Der Glaube an Gott ist irrational

Warum wird er als solcher angesehen?

Der Glaube an Gott ist irrational

Foto: Pixabay.com / PIRO4D

Rational sein bedeutet, bei der Lösung eines Problems stets die Alternative zu wählen, die das Problem am besten löst, unter Berücksichtigung nicht nur aller Alternativen, sondern auch deren Konsequenzen. Ein Problem ist die Differenz zwischen einem SOLL- und einem IST-Zustand. Das erfordert logische Konsistenz, daher Kenntnis der Logik, es erfordert, kreativ zu sein — keine Vernunft ohne Kreativität! — es erfordert auch die Berücksichtigung aller relevanten Fakten. Das bezeichnen wir als rational, oder synonym vernünftig. Man kann das ausführlicher erklären, aber für diese Antwort muss das reichen.

Der Gegensatz dazu ist irrational oder unvernünftig oder beliebig.

Glauben im religiösen Kontext wird meist vollkommen anders gebraucht als im alltäglichen Leben, der Philosophie oder der Wissenschaft. Glauben kann dort vermuten, meinem, denken, erwarten, hoffen, wünschen, vertrauen etc. bedeuten, aber im Zusammenhang mit der Religion meint man damit:

Eine Vermutung, gekoppelt an eine extrem starke Überzeugung, für die es keine ausreichenden Beweise gibt. Inhaltlich entspricht die Vermutung dem Hoffen und Wünschen der Menschen, d. h., die Basis sind nicht rationale Überlegungen, sondern emotionale Zustände. Man tut also so, als ob man wüsste, aber Wissen ist an angemessen starke Gründe, Argumente, Beweise und Evidenzen gekoppelt. Im religiösen Glauben handelt es sich um ein Missverhältnis zwischen einer starken Überzeugung und den Gründen, diese für wahr zu halten.

Man kann und muss das daher so formulieren:

Religiöser Glauben = vorgeben, etwas zu wissen, was man nicht weiß.

Rational sein hieße, Zweifel zuzulassen, und denen den Vorrang zu geben, vor allem, wenn Wünsche und Hoffnungen dahinterstecken. Vernunft ließe einen sagen: „Ich weiß es nicht“. Damit könnte eine Überzeugung aber nur sehr, sehr schwach sein. Zu schwach, um beispielsweise sein Leben danach einzurichten und so zu tun, als ob es wahr wäre.

Damit ist der religiöse Glauben bereits irrational. „Irrationaler Glauben“ ist ein Pleonasmus, ein weißer Schimmel (Pferd), doppelt gemoppelt.

Es hat viele Versuche gegeben, religiösen Glauben und die Vernunft zu versöhnen. So gibt es einige, die meinen, dass sich das ergänzt. Aber Wissen und Unwissenheit ergänzen sich nicht, schwache und angemessene Überzeugung ergänzt sich nicht mit übergroßer unangemessener Sicherheit der Überzeugung, das alles steht in einem logischen Widerspruch zueinander. Es ist, als ob man sagen würde, dass sich Hunger und Essen ergänzen, oder Liebe und Hass, oder dass die Intelligenz der Dummheit als eine Ergänzung bedarf.

Ein zweiter Versuch besteht darin, den religiösen Glauben logisch zu fundieren. Dazu benutzt man eine Weltanschauung, die man als reinen Rationalismus bezeichnet. Das ist ein totes Pferd, und die, die es reiten, meinen oft, dass sie auf einem hohen Ross sitzen. Es gibt vier Einwände gegen diese Sicht, die moderne Apologeten wie Dr. William Lane Craig vertreten, die ich mit vier Namen assoziiere:

1. Alexander von Humboldt: Was taugt schon eine Weltanschauung, die sich die Welt nicht einmal anschaut? Das war gegen Hegel gemünzt, der meinte, dass man die Welt erklären und erkennen kann, vom bequemen Lehnstuhl aus und nur durch Nachdenken. Dazu werden oft die Intuition und die Anschauung genutzt, und genau hier hat die Physik u. a. zu einer unbeachteten Revolution geführt: Kann man eine Erklärung intuitiv und anschaulich verstehen, dann ist sie mit großer Sicherheit falsch.

2. Edward de Bono: Er sagte einmal, dass ein Beweis nichts beweist außer einem Mangel an Fantasie beim Ersinnen alternativer Hypothesen. Im reinen Rationalismus basiert alles auf dem Begründungsdenken, PSR (= principle of sufficient reason), aber mit reiner Logik kann man nichts beweisen — außer eben einen Mangel an Kreativität.

3. Kurt Gödel: Er entdeckte und vertrat, dass man mit reiner Logik jede beliebige Schlussfolgerung im Rahmen eines logischen Systems beweisen kann, und wenn nicht, dann beweist dies nur einen Mangel an Fantasie beim Erfinden der zum Beweis passenden Prämissen (Voraussetzungen). Das ist der Grund, warum er einen Gottesbeweis erfand — er wollte zeigen, dass man alles beweisen könne in reiner Logik, auch so einen Unsinn wie Gott. Mit demselben Beweis kann man auch die Existenz eines maximal negativen Wesens „beweisen“.

4. Hans Albert: Albert versetzte dem reinen Rationalismus den endgültigen Todesstoß mit dem Münchhausen-Trilemma. Das Begründungsdenken, die Basis des reinen Rationalismus, lässt sich nicht durchführen und führt immer zu Problemen, die sich im Rahmen des reinen Rationalismus nicht lösen lassen.

Logische Spielereien

Wenn man sich die Gottesbeweise ansieht, dann sind die meisten nichts weiter als logische Spielereien wie die von Gödel, die eigentlich nur beweisen, dass man über Alternativen nicht nachgedacht hat.

Beispiel — Kalams kosmologisches Argument:

1. Alles, was zu beginnen existiert, hat eine Ursache.

2. Das Universum begann zu existieren.

3. Folglich hat das Universum eine Ursache, die wir Gott nennen.

Ich will jetzt nicht darauf hinaus, dass die erste und die zweite Prämisse beide falsch sind, aber wenn wir das Argument so akzeptieren, wie es ist, Prämissen und Logik — dann beweist es alles Mögliche, nur keinen Gott! Es beweist nichts weiter, als dass sich der reine Rationalist weigert, über Alternativen nachzudenken. Wenn ich mit Dr. Craig eine Debatte führen würde, könnte ich das so ausnutzen:

OK, ich akzeptiere den Beweis. Das Universum hat eine erste Ursache, und das beweist, dass das Multiversum existiert, das ist die erste Ursache für das Universum. Woraufhin Craig einwenden wird, dass das Multiversum keine wissenschaftliche Theorie ist, sie ist nicht falsifizierbar und nicht beobachtbar. Aha, so wie Gott, der auch nicht falsifizierbar oder beobachtbar ist? Wenn das ein Argument gegen das Multiversum ist, dann ist das Argument gescheitert, auch für Gott. Wenn es kein Argument gegen Gott ist, ist es auch ein Argument für das Multiversum. Nur, weil der Rationalist über die möglichen Alternativen nicht nachgedacht hat, muss ich dem ja nicht folgen. Denn ich kann noch viel mehr Alternativen konstruieren: Die erste Ursache ist ein primordiales Quantenfeld, oder der Hartle-Hawking-Effekt, oder ein Quantentunneleffekt, der zu einem Zwillingsuniversum führt, oder ein schwarzes Loch à la Smolin, oder ein zyklisches Universum à la Penrose, oder ein Multiversum à la Superstringtheorie, oder Effekt der Quanten-Schleifen-Gravitation, oder ein Zusammenbruch der Wellenfunktion der Quantenphysik, und das alles sind Alternativem, die von Kosmologen ernsthaft diskutiert werden! Jeder Einwand dagegen zerstört das ursprüngliche Argument.

Wie sagte Dan Barker doch? Gib einem Theisten genug Seil, und er wird sich aufhängen. Ich kann die Zerstörung der Argumente also dem Theisten selbst überlassen. Das funktioniert immer, weil man im reinen Rationalismus alles und sein Gegenteil beweisen kann.

Daher rettet der reine Rationalismus, trotz seines Namens, den religiösen Glauben nicht vor dem Vorwurf der Irrationalität.

Ein dritter Versuch besteht darin, das Gegenteil der Irrationalität zu überführen. Das ist aber noch nie gelungen, weil die Gegenposition, der Atheismus, sich verteidigen lässt, ohne sich auf Argumente überhaupt einzulassen, und weil der Atheismus keine eigenen Behauptungen aufstellen und verteidigen muss. Es kann das zwar, sogar sehr gut, aber er muss es nicht einmal. Man kann als Atheist seelenruhig zusehen, wie die Argumente für Gott zerplatzen wie die Seifenblasen, indem man einfach mögliche Alternativen benennt.

Der vierte Versuch, religiöse Glaubenssätze als Basissätze zu betrachten, die keiner weiteren Rechtfertigung mehr bedürfen — genau das Gegenteil des reinen Rationalismus — scheitert auch daran, dass man nichts hat als den reinen Rationalismus, um das zu begründen. Man braucht also den reinen Rationalismus, um das zu begründen, um ihn dann zu verwerfen, sobald er seinen Dienst geleistet hat — das nennt man den Denkfehler des gestohlenen Konzepts, ein zentraler Denkfehler für alle Theologie. Irgendwann muss der Theismus seine eigenen Methoden verwerfen, weil sie plötzlich gegen ihn gekehrt werden können, wie im Beispiel mit dem Kalam-Argument.

Der fünfte Versuch, den Atheismus und die Atheisten moralisch anzugreifen, ist purer und sehr entlarvender Irrationalismus der eher bösartigen Sorte. Man muss dazu seine eigenen moralischen Grundsätze, so man überhaupt welche hat, aufgeben. Tatsächlich ist das für viele Theisten der einzige Weg, der ihnen noch bleibt, und viele gehen diesen Weg auch nach einiger Zeit. Das ist dann der reine Irrationalismus. Damit kann man den religiösen Glauben erst recht nicht gegen den Vorwurf der Irrationalität beschützen, im Gegenteil, man beweist damit, dass der Atheist in zwei Dingen gegenüber den Gläubigen recht behält:

1. Die überlegene Moral der Gläubigen ist bloßes irrationales Geschwätz ohne jeden Wert.

2. Wenn die Vernunft des Theisten endet, beginnt bei ihm die Gewalt, und sei es auch nur rein verbal. Damit braucht man keine weiteren Beweise dafür, dass der Glauben rein irrational ist, und der Theist liefert diese Beweise frei Haus (und nervt dabei auch noch gewaltig).

Volker Dittmars Webseite: Religionskritik: Leben, Glauben, Religion, Gott...

Hier geht's zum Originalartikel...

Kommentare

  1. userpic
    Jörn Dyck

    Besten Dank für den guten und interessanten Überblick!

    Ich würde noch einen Aspekt hinzufügen. Zu den verschiedenen Versuchen für eine möglichst treffende Begründung gesellt sich womöglich auch der gute alte Betrug. Vielleicht ist es gar nicht immer das Ziel, eine möglichst treffende Begründung zu geben.

    Das würde erklären, warum sehr viele Begründungen nichts weiter sind als dumme Ausreden. Auch die hartnäckige Nennung von seit Jahrhunderten aufgedeckten Fehlschlüssen, das ständige Umdefinieren und das absichtliche Missverstehen von Begriffen gehört dazu.

    Der persönliche Rausch, zum ersten Mal eine Gemeinde zu segnen, ist vielleicht nicht zu unterschätzen. Anfangs mag ein junger Priester noch unsicher sein, ob seine Handlungen wirklich so heilig sind. Aber wenn die Gemeinde fest daran glaubt, wird er vielleicht auch selber daran glauben. Zu angenehm ist der tiefe Respekt, den Gläubige ihren Priestern entgegenbringen. Ein Bischof, dem selbst vom Bürgermeister die Hand geküsst wird, wird vielleicht kein allzu großes Interesse daran haben, seine eigene Herrlichkeit zu überprüfen.

    Wahnhafte Gedanken können sich nicht nur beziehen auf einen Märchenonkel im Himmel — sondern auch auf die eigene Person. Es wäre durchaus möglich, dass das Priesteramt besonders attraktiv wirkt auf Menschen, die diesbezüglich eine charakterliche Disposition haben.

    Bei Wünschelrutengängern würden wir nicht eine aufwändige theoretische Argumentation bemühen. Sondern wir würden ihnen kurz demonstrieren, dass ihre behaupteten Fähigkeiten nicht vorhanden sind. Wenn sie es danach immer noch behaupten, sind sie entweder verrückt oder Scharlatane. Wir würden mit den Schultern zucken und nicht weiter beachten, was sie sagen.

    Antworten

    Neuer Kommentar

    (Mögliche Formatierungen**dies** für fett; _dies_ für kursiv und [dies](http://de.richarddawkins.net) für einen Link)

    Ich möchte bei Antworten zu meinen Kommentaren benachrichtigt werden.

    * Eingabe erforderlich