Das Wort zum Wort zum Sonntag

Kommentar zu „Christliche Prägung - gesprochen von Gereon Alter”

Das Wort zum Wort zum Sonntag

Foto: Pixabay.com / geralt

Das Wort zum Sonntag von ARD/daserste.de veröffentlicht am 07.04.2018.

Die biblische Schilderung über die Anfänge des Urchristentums erinnert stark an Beschreibungen moderner Sekten.

[…] Denn es waren nicht wenige, die sich für einen solchen Neuanfang als Christ entschieden haben. Und ihre Art zu leben und sich für andere einzusetzen hat auch Nicht- und Andersglaubende schwer beeindruckt. „Seht, wie sie einander lieben!” Dieses heute oft durch den Kakao gezogene Wort stammt aus dieser Zeit und war durchaus ernst gemeint.

Kaum erstaunlich, denn schließlich handelte es sich ja auch hier um eine Sekte. Genauer um eine jüdische Weltuntergangssekte. Und das wäre sie vermutlich auch noch ein paar Jahre bis zu ihrem Verschwinden (auch ohne Weltuntergang) geblieben, wenn nicht… – doch dazu später mehr.

Innenansichten einer Weltuntergangssekte

In der biblischen Apostelgeschichte erfahren wir einiges über diese nicht wenigen” Mitglieder der Jesus-Nachfolgersekte.  Ungebildete und einfache Leute” sollen sie gewesen sein:

Als sie [die Priester und Machthaber, Anm. von mir] den Freimut des Petrus und des Johannes sahen und merkten, dass es ungebildete und einfache Leute waren, wunderten sie sich […] (Apg 4,13 EU)

Eine weitere Parallele zu modernen Sekten ist beim Verhalten Nicht- und Andersglaubenden gegenüber zu erkennen. Ebenfalls in der Apostelgeschichte erfahren wir, dass die Nicht- und Andersglaubenden die Sekte eigentlich am liebsten verboten hätten. Mussten sie sich doch vorwerfen lassen, den Heiland gekreuzigt zu haben. Und fundamentalistisch schien die Endzeitsekte auch gewesen zu sein:

Und in keinem anderen [als Jesus, Anm. von mir] ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen. (Apg 4,12 EU)

Alles für den Club…

Auch die Beschreibung der Gütergemeinschaft der christlichen Urgemeinde könnte genau so auch auf eine moderne Sekte zutreffen:

32. Die Menge derer, die gläubig geworden waren, war ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam.

33. Mit großer Kraft legten die Apostel Zeugnis ab von der Auferstehung Jesu, des Herrn, und reiche Gnade ruhte auf ihnen allen.

34. Es gab auch keinen unter ihnen, der Not litt. Denn alle, die Grundstücke oder Häuser besaßen, verkauften ihren Besitz, brachten den Erlös

35. und legten ihn den Aposteln zu Füßen. Jedem wurde davon so viel zugeteilt, wie er nötig hatte.

36. Auch Josef, ein Levit, gebürtig aus Zypern, der von den Aposteln Barnabas, das heißt übersetzt: Sohn des Trostes, genannt wurde,

37. verkaufte einen Acker, der ihm gehörte, brachte das Geld und legte es den Aposteln zu Füßen.

(Apg 4, 32-37 EU)

Dass sie sich einander liebten ist leicht nachvollziehbar: Ohne eine solche innere Geschlossenheit könnte eine Sekte nicht funktionieren. Darüber, wie sich die Sektenmitglieder Un- und Andersgläubigen gegenüber verhielten, kann man nur spekulieren; so liebevoll wie das Innenverhältnis scheint das Außenverhältnis jedenfalls nicht gewesen zu sein.

Konstruierte Demonstration göttlicher Macht

Fassen wir kurz die Aussagen in der Apostelgeschichte zusammen: Alles deutet darauf hin, dass es sich um eine gewöhnliche, vom Judentum abgespaltete Endzeitsekte handelte. Die ganze biblische Beschreibung soll offenbar belegen, dass die Mitglieder tatsächlich Gott auf ihrer Seite hatten.

- Sie wirkten „Wunder”, obwohl sie einfache und ungebildete Leute waren.

- Den Un- und Andersgläubigen gegenüber fühlten sie aufgrund ihres Glaubens bevorzugt.

- Sie vertraten eine fundamentalistische Sichtweise („In keinem anderen ist das Heil zu finden…”)

- Auch die Schilderung, dass die Mitglieder bereit waren, alles Hab und Gut in die Sekte einzubringen, soll deutlich machen, wie wichtig den Leuten diese Gemeinschaft war.

Trotzdem wurden die Machthaber als so beeindruckt beschrieben, dass sie sich nicht trauten, gegen die Sekte vorzugehen, offenbar, weil sie sich mit diesem Gott lieber nicht anlegen wollten. Behauptet jedenfalls die Apostelgeschichte.

Alles in allem wirkt das Ganze sehr konstruiert. Die Historizität der Apostelgeschichte ist alles andere als sicher belegt. Gerade der bemüht realistische Anstrich steht im Verdacht, eine fiktive Geschichte als möglichst plausibel erscheinen lassen zu wollen.

Was die christliche Prägung tatsächlich verursacht hatte

Dass sich das Christentum bis heute gehalten hat, verdankt es allerdings nicht primär dem Verhalten seiner ersten Mitglieder oder gar göttlicher Unterstützung. Zu verdanken” haben wir diesen Umstand einem folgenschweren Ereignis, das sich am 27. Februar 380 ereignet haben soll.

Dieses Ereignis sicherte dem Christentum nicht nur das Überleben bis heute. Es war gleichzeitig der Startschuss für die beispiellose Kriminalgeschichte des Christentums:

Am 27. Februar 380 unterzeichnete der oströmische Kaiser Theodosius I. (347 – 395) in Thessaloniki in Gegenwart des weströmischen Kaisers Valentinian II. (371 – 392) und dessen mitregierenden Halbbruder Gratian (359 – 383) ein Dekret, mit dem das Christentum zur Staatsreligion erklärt und die Ausübung heidnischer Kulte unter Strafe gestellt wurden. Aber der Wortlaut des Dekrets “Cunctos populos” beinhaltete nicht nur die Sonderstellung des Christentums, sondern auch die Verfolgung der Andersgläubigen:

„Alle Völker, über die wir ein mildes und maßvolles Regiment führen, sollen sich, (…) zu der Religion bekehren, die der göttliche Apostel Petrus den Römern überliefert hat, (…) und zu dem sich der Pontifex Damasus klar bekennt wie auch Bischof Petrus von Alexandrien (…).

Das bedeutet, dass wir gemäß apostolischer Weisung und evangelischer Lehre eine Gottheit des Vaters, Sohnes und Heiligen Geistes in gleicher Majestät und heiliger Dreifaltigkeit glauben.

Nur diejenigen, die diesem Gesetz folgen, sollen, (…) katholische Christen heißen dürfen.

Die übrigen, die wir für wahrhaft toll und wahnsinnig erklären, haben die Schande ketzerischer Lehre zu tragen. Auch dürfen ihre Versammlungsstätten nicht als Kirchen bezeichnet werden.

Endlich soll sie vorab die göttliche Vergeltung, dann aber auch unsere Strafgerechtigkeit ereilen, die uns durch himmlisches Urteil übertragen worden ist.” (Quelle: dw.com)**

Seht, wie sie einander lieben…

Mit gleichem Eifer wie vorher Christen und Juden wurden nun die Andersgläubigen drangsaliert. Heidnische Kultveranstaltungen waren Hochverrat, Tempel und Heiligtümer wurden ebenso zerstört wie das Orakel von Delphi, die legendäre Weissagungsstätte des antiken Griechenlands. Dennoch markiert dieser 27. Februar 380 ein Markstein der europäischen Geschichte, weil sich an jenem Tag die jüdisch-christlichen Wurzeln mit der griechisch-römischen Antike verbanden und eine bis heute wirkende Symbiose eingingen. Die griechisch-römische Vorgeschichte des Kontinents und die jüdisch-christliche Religion haben Europa entscheidend geprägt – im Guten wie im Schlechten. Denn in den kommenden Jahrhunderten wurden unter dem Kreuz der Christen nicht nur die Armen gespeist, sondern auch die Kritiker und Abweichler im Namen des Herrn ermordet. (Quelle: dw.com)

Das Christentum, das über mehr als 1000 Jahre (auch bekannt als das finstere Mittelalter”) Europa tatsächlich geprägt hatte, hat also mit der romantischen Vorstellung einer Christensekte, deren gegenseitige Liebe Herr Alter offenbar als Grundlage für die christliche Prägung referenziert, außer der Bezeichnung praktisch nichts gemein. Und außer natürlich des spaltenden Ingroup-Outgroup-Denkens (nur wir sind die Guten, Gottgefälligen, alle anderen sind die Schlechten, Verdammten…).

Es waren rein weltliche, politische Entscheidungen, verbunden mit unzähligen Kriegen und Verbrechen aller Art, die das Christentum groß gemacht hatten, das die christliche Prägung zu verantworten hat. Und nicht etwa die Wahrheit oder moralische Überlegenheit dieser Lehre.

Christliche Werte – welche sollen das sein?

Christen sehen das wunsch- und erwartungsgemäß meist anders. Und führen das Überleben ihrer Lehre bis ins 21. Jahrhundert als Beweis für deren Richtigkeit und Wahrheit an. Wesentlich plausibler erscheinen mir jedoch die historischen Fakten.

Europa war also nicht von den Werten einer kleinen, sich selbst liebenden und insgesamt wohl überwiegend harmlosen Endzeit-Wüstensekte geprägt worden. Sondern von einem klerikalen Machtapparat, dem wirklich jedes Mittel recht war, um seinen vermeintlichen Missionsauftrag zu erfüllen.

Und seit seiner Instrumentalisierung zur Staatsreligion stellte das Christentum seine außerordentlich gute Eignung als moralische Rechtfertigung” für politische Ideologien aller Art erschreckend eindrucksvoll und immer wieder unter Beweis. Bis heute.

Gehört das Christliche in die Öffentlichkeit oder nicht? – Die einen sagen „Ja”, starten Missionskampagnen und geben entsprechende Manifeste heraus. Die andern sagen „Um Gottes Willen! Glaube ist Privatsache. Das hat nichts in der Öffentlichkeit zu suchen.”

Dem überwiegenden Teil derer, die religiösen Glauben für eine Privatangelegenheit halten, die in der Öffentlichkeit nichts zu suchen hat, dürfte der Wille von Göttern reichlich egal sein.

Peinlichkeit vermeiden – biblisch begründet

Andererseits ist dieser Standpunkt aber auch bei den Christen beliebt, denen irgendwie schon dämmert, dass man heute kaum noch ernst genommen werden kann, wenn man noch an Götter, Geister, Gottessöhne und deren Eingriff in die irdische Wirklichkeit glaubt. Die halten sich dann einfach an die dazu passende Bibelstelle:

- Du aber, wenn du betest, geh in deine Kammer, schließ die Tür zu; […] (Mt 6,6 EU)

Wobei freilich nicht wenige Hirten ihre Schafe tadeln, wenn diesen ihr mythologischer Götterglaube so peinlich ist, dass sie ihn lieber innerhalb ihrer eigenen vier Wände oder nur unter Gleichgesinnten ausleben.

Und dann gibt es noch die, die zwar viel von der christlich-abendländischen Tradition reden, in ihrem Denken und Handeln aber wenig davon erkennen lassen.

Nicht zu vergessen die, die vorgeben, ganz konkret zu wissen, wie ein Denken und Handeln denn aussehen müsste, um der christlich-abendländischen” Tradition zu entsprechen.

- Das christliche Abendland wird durch eine „eingewanderte” Religion geprägt, denn das Christentum hat seine Wurzeln bekanntermaßen nicht hier, sondern im Orient, von wo aus es sich über das römische Weltreich auch nach Europa ausbreitete. Das geschah oft wenig christlich, sondern ziemlich gewalttätig, denn bei der Christianisierung der Heiden ging es beileibe nicht nur um das Seelenheil, sondern auch um knallharte Machtpolitik.
(Quelle: Abendblatt.de)

Wolfssohn: Der Begriff Christliches Abendland” ist geistiger Müll

Michael Wolffsohn, Historiker und Publizist sowie Hochschullehrer des Jahres 2017 erklärt in diesem Beitrag auf sueddeutsche.de, warum er den Begriff christliches Abendland” für geistigen Müll” hält.

Schauen wir auf die Religion (Theologie). Wieder werden Abendländer wie „Patriotische Europäer” schockiert. Schock eins: Das Christentum stammt aus dem Morgenland. Schock zwei: Am Anfang, bis ins 4. Jahrhundert, war das Abendland nicht nur heidnisch, sondern – noch „schlimmer” – jüdisch. Lange bevor die Germanen Christen wurden, gab es in Europa Juden. Jahrhunderte vor den Kirchen standen in Germanien, Gallien und Britannien Synagogen. (Quelle: Michael Wolfssohn auf sueddeutsche.de)

Ich meine, dass der christliche Glaube in die Öffentlichkeit gehört.

Und ich meine: Das kommt drauf an, was damit konkret gemeint ist. Natürlich gilt die Gedanken-, Meinungs- und Redefreiheit einer offenen und freien Gesellschaft auch für Menschen mit jeder beliebigen religiösen oder sonstigen Weltanschauung. Solange dadurch nicht die Werte und Gesetze dieser Gesellschaft verletzt werden.

Wo meiner Meinung nach Religionen definitiv nichts verloren haben sind Politik und öffentliche Räume, allen voran Schulen und Kindergärten. Auch die zahllosen Darstellungen einer brutalen, unmenschlichen Todesfolterung auf Berggipfeln, in Feld, Wald und Flur halte ich für sehr entbehrlich.

Geprägte Präger

Aber: wo Glaube draufsteht, muss auch Glaube drin sein! Wer die christliche Prägung unseres Landes erhalten will, der sollte sich schon auch selbst vom christlichen Glauben prägen lassen.

Die altbekannte Story vom „wahren Schotten“, bzw. hier vom wahren Christen.” Die christliche Lehre eignet sich zur göttlichen Legitimierung” praktisch jeden Verhaltens. Wie ein kurzer Blick in die 5000 Seiten starke Kriminalgeschichte des Christentums eindrucksvoll beweist.

Egal, ob jemand im vermeintlichen Namen und Auftrag Gottes Gutes tut oder zum Beispiel Un- und Andersgläubige wegen ihres Un- oder Andersglaubens verfolgt oder ermordet: Zu jeder Zeit fanden und finden Christen die jeweils passenden Bibelverslein, mit denen sie quasi jedes beliebige Verhalten rechtfertigen konnten und können.

Hier zeigt sich das grundlegende Problem dieser monotheistischen Religion: Das Christentum ist moralisch orientierungslos.

Erbe und Auftrag von Jesus

Und der sollte es vor allem tunlichst unterlassen, diesen Glauben gegen andere ins Feld zu führen. Weder gegen Menschen anderen Glaubens, noch gegen Menschen anderer Herkunft. Denn das ist nun überhaupt nicht vereinbar mit dem, was Jesus Christus uns als Erbe und Auftrag hinterlassen hat.

Das Erbe von Jesus Christus besteht aus dem Versprechen einer ewigen jenseitigen Herrlichkeit exklusiv für alle, die bereit sind, sich seinem Gott bedingungslos unterzuordnen. Sowie in der Androhung einer zeitlich unbegrenzten physischen und psychischen Dauerbestrafung durch Höllenqualen bei vollem Bewusstsein für alle, die dazu nicht bereit sind.

Und natürlich finden sich auch in diesem Zusammenhang wieder ausreichend Bibelstellen, auf die sich jene berufen können, die ihren Glauben sehr wohl gegen Andersgläubige und/oder Fremde ins Feld führen möchten.

Wie aber dann? Wie kann die christliche Prägung unseres Landes in einer Weise erhalten bleiben, die für alle gut ist? – Mir schwebt eine qualifizierte Minderheit vor. Christen müssen nicht die Mehrheit unserer Gesellschaft bilden. Sie müssen auch nicht zu allem und jedem etwas sagen können.

Ich halte es vor dem gerade beschriebenen Hintergrund keinesfalls für erstrebenswert, die christliche Prägung unseres Landes zu erhalten – jedenfalls dann, wenn wir von der tatsächlich durch das Christentum verursachten Prägung sprechen.

Glauben bitte nicht ernst nehmen

Das, was unsere offene und freie Gesellschaft heute ausmacht, sind die Werte, die erst mühsam gegen den erbitterten Widerstand der Kirche erkämpft werden mussten. Eine solche Gesellschaft basiert auf diesen Werten: Humanistisches Denken, Rationalität, Säkularität, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte.

Es reicht in meinen Augen, wenn sie das, was sie glauben, ernst nehmen und im Alltag leben.

In meinen Augen reicht es, wenn sie das, was sie glauben eben nicht ernst nehmen. Und sich stattdessen an den Werten orientieren, auf denen eine offene und freie Gesellschaft basiert. Je weniger ernst Christen ihre biblisch-christliche Grundlage nehmen, desto eher können sie, wenn schon nicht auf Verständnis, aber doch zumindest auf Toleranz hoffen.

Erst nachdem Gläubige durch eine weitgehende Entmachtung ihrer Institution quasi dazu gezwungen worden waren, ihren Glauben eben nicht mehr ernst zu nehmen, konnten moderne ethische Standards (wieder) etabliert werden.

…in aller Bescheidenheit

Wenn dann andere aufmerksam werden und fragen „Woher nimmst du die Kraft zu diesem oder jenem Engagement?” oder „Wie bist du zu dieser Entscheidung gekommen?”, dann sollten sie darüber in aller Bescheidenheit Auskunft geben.

Woraufhin ich in aller Offenheit zum Beispiel fragen würde: Würdest du diese Kraft auch dann Jahwe zuschreiben, wenn du zum Beispiel Hindu oder Muslim wärst?” Oder auch: Woran machst du fest, dass diese Kraft keinesfalls von dir selbst oder von anderen Göttern stammen kann?”

Aufschlussreich sind stets auch Fragen wie: Woran könnte ein Hindu erkennen, dass er seine Kraft nicht von Vishnu, sondern von Jahwe erhalten hat?”

Einer der aus meiner Sicht wahrscheinlichsten Gründe, warum Christen über solche Fragen lieber nicht mal in aller Bescheidenheit Auskunft geben, ist die hin und wieder zart durchschimmernde Ahnung von der Absurdität eines bei Licht betrachteten religiösen Glaubens.

Abgesehen davon halte ich die Vorstellung, der allmächtige Schöpfer himself gebe bestimmten Vertretern seiner bevorzugten Trockennasenaffenart Kraft oder Entscheidungshilfen, keineswegs für ein Zeichen besonderer Bescheidenheit. Sondern vielmehr von maßlos arroganter Einbildung und Selbstüberschätzung.

Unsere Mission: Mission

Ganz so einfach ist es mit der „qualifizierten Minderheit”, die sich vornehm zurückhält dann allerdings doch nicht.

Da ist zum einen der so genannte „Missionsbefehl”, mit dem Jesus seine Nachfolger zur Verbreitung seiner Lehre beauftragt haben soll:

- Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. (Mt 28, 19-20 EU)

Nur ein paar (sehr wahrscheinlich später hinzugefügte) Worte in einer biblischen Legende – die aber schon für unvorstellbar viel Leid in der Welt gesorgt haben.

Zum anderen müssten Christen eigentlich praktisch nichts anderes tun, als Tag und Nacht zu versuchen, andere Menschen davon zu überzeugen, sich ihrem Gott (an dem er selbst ja auch einen Ein-Drittel-Anteil hält) unterzuordnen. Denn:

- Jesus sagte zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich. (Joh 14,6 EU)

Und:

- Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verurteilt werden. (Mk 16,16 EU)

Wer das tatsächlich glaubt und wer seinen Nächsten tatsächlich so liebt wie sich selbst, der dürfte folglich nichts unversucht lassen, um Un- und Andersgläubige zu bekehren. Aus reiner Nächstenliebe. So gesehen könnte mein Engagement für Aufklärung und rationales Denken als Akt der Nächstenliebe bezeichnen.

Glaube verkünden? Oder lieber doch nicht?

Wer also überzeugt ist, dass der einzige Weg zu einem glücklichen (Nach-)Leben der Weg mit seinem Gott ist, müsste diesen bei jeder Gelegenheit verkünden.

Das sind so die Probleme, die der Glaube an einen eifersüchtigen Monogott bei Licht betrachtet so mit sich bringen. In Anbetracht der rasant fallenden Mitgliederentwicklung lässt sich ein solcher Standpunkt heute kaum noch vertreten, ohne als religiös-fundamentalistischer Spinner angesehen zu werden.

Da stapelt man lieber tief und begnügt sich mit dem Minderheitenstatus. Was zwar auf den noch gläubigen Bevölkerungsanteil immer mehr zutrifft, auf den Einfluss des Milliardenkonzerns Kirche allerdings nicht. Im Gegenteil. Das Geschäft läuft besser denn je.

Es reicht in meinen Augen, wenn sie das, was sie glauben, ernst nehmen und im Alltag leben.

Sie wissen ja in der Regel gar nicht, was sie überhaupt glauben! Ich weiß aus ungezählten Gesprächen mit Gläubigen, dass sie sich in ihren Glaubensgewissheiten meist schon innerhalb weniger Gesprächsminuten heillos verstricken.

Denn sie wissen nicht, was sie glauben…

Und dass erstaunlich viele Christen erstaunlich wenig darüber wissen, was so alles in der Bibel steht. Oder was in ihrer Glaubenslehre eigentlich so alles geglaubt werden müsste. Schon beim Glaubensbekenntnis, das ja sowas wie der kleinste gemeinsame Nenner” sein sollte, steigen nicht wenige Gläubige früher oder später aus. Zu absurd die Dogmen, zu fern jeglicher Realität.

Allerdings habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass sich die Weltsicht und Wertevorstellung von vielen Gläubigen heute kaum noch von einer humanistisch-rational-säkularen Einstellung unterscheidet. Nur dass da halt noch ein Gott vorkommt, der aber eigentlich keine Aufgabe mehr hat. Irrtümlicherweise meinen viele Gläubige, die christliche Prägung sei die Grundlage dieser Einstellung.

Denn nach wie vor hält sich die Legende von der christlichen Moral noch in den Köpfen von erstaunlich vielen Leuten. Selbst in den Köpfen von Leuten, die mit Kirche oder Glaube gar nichts oder nichts mehr am Hut haben.

Vereinnahmung von Werten

Grund dafür dürfte sein, dass vielen Menschen einfach nicht bekannt oder bewusst ist, dass es eben nicht die christlichen Werte sind, denen sie ihren Frieden und ihre Freiheit zu verdanken haben. Denn diese Werte, die das Christentum früher bis aufs Blut bekämpft hatte,  hatte es nach seiner Entmachtung geschickt gekapert und sich auf ihre eigenen Fahnen gestickt.

So würde es mich nicht wundern, wenn sich etwa die katholische Kirche in ein paar Jahren (ok, Jahrzehnten oder Jahrhunderten) damit brüstet, zum Beispiel Vorreiter in Sachen gleichgeschlechtliche Partnerschaft gewesen zu sein. Oder – haha – Demokratie.

Ich sehe eine junge Generation von Christen heranwachsen, die genau das versucht. Frei von allem Machtkalkül und von aufsässigen Missionsabsichten leben sie ihren Glauben bescheiden in der Öffentlichkeit.

Viel mehr bleibt ihnen auch nicht übrig. Besonders dann, wenn sich andere Leute erfrechen, diesen Glauben kritisch zu hinterfragen.

Zum Beispiel: wenn jemand ein schönes Erlebnis bei Facebook postet und dann ganz dezent den Hashtag „Dank Gott” hinzufügt.

Weit weniger dezent fallen dann meistens die Reaktionen aus, wenn man hier nachfragt, welcher der vielen tausend Götter denn gemeint ist. Warum man einem Gott, zu dessen Allmachtsplan offensichtlich unvorstellbares Leid gehört, auch noch dankbar sein sollte.

Oder wenn man dezent darauf hinweist, dass es sowieso völlig widersinnig ist, einem allmächtigen allwissenden Wesen überhaupt zu danken oder es um etwas zu bitten.

Geleitet von christlichen Werten

[…] Oder wenn ein Politiker sich erkennbar von christlichen Werten leiten lässt, ohne darüber viele Worte zu verlieren.

Ein Herr Trump ist zweifellos felsenfest davon überzeugt, dass er sich von christlichen Werten leiten lässt. Auch ein Herr Orbán hält sich für den Retter des christlichen Abendlandes.”

Die „christliche Prägung” kann ein Segen für unser Land und all seine Menschen sein, wenn sie nicht missbraucht wird, sondern das bleibt, was sie dem Namen nach ist: die Haltung eines Menschen, der sein Leben schlicht und einfach von Jesus Christus prägen lässt. – In diesem Sinne: einen gesegneten Weißen Sonntag!

Eine christliche Prägung kann in einer offenen und freien Gesellschaft toleriert werden, solange die so Geprägten nicht die Werte und Gesetze dieser Gesellschaft verletzen. Welche Götter wer verehrt, spielt dann keine Rolle und fällt unter persönliche Gedankenfreiheit. Eine der Voraussetzungen für diese Freiheit ist staatliche Neutralität.

Für moderne ethische und rechtliche Standards ist eine christliche Prägung nicht nur entbehrlich, sondern in vielerlei Hinsicht sogar hinderlich. Denn mit dem Wort Gottes” kann man genauso Schwerter zu Pflugscharen!, als auch Pflugscharen zu Schwertern! fordern.

Unsere heutigen Werte basieren nicht mehr auf christlicher Göttermythologie aus der Bronzezeit und aus dem Vormittelalter. Sondern auf der Würde und Freiheit des Menschen.

Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag zum Thema christliche Prägung.

Alle zitierten Online-Quellen waren am 8.4.2018 abgerufen worden.

Answers Without Questions (AWQ) ist eine private Webseite zu Aufklärung, Atheismus, Glaubens-, Kirchen- und Religionskritik, Säkularismus und Humanismus.

Der Autor und Betreiber der Webseite sieht sich als Vertreter des evolutionären Humanismus. Er setzt sich für eine offene und freie Gesellschaft ein, in der selbstverständlich auch Religionen ihren Platz haben können, wenn sie nicht die Grundsätze und Gesetze dieser Gesellschaft verletzen.

Hier geht's zum Originalartikel...

Kommentare

  1. userpic
    foramentor

    Das Christentum hat zwar den Jüdischen Glauben als Ausgangsbasis, hat sich aber davon nicht abgespaltet, was für die Bezeichnung als Sekte bedingend wäre, sondern auf eigenständigem Weg mit Jesus Christus als Religionsstifter entwickelt.

    Der Terminus "Weltuntergangssekte" ist pejorativ und unreflektiert gesetzt. Wenn Jesus Christus angekündigt hat, er werde dereinst wieder in körperlicher Person zu uns kommen, ist dies nun wirklich nicht mit einem Weltuntergang gleichzusetzen. Ausserdem ist "Weltuntergang" ein höchst unscharf umrissener und kaum definierter Begriff. Was umfasst die Welt? Bloss die Erde, unser Sonnensystem, den materiellen Kosmos oder ebenfalls die (nach christlichem Glauben existierende) spirituelle Welt?

    Fundamentalismus ist eine häufig den Gläubigen angelastete Unart. Umso verwunderlicher ist es immer wieder, wie fundamental der christliche Glaube und die Bibel gerade von Nichtgläubigen ausgelegt wird. Wenn Christen handkehrum ihren Glauben unfundamentalistisch der heutigen Zeit, den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen im Sinne der Aufklärung anpassen, also ihre biblisch-christliche Grundlage wirklich kritisch differenzieren, dann wissen sie einfach nicht, was sie glauben oder (als noch respektlosere Aussage) sie machen ihren Gott überflüssig. - Aber immerhin können Sie dann eher auf Toleranz ohne Verständnis hoffen... Oder andersrum: Ihr habt keine Chance, nutzt sie!

    Die Worte, dass "unsere heutigen Werte auf der Würde und Freiheit des Menschen basieren", klingen zwar romantisch, entpuppen sich beim Blick in das gegenwärtige Weltgeschehen aber vielmehr als Scheuklappen.

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    1. userpic
      Klaus Steiner

      Hallo Foramentor,

      Ihr Zitat: „Fundamentalismus ist eine häufig den Gläubigen angelastete Unart. Umso verwunderlicher ist es immer wieder, wie fundamental der christliche Glaube und die Bibel gerade von Nichtgläubigen ausgelegt wird.“

      Wenn Sie Atheisten fundamentalistisches Vorgehen vorhalten, geht Ihre Fundamentalismus-Definition am Ziel vorbei.

      Hans G. Kippenberg vertritt folgende Fundamentalismus-Definition: Fundamentalismus bezieht sich auf ein spezielles Muster religiöser Militanz, mittels dessen selbsternannte „wahre Gläubige“ versuchen, die Erosion religiöser Identität aufzuhalten, die Grenzen rund um die religiöser Gemeinschaft zu sichern und lebensfähige Alternativen zu säkularen Institutionen und Handlungen zu schaffen. … Nur ist ihre Militanz nicht zwingend kriegerisch (Quelle: Gewalt als Gottesdienst: Religionskriege iim Zeitalter der Globalisierung, Hans G. Kippenberg, S. 80).

      Wer sich als Atheist (oder Christ) „einfach“ auf Gewaltverherrlichende Inhalte der Bibel stützt, ohne deren Kontext zu betrachten, geht demnach nicht fundamentalistisch vor, sondern verkennt die historisch-kritischen Methode. Dabei spielen die Rekonstruktionen der vermuteten Vor- und Entstehungsgeschichte des Textes und seine Einbindung in das damalige Geschehen eine besondere Rolle (Quelle: Historisch-kritische Methode, Wikipedia).

      Ihr Zitat: „Wenn Christen handkehrum ihren Glauben unfundamentalistisch der heutigen Zeit, den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen im Sinne der Aufklärung anpassen, also ihre biblisch-christliche Grundlage wirklich kritisch differenzieren, dann wissen sie einfach nicht, was sie glauben oder (als noch respektlosere Aussage) sie machen ihren Gott überflüssig.“

      Mit dieser Aussage unterstellen Sie „diesen Christen“, dass ihnen Wissen fehlen würden, was Sie angeblich besitzen würden.

      Dazu ein kleiner Auszug aus dem Buch „Nein und Amen“ von Uta Ranke-Heinemann (S. 94) als Denkanstoss:

      Am gefährlichsten sind die Menschen in ihrer fanatischen Hingabe an ein falsches Credo, in ihrem Fanatismus. Man spricht in diesem Zusammenhang von „religiösem Fanatismus“. Das ist jedoch eine Tautologie, d. h., das Gleiche wird in überflüssiger Weise zweigmal gesagt - wie beim „weißen Schimmel“ oder „runden Kreis“. Gemäß seiner Sprachwurzel ist nämlich jeder Fanatismus religiös. Fanatismus kommt vom Wort fanum = das Heilige, der Tempel. Alles, was außerhalb des Heiligen liegt, ist das Profane. Fanatismus ist der Kampf für das Heilige, es ist die Geisteskrankheit der Frommen. In ihrem blinden Eifer für das höchste Gut, nämlich für Gott, übersehen sie die ihnen wie allen Menschen von Gott ins Herz einprogrammierte goldenen Verhaltensregel, die da lautet: Menschlichkeit und Barmherzigkeit.

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      1. userpic
        foramentor

        Lieber Herr Steiner

        Ja, danke für den korrekten Hinweis. Fundamantalismus würde ich demnach ersetzen mit "wörtlich" oder "buchstabengetreu" resp. in Ihrem Sinne mit historisch-unkritisch.

        Meine von Ihnen zitierte Passage bezieht sich auf den Titel "Denn sie wissen nicht, was sie glauben..." im Artikel; meine Formulierung "dann wissen sie einfach nicht, was sie glauben" möchte als ironische Entgegnung aufgefasst werden.
        Nach meiner Beobachtung haben Gläubige, welche ihre biblisch-christliche Grundlage differenzieren, meistens profundes Wissen über ihren Glauben und haben weder eine fundamentalistische noch fanatische Gesinnung.

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