Das Traumargument

Wissen über die Außenwelt mittels Sinneserfahrung?

Das Traumargument

Foto: Pixabay.com / pixel2013

Das Traumargument besagt, je nach Auslegung, dass wir nicht wissen können, ob

1) metaphysische Auslegung: es eine Außenwelt gibt,

2) erkenntnistheoretische Auslegung: wir eine reale Außenwelt erleben (können),

oder, ob wir die vermeintliche Außenwelt (1) bzw. die vermeintlichen Sinneserfahrungen von derselben (2) nur erträumen.

"Hattest du schon mal einen Traum, Neo, der dir vollkommen real schien?Was wäre, wenn du aus diesem Traum nicht mehr aufwachst. Woher würdest du wissen, was Traum ist und was Realität?"

Vorläufer des Traumarguments gab es schon in der Antike, etwa bei Cicero und Platon. In seinen modernen Grundzügen wurde das Traumargument zuerst von Descartes in seinen Meditationes (vgl. Descartes: Meditationes, 19 ff.) formuliert. Er äußerte damit einen Skeptizismus bezüglich unseres empirischen Wissens über bzw. von der Außenwelt. Das Traumargument beschäftigt die Philosophen bis heute.

„Eines Tages wird man offiziell zugeben müssen, dass das, was wir Wirklichkeit getauft haben, eine noch größere Illusion ist als die Welt des Traumes.“

Salvador Dali

Das Argument

Es existieren mehrere Versionen des Traumargumentes. Hier ist eine:

(P1) Wenn ich aufgrund meiner Sinneserfahrung Wissen über eine Außenwelt erlangen können möchte, muss ich (zuvor und davon unabhängig) ausschließen können, dass ich jetzt nicht träume.

Beispiel: Um Gewissheit zu haben, dass ich hier bin und diesen Text lese, darf es nicht möglich sein, dass ich in meinem Bett liege und nur träume, dass ich diesen Text hier lese.

(P2) Ich kann nicht ausschließen, dass ich jetzt nicht träume.

Beispiel: Ich weiß nicht, dass ich jetzt nicht in meinem Bett liege und nur träume, dass ich diesen Text lese.

(K) Ich kann kein Wissen über die Außenwelt aufgrund meiner Sinneserfahrung erlangen.

Beispiel: Ich weiß nicht, dass ich jetzt diesen Text lese.

Descartes selbst formulierte das Argument, das seinen Außenweltskeptizismus plausibel macht, wie folgt:

„Trefflich für wahr! Bin ich denn nicht ein Mensch, der nachts zu schlafen pflegt und dann alles das, und oft noch viel Unglaublicheres im Traume erlebt, wie jene im Wachen?

Wie oft aber erst glaube ich nachts im Traume ganz Gewöhnliches zu erleben; ich glaube hier zu sein, den Rock anzuhaben und am Ofen zu sitzen – und dabei liege ich entkleidet im Bette!

Jetzt aber schaue ich sicherlich mit ganz wachen Augen auf dies Papier. Dies Haupt, das ich bewege, ist nicht vom Schlafe befangen. Mit Überlegung und Bewusstsein strecke ich diese Hand aus und habe Empfindungen dabei. So deutlich würde ich nichts im Schlafe erleben!

Ja, aber erinnere ich mich denn nicht, dass ich auch schon von ähnlichen Gedanken in Träumen getäuscht worden bin? – Während ich aufmerksamer hierüber nachdenke, wird mir ganz klar, dass ich nie durch sichere Merkmale den Schlaf vom Wachen unterscheiden kann, und dies macht mich so stutzig, dass ich gerade dadurch fast in der Meinung bestärkt werde, dass ich schlafe.“

Descartes, erste Meditation

Kein unbezweifelbares Wissen von bzw. über die Außenwelt

Generalisierung des Arguments

Analog zu dem Beispiel mit dem Text versieht das Traumargument natürlich auch jedes weitere, augenscheinliche Wissen über die Außenwelt mit einem dicken Fragezeichen.

Um dies zu begreifen, gehen Sie im Folgenden davon aus, Sie erleben sich sitzend vor ihrem PC. Der gemeine Mensch würde jetzt, wenn er an Ihrer Stelle wäre, von sich behaupten, er wisse, dass er vor seinem PC sitzt. Nicht aber Sie, Sie sind gewitzter. Denn Sie kennen nun natürlich das Traumargument und haben bei so etwas immer im Hinterkopf, dass man ja auch ab und zu schläft und dabei etwas träumt. Beispielsweise, dass man vorm eigenen PC sitzt. Dann kommt einem i. d. R. auch alles real vor und man meint zu wissen, dass man vor seinem PC sitzt. Dieses Wissen ist in dem Fall dann aber nur eine Illusion, da man ja in Wirklichkeit schläft, träumt und nicht vor dem Computer sitzt. Das Träumen lässt sich aber meistens erst im Nachhinein vom Wachzustand unterscheiden, während des Traums selbst weiß man normalerweise nicht, dass man träumt. Deshalb kann man nie infallibles Wissen über die Außenwelt bekommen.

Möglicherweise ist mein ganzes bisheriges Leben ja nur ein Traum, aus dem ich noch nie aufgewacht bin? Und all die Personen, die ich dachte gerochen, geliebt und gespürt zu haben, die gibt es in Wirklichkeit gar nicht. Es kann mir niemand beweisen, dass dem nicht so ist; dass es nicht nur allein meinen Geist gibt, der sich das alles hier nur vorgestellt hat und es unabhängig von diesem eine Realität gibt. Genauso wenig kann mir und dir übrigens einer einen hinreichenden Grund für die gegenteilige Annahme bringen. Das Traumargument sagt uns also nicht, dass es keine Außenwelt gibt, es zeigt uns nur, dass wir nie hundertprozentig wissen können, ob es eine gibt oder nicht.

Zutreffende Träume

Aber halt. Machen wir langsam. Was ist zum Beispiel, wenn ich träume, dass ich gerade auf einer Hausparty eingeschlafen bin und auch wirklich auf einer Hausparty eingeschlafen bin? Sodann habe ich doch Wissen über die Außenwelt, obwohl ich träume? Nein. Die Fälle Sich in einer Traumwelt befinden und etwas von einer Außenwelt wissen schließen sich partout gegenseitig aus. Auch dann, wenn mein Traum wahr ist, d.h. auf die reale Außenwelt zutrifft, kann ich ihm kein empirisches Wissen entlocken. Warum ist das so? Wissen setzt mindestens sichere Gründe voraus. Sichere Gründe untermauern eine Annahme derart, dass es nicht leicht möglich ist, dass diese falsch ist. Dass ich aber etwas träume, ist nun einmal kein sicherer Grund für die Annahme, dass das was ich träume, auch in der Außenwelt so geschieht. Ein Übereinanderfallen von Traum- und Außenweltaspekten ist für gewöhnlich rein zufälliger, d.h. nicht kausaler Natur.

Und selbst wenn ich träume, dass es regnet, weil es wirklich regnet, da ich es z.B. unterbewusst tropfen höre (kausaler Zusammenhang), kann dies nie ein wissensgenerierender Grund sein, da ich nie wissen kann, wann ein Element aus der Außenwelt stammt und wann nicht. Ich kann also nie wissen, dass ich nicht gerade träume und von meiner Sinneserfahrung kein Wissen über eine mögliche Außenwelt ableiten. Die Möglichkeit eines empirischen Wissens von bzw. über eine etwaige Außenwelt wird vom Traumargument kategorisch ausgeschlossen.

Schritt-für-Schritt

Prämisse 1

Die Prämisse (P1) unseres Traumargumentes, dass der momentane Erwerb von Wissen über die Außenwelt unvereinbar sei mit der Möglichkeit, dass ich gerade träume, lässt sich mit dem sog. Diskriminations-Prinzip unterfüttern.

1. Wenn ich tatsächlich diesen Text lese, dann kann ich nicht zeitgleich in meinem Bett liegen und träumen, dass ich diesen Text lese.

Entweder ich mache etwas wirklich, oder ich träume nur, dass ich es mache. Das scheint so plausibel, dass wir es auch mit dem hohen Anspruch auf rationales Wissen ausformulieren dürfen:

2. Ich weiß, dass, wenn ich tatsächlich diesen Text lese, dann kann ich nicht zeitgleich in meinem Bett liegen und träumen, dass ich diesen Text lese.

Wissen, das ist, wie erwähnt, ein erkenntnistheoretisch wertvolles Prädikat, das strenggenommen nur verliehen werden darf, wenn gezeigt werden kann, dass alle möglichen Umstände, die mit diesem Wissen unvereinbar sind, definitiv nicht der Fall sind. Wenn ich also, wie versucht wurde aufzuzeigen, prinzipiell nicht auszuschließen vermag, dass ich gerade träume, kann ich auch nicht von mir behaupten, zu wissen, ob und wenn ja wie uns von welcher Art eine Außenwelt existiert.

Fazit 1: In Anbetracht des Diskriminations-Prinzips scheint die erste Prämisse (P1) seine Gültigkeit noch einmal unterstreichen zu können.

Prämisse 2

Wie steht es um Prämisse 2, dass ich nicht wisse, ob ich in meinem Bett liege und bloß träume, dass ich diesen Text lese? Im Alltag meine ich ja schon, dass ich wirklich tue, was ich meine zu tun und es nicht bloß träume. Aber sicher kann ich mir da wirklich nicht sein. Denn, wie bereits gesagt, es gibt kein klares Kriterium, dass es uns ermöglicht, Traum von Realität zu unterscheiden. Also muss ganz allgemein gelten:

1. Ob ich gegenwärtig träume oder wache, weiß ich jetzt nicht.

Wie kann ich mir so sicher sein, dass es kein praktisch-brauchbares Kriterium, alias erkennbares Merkmal, des Unterschieds zwischen Wachzustand und Traum gibt? Es ist eigentlich ganz einfach: Wann immer ich denke, ein solch praktisches Kriterium anzuwenden, könnte es gemäß des Traumarguments sein, dass ich bloß träume, dass ich das Kriterium anwende. Beispielsweise sagt man ja, man solle sich zwicken, um festzustellen, ob man wach ist oder schläft. Wenn man etwas spürt, so das Argument, sei man wach. Aber ich kann ja auch träumen, dass ich mich in den Arm zwicke. So verhält es sich mit jedem Kriterium – ich könnte ja auch bloß träumen, dass ich es anwende. Man kann im Traum ja auch subjektiv Schmerzen empfinden.

Fazit 2: Prämisse 2 kann sich einer kritischen Untersuchung behaupten.

Konklusion

Gesetzt den Fall Prämisse 1 und Prämisse 2 stimmen tatsächlich und uns ist in den letzten beiden Abschnitten nicht etwa ein Gedankenfehler unterlaufen. Geht dann die Konklusion (K) aus den beiden Prämissen (P1) und (P2) logisch hervor? Ja, geht sie. Denn Prämisse 1 besagt, dass wenn Prämisse 2 stimmt, wovon wir ausgehen; also davon, dass auch falls ich tatsächlich diesen Text lese, ich das nie wissen kann; wir dann auf empirischem Wege kein Wissen über die Außenwelt erlangen können. Also besagt sie, dass wir auf empirischem Wege kein Wissen über die Außenwelt erlangen können. Diese Aussage ist inhaltlich äquivalent zu unserer Konklusion. Nach unserer Analyse gilt also auch die radikal skeptizistische Konklusion (K):

Mittels Sinneserfahrung kann ich überhaupt kein Wissen über eine Außenwelt bekommen.

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