftig zu machen bzw. einen Placeboeffekt zu verhindern, muss es als Doppelblindversuch durchgeführt werden. Diese Anforderung wurde streng eingehalten, weswegen psychosomatische Störparameter ausgeschlossen werden können. Die Patienten wurden rein zufällig einer Gruppe A, für die gebetet wurde, und einer Kontrollgruppe B, für die nicht gebetet wurde, zugeteilt. Weder die Patienten noch die Ärzte, das Pflegepersonal oder die Versuchsleiter selbst durften wissen, für welche Patienten gebeten wurde und welche zur Kontrollgruppe gehörten. Die Betenden aber mussten den Namen der Person kennen, für die sie beteten, denn wie hätte sie sonst für einen bestimmten Patienten und nicht für jemand anderen beten sollen? Allerdings achtete man darauf, dass sie nur den Vornamen und den Anfangsbuchstaben des Nachnamens erfuhren.
Unter Leitung des Kardiologen Dr. Herbert Benson vom Mind/Body Medical Institute in der Nähe von Boston verbrauchten das Experiment 2,4 Millionen Dollar von der Templeton Foundation. In einer früheren Pressemitteilung der Stiftung hieß es über Dr. Benson: „Nach seiner Überzeugung sprechen immer mehr Belege dafür, dass Fürbittgebete in einem medizinischen Umfeld wirksam sind. Das Forschungsprojekt war also in beruhigend guten Händen und wurde höchstwahrscheinlich nicht durch skeptische Schwingungen beeinträchtigt. Dr. Benson und sein Team überwachten in sechs Kliniken insgesamt 1802 Patientinnen und Patienten, die sich alle einer Bypassoperation am Herzen unterzogen hatten. Die Patienten wurden in drei Gruppen eingeteilt: Für die Gruppe 1 wurde gebetet, ohne dass die Kranken es wussten. Für die Gruppe 2 (die Kontrollgruppe) wurde nicht gebetet, und die Patienten wussten ebenfalls nichts davon. Für die Gruppe 3 wurde gebetet, und die Betreffenden wussten davon. Der Vergleich zwischen den Gruppen 1 und 2 sagt etwas über die Wirksamkeit von Fürbittgebeten aus, während man an Gruppe 3 ablesen kann, ob es psychosomatische Auswirkungen hat, wenn man weiß, dass andere für einen beten.
Weiträumig verteilt wurden die Gebete in Kirchen von drei Gemeinden in Minnesota, Massachusetts und Missouri gesprochen. Alle drei waren also weit von den Krankenhäusern entfernt. Es entspricht den Maßstäben für gute experimentelle Arbeit, dass man so weit wie möglich standardisiert, und deshalb wurden alle gebeten, in ihr Gebet die Formulierung „für eine gelungene Operation mit schneller Genesung und ohne Komplikationen“ aufzunehmen.
Die Ergebnisse, über die das „American Heart Journal“ im April 2006 berichtete, waren eindeutig. Zwischen den Patienten, für die gebetet, und denen, für die nicht gebetet wurde, war kein Unterschied festzustellen. Welche Überraschung. Einen Unterschied gab es jedoch zwischen denen, die wussten, dass für sie gebetet wurde, und den beiden Gruppen der Unwissenden; aber dieser Unterschied wies in die falsche Richtung! Die Patienten, die wussten, dass sie in den Genuss von Gebeten kamen, litten signifikant häufiger an Komplikationen als die Unwissenden. Ein prima-facie komisches Resultat. Ist Beten an sich gar kontraproduktiv?
Wahrscheinlicher ist, dass die Patienten, die wussten, dass für sie gebetet wurde, dadurch unter zusätzlichen Stress gerieten – die Versuchsleiter bezeichneten es als „Leistungsangst“. Dr. Charles Betha, einer der beteiligten Wissenschaftler, meinte dazu: „Es hat sie vielleicht verunsichert, weil sie sich gefragt haben: Bin ich so krank, dass man Leute zum Beten rufen muss?“
Wie zu erwarten, sprachen sich Theologen und Christen (meist erst nachdem ihre Ergebnisse publik wurden!) gegen die Studie aus. „Gott lässt sich nicht in wissenschaftlichen Untersuchungen belegen“, oder „die Naturwissenschaft habe keinen Zugang zum Übernatürlichem“ etc. – Man fand viele Wege, um das Ergebnis kleinzureden. Dabei ist es doch eigentlich komisch: Warum will sich Gott uns nicht wissbar offenbaren? Für einen allmächtigem Gott wäre es kein Problem und für einen allliebenden zwingend, sich uns zu offenbaren, da er so unzählig viele Zweifel und Glaubenskriege mit einem Schlag beenden könnte.
Wir brauchen uns an dieser Stelle nicht mit dem Standard-„Argument“ „Gottes Wege sind unerforschlich“ herumzuplagen. Denn wenn Gott existiert, dann weiß er, wie wir denken, und er müsste genau das berücksichtigen, und seine Gründe sich nicht zu offenbaren müssten für Menschen (etwa anhand der Lektüre der Bibel) durchschaubar sein - oder er möchte partout, das wir Zweifeln und um unsere Seele bangen.(„Nicht verstehbar“ ist von Menschen nämlich nicht von „ist völlig sinnlos“ oder „ist völlig beliebig zu interpretieren“ zu unterscheiden!) Tatsächlich aber muss es für einen Christen schon komisch sein, dass Gott früher Wunder und Propheten geschickt hat und heute nur noch auf Toastbroten auftaucht.
Kommentare
Jeder Versuch, die Existenz oder Nichtexistenz Gottes mit unserem menschlichen Verstand zu beweisen, muss scheitern. Soll denn die Schöpfung klüger sein als deren Schöpfer? Ein philosophisches Unding!
Wie fast immer bei solchen Artikeln, vermisse ich darin jedes theologische Grundverständnis: "Tatsächlich aber muss es für einen Christen schon komisch sein, dass Gott früher Wunder und Propheten geschickt hat und heute nur noch auf Toastbroten auftaucht." Dieses Zitat aus dem Artikel dokumentiert einwandfrei, dass der Verfasser entweder die Evangelien nie gelesen hat, oder deren Aussage gründlich negiert - um nicht zu sagen, nicht verstanden hat.
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Sehr geehrter Herr Meinrad,
Ich gestehe Ihnen zu, dass der Beweis einer Nichtexistenz sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich ist. Um eine Nichtexistenz zu beweisen bedarf es stets eines positiven Beispiels, dass das Gegenteil, also die Existenz beweist. Wenn ich also behaupten würde, die Erde ist nicht flach, muss ich positiv beweisen, dass sie rund ist.
Ihre Argumente, dass ein Existenzbeweis am menschlichen Verstand scheitern müsse sowie, dass es ein philosophisches Unding sei, dass die Schöpfung klüger sei als ihr Schöpfer, sind jedoch fehlerhaft.
1. Wir können die Existenz von ziemlich vielen Dingen beweisen, eben weil wir den menschlichen Verstand haben. Verstand ist überhaupt das zentrale Werkzeug, um etwas zu beweisen. Was wäre denn eine Alternative aus Ihrer Sicht?
2. Inwiefern ist es ein philosophisches Unding, dass die Schöpfung klüger ist, als ihr Schöpfer? Im Gegenteil. Sokrates, der die westliche Philosophie begründet hat, war ein kluger Mensch, doch ich nehme mir heraus zu sagen, dass seine Theorien und Methoden Fehler hatten, die zukünftige, "klügere" Köpfe in ihren Theorien verbessert haben.
Sie kennen bestimmt auch Kinder, die einen besseren Schulabschluss haben, als ihre Eltern und sie kennen bestimmt ganze Generationen von Menschen, die sich in der Gesamtbetrachtung moralisch klüger angestellt haben, als die vorherige Generation. Wäre dem nicht so, dann hätten wir uns zurückentwickeln oder zumindest auf dem Level von Höhlenmenschen bleiben müssen.
Falls Sie den Sciencehighlights auf dieser Seite folgen, werden Sie gesehen haben, dass es inzwischen Computer gibt, die Menschen nicht nur im Schach, sondern auch im Go schlagen. Ist dann nicht die Schöpfung (Computer) klüger als ihr Schöpfer (Mensch).
Und wenn das bei uns zutrifft, wieso dann nicht auch bei Gott, sofern existent.
Es kann natürlich gut sein, dass Sie ein Anhänger einer esoterischen Spiraltheorie sind, in der der Mensch durch bestimmte Äußere Faktoren mal mehr mal weniger intelligent ist. Bitte legen Sie diese Theorie dann in Ihrer Antwort dar, damit Ihre Darstellung geprüft werden kann.
Bitte nehmen Sie meine Äußerungen nicht persönlich, aber ich möchte Ihnen nahelegen den guten Namen der Philosophie nicht in dieser Art zu gebrauchen.
Antworten
Lieber Herr Simon
"Meinrad" ist mein Vorname, aber das können Sie nicht wissen. Weder habe ich Philosophie studiert noch bin ich Anhänger einer esoterischen Spiraltheorie, bin einfach ein gläubiger und kritischer Katholik. Ihre Aussagen nehme ich nicht persönlich, vielleicht habe ich den Philosophie-Begriff tatsächlich überstrapaziert.
In meiner Aussage habe ich Gott als Schöpfer, die göttliche Schöpfung und uns als Geschöpfe angesprochen - keine andere "Schöpfungen". Lassen Sie mich eine Buchstelle zitieren, an welche ich mich dabei erinnert habe:
"Das innerste Wesen ist bei Gott und den Geschöpfen nicht ein und dasselbe. Das Sein der Geschöpfe ist dem Sein Gottes nur ähnlich, analog: die Scholastik spricht von einer Analogie des Seins. Der Fundamental-Unterschied zwischen den beiden Seins-Weisen ist der, dass der unerschaffene Gott von Ewigkeit her das absolute Sein selbst ist, während die Geschöpfe ein relatives Sein in der Schöpfung nur verliehen erhalten haben. Das geschöpfliche Sein ist und bleibt abhängig von dem absoluten Sein Gottes, so sehr, dass, wenn es Gott nicht gleichsam in einer dauernd sich erneuernden Schöpfung in jedem Augenblick erhalten würde, es sofort zu sein aufhören müsste und an seine Stelle wieder das "Nichts" treten würde, der Zustand des absoluten Nichtseins vor der Schöpfung. Welche "andere" Welten und Geschöpfe wir uns immer ausdenken mögen, stets wäre das ihr Wesensmerkmal, dass ihr Sein nur ein geliehenes, ein stets und immer abhängiges, ein dem göttlichen absoluten Sein nur ähnliches wäre.
Was folgt daraus? Es folgt mit Notwendigkeit, dass die Schöpfung ihrer Entstehung und ihrem Wesen nach nicht so vollkommen sein kann, als ihr Schöpfer. Die Seins-Ähnlichkeit an Stelle von Seins-Gleichheit bedeutet Seins-Unvollkommenheit des Geschöpfes dem Schöpfer gegenüber." (Egon von Petersdorff, Päpstlicher Geheimkämmerer, in seinem Werk "Dämonologie", 1. Band "Dämonen im Weltenplan")
Unser Verstand - und somit notwendigerweise auch unsere Wissenschaft - ist unvollkommen und kann ein vollkommenes Wesen wie Gott nicht begreifen. Um Gott in seiner Grösse auch bloss zu erahnen, tritt dann eben der Glaube in unsere Verstandeslücke.
Antworten
Lieber Herr Locher,
diese Erklärung finde ich großartig und sehr spannend, vielen Dank.
Ich muss gestehen, dass ich große Teile der Scholastik außen vor gelassen habe, aber ich finde die von Ihnen zitierte Stelle erhellend.
Besonders gefällt mir die Definition: "dass der unerschaffene Gott von Ewigkeit her das absolute Sein selbst ist, ... Dies impliziert nämlich keinerlei religiösen Kanon.
Ich verstehe aber nicht, wieso dieses "absolute Sein" Verstand besitzen muss. Oder warum die im Sein befindliche Schöpfung lediglich eine Analogie aber kein Teil von diesem Sein ist. Wissen Sie, ob Egon dazu etwas schreibt?
Ich würde das von Ihnen Beschriebene in andere Worte fassen.
Erstens würde ich nicht von einem unvollkommenen Verstand sprechen, da mir die Ansehung eines vollkommenen Verstandes fehlt und ich ihn auch nicht abstrahieren kann.
Ich kann ihn ebensowenig einfach annehmen. Zwar kann ich auf die Logik verweisen, aber da diese von Menschen gemacht ist und auch lediglich der Beschreibung von Phänomenen und Vorstellungen dient, ist sie wohl auch nicht das, was man "vollkommen" nennen könnte.
Daher bleibe ich für mein Beispiel bei Dingen, von denen wir annehmen können, dass sie existieren, um meinen Standpunkt deutlich zu machen.
Aus meiner Sicht beschreibt Egon in Ihrem Zitat die Unmöglichkeit, das Grenzenlose zu beschreiben. Ob ich nun sage, dass etwas so kompliziert denkt, dass ich es nicht verstehe oder das etwas so groß ist, dass ich es nicht verstehe, macht dabei zunächst erstmal keinen Unterschied. Etwas hat die Eigenschaft x weswegen ich es nicht verstehen kann (y). Das sagt aber nichts darüber aus, ob es sich beschreiben lässt oder nicht.
Ein ähnliches Phänomen beschreibt Immanuel Kant bei seiner Definition des Raumes:
"Der Raum ist kein aus der Erfahrung abstrahierter Begriff, sondern eine "reine Anschauung" bzw. die Form des äußeren Sinnes, als solche a priorisch-subjektiv, d.h. aus der Gesetzlichkeit des anschauenden Bewußtseins selbst entspringend und eine Bedingung der Erfahrung. Die Raumform ist eine allgemeine und notwendige Bestimmung der Gegenstände, weil ohne diese "subjektive", in der Art und Weise unseres Anschauens selbst gegründete "Form" nichts Gegenstand unserer Sinneswahrnehmung sein kann."
Kant macht hier deutlich, dass der subjektive Verstand, als zentrales Maß unserer Wahrnehmung, durchaus in der Lage ist, sich dem Raum anzunähern, ihn aber nie vollständig erfassen wird, solange wir keine objektive Betrachtung erhalten, wie auch immer diese bei etwas vermeidlich "unendlichem" aussehen mag.
Gleiches gilt für das von Ihnen bzw. Egon beschriebene "absolute Sein". Das etwas ist, kann ich subjektiv beschreiben, aber nicht zur Gänze auserhalb meines eigenen Verstandes erfassen. Dennoch muss ich davon ausgehen, dass es ein von mir unabhängiges Sein gibt. Ferner ist es leicht davon auszugehen, dass ich wiederum von diesem "absoluten Sein" abhängig bin. Das macht mich zu einem "relativen Sein". Aber wieso?
Das "absolute Sein selbst" hat indirekt die gleichen Eigenschaften, ist es doch zu groß, um mit dem menschlichen Verstand erfasst zu werden. Aber wie kommt die Prämisse auf, dass unser Verstand fehlerhaft ist, wohingegen der des Seins, vollkommen ist?
Wenn die Geschöpfe ein relatives Sein verliehen bekommen haben und außer ihnen nur das absolute Sein vorhanden ist, müssen sie dann nicht Anteile am absoluten Sein haben und daher auch Anteilig am absoluten Verstande?
Ich nehme ebenfalls Raum ein und befinde mich im Raum. Auch wenn es den Raum ohne mich gibt, so habe ich doch Anteile an ihm und seinen Eigenschaften.
Ich verstehe auch die Prämisse nicht, wieso sich das absolute Sein in einer sich dauernd erneuernden Schöpfung befindet, deren Unterbrechung zu einem Ende des relativen Seins führen würde. Mir scheint dies die einzige genannte Abhängigkeit zu sein. Könnten Sie vielleicht erklären, was Egon mit dieser "erneuernden Schöpfung" meint?
Bitte korrigieren Sie mich, für den Fall, dass ich einen Fehler gemacht habe, denn nur so können wir uns annähern und weiter diese wunderbare Diskussion führen, für die ich Ihnen sehr dankbar bin!
Antworten
Kant-Quelle vergessen, Schande über mich! Philosophische Bibliothek (Karl Vorländer u,a.) 1. H. §9 (VII 23), nach Eisler, R: Kant Lexikon, Hildesheim, 2008. S.441.
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Lieber Herr Simon
Dankeschön für Ihre scharfsinnige Antwort, mit welcher Sie mich zugegebenermassen ein bisschen "überfahren" haben.
In derselben "Egon-Quelle" habe ich bezüglich der Analogie des Seins eine mögliche Antwort gefunden. Ich bin so frei und zitieren nochmals eine für mich sehr aufschlussreiche Passage:
"Die ontologische Kontingenz, wie die Scholastik die Seins-Zufälligkeit des Geschöpfes der Seins-Notwendigkeit des Schöpfers gegenüber genannt hat, lässt das Geschöpf in dauernder Abhängigkeit vom Schöpfer nie über den Zustand der Potenz, der Möglichkeit, so oder anders oder auch nicht zu sein, hinauskommen: das gewordene unvollkommene Sein des Geschöpfes kann nur zu einer unvollkommenen Verwirklichung kommen, die jederzeit die Potenz, die Möglichkeit der Veränderung in sich trägt - im Gegensatz zum absoluten Sein des Schöpfers, das die ungewordene ewige Wirklichkeit selbst, ohne jede Potenz ist. Die Zusammensetzung von Potenz und Akt findet sich nur im Geschöpf, in jedem Geschöpf, weil sie die notwendige Folge der Seins-Unvollkommenheit dem Schöpfer gegenüber ist."
Ein Anteil am absoluten Verstand muss doch unvollkommen sein, zumal ein blosser Anteil begriffsnotwendig nie die Absolutheit des Ganzen erreichen kann. Handkehrum muss Gott die perfekte Intelligenz selbst sein, weil er seit Ewigkeiten das unerschaffene Seiende ist und somit den Massstab der Vollendung darstellt.
Dass unser Verstand fehlerhaft oder besser formuliert unzureichend ist, Gott zu begreifen, ergibt sich nur schon aus der Tatsache, dass wir eingeschränkte Sinnesorgane besitzen, was unsere Wahrnehmung und somit Erkenntnis stark behindert. Als Beispiel möchte ich die Problematik der Dunklen Materie und Dunklen Energie anführen, welche wir nicht wahrnehmen und messen, sondern bloss annäherungsweise mathematisch beschreiben können.
Gott als absolutes Sein befindet sich nicht in einer sich dauernd erneuernden Schöpfung, zumal er gemäss Egon "ungewordene ewige Wirklichkeit selbst, ohne jede Potenz" ist, sondern er hält eine sich dauernd erneuernde Schöpfung aufrecht und somit die Geschöpf darin. (Nebenbei bemerkt - ein Rippenstoss für Herrn Dawkins -, begreife ich die darwinistische Evolution als ein inhärenter Mechanismus der göttlichen Schöpfung.)
Herzlichen Dank für Ihre respektvolle und freundliche Art!
Antworten
Lieber Herr Locher,
tut mir leid, ich wollte Sie nicht überfahren. Ich neige leider zu weiten Ausschweifungen, verspreche jedoch, dass ich mich in diesem Beitrag zügeln werde. Ferner möchte ich Ihr Schlusskompliment erwiedern und Ihnen danken, dass Sie so schnell geantwortet haben.
Ich habe festgestellt, dass ich auf jeden Fall einmal Egon von Petersdorf lesen muss, da er eine interessante Art zu schreiben hat. Die von Ihnen zitierte Stelle beschreibt, inwiefern eine Unvollkommenheit der Schöpfung in Ansehung des Schöpfers notwendig ist, sofern sie sich nur als Anteil am absoluten Sein beschreiben lässt. Ich finde diese Ausführung in der Art einer hirarchisierten Unterteilung nachvollziehbar, sofern ich folgende Definitionen und Prämissen akzeptiere:
1. Es gibt ein absolutes Sein, das sich nicht weiter beschreiben lässt, als der Zustand einer Existenz an sich, die schon immer war und selber nicht geschaffen wurde. (Wir umgehen damit das Problem eines leeren Begriffes und bleiben im Abstraktum.)
2. Innerhalb dieser Existenz entwickeln sich Phänomene (Schöpfungen). Diese entziehen sich, da sie zeitlich und räumlich begrenzt sind, nicht unser Anschauung und wir können sie erfassen.
(Das liegt mitunter auch vielleicht daran, dass wir selbst zeitlich und räumlich begrenzt sind, aber das wäre ein anderes Fass, dass ich jetzt nicht aufmachen möchte.)
3. Da diese Phänomene nur innerhalb der Existenz entstehen können, sind sie von der Existenz abhängig. Das heißt: Hätte es keine Existenz gegeben, so gäbe es auch nichts was darin etwas betrachten könnte oder betrachtet werden könnte.
Ich muss an dieser Stelle unterbrechen und Sie, Herr Locher, zunächst fragen, ob wir beide uns bis zu diesem Punkt auf einer gleichen Ebene befinden, was Definition und Logik angeht. Bitte nennen Sie unverblühmt alle Einwände, damit ich keinen Fehler mache. Es gibt nämlich ein paar Dinge, die noch geklärt werden müssen.
Ich freue mich auf Ihre Antwort und hoffe, dass sich vielleicht noch andere dieser interessanten Diskussion anschließen werden.
Antworten
Lieber Herr Simon
Nein, ehrlich gesagt, kann ich Ihnen nicht das Wasser reichen!
Offenbar können Sie aus profunden Kenntnissen in Philosophie schöpfen und sind daher auch fähig, philosophische Aussagen und Herleitungen zu analysieren. Das kann ich nicht; ich kann bloss versuchen, Petersdorffs (hat wirklich zwei "f") Ansichten einigermassen zu verstehen, was mir tatsächlich auf einer einfachen Ebene gelungen ist. Ich kann Ihnen nicht wirklich folgen und Ihnen daher kein einigermassen eben- oder zumindest "ähnlichbürtiger" Diskussionspartner sein, unser beider Niveau ist zu unterschiedlich.
Zur Kommentierung dieses Artikels hat mich die Frustration darob veranlasst, dass Atheisten - oder solche, die es sein wollen - ständig in grober, verletzender und pamphletierender Weise auf Glauben und Religion herumprügeln. Selber habe ich einige Bücher Dawkins - namentlich "Der Gotteswahn" - gelesen, um die Argumente eines bekennenden Atheisten kennenzulernen und zu würdigen. Ich hätte den Wunsch, dass sich Atheisten ebenso verhalten, damit auch eine fruchtbare und respektvolle Debatte zustande käme.
Ich hoffe, Sie nicht zu sehr zu enttäuschen.
Antworten
Lieber Herr Locher,
ich wollte mich gar nicht über Sie erheben, ich wollte sie nur fragen, ob meine Analyse Ihnen zusagt und ich Egon nach Ihrer Meinung ebenso verstehe, wie Sie.
Ich versuche den religiösen scholastischen Ansatz zu verstehen, der Unterschied soweit ich ihn bis jetzt identifizieren konnte, scheint tatsächlich schon in der axiomatischen Grundlage zu liegen.
Es tut mir leid, wenn ich Sie persönlich verletzt haben sollte. Bitte seien Sie versichert, dass dies nicht in meiner Absicht lag.
Das Haupthinderniss einer fruchtbaren Debatte ist das Ziel aller Fraktionen. Das Problem liegt darin begründet, dass jeder Recht haben will und es schon lange nicht mehr um die Erkenntnis geht.
Es ist leicht Fehler in der Argumentation des anderen zu finden, als überhaupt erstmal die Grundlagen des Verstehens zu erörtern und zu klären, ob sich alle auf einer Wellenlänge befinden, wenn man von Gott, Sein oder gar dem Sinn des Lebens spricht.
Ich hatte gehofft, einen weiteren Schritt in diese Richtung hier tun zu können.
Bitte hören Sie nicht auf, kritisch zu denken, Herr Locher, und bleiben Sie der Überzeugung treu, dass man in einen Diskurs treten kann, um gemeinsam eine Wahrheit zu finden.
Ich hoffe wieder von Ihnen zu hören.
Antworten
Lieber Herr Simon
Neinnein, Entwarnung, Sie haben mich nicht verletzt! Wollte nur in ehrlicher Erkenntnis Ihnen einen offensichtlichen Vorsprung in philosophischem Wissen attestieren und zu hohen Erwartungen in meine Argumentationskraft vorbeugen. Im übrigen schätze ich Ihre Bemühungen ausserordentlich.
Soweit ich Ihnen folgen kann, pflichte ich Ihnen bei. Die axiomatische Grundlage ist bei der theologischen Scholastik m.E. eine dogmatische. Die Axiome in der Wissenschaft würde ich den Dogmen im Glauben gleichsetzen, wobei ich unter Dogma "eine fest stehende Definition oder eine grundlegende Lehrmeinung, deren Wahrheitsanspruch als unumstösslich gilt" verstehe.
Sich haben mir damit die Augen geöffnet: Vermutlich liegt die Schwierigkeit, den Gottesglauben zu akzeptieren, eben darin begründet, dass die Theologie mit zahlreichen Dogmen arbeitet, wohingegen Axiome in der Wissenschaft weitaus seltener anzutreffen sind. Eine theologische Philosophie muss daher umso sorgfältiger auf einvernehmliche
Prämissen und Definitionen achten. Die Dogmen kommen nach katholischer Theologie in Form von "Offenbarungen" zustande - ein Begriff, welchen Petersdorff immer wieder benutzt. "Göttliche Offenbarung" aus Quellen wie Bibel, Konzilen, Synoden, apostolischen Briefen usw. ist nachvollziehbarerweise für Naturwissenschaftler ein sehr delikater Terminus, insbesondere wenn sie als "Krücke" für den unzureichenden menschlichen Verstand gelten sollen.
Zu Ihrem vorletzten Posting: Es gibt Phänomene, welche sich zumindest grösstenteils unserer Anschauung entziehen: die gesamte geistige Schöpfung (Seele, Engel als Geistwesen, Dämonen als "gefallene" Engel). Allerdings distanziere ich mich dabei meilwenweit von allen esoterischen Engels- und Dämonentheorien.
Bitte stillen Sie meine Neugier: Haben Sie Philosophie oder eine Naturwissenschaft studiert?
Antworten
Lieber Herr Locher,
dann bin ich beruhigt und kann nur wieder betonen wie fruchtbar ich die Korrespondenz mit Ihnen empfinde. Sie brauchen sich nicht zu verstecken, was Ihre Darlegungen angeht.
Ja, ich habe Philosophie und Germanistik studiert. Weswegen ich ganz häufig zickig reagiere, wenn eine der beiden Wissenschaften als Wissenschaft zweiten Ranges abgetan wird, wie es hier auf dieser Seite ganz häufig passiert.
In erster Linie ist Philosophie für mich die Fähigkeit einen Text oder eine Äußerungen zu erläutern, nachzuvollziehen und auf eine bestimmte Art und Weise zu hinterfragen, um Missverständnisse zu klären. Philosophie hat nichts damit zu tun, dem anderen übers Maul zu fahren, was auch häufig vorkommt.
Zu ihrem Kommentar: Wenn Sie sagen es entzieht sich der Anschauung, meinen Sie dann die geistige Anschauung oder ein konkretes Phänomenon im Sinne einer Beobachtung, wie ich etwa ein Tier oder einen Stuhl beobachten kann?
Antworten
Lieber Herr Simon
Eine gelungene Mischung! Ich persönlich hätte früher gerne Philosophie und Philologie studiert, was mir aber aus finanziellen Gründen leider versagt blieb.
Rund um die Engel gibt es vier Dogmen. Eines davon ist jenes, dass "Gott am Anfang der Zeit geistige Wesen (Engel) aus nichts erschuf"; das andere lautet: "Die Natur der Engel ist geistig". Der Verstand alleine kann dieses Geheimnis weder ergründen noch beweisen. Zwar weiss er durch seine natürliche Erkenntnis von geistiger Wesenswelt, einer unerschaffenen göttlichen und einer erschaffenen zeitlichen, da er einerseits Gott als geistiges Wesen und anderseits die eigene Seele als geistiges Lebensprinzip des Körpers erkennen kann - aber dass zwischen beiden noch andere geistige Wesen ohne Körper, die Engel, erschaffen wurden, dafür kann er höchstens Kongruenzgründe finden, die es ihm allenfalls angemessen erscheinen lassen, dass zur Vervollkommnung des Universums einige geistige Wesen - ohne Körper - existieren müssen, wie Thomas von Aquin mehrfach ausführt. (Ja, gestehe, habe ich von Petersdorff geklaut.)
Zu Ihrer Frage: Die gesamte Anschauung meine ich, die geistige wie die körperliche. Sprechen Sie nun die Gnoseologie oder die Phänomenologie an? Wäre letztere für die Theologie - verzeihen Sie mir den harten Ausdruck - nicht eher deplaziert?
Antworten
Nein, ich rede von konkreten Phänomenen. Wieso sollte die Phänomenologie deplaziert sein? Gibt es keine konkreten theologischen Gegenstände die beobachtbar sind?
Antworten
In der Phänomenologie soll man sich meines Wissens einer vorschnellen Weltdeutung enthalten und bei der analytischen Betrachtung der Dinge an das halten, was dem Bewusstsein unmittelbar erscheint.
Hielte man sich in der Theologie daran, würden so viele Inhalte nicht berücksichtigt werden können. Inhalte, derer es eben der Petersdorffschen "Offenbarung" als mittelbare Hilfestellung für den überforderten Verstand bedarf. Natürlich gibt es dennoch beobachtbare konkrete theologische Phänomene, von welchen aber letztlich viele ihren Ursprung in Dogmen bzw. in geoffenbarten Wahrheiten haben.
Hoffe nur, mich damit nicht verrannt zu haben...
Antworten
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