Eine liberale Betrachtung
Erneut ist eine Kontroverse um die so genannten NGOs (Nichtregierungsorganisation bzw. Non-governmental organization) entbrannt: Die Unionsfraktion möchte durch eine umfangreiche kleine Anfrage im Bundestag Licht ins Dunkel der staatlichen Förderung für diese Organisationen bringen.[1] Auf die Antworten bin ich als Bürger und Steuerzahler gespannt. Transparenz scheint bei diesem Thema in der Politik traditionell unerwünscht zu sein: Niemand scheint genau zu wissen, welche Gelder an wen fließen - und warum eigentlich. Dies gilt für die nationale und die europäische Ebene gleichermaßen. [2]
Unabhängig von tagespolitischer Aufgeregtheit und medienwirksamen Beispielen wie den Omas gegen Rechts oder der Amadeu Antonio Stiftung möchte ich das Thema auf Wunsch meiner Lieblingsleserin aus dem Umfeld der Allgäuer Landeibewegung ganz grundsätzlich aus klassisch liberaler Perspektive beleuchten.
Liberale Skepsis
Was uns sofort stutzig machen sollte ist die Tatsache, dass Regierungsgelder - und das sind immer Steuergelder, also das Geld der Bürger - an Nichtregierungsorganisationen fließen. Wer weiß, wie Regierungen im Universal- bzw. Wohlfahrtsstaat funktionieren, denkt dabei sofort weniger an hehre Motive denn an Stimmenkauf bzw. Wählerbeeinflussung: [3]
Wenn ich als Bürger mit meinem Geld eine bestimmte NGO X unterstützen möchte, warum brauche ich den Staat dazu? Ich kann es doch direkt an X überweisen.
Wenn ich NGO X nicht unterstützen möchte: Warum darf der Staat mein Geld über meinen Kopf hinweg und gegen meine Interessen und Prioritäten an X überweisen? [4]
Im Folgenden zeige ich, dass diese spontane liberale Skepsis sehr gut begründet werden kann: Staatlich finanzierte NGOs sind ein normativer Fremdkörper in der Offenen Gesellschaft bzw. im liberalen Staat; sie widersprechen deren Geist und ihrer normativen Funktion.
Offene Gesellschaft: Unverzichtbar für Freiheit und Machtkontrolle
Die allermeisten Leser unseres Blogs dürften mit dem liberalen Begriff der Offenen Gesellschaft vertraut sein, deshalb konzentriere ich mich auf die für meine Argumentation wesentlichen Aspekte. Grundsätzlich gilt, dass die Offene Gesellschaft nicht durch den Staat, seine Beamten und seine Institutionen, sondern durch die Bürger, deren Eigeninitiative, Anliegen, Prioritäten und Möglichkeiten gestaltet wird. Für diese Dynamik stellt der liberale Staat den Ordnungsrahmen zur Verfügung, greift inhaltlich aber nicht ein.
- Die Offene Gesellschaft bietet gerade durch ihre Dynamik und kontroverse Uneinheitlichkeit eine Vielfalt an Anregungen und Möglichkeiten zur Gestaltung des Lebens nach der eigenen Fasson: Es gibt zahlreiche motivierende und abschreckende Beispiele für Lebensentwürfe, man kann vieles Ausprobieren, sich mit anderen zusammentun und wieder trennen, viele Wege gehen, neue Wege sogar selbst anlegen.
- Der Verbund der liberalen Individual- und Eigentumsrechte bietet dafür den leider nötigen Schutz gegen andere Bürger - Stichwort moralische/religiöse Empörung - und den Staat - Stichwort Zensur für pflegeleichte Bürger! Diese Rechte stellen auf politischer Ebene sicher, dass niemand seinen Lebensentwurf auf Kosten anderer Bürger verfolgt und auch unpopuläre Lebensentwürfe gelebt werden dürfen.
- Die Offene Gesellschaft ist somit ein unverzichtbarer Ausbildungsplatz und eine Art gesellschaftliches Entwicklungslabor für die Bürger. Tugenden wie Eigenverantwortlichkeit, Zivilcourage, Initiative, Solidarität, Risikobereitschaft und Selbständigkeit fallen nicht vom Himmel - sie müssen geübt und eingeübt werden. Deshalb sind klassische Genossenschaften, Gewerkschaften, Unternehmen, Feuerwehren, Vereine … die eigentlichen Stützpfeiler der sogenannten Zivilgesellschaft. Sie sind die unverzichtbaren NGOs.
- Die Offene Gesellschaft ist im liberalen Verständnis ein extrem wichtiges Gegengewicht zum Staat und dessen enormer Machtfülle - Stichwort Gewaltmonopol. Wir brauchen sie, ihr Potential und ihre „subversive“ Energie als Schutz und Bollwerk der Bürger gegen staatliche Macht und deren Missbrauch! [5]
Staatsfinanzierung von NGOs: Schwächung der Offenen Gesellschaft!
Die staatliche Finanzierung von NGOs passt schlicht und einfach nicht zum Konzept der Offenen Gesellschaft, gefährdet diese sogar:
- Die zwangsläufig selektive Finanzierung verzerrt die Dynamik der offenen Gesellschaft. Der Staat wirkt über seine aktive Förderpolitik als Zensor; er teilt die Anliegen der Bürger in förderungswürdig bzw. nicht förderungswürdig ein. Dadurch schafft er im Grunde Bürger erster und zweiter Klasse: Manche von uns haben aus Staatssicht offensichtlich wichtigere Anliegen als andere. Anders ausgedrückt: Hier liegt ein klarer Verstoß gegen das Neutralitätsgebot für den Staat vor.
- Die staatliche Finanzierung von NGOs stellt außerdem einen schwerwiegenden Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürger dar: Den Bürgern werden Mittel weggenommen, die sie höchstwahrscheinlich für andere, ihnen wichtigere Zwecke eingesetzt hätten. Konkret: Jeder Steuer-Euro für eine NGO bedeutet einen Euro weniger für mich, um mein Leben nach meiner Fasson zu gestalten.
- Es wäre naiv, den Aspekt der Machtausweitung zu ignorieren: Natürlich fördern Staat und Parteien mit hoher Wahrscheinlichkeit Projekte und gesellschaftliche Strömungen, die ihre Macht und ihren Einfluss stärken und ausweiten. Der irreführende Titel NGO ist dabei eine gute Tarnung. Um diese konkrete Gefahr weiß auch der Volksmund: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing! Und hat man erst einmal eine „NGO-Finanzierungsunkultur“, dann bleibt die vermutlich erhalten, falls Parteien an die Macht kommen sollten, die man da nicht sehen möchte …
- Das Finanzierungssystem für NGOs entzieht sich weitgehend der Kontrolle durch Bürger, Parlamente und Rechnungshöfe: Es gibt Geld für NGOs mit diffusen, banalen oder unklaren Zielen wie Kampf gegen Rechts. Wer prüft dabei mit welcher Methode die Zielerreichung bzw. den Erfolg der Förderung? Der Staat hat die Pflicht, mit den ihm anvertrauten Geld der Bürger sorgfältig und zielorientiert umzugehen - die aktuelle Finanzierungspraxis verhöhnt diese Selbstverständlichkeit.
Staatsfinanzierung von NGOs: Es funktioniert nicht!
Neben diesen normativen Argumenten - Staatsfinanzierung der NGOs ist ungerecht - gibt es eine beachtliche Menge an pragmatischen Überlegungen: Staatsfinanzierung der NGOs funktioniert nicht im beabsichtigten Sinn!
- Ein wichtiger und leider oft übersehener Punkt ist der Abbau von Eigeninitiative und Eigenverantwortung und die Verstärkung der Unselbständigkeit der Bürger durch staatliche Finanzierung und Einmischung. Man muss keine Initiative und Kreativität mehr entwickeln, um das Geld für eine Sache aufzutreiben, die einem wichtig ist: Man zapft einfach die gut gefüllten Fördertöpfe des Staates an. Ein Beispiel macht diese Tendenz deutlich: Wir hatten einmal starke und pragmatisch agierende Gewerkschaften in der BRD. Seit diese viele ihrer Anliegen nicht mehr am Tisch mit den Arbeitgebern verhandeln müssen, sondern erfolgreich in die Wahllokale und an die Politik delegiert haben, schrumpfen Mitgliederzahlen und Einfluss. Konkret: Eine wichtige Säule der Offenen Gesellschaft wurde spürbar durch Ausweitung staatlichen Einflusses auf ihre Anliegen und Interessen geschwächt. [6]
- Das werden jetzt einige Leser nicht gerne hören: Futtertröge, die vom Staat gefüllt werden, ziehen erfahrungsgemäß die üblichen Subventionsjäger, parteipolitischen Versorgungsfälle, ideologisch motivierten Gschaftlhuber, Maulhelden und Besserwisser an: Sind wichtige Anliegen bei denen wirklich gut aufgehoben?
- Damit einher geht wie zu erwarten eine fatale Tendenz zur Institutionalisierung der NGOs. Zum einen gibt es die konkrete Gefahr, dass der (sowieso ständig sich verzettelnde und überlastete) Universalstaat wichtige Kompetenzen an NGOs überträgt. Zum anderen haben NGOs wie jede Organisation Überlebens- und Wachstumstrieb. Wer ihre Finanzierung stoppen möchte, „gefährdet wichtige Arbeitsplätze“, den „wichtigen Kampf gegen XYZ“ und verliert vor allem Wählerstimmen. Also: Wehret den Anfängen!
- Gewinnen NGOs an Stärke und Einfluss, entziehen sie sich leicht und gerne rechtsstaatlicher Kontrolle und Jurisdiktion: Der Missbrauchsskandal der staatlich bestens subventionierten christlichen Kirchen ist ein so aussagekräftiges wie mahnendes Beispiel.
- Schließlich und endlich funktioniert die staatliche Finanzierung von Aufgaben, die eigentlich im Rahmen der Offenen Gesellschaft der Initiative, dem Einfallsreichtum und der Energie der Bürger überlassen werden sollten, ganz einfach nicht: Der Kampf gegen Rechts inklusive Dauerdemos, Dauerappellen und Dauerempörung aller möglichen NGOs ist offenbar kein Problem für die AfD: Die blüht und gedeiht anscheinend mit jedem staatlich subventionierten Kämpfer gegen Rechts ein kleines Stückchen mehr. [7] Gleiches konnte während und nach der Pandemie beobachtet werden: Staatlich finanzierte „Faktenchecker“ wie Correctiv hatten so gut wie keinen Einfluss auf die verhärteten Fronten unserer gesellschaftlichen Debattenunkultur. Das ist auch kein Wunder: Wer dem Staat bzw. der Regierung nicht traut, wird das auch einer regierungsfinanzierten NGO nicht tun. [8]
Mein liberales Fazit
Der skeptische Anfangsverdacht des Liberalen hat sich bestätigt. Die Finanzierung von NGOs mit Steuergeld durch die Regierung ist ungerecht und bringt nichts. Vermutlich schaden diese Organisationen dem gesellschaftlichen Miteinander sogar.
Zum Schluss noch eine Bitte in eigener Sache:
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Fußnoten
1. https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/ngo-neutralitaet-100.html
2. https://www.bild.de/politik/inland/einblick-in-ngo-schattenwirtschaft-antworten-auf-merz-fragen-schon-da-67c1bd088cb5a34a3d077235; https://www.eppgroup.eu/de/newsroom/eu-finanzierte-ngos-muessen-transparenter-werden
4. Diese Frage kennen wir natürlich: Sie kann und sollte mit gleicher Berechtigung zu Kirchen- und Parteienfinanzierung gestellt werden.
5. Es ist sehr schade und gefährlich, dass gerade dieser Gedanke den jüngeren Generationen anscheinend nie vermittelt wurde. In Diskussionen mit jungen Leuten stoße ich mit dieser Selbstverständlichkeit immer wieder auf blankes Unverständnis.
6. Auch die Frauenrechtlerinnen haben sehr erfolgreich für Ihre berechtigten Anliegen gekämpft - sehr lange ohne staatliche Subventionen.
7. Warum das so ist, erkläre ich in 6 Teilen hier im Blog: https://blog.projekt-philosophie.de/liberalismus/rechtspopulismus-eindaemmen-funktioniert-nicht-teil-1/
8. In Kapitel 13 finden Sie sinnvolle Vorschläge zum Thema: Andreas Edmüller und Judith Faessler: Verschwörungstheorien als Waffe. Wie man die Tricks der Verschwörungsgauner durchschaut und abwehrt. Dossier Verschwörungstheorie, Band 2. Remscheid, 2023.http://dossier-verschwoerungstheorie.de
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