Der ontologische Gottesbeweis

Schlussfolgerung aus dem bloßen Gedanken oder Begriff „Gott“ auf die Existenz Gottes.

Der ontologische Gottesbeweis

Der ontologische Gottesbeweis schlussfolgert aus dem bloßen Gedanken oder Begriff „Gott“ d. h. a priori, auf die Existenz Gottes. Anselm von Canterbury entwarf die erste und bekannteste Version des ontologischen Gottesbeweises:

(P1) Gott ist definiert als das vollkommenste Wesen, über das hinaus nichts Vollkommeneres gedacht werden kann.
(P2) Existenz ist eine vollkommenheitsfördernde Eigenschaft. D. h.: Wenn man zwei Wesen X und Y hat, die sich in allen Eigenschaften gleichen, abgesehen davon, dass X existiert und Y nicht, dann ist X vollkommener als Y.
(P3) Wenn Gott nicht existieren würde, könnte man sich vorstellen, dass er vollkommener wäre, als er ist (P2). Das steht im Widerspruch zu (P1).
(K) Also: Gott existiert.

Dieses Argument ging in die Annalen der Philosophiegeschichte ein. Es wurde u. a. von René Descartes und Kurt Gödel rezipiert und neu formuliert. Die Bezeichnung „ontologisch“ stammt von Immanuel Kant, der Anselms Beweis auch gleich einer vernichtenden Kritik unterzog.

Anselm von Canterbury

Der Erzbischof Anselm von Canterbury war davon überzeugt, dass sich die Existenz und die Eigenschaften Gottes nicht nur in den heiligen Schriften offenbaren, sondern auch durch die Vernunft beweisen lassen. Dieser Beweis findet sich in drei sehr kurzen Kapiteln seines Werkes Proslogion, von denen hier das erste vollständig wiedergegeben werden soll:

„Herr, der du dem Glauben die Einsicht verleihst, verleih mir also, daß ich, soweit du es für nützlich erachtest, verstehe, daß du bist, wie wir glauben, und das bist, was wir glauben! Und zwar glauben wir, daß du etwas bist, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Oder existiert etwa demnach ein solches Wesen nicht, weil der Tor in seinem Herzen sprach: Es existiert kein Gott? Aber gerade auch der Tor, wenn er eben das vernimmt, was ich aussage als etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, versteht gewiß das, was er vernimmt; und was er versteht, ist in seinem Verstande auch wenn er nicht versteht, daß es existiert. Denn es ist eines, daß etwas im Verstande ist, ein anderes, zu verstehen, daß etwas existiert. Wenn nämlich ein Maler zuvor denkt, was er zu schaffen beabsichtigt, hat er zwar im Verstande, versteht aber noch nicht, daß existiert, was er noch nicht geschaffen hat. Wenn er aber bereits gemalt hat, hat er sowohl im Verstande als er auch versteht, daß existiert, was er bereits geschaffen hat. Also sieht auch der Tor als erwiesen an, daß etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, zumindest im Verstande ist, weil er das, wenn er es vernimmt, versteht und weil alles, was verstanden wird, im Verstande ist. Und gewiß kann das, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, nicht allein im Verstande sein. Denn wenn es auch nur allein im Verstande ist, kann gedacht werden, daß es auch in Wirklichkeit existiert, was größer ist. Wenn also das, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, allein im Verstande ist, ist eben das, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, eines, über das hinaus Größeres gedacht werden kann. Das aber ist doch unmöglich der Fall. Es existiert also ohne Zweifel etwas, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, sowohl im Verstande als auch in Wirklichkeit.“
Anselm von Canterbury: Proslogion, S. 51 f.

Der erste Schritt in Anselms Argumentation ist die Definition Gottes als das, „über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann.“ Allerdings ist auf den ersten Blick nicht ganz klar, was hier mit „größer“ gemeint sein soll. Offensichtlich geht es nicht um körperliche Ausdehnung. Da es um eine Definition Gottes handelt, liegt es vielmehr nahe, das Anselm mit „größer“ „vollkommener“ meint. Seine Definition läuft daher auf Folgendes hinaus: Gott ist das Wesen, über das hinaus etwas noch Vollkommeneres nicht gedacht werden kann, das denkbar vollkommenste Wesen also. Warum ist das eine bemerkenswerte Definition? Nun, man hätte vermuten können, dass Anselm „Gott“ einfach als „das vollkommenste Wesen“ definiert. Offenbar hat er das sogar tatsächlich eine Zeit lang erwogen, und seine Nachfolger und Kritiker verwenden diese Formel sehr häufig. Aber er war klug genug zu sehen, dass dem Wesen, das de facto das vollkommenste Wesen in dieser Welt ist, durchaus einige Vollkommenheiten fehlen können. Wenn ich der intelligenteste Mensch auf der Welt wäre, wäre es immer noch möglich, dass es jemanden noch intelligenteren gibt. Wenn Jeff Bezos der reichste Mann der Welt ist, wäre es trotzdem logisch möglich, dass einer reicher ist als er. Wenn Anselm Gott einfach nur als das vollkommenste Wesen definiert hätte, könnte es immer noch sein, dass Gott vollkommener gedacht werden kann oder sogar sehr unvollkommen ist. Aus diesem Grund lautet die famosa descriptio: Gott ist das, über das hinaus Größeres nicht einmal gedacht werden kann.

Der nächste Schritt des Anselmschen Beweises besteht in dem Versuch zu zeigen, dass Gott zumindest im Verstand existiert. Dafür führt er folgendes Argument an: Selbst ein Tor versteht den Ausdruck „das, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann“, wenn er in seiner Gegenwart geäußert wird. Und wenn jemand einen Ausdruck versteht, existiert das von diesem Ausdruck bezeichnete zumindest im Verstand. Also gilt:

(P1) Das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, existiert im Verstande.

Anselms Hauptargument besteht nun in einer reductio ad absurdum:

(P2) Das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, existiert nur im Verstande und nicht in Wirklichkeit. (Annahme des Gegenteils).

Um aus dieser Aussage einen Widerspruch ableiten zu können, benötigt Anselm zwei weitere Prämissen:

(P3) Wenn etwas im Verstande existiert, kann gedacht werden, dass es auch in Wirklichkeit existiert.

(P4) Wenn etwas in Wirklichkeit existiert, ist es größer (vollkommener), als wenn es nur im Verstande existiert.

(P5) Das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, ist etwas, worüber hinaus Größeres gedacht werden kann [aus (P2), (P3) und (P4) durch zweimalige Anwendung des Modus ponens].

Dies ist der gesuchte Widerspruch. Da dieser Widerspruch aus (P2) bis (P4) folgt und Anselm annimmt, dass (P3) und (P4) wahr sind, muss die Annahme (P2) falsch sein. Aus der Falschheit von (P2) folgt die Wahrheit des Gegenteils (Satz vom ausgeschlossenen Dritten):

(K1) Das, über das hinaus nichts Größeres nicht gedacht werden kann, existiert nicht nur im Verstande, sondern auch in Wirklichkeit.

Die Conclusio (K1) ist Anselms ontologischer Gottesbeweis.

Kritik

Die meisten Menschen finden Anselms Gottesbeweis intuitiv wenig überzeugend, ohne explizieren zu können, was genau sie stört. Es ist, als habe Anselm unlauter argumentiert, das aber so subtil, dass es schwer fällt eine schlagende Kritik zu formulieren. Der ontologische Gottesbeweis kann deshalb auch als intellektuelle Herausforderung verstanden werden, an der man seinen Verstand testen und schärfen darf.

Im Zuge der Auseinandersetzung mit Anselms Gottesbeweis kann man zu der Erkenntnis gelangen, dass P3 nicht zwingend ist. Aus der Tatsache, dass ich einen Ausdruck F verstehe, folgt nicht, dass ich mir vorstellen kann, dass das, wofür F steht, auch in Wirklichkeit existiert. Schließlich verstehe ich die Ausdrücke „das runde Quadrat“ und „das Dreieck, in dem die Winkelsummen 190° beträgt“ ja auch, trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dass ein rundes Quadrat auch in Wirklichkeit existiert. Nur weil etwas in Anselms Worten „in meinem Verstand existiert“, muss keine Anschauungsform von ihm existieren. Der Ausdruck „Gott“ existiert auch in meinem Verstand, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Wesen sicher weiß, dass in Zukunft x passieren wird, also allwissend ist, und gleichzeitig verhindern kann, dass x in Zukunft passieren wird, also allmächtig ist (P3), ist also falsch. Gott oder viereckige Kreise existieren in unserem Verstand, wir können uns aber nicht vorstellen, dass es sie auch in Wirklichkeit existiert, weil wir uns keine paradoxen Dinge vorstellen können.

Gaunilo und die vollkommenste Insel

Schon der erste Schritt in Anselms Argumentation ist also alles andere als unproblematisch. Die zentrale Schwäche des Arguments liegt aber wohl in der Prämisse (4): „Wenn etwas in Wirklichkeit existiert, ist es größer (vollkommener), als wenn es nur im Verstand existiert.“ Denn diese Prämisse beruht auf zwei Voraussetzungen: 1. Existenz ist eine Eigenschaft, die ein Gegenstand haben oder nicht haben kann. 2. Wenn zwei Gegenstände a und b ansonsten dieselben Eigenschaften besitzen, b aber außerdem die Eigenschaft hat, zu existieren, während a diese Eigenschaft nicht zukommt, dann ist b vollkommener als a. Besonders die erste Voraussetzung ist von vielen, darunter insbesondere auch Kant, scharf kritisiert wurden.

Aber auch schon einem Zeitgenossen Anselms, dem Mönch Gaunilo von Marmoutiers, fiel auf, dass mit (P4) etwas nicht stimmt. Wenn Anselms Annahme korrekt wäre, so könnte man auf dieselbe Weise auch die Existenz einer Insel beweisen, die wir als im höchsten Maße vollkommen definieren, schließlich müsste gemäß (P4) die tatsächliche Existenz ein wesentliches Element ihrer absoluten Vollkommenheit sein.

Gaunilo konstruiert also ein analoges Argument zu Anselms und zeigt die absurden Konsequenzen aus der Annahme (P4) auf. Dieser Einwand zeugt von hoher logischer Kompetenz; denn er beruht auf der Methode des Gegenbeispiels, die sich schon bei Aristoteles findet. Wenn es zu einem Argument (A) ein strukturgleiches Argument (A´) gilt, dessen Prämissen anerkanntermaßen wahr sind, dessen Konklusion aber ebenso anerkanntermaßen falsch ist, kann A kein gültiges Argument sein. Gaunilo argumentiert also: Jedermann versteht den Ausdruck „Die Insel, über die hinaus keine vollkommenere Insel gedacht werden kann“, also gilt:

(P1) Die Insel, worüber hinaus Vollkommeneres nicht gedacht werden kann, existiert im Verstande.

(P2´) Die Insel, über die hinaus keine vollkommenere Insel gedacht werden kann, existiert nur im Verstande, aber nicht in Wirklichkeit. (Annahme des Gegenteils).

(P3) Wenn etwas im Verstande existiert, kann gedacht werden, dass es auch in Wirklichkeit existiert.

(P4) Wenn etwas in Wirklichkeit existiert, ist es vollkommener, als wenn es nur im Verstande existiert.

(P5´) Die Insel, über die hinaus keine vollkommenere Insel gedacht werden kann, ist eine Insel, über die hinaus eine vollkommenere Insel gedacht werden kann (Widerspruch).

(K1´) Die Insel, über die hinaus keine vollkommenere Insel gedacht werden kann, nicht nur im Verstande, sondern auch in Wirklichkeit.

Dieses analoge Argument ist, so Gaunilo, aber völlig absurd. Daraus würde ja folgen, dass jede gedachte, definierte oder geglaubte vollkommene Entität auch in Wirklichkeit existiert. Es würde also vollkommene Fußballspieler, vollkommene Einhörner, ein vollkommenes Berlin geben. Die Annahme der Existenz aller nur erdenklichen vollkommenen Entitäten ist nicht nur intuitiv abwegig, sondern verstößt auch gegen Ockhams bewährtes Sparsamkeitsprinzip.

Anselm erwiderte auf Gaunilo, die Logik seiner Argumentation lasse sich auf nichts anderes anwenden als „das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“. Er behauptet also, dass Gaunilo eine falsche Analogie angebracht hat.

Kant und analytische Wahrheiten

Die bekannteste und wahrscheinlich auch schwergewichtigste neuzeitliche Kritik am ontologischen Gottesbeweises stammt von Immanuel Kant. In der Kritik der reinen Vernunft argumentiert dieser, grob gesprochen, dass Existenz keine Eigenschaft, sondern eine Voraussetzung für Eigenschaften ist. Der ontologische Gottesbeweis tut aber so, als seien nichtexistierende Dinge etwas, das es zwar irgendwie gibt, denen aber eine Eigenschaft fehlt, die Eigenschaft zu existieren. Wenn wir sagen, Sherlock Holmes gibt es nicht, dann sagen wir damit jedoch nicht, dass es jemanden gibt, der alle Eigenschaften hat, die man Sherlock Holmes zuspricht, nur nicht die Eigenschaft der Existenz, wir sagen einfach: Sherlock Holmes – ein Wesen mit all den ihm zugeschriebenen Eigenschaften - gibt es nicht. Da Existenz keine Eigenschaft ist, kann man sie auch nicht in Definitionen verwenden. Die Definition „Junggesellen sind unverheiratete Männer im heiratsfähigen Alter“ ist sinnvoll, die erweiterte Version „Junggesellen sind existierende unverheiratete Männer im heiratsfähigen Alter“ fügt der ursprünglichen Definition nichts (keine weitere Eigenschaft) hinzu.

Der einzige Beweis für eine Existenz ist nach Kant die Erfahrung. Wenn man einem Wesen also Existenz zuschreibt, so wiederholt man nur, dass man erfahren hat, dass dieses Ding existiert. Weiterhin setzt Anselms Definition des vollkommenen Wesens nach Kant dessen Existenz bereits voraus. Der ontologische Beweis ist daher schlicht ein Zirkelschluss oder eine Tautologie. Da Gott keine objektive Realität besitzt, liegt kein Widerspruch in der Verneinung von Gottes Existenz, es wird damit nicht einmal die Vorstellung des Wesens an sich geleugnet. Wenn aber der Satz „Ein vollkommenes Wesen existiert nicht!“ nicht analytisch widersprüchlich ist, dann ist der Satz „Ein vollkommenes Wesen existiert!“ nicht logisch notwendig.

Das war Kants Kritik am ontologischen Gottesbeweis in der Grobfassung. Um Kants genauere Kritik zu verstehen, muss man einen Blick auf René Descartes‘ Version des ontologischen Gottesbeweises werfen. Descartes ging davon aus, dass es Aussagen gibt, die notwendig wahr sind, weil sie uns etwas über die Natur der Dinge sagen. Zu diesen gehören die Aussagen „Ein Quadrat hat vier Ecken“ und „Die Winkelsumme im Dreieck beträgt 180°“. Wir erkennen die Notwendigkeit dieser Aussagen, indem wir ihre Wahrheit klar und deutlich erfassen oder indem wir sie aus Aussagen, deren Wahrheit wir klar und deutlich erfassen, logisch ableiten. In diesem Sinne erkennen wir auch klar und deutlich, dass es zur Natur des vollkommensten Wesens gehört, zu existieren. Die Aussage „Das vollkommenste Wesen existiert“ ist daher genauso notwendig wahr wie mathematische Wahrheiten. Descartes schließt wie Anselm auch vom Begriff „Das vollkommenste Wesen“ auf die Existenz dieses Wesens, weswegen seine Beweisführung auch zu den ontologischen Gottesbeweisen zählt.

Kant unterscheidet wie Descartes verschiedene Arten von notwendig und „nur" möglich wahren Aussagen: Siehe hierzu die Aufsätze: analytisch vs. synthetisch und a priori vs. a posteriori. In Kants Terminologie sagt dieser, dass „Gott existiert“ eben keine analytische Wahrheit ist, da die Annahme des Gegenteils keinen Widerspruch beinhaltet:

„Wenn ich das Prädikat in einem identischen Urteile aufhebe und behalte das Subjekt, so entspringt ein Widerspruch, und daher sage ich: jenes kommt diesem notwendigerweise zu. Hebe ich aber das Subjekt zusamt dem Prädikate auf, so entspringt kein Widerspruch; denn es ist nichts mehr, welchem widersprochen werden könnte. Einen Triangel setzen und doch die drei Winkel desselben aufheben, ist widersprechend; aber den Triangel samt seinen drei Winkeln aufheben, ist kein Widerspruch. Gerade ebenso ist es mit dem Begriffe eines absolut notwendigen Wesens bewandt. Wenn ihr das Dasein desselben aufhebt, so hebt ihr das Ding selbst mit allen seinen Prädikaten auf; wo soll alsdann der Widerspruch herkommen? […] Gott ist allmächtig; das ist ein notwendiges Urteil. Die Allmacht kann nicht aufgehoben werden, wenn ihr eine Gottheit, d. i. ein unendliches Wesen, setzt, mit dessen Begriff jener identisch ist. Wenn ihr aber sagt: Gott ist nicht, so ist weder die Allmacht, noch irgendein anderes seiner Prädikate gegeben; denn sie sind alle zusamt dem Subjekte aufgehoben, und es zeigt sich in diesem Gedanken nicht der mindeste Widerspruch.“
- Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, S. 670f.

Kants Überlegung bezieht sich auf analytische Wahrheiten der Form „Alle F sind G“. Wenn man bei solchen Aussagen das Subjekt behält, aber das Prädikat verneint, entsteht ein Widerspruch. Wenn ich sage, „Das ist ein Körper, aber nicht ausgedehnt“, so ist das analytisch widersprüchlich. Aber wenn ich das Subjekt und das Prädikat aufhebe, wenn ich also sage „Dies ist kein Körper und nicht ausgedehnt“, so kann dies durchaus wahr sein. So ist auch „Gott ist allmächtig“ qua definitionem analytisch wahr, „Das ist Gott und nicht allmächtig“ widersprüchlich und „Das ist nicht Gott und nicht allmächtig“ möglich. Oder allgemeiner: Für analytische Wahrheiten der Form „Alle F sind G“ ist der Satz „Es gibt keine Fs“ niemals widersprüchlich. Dementsprechend widerspricht der Befund „Es gibt Gott nicht“ (Gott ist nicht existent) auch nicht der Definition „Gott ist das nur denkbar vollkommenste Wesen“.

„Sein ist offenbar ein reales Prädikat, d.i. ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriff eines Dinges hinzukommen könne. […] Nehme ich […] das Subjekt (Gott) mit allen seinen Prädikaten (worunter auch die Allmacht gehört) zusammen und sage: Gott ist, oder es ist ein Gott, so setze ich kein neues Prädikat zum Begriff von Gott, sondern nur das Subjekt an sich selbst mit allen seinen Prädikaten […] Beide müssen genau einerlei enthalten, und es kann daher zu dem Begriffe, der bloß die Möglichkeit ausdrückt, darum, dass ich dessen Gegenstand als schlechthin gegeben (durch den Ausdruck: er ist) denke, nichts weiter hinzukommen. Und so enthält das Wirkliche nichts mehr als das bloß Mögliche. Hundert wirkliche Taler enthalten nicht das Mindeste mehr, als hundert mögliche. Denn, da diese den Begriff, jene aber den Gegenstand und dessen Position an sich selbst bedeuten, so würde, im Falle dieser mehr enthielte als jener, mein Begriff nicht den ganzen Gegenstand ausdrücken und also auch nicht der angemessene Begriff von ihm sein. […] Wenn ich also ein Ding, durch welche und wie viel Prädikate ich will, […] denke, so kommt dadurch, dass ich noch hinzusetze: dieses Ding ist, nicht das mindeste zu dem Ding hinzu. Denn sonst würde eben nicht dasselbe, sondern mehr existieren, als ich im Begriff gedacht hatte, und ich könnte nicht sagen, dass gerade der Gegenstand meines Begriffs existiere. […] Unser Begriff von einem Gegenstand mag also enthalten, was und wie viel er wolle, so müssen wir doch aus ihm herausgehen, um diesem Existenz zu erteilen."
- Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, S. 673ff.

Ein Spezifikum der Argumente von Anselm und Descartes ist also, dass sie davon ausgehen, dass auch Existenz ein Merkmal ist, das zur Definition eines Begriffes gehören kann, oder zumindest eine Eigenschaft, die sich notwendig aus der Definition Gottes als dem denkbar vollkommensten Wesen folgt, dass diesem Wesen auch die Eigenschaft der Existenz zukommen muss, da es sonst eben nicht das denkbar vollkommenste Wesen wäre. Kant dagegen argumentiert, dass ich, wenn ich sage „Gott existiert“, dem Begriff „Gott“ keine weitere Eigenschaft hinzufüge, dass ich mit diesem Satz vielmehr ausdrücke, dass es etwas gibt, das unter den Begriff „Gott“ fällt. Und für diese Auffassung hat er ein schönes Argument. Angenommen, ich besaß gestern keine hundert Taler, bekomme heute aber hundert Taler geschenkt, dann habe ich genau das, was mir gestern fehlte. Wenn der Begriff hundert Taler sich aber dadurch ändern würde, dass sie jetzt existieren, dann hätte ich heute etwas anderes als das, was ich gestern nicht hatte; denn dann hätte ich heute hundert existierende Taler, während mir gestern hundert nicht existierende Taler fehlten. Noch einmal: Wenn man sagt „Es gibt keine Fs“, fügt man damit dem Begriff F nichts hinzu, man drückt auf diese Weise aus, dass es Dinge gibt, die unter den Begriff F fallen.

Frege und Existenz

Kants Argumentation hatte weitreichende Folgen. So führt sie den Logiker Gottlob Frege dazu, in seiner Formalisierung der Logik Existenz nicht als Prädikat, sondern durch einen Operator, den Existenzquantor, auszudrücken. Für Frege gibt es nämlich zwei Arten von Begriffen: Begriffe, unter die Einzelgegenstände fallen können, wie „läuft“ oder „ist rund“, bezeichnet Frege als Begriffe erster Stufe. Und Begriffe, unter die Begriffe erster Stufe fallen, sind nach Frege Begriffe zweiter Stufe. Existenz ist für Frege ein solcher Begriff zweiter Stufe. Paradigmatische Existenzaussagen sind für ihn also „Weisheit ist selten“, „Einhörner existieren“, „Neutrinos existieren“. In den letzten beiden Ausdrücken wird gesagt, dass die durch alle ihre Eigenschaften charakterisierten Begriffe „Einhorn“ und „Neutrino“ nicht leer sind, sondern es für jeden dieser Begriffe mindestens einen wirklichen Gegenstand gibt, der unter ihn fällt.

Ein Begriff F erster Stufe fällt nach Frege genau dann unter den Begriff zweiter Stufe Existenz, wenn er nicht leer ist. Frege zufolge haben Existenzaussagen also nicht die Form „a existiert“ (wobei „a“ ein Ausdruck ist, der für einen Einzelgegenstand steht), sondern „Fs existieren“ oder „Es gibt Fs“ (formal: ∃xFx). Und Aussagen dieser Form sind für ihn genau dann wahr, wenn es mindestens einen Gegenstand gibt, der unter den Begriff F fällt. Der beste Ausdruck für den Begriff Existenz ist für Frege daher der Existenzquantor „es gibt“ (formal: ∃x). Willard Van Orman Quine hat allerdings gezeigt, dass man mit Hilfe dieses Quantors ein Prädikat bilden kann - „∃y(x=y)“ -, das für einen Begriff erster Stufe steht, der dem umgangssprachlichen Verb „existieren“ entspricht, das man also auch auf Einzelgegenstände anwenden kann. Dieser Quinsche Vorschlag hat jedoch die bemerkenswerte Konsequenz, dass die Aussage „a existiert“ für jeden Gegenstand a trivialerweise wahr ist. Denn für jedes a ist „a = a“ eine logische Wahrheit, und aus „a = a“ folgt unmittelbar „y∃ (a = y)“.

Daraus ergibt sich folgendes Dilemma für Vertreter des ontologischen Gottesbeweises: Wenn „Gott existiert“ in (P4) bedeutet „a existiert“, dann ist diese Aussage trivialerweise wahr, der Erkenntnisgewinn ist also gleich Null, denn Aussagen dieser Art setzen bereits voraus, dass a existiert. Wenn „Gott existiert“ aber bedeutet, „∃x“, dann ist ein nicht existenter Gott nicht mehr unvollkommener als ein existenter, da Existenz keine Eigenschaft (kein Begriff erster Stufe) ist. (P4) drückt, je nach Lesart, also entweder eine Tautologie wie „ein Apfel ist ein Apfel“ aus oder sie ist falsch.

Fazit zu Anselms und Descartes Gottesbeweisen

Eine Zusammenführung von Kant und Frege macht das Problem ganz deutlich: Die fregesche Lesart der Aussage „Gott existiert nicht“ beinhaltet keinen Widerspruch, sie ist folglich auch nicht analytisch falsch – ein als vollkommen definiertes Wesen kann also sehr wohl nicht-existent sein. „Gott existiert nicht“ bedeutet nach Frege nur, dass es keinen Gegenstand gibt, der unter den Begriff „Gott“ fällt, und das ist, egal wie man es formuliert, nicht analytisch falsch, da es nach Frege nicht zu den definitorischen Eigenschaften Gottes zählen kann, zu existieren. Definieren wir „Gott“ beispielsweise als: „x fällt unter den Begriff Gott genau dann, wenn x allmächtig, allwissend und allgütig ist“. Dann bedeutet „Gott existiert nicht": „Es gibt keinen Gegenstand, der allmächtig, allwissend und allgütig ist“. Und diese Aussage ist offenbar nicht widersprüchlich, sondern kontigent. Daran ändert sich auch dann nichts mehr, wenn wir das Merkmal der Existenz doch in die Definition mit aufnehmen: „x fällt unter den Begriff Gott genau dann, wenn es allmächtig, allwissend, allgütig ist und existiert.“ Dann bedeutet „Gott existiert nicht“ nur: „Es gibt keinen Gegenstand, der allmächtig, allwissend, allgütig ist und existiert.“ Auch diese Aussage ist nicht widersprüchlich – wie sich noch deutlicher zeigt, wenn man den relevanten Teil formalisiert: „Es gibt kein x, für das gilt: x ist allmächtig und x ist allwissend und x ist allgütig und ∃y(x=y)“.

In meinen Augen bildet der letzte Absatz einen schlagenden Beweis gegen Anselms und Descartes Gottesbeweise. Auch Alfred Jules Ayer wies bereits darauf hin, dass man durchaus darauf beharren kann, dass zum Begriff „Gott“ auch die Existenzbehauptung gehört. Aber aus der Annahme, dass das größte denkbare Wesen auch existieren muss, folgt noch nicht, dass auch ein Wesen tatsächlich vorhanden ist, das unter diesen Begriff fällt. Es folgt daraus - und somit aus dem gesamten ontologischen Gottesbeweis - nur, dass Gott existieren muss, wenn er existiert, eine denkbar triviale Behauptung.

Doch gehen wir einmal davon aus, dass der ontologische Gottesbeweis doch zwingend wäre. Was würde aus ihm folgen? Nach (K1) wohl nur die Existenz eines Wesens, über das hinaus nichts Größeres nicht gedacht werden kann. Wenn Anselm und Descartes zwingend argumentiert hätten, hätten sie nicht, wie von ihnen beabsichtigt, die Existenz des christlichen Gottes bewiesen, sondern diese sogar widerlegt! Dafür gilt es zunächst Folgendes zu erkennen: Ich kann mir problemlos ein Wesen vorstellen, das größer ist als der christliche Gott, dafür muss ich mir nur ein Wesen vorstellen, das qua definitionem zweimal so vollkommen ist wie der christliche Gott. Ich kann mir auch plastischer vorstellen, dass ein Duplikat zum christlichen Gott existiert, das aber am siebten Schöpfungstag nicht ruhen musste, oder, seinen Sohn zu Sündenvergebung nicht opfern musste und in diesem Sinne allmächtiger und damit schlussendlich vollkommener ist als der christliche Gott. Egal, ob der christliche Gott nun existiert oder nicht, er ist nicht mehr das vollkommenste aller Wesen, da das neue größte aller gedachten Wesen nach (P2) auch tatsächlich existieren muss und den christlichen Gott in seiner Vollkommenheit übersteigt. Folglich hätten Anselm und Descartes mit ihrem Beweis, selbst wenn er denn bis einschließlich (K1) überzeugen könnte, das Gegenteil des von ihm Intendierten bewiesen, nämlich die Nicht-Existenz des christlichen Gottes als höchstes aller Wesen!

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