Der politische Islam und die liberale Gesellschaft (1/3)

Ein Essay zur Bedrohung unserer Kultur

Der politische Islam und die liberale Gesellschaft (1/3)

Foto: Pixabay.com / TobiasGolla

Im folgenden Beitrag möchte ich mich zur Zuwanderung in unsere Gesellschaft von Menschen muslimischen Glaubens und ihrer Kultur äußern. Ich werde ausführen, welche Konflikte damit verbunden sind, wenn zwei Kulturen unterschiedlicher Entwicklungsstufen aufeinanderstoßen und bestimmte Gruppen dieser Zuwanderer eine polit-religiöse Agenda verfolgen. Mir ist bewusst, mit meinen Ausführungen vermintes Gelände zu betreten. Es wäre allerdings nicht das erste Mal, dass ich mir neben viel Zuspruch auch den wohlfeilen Vorwurf einhandele, Beifall von der »falschen Seite« zu provozieren. Doch mit dem Ausblenden, Negieren beziehungsweise Relativieren und Verschweigen dieser Problematik durch Parteien und öffentlich-rechtliche Medien und andererseits dem klaren Benennen dieser Themen durch Kreise rechts von der politischen Mitte stieg bekanntlich vor etwa vier Jahren die AfD zur größten Oppositionspartei auf. Es kann also nicht richtig sein, bestimmte politische Themen, deren Problematik einen realen Hintergrund hat und die Bevölkerung existentiell betreffen, zu ignorieren.

Wenn ich nun im Folgenden gelegentlich zu Aussagen komme, die auch die AfD schon geäußert hat, bin ich dann ein Vertreter der AfD? Ich bestreite das entschieden. Soll denn die AfD oder etwa die LINKE der Maßstab sein und entscheiden, was ich sagen darf? Ich sage das, was ich für richtig halte und meine es auch begründen zu können. Jeder Bürger eines Landes, das noch das Recht auf Meinungsfreiheit hochhält, hat auch das Recht, sich über problematische Entwicklungen öffentlich Gedanken zu machen. Er hat sogar die zivilbürgerliche Pflicht, vor Gefahren zu warnen, die sich seines Erachtens für eine offene und liberale Gesellschaft aus dem Zusammenstoß mit einer Kultur ergeben, die ein Gesellschaftsverständnis aufweist, das auf einer im Mittelalter stehen gebliebenen Religion fußt.

Bei meinem Essay soll es sich weniger um eine Dokumentation handeln, die Punkt für Punkt Belege für jede einzelne geäußerte Ansicht anführt. Mir geht es vielmehr um eine persönliche Einschätzung der politischen Situation und der ihr innewohnenden Gefahren für unsere Gesellschaft. Das heißt, ich kommentiere aus subjektiver Sicht und subjektivem Erleben einen momentanen Zustand und seine vermutliche zukünftige Entwicklung. Die von mir kritisch beurteilte Problematik ist die Folge einer meines Erachtens planlosen und verantwortungslosen Politik der Zuwanderung aus den muslimischen Ländern. Dass ich mich mit meiner Sicht dennoch auf ein breites Spektrum von Befunden und Belegen stützen kann, zeigt eine Vielzahl von mir zitierter empirischer Befunde, Zeitungsberichte und persönlicher Äußerungen einschlägig kompetenter Persönlichkeiten.

Der vorliegende Essay stellt eine Fortsetzung dar meines im Juni 2018 auf den Seiten des Humanistischen Pressedienstes veröffentlichten Beitrags »Die offene Gesellschaft und ihre Feinde – und ihre fehlenden Freunde« (1).

1. Was sind die wesentlichen und unverzichtbaren Merkmale unserer offenen und liberalen Gesellschaft im Sinne einer Leitkultur?

Stichwortartig lassen sich diese Merkmale wie folgt kennzeichnen (2):

Humanistisches Denken: Der Mensch steht im Mittelpunkt des Denkens und Handelns, nicht irgendeine Gottheit. Der Mensch wird zum Maß der Dinge und nicht eine mythische, nur in alten Schriften existierende Wesenheit. Das Grundgesetz rückt den Menschen ins Zentrum allen Denkens und Handelns und formuliert nicht ohne Grund in Art. 1, Abs. 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Für mich konkretisiert sich die Menschenwürde in den Menschenrechten.

Menschenrechte: Es sind universelle und unveräußerliche Rechte, die jedem Menschen gleichermaßen zustehen. Sie dienen der freien Entfaltung jedes Bürgers und machen ihn zum Individuum gegenüber dem Staat. Beispiele sind etwa Meinungsfreiheit, Selbstbestimmung, Recht auf körperliche Unversehrtheit, Religionsfreiheit, rechtliche Gleichheit der Geschlechter, Informationsfreiheit. Grundrechte können in Widerspruch zueinander geraten. So kann zum Beispiel die Gleichberechtigung der Geschlechter mit der Religionsfreiheit kollidieren. Die Gleichberechtigung stellt ein höheres Rechtsgut dar und hat daher meines Erachtens den höheren Stellenwert einzunehmen.

Rationalität: Die Vernunft wird zur letztendlichen Entscheidungsquelle, nicht der aus überkommenen Büchern sprechende Gott. Wissenschaftliches Denken ist daher von zentraler Bedeutung. Aussagen werden inhaltlich beurteilt, nicht die Autorität eines nicht gewählten Machthabers entscheidet. Die Vernunft steht über dem Glauben. Rationalität bedeutet Abkehr von mythisch-magischem Denken, wonach letztlich alles in Gottes Hand liege.

Säkularität: Gemeint ist die Trennung der Machtbefugnisse von Staat und Religion, das bedeutet die Trennung staatlicher und religiöser Institutionen. Der Staat ist weltanschaulich neutral. Die Weltanschauung ist Privatsache des einzelnen Bürgers; es gehört zu seiner persönlichen Freiheit, religiöse Gesetze zu befolgen oder für sich abzulehnen (3).

Rechtsstaatlichkeit: Es existiert eine Verfassung und darauf aufbauend ein allgemein verbindliches Rechtssystem, das die sozialen Beziehungen der Bürger untereinander verbindlich regelt. Auch staatliches Handeln ist an Recht und Gesetz gebunden. Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleich. Richter sind unabhängig von Weisungen und nur dem Gesetz verpflichtet. Das Gewaltmonopol liegt allein beim Staat (4).

Demokratie: Ein politisches System, in dem die Regierung vom Volk bestimmt wird. Jeder Bürger hat eine Stimme, alle Stimmen zählen gleich. Die Vertreter des Volkes werden in freien und geheimen Wahlen gewählt. Der Gedanke der Mitbestimmung und Teilhabe an Macht und Einfluss durchzieht alle gesellschaftlichen Ebenen. Grundvoraussetzung ist ein hohes Maß an Freiheit, für unterschiedliche politische Auffassungen zu werben.

Diese Liste von Werten beschreibt stichwortartig die prägenden Grundsätze einer offenen, liberalen und bedingt toleranten Gesellschaft. Es ist eine Gesellschaftsordnung, die immer auch zu begründeten Veränderungen bereit ist und selbstverständlich andere Auffassungen aushält, also toleriert, wenn sie denn die gesellschaftsbestimmenden Grundsätze nicht aktiv ablehnt. Diese Grundsätze gehen ganz wesentlich auf die Aufklärung zurück. Erkennbar daran, dass magisches und religiöses Denken zunehmend durch vernunftbasiertes abgelöst wurde und dass durch die Forderung nach Säkularität der Religion ihre gesellschafts- und politikprägende Rolle abgesprochen wurde. Die sechs skizzierten Werte kennzeichnen heute die bestimmenden Merkmale der Kultur der Gründungs-Staaten der Europäischen Union und damit auch Deutschlands.

Diese auch als Grundsätze oder Prinzipien zu bezeichnenden Werte bilden allerdings einen Idealzustand ab, der noch lange nicht vollständig erreicht ist. Vielmehr erfolgt von politischer oder religiöser Seite immer wieder ein Begrenzen und Aushöhlen einzelner Grundsätze bis hin zu deren vollständigem Ignorieren. Das betrifft in Deutschland zum Beispiel die Rechtsstaatlichkeit (siehe die Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaften), die Säkularität (betrifft die »hinkende« Trennung von Staat und Religion) oder Menschrechte wie die Selbstbestimmung (zum Beispiel am Lebensende) oder die körperliche Unversehrtheit (zum Beispiel durch Beschneidung von Säuglingen und Kindern). An diese verfassungswidrigen Einschränkungen der konstituierenden Werte unserer Gesellschaftsordnung sei daher an dieser Stelle ausdrücklich erinnert. Die Weiterentwicklung dieser Werte beziehungsweise der bestimmenden Prinzipien unserer Gesellschaftsordnung kann dem Geist unserer deutschen Verfassung entsprechend nur in Richtung Vervollkommnung verstanden werden, keinesfalls in ihrer Relativierung oder gar partiellen Abschaffung.

Diese knapp skizzierten Werte beziehungsweise Grundsätze sind also prägend für die europäischen Gesellschaftsordnungen und stellen gewissermaßen eine Leitkultur dar. Der Begriff der Leitkultur ist in der Diskussion der Migrationspolitik – wie es so schön heißt – »umstritten«. Ich halte ihn dennoch für einen treffenden Ausdruck dessen, was damit ausgesagt sein soll. Er wurde vor Jahren von Bassam Tibi eingeführt und fasst die wesensbestimmenden kulturellen Grundsätze in einem verständlichen Wort zusammen. Auch der Philosoph und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, Michael Schmidt-Salomon, spricht von einer »Leitkultur von Humanismus und Aufklärung«. Das Wort drückt zugleich die Erwartung aus, dass Zuwanderer, die dauerhaft in Europa leben wollen, diese damit gemeinten Werte anzuerkennen und sich danach zu verhalten haben. Das betrifft auf jeden Fall die Prinzipien beziehungsweise Werte Säkularität, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und die Menschenrechte. Bezüglich Humanismus und Rationalität darf sich ein gläubiger Mensch auf die Religionsfreiheit berufen. Im Rahmen seiner privat gelebten religiösen Auffassung darf der Glaube über der Vernunft und im Mittelpunkt seines Lebens nach wie vor Gott stehen.

Die Bürger eines aufnehmenden Staates jedenfalls haben das Recht zu erwarten, dass die Grundpfeiler ihrer staatlichen Ordnung durch die Zuwanderung von Menschen anderer Kultur und Religion unangetastet bleiben, jedenfalls nicht ohne ihre ausdrückliche Zustimmung verändert werden. Schließlich ist es ihre Gesellschaftsordnung, die sie in ihrem Wesensgehalt nicht bedroht sehen möchten. Denn es kann nicht demokratisch genannt werden, fragwürdige Forderungen einer einwandernden Minderheit als legitim anzuerkennen, aber die Einhaltung der oben dargestellten Prinzipien als Aufnahmebedingungen einer vielfach größeren Mehrheit, wie sie die Aufnahmegesellschaft darstellt, als fremdenfeindlich abzulehnen. Integration kann daher nur als gelungen bezeichnet werden, wenn die hier als Leitkultur bezeichneten Werte mit Überzeugung von einem Migranten anerkannt werden (5).

Ich vertrete hier betont die Auffassung, dass die offene, liberale, auch soziale und bedingt tolerante Gesellschaft eine Weiterentwicklung darstellt im Sinne größerer Freiheit, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung des einzelnen Bürgers in einer Gemeinschaft. Sie bietet diese in meinen Augen als gesellschaftlichen Fortschritt zu bezeichnenden Merkmale beziehungsweise Rechte in wesentlich größerem Maße als eine Gesellschaft zum Beispiel, die noch von Stammesdenken und einer für alle verbindliche Religion geprägt ist. Europa und die USA, keine andere Region dieser Welt, haben trotz aller Rückschläge und immer noch bestehender Defizite die Idee der Demokratie, den Gedanken der persönlichen Freiheit und Selbstbestimmung, die rechtliche Gleichheit der Menschen, die schrittweise Befreiung von der Vorherrschaft des Religiösen und die individuellen Menschenrechte erkämpft und zu Rechten entwickelt, die jedem Menschen zustehen. Unsere Pflicht ist es, dieses Erbe zu bewahren und zu verteidigen.

Neben diesen Grundpfeilern einer offenen und liberalen beziehungsweise pluralistischen Gesellschaft gibt es typisch europäische, speziell auch deutsche Eigenarten, die sich im Essen, in der Kleidung, in der Wohnungseinrichtung, in der Musik, in der Art der jährlichen Feste und in vielen weiteren Ausprägungen des täglichen Lebens ausdrücken. Sie gehören meines Erachtens nicht zu einer verbindlichen Leitkultur. Andere Kleidung, anderes Essen, andere Musik, andere Traditionen und anderes mehr verändern nicht die oben definierten grundsätzlichen Merkmale unserer Gesellschaftsordnung. Sie können prinzipiell das gesellschaftliche Leben vielmehr bereichern und weiterentwickeln. So wie über die Jahrhunderte Deutschland sich schon immer auch durch Zuwanderung verändert und weiterentwickelt hat.

Beispielhaft seien erwähnt die früher erfolgte Einwanderung von Juden und Hugenotten oder Einwanderer aus Ländern wie Holland oder Polen. Vergleichsweise problemlos stellte sich deren Eingliederung dann dar, wenn es sich um Migranten gleicher Religion handelte und damit vergleichbarer Kultur. Wenn darüber hinaus die Einwanderer vorteilhafte berufliche Qualifikationen mitbrachten, vollzog sich deren Integration noch problemloser. Diese Veränderungen durch Zuwanderung bedeuteten dann meist ein grundsätzlich akzeptiertes gegenseitiges Nehmen und Geben. Geglückte Integration dürfte sich insbesondere in Eheschließungen zwischen Zuwanderern und Einheimischen gezeigt haben. Von großer Bedeutung für eine akzeptierte Zuwanderung war zudem stets, dass es sich gegenüber den Einheimischen um eine vergleichsweise geringe Zahl an Menschen handelte. Andernfalls verbleibt man sozial und kulturell innerhalb der eigenen Ethnie und sieht wenig Anlass, sich der Aufnahmegesellschaft anzugleichen. Ein Phänomen, das sich in Deutschland in Form von integrationsdesinteressierten muslimischen Parallel- und Gegengesellschaften zeigt.

Am Rande sei auf einen positiven Aspekt einer Form fast unauffälliger Zuwanderung verwiesen, die als ein Beitrag zur Völkerverständigung verstanden werden kann. Die vielen Menschen, die sich in den letzten Jahrzehnten aus Frankreich, England, Spanien, Portugal, Italien, Polen und anderen europäischen Ländern, auch aus Indien, Japan, Vietnam oder etwa China in Deutschland als Arbeitnehmer hier niederließen, teilweise sogar hier dauerhaft sesshaft wurden, haben dazu beigetragen, Verständnis, wenn auch nicht immer Akzeptanz, für Menschen anderer Kulturen zu entwickeln. Nicht immer reibungslos im ersten Umgang miteinander, aber letztlich doch als eine Form der Bereicherung empfunden, und wenn es zunächst nur die andere Art des Essens und vielleicht der Zauber fremdartig klingender Musik war, die gefielen. Und wer als Tourist fremde Länder bereiste, kehrte fast immer mit der Erfahrung zurück, dort viele freundliche Menschen kennengelernt zu haben, ganz unabhängig von ihrem andersartigen Aussehen und ihrer anderen Hautfarbe. Erfahren zu haben, dass woanders auch Menschen leben, die wie wir auch vor allem glücklich werden und zufrieden sein wollen, lässt hoffentlich dereinst den Gedanken an ein Weltbürgertum wachsen, das mehr das Gemeinsame und weniger das Trennende sieht und uns damit dem Frieden auf der Welt näherbringt.

Zurück zur Zuwanderung nach Deutschland in früheren Jahrhunderten. Probleme der Akzeptanz ergaben sich bei den jüdischen Zuwanderern aufgrund einer Religion, die von der christlichen abgelehnt wurde. Was sich in früheren Jahrhunderten bekanntlich oft in furchtbaren Pogromen zeigte. Und bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts drückte sich das in Vorbehalten von Teilen des Bürgertums gegenüber jüdischen Menschen aus. Ihnen wurde die gleiche Anerkennung wie Einheimischen oft nicht gezollt. Man denke an die Vorurteile und Ablehnungen, die schon vor der Zeit des Nationalsozialismus gegenüber jüdischen Geschäftsleuten, Künstlern und Wissenschaftlern bestanden.

Der Islam als zweitgrößte Religion weltweit stellt eine in den letzten Jahrzehnten eingewanderte Religion dar, die in ihrer orthodoxen Interpretation in scharfer Konkurrenz zum Christentum und Judentum auftritt und die anders als das Judentum bewusst den Gedanken der Missionierung verfolgt. Die sich aus der Konkurrenz und Missionierung ergebenden Auseinandersetzungen innerhalb der aufnehmenden europäischen Gesellschaften haben inzwischen ein Ausmaß erreicht, das zu einer existentiellen Gefahr für die offene und liberale und in vielerlei Hinsicht tolerante Gesellschaft geworden ist. Ich spiele damit weniger auf terroristische Anschläge an, die mit religiöser Begründung verübt werden. Sie werfen nur ein besonders grelles Licht auf die Problematik des Zusammenstoßes verschiedener Kulturen. Attentate werden von der Politik und der Gesellschaft als Gefahr gesehen und staatlicherseits soweit wie möglich bekämpft. Hier soll es um die Aktivitäten von orthodox- bis hin zu fundamentalistisch-muslimisch Organisationen gehen, unserer Gesellschaft langfristig die Vorstellungen von Koran und Scharia aufzudrängen, wenn nicht aufzuzwingen. Diese Aktivitäten finden nur teilweise offen statt, vielfach verdeckt und nur scheinbar legal. Sie werden daher von weiten Teilen der Politik und auch der Gesellschaft viel zu wenig als Gefahr für die freiheitlichen Grundprinzipien unserer Gesellschaft gesehen.

Der gern zitierte »Kampf der Kulturen« spielt sich dabei nicht zwischen »dem« Islam und dem Christentum ab, sondern zwischen einem orthodox bis fundamentalistisch interpretierten und gelebten, also einem mit gesellschaftspolitischer Zielsetzung agierenden Islam einerseits und einer wertebasierten und prinzipiell säkularen Gesellschaftsordnung wie der unseren andererseits. Gemäß den Prinzipien unserer offenen, liberalen und toleranten Gesellschaft sollte die weltanschauliche Orientierung eine private Angelegenheit des Bürgers sein und bleiben. Ein Islam, der sich auf die spirituelle und weitgehend nicht öffentlich praktizierte Komponente dieser Glaubenslehre beschränkt, steht daher prinzipiell nicht in Widerspruch zu unserer offenen und liberalen Gesellschaft. Tatsächlich sieht das wohl eine tonangebende Gruppe muslimischer Einwanderer anders. Sie beharrt auf dem Standpunkt, dass die Gebote des angeblich allgemeingültigen Islam über den weltlichen Gesetzen stehen und folglich von allen Menschen zu befolgen seien (6).

2. Christentum und Islam waren stets Religionen mit gesellschaftsgestaltendem Anspruch

Das Christentum hat über die Jahrhunderte das Ziel verfolgt, die gesamte Gesellschaft nach ihren Glaubensgrundsätzen zu gestalten. Erst mit der Aufklärung wurde dieser Anspruch in Frage gestellt. Dennoch versuchen die beiden Großkirchen nach wie vor, Einfluss auf Meinungsbildung, Politik und Gesetzgebung zu nehmen. Sie tun das über die öffentlich-recht­lichen Medien, in denen sie über eigene Redaktionen und Sendezeiten verfügen, über die Parteien, in deren Führungspersonal den kirchlichen Vorstellungen folgende Politiker den Ton angeben und nicht zuletzt über ein ihnen zumeist gewogenes Bundesverfassungsgericht. Dieses höchste Gericht bestätigte den Kirchen einst, dass sie das Selbstverwaltungsrecht (Grundgesetz Art. 140, Art. 137 WRV, Abs.3), ihre inneren Angelegenheiten innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze selbstständig zu ordnen und zu verwalten, zu einem kompetenzerweiternden Selbstbestimmungsrecht umdeuten durften. Unabhängige Kirchenrechtler meinen, dass diese seinerzeit erfolgte Kompetenzerweiterung durch das Grundgesetz nicht legitimiert wäre und der damals großen Nähe des Bundesverfassungsgerichts zu den Kirchen geschuldet war (7).

Aber diese Nähe zu den Kirchen und Religionen scheint sich bis in jüngere Zeit gehalten zu haben, wenn das Bundesverfassungsgericht 2003 urteilte: »Dabei achtet das Grundgesetz – in der Sphäre der Gesellschaft – auch solche religiösen und weltanschaulichen Auffassungen, die ein mit der grundgesetzlichen Wertordnung schwer zu vereinbarendes Verhältnis der Geschlechterbeziehungen dokumentieren, solange sie nicht die Grenzen der staatlichen Friedens- und Rechtsordnung überschreiten. Das Wertesystem des Grundgesetzes einschließlich seines Verständnisses der Gleichheit von Mann und Frau schließt sich nicht vor allen Veränderungen ab, es stellt sich Herausforderungen, reagiert und bewahrt die Identität im Wandel.« (8). Angesichts solcher höchstrichterlicher, opportunistisch ausdeutbarer Rechtsprechung darf man seine Zweifel haben, ob den Bestrebungen orthodox-muslimischer Kreise, die Trennung von Staat und Religion auf vielfältige Weise zu unterlaufen, zukünftig genügend politischer und juristischer Widerstand entgegengesetzt werden wird.

Formal anerkennen die beiden großen Kirchen die prinzipielle Trennung von Staat und Kirche in Deutschland, mit einem in religiöser Hinsicht neutralem Staat. Die Kirchen sprechen allerdings listig von »wohlwollender« oder »fördernder« Neutralität. Tatsächlich versuchen sie nach wie vor massiv, ihren Einfluss auf Politik und Gesellschaft geltend zu machen. Dagegen wäre nur bedingt etwas einzuwenden, wenn die Kirchen sich in ihren Forderungen auf ihre eigene Klientel beschränkten. Aber genau das tun sie nicht, sie beanspruchen regelmäßig, ihre Forderungen gesamtgesellschaftlich umzusetzen. Das versuchen sie beispielsweise bei Fragen des Schwangerschaftsabbruchs, der Präimplantationsdiagnostik, beim kirchlichen Arbeitsrecht, bei der Abfassung von Patientenverfügungen oder beim assistierten Suizid am Lebensende. Sie maßen sich das trotz ständig abnehmender Zahl an Kirchenmitgliedern an. In wenigen Jahren werden weniger als die Hälfte der deutschen Bevölkerung noch Mitglied einer der beiden Kirchen sein, die größte weltanschauliche Gruppe wird dann keiner Konfession mehr angehören. Um diesem drohenden Bedeutungsverlust ihrer Institution und allgemein von Religion überhaupt zu entgehen, pflegen sie freundschaftlichen und strategisch motivierten Kontakt zu den Repräsentanten der jüdischen Gemeinden und ebenso zu den Organisationen einer zugewanderten Religion, dem Islam.

Die Kirchen sowie die kirchenfreundlichen Politiker sehen daher in den in Deutschland lebenden Juden und in den Muslimen, bei letzteren vor allem aufgrund der deutlich größeren Anzahl und des mitunter geradezu aggressiven Bekenntnisses zu ihrem Glauben, zunächst einmal wichtige Bundesgenossen im Kampf um das Wiedererstarken der Religion. Das Bestreben der Kirchen ist es, soweit wie möglich Religion wieder stärker im Bewusstsein der Bevölkerung und überhaupt in Gesellschaft und Politik zu verankern. Die Kirchen haben daher im Islam und darüber hinaus im Judentum Mitstreiter gegen die ungeliebten, mitunter verachteten Humanisten und »Gottlosen« gefunden. Den drei Religionen kommt alles gelegen, was die Phalanx gegen die Ungläubigen stärkt. Dass der von den Kirchen und der Politik hofierte orthodoxe Islam – was im Weiteren noch zu zeigen sein wird – auch Anspruch auf Gestaltung der Gesellschaft erhebt und insofern später auch in scharfer Konkurrenz zu den Kirchen auftreten wird, verdrängt man offenbar um des vermeintlichen Vorteils eines Bundesgenossen im Kampf um die gesellschaftliche und politische Bedeutung der Religionen.

Das Judentum hegt bekanntlich keine Missionierungsabsichten, es bedroht insofern nicht unsere Gesellschaftsordnung durch die Religion. Dies ist allein schon der vergleichsweise kleinen Zahl von Anhängern jüdischen Glaubens in Deutschland geschuldet. Der Islam dagegen bedrängt und bedroht in seiner politisch aktiven Variante sehr wohl unser Gemeinwesen. Diese orthodoxe Islaminterpretation strebt die vollständige Einheit von Staat und Religion an und widerspricht damit fundamental den säkularen Vorgaben in unserer Verfassung, die eine Trennung von Staat und Religion vorsehen. Dennoch muss noch einmal betont werden, dass der Islam keineswegs den leitenden Ideen unserer Gesellschaftsordnung und Kultur widersprechen muss, und zwar dann nicht, wenn er als Glaubenslehre auf die spirituelle Komponente beschränkt bleibt, keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit der eigenen Religion erhebt und sich darüber hinaus in den privaten Lebensbereich zurückzieht. Die grundgesetzlich verbürgte Religionsfreiheit toleriert aus guten Gründen, nicht zuletzt des sozialen Friedens wegen, jede weltanschauliche Lehre, sofern sie die Verfassung akzeptiert und damit die Trennung von Staat und Religion beachtet.

Solche reformatorisch-humanistischen beziehungsweise »aufgeklärten« Auffassungen einer islamischen Glaubenslehre werden von Professor Mouhanad Khorchide in Münster entwickelt, von dem Theologen Dr. Abdel-Hakim Ourghi in Freiburg gelehrt und vor allem von der Imamin Seyran Ates in Berlin praktiziert. Die Religionsgemeinschaft der Aleviten, eine dem Islam verwandte, liberale Glaubensrichtung, hat in Deutschland zwischen 500.000 und 700. 000 Anhänger. Aleviten legen den Koran ebenfalls nicht wörtlich aus, sondern suchen die Bedeutung hinter den sogenannten Offenbarungen. Sie respektieren auch die Trennung von Staat und Religion und erkennen vollumfänglich unser Grundgesetz an. Frauen und Männer beispielsweise gelten im Alevitentum als gleichgestellt. In diesem Sinn liberal und aufgeklärt sind auch muslimische Organisationen beziehungsweise religiöse Vereinigungen wie der »Liberal-Islamische Bund«, das »Muslimische Forum Deutschland«, die »Initiative Säkularer Islam« oder der »Verband Demokratisch-Europäischer Muslime«. Diese letztgenannten verfassungsorientierten und daher bemerkenswerten Entwicklungen werden von den derzeit Regierenden und auch von der politischen Opposition bezeichnenderweise weitgehend ignoriert. Die mit Migrationsfragen befassten Politiker und damit indirekt auch die Kirchen arbeiten auf der sogenannten Deutschen Islamkonferenz vorwiegend mit jener orthodoxen Variante des Islam zusammen, die die Formierung der Gesellschaft nach den Regeln des Koran und der Scharia anstrebt.

Die Deutsche Islamkonferenz besteht aus jenen seit Jahren stattfindenden Gesprächsrunden zwischen dem deutschen Staat und den in Deutschland agierenden Vertretern der Muslime und verfolgt vorgeblich das Ziel, die Integration der Muslime in die deutsche Bevölkerung zu fördern. Auf diesen Konferenzen spielen die liberalen Varianten des Islam oder gar Ex-Muslime bemerkenswerterweise eine immer weniger einflussreiche Rolle. Die Politik begründet die bevorzugte Zusammenarbeit mit den orthodoxen muslimischen Organisationen wie zum Beispiel DITIB, ZMD (Zentralrat der Muslime in Deutschland) oder etwa Milli Görüs (größtes Mitglied im Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland) damit, dass nur diese als organisierte Ansprechpartner zur Verfügung stünden. Das stimmt – wie später noch ausgeführt wird – inzwischen so nicht mehr. Tatsächlich erhoffen sich die überwiegend kirchennahen Politiker in der Islamkonferenz und damit auch die Kirchen von der orthodoxen, sprich politischen Variante des Islam, wohl eher Unterstützung für ihre eigene Auffassung von der mitbestimmenden Rolle der Religion im Staat.

Diese angemaßte Rolle der Kirchen besteht nach wie vor im Einflussnehmen auf Gedankenwelt, Wertvorstellungen und Lebensweise aller in ihrem Wirkungsbereich lebenden Menschen. Da der orthodoxe Islam ebenfalls die Absicht verfolgt, eine führende Rolle im Staat einzunehmen und die Gesellschaft nach seinen Vorstellungen zu formieren, erhoffen sich die Kirchen durch den Islam eine Bestätigung ihres jahrhundertlang praktizierten Modells der engen Kooperation mit dem Staat. Es ist fast überflüssig zu erwähnen, dass die Kirchen bei dieser Form der jahrhundertelangen »Interessengemeinschaft« stets die Werte und die Politik bestimmende Rolle einnahmen, nicht zuletzt durch Könige und Minister, in deren Köpfen das Christentum fest verankert war.

Insofern betrachten die Kirchen den orthodoxen Islam als ihren quasi natürlichen Verbündeten, weil auch diese Religion den Anspruch erhebt, Mensch und Gesellschaft den Glaubensregeln zu unterwerfen. In der Deutschen Islamkonferenz sitzen maßgeblich inzwischen fast nur noch konservative und orthodoxe Muslime. Einer der wenigen letzten überzeugend auftretenden Vertreter einer offenen und liberalen Gesellschaft, der deutsch-ägyptische Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad, verabschiedete sich vor kurzem enttäuscht und resigniert als Teilnehmer an dieser Konferenz. Er begründete seinen Rücktritt mit der auch von anderen Teilnehmern wiederholt gemachten Feststellung, dass sich die Bundesregierung den Islamverbänden geradezu andiene, statt Konzepte und Auffassungen durchzusetzen, die mit einer offenen und liberalen Gesellschaft vereinbar seien (9).

Dem widerspricht ein wenig überzeugender Bericht von Rainer Hermann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der einem bekannten Muster folgt, nämlich den muslimischen Verbänden naiv als Wahrheit abzunehmen, was sie äußern. Die bisher tonangebenden Verbände zeigen sich zwar nach außen dialogbereit und zu Zugeständnissen bereit. Doch innerhalb ihrer Verbände ist ihr Agieren in Wirklichkeit integrationsablehnend und im Falle der DITIB reine AKP- bzw. Erdogan-orientierte Politik (wie noch zu zeigen sein wird). Zwar wird von Vertretern der DITIB eingeräumt, dass sie der türkischen Religionsbehörde unterstellt seien. Zugleich beruft man sich aber angeblich zu Recht auf das Religionsverfassungsrecht des Grundgesetzes, wonach nur die organisierten Gläubigen als Verhandlungspartner des Staates auftreten dürften. Aber diese existieren in der geforderten Form nicht. Die hier sprechenden Verbände sind politische Organisationen, keine Religionsgemeinschaften. (Diesbezüglich ist ein Verfahren vor den Verwaltungsgerichten anhängig, das hier Klarheit schaffen soll.) Des Weiteren ist an dem Bericht der FAZ die abwegige Deutung des Begriffs des Politischen Islam zu kritisieren. Dieser meint eigentlich den Anspruch des Islam, die Trennung zwischen Staat und Religion aufzuheben, nicht wie der Autor des Artikels referiert, dass damit die allgemeine politische Betätigung eines gläubigen Muslims schon verdächtig sei (10).

Deutlich wurde das Zurückweichen vor den Forderungen der orthodoxen Verbände beispielhaft letztens an einem zentralen Anliegen des Innenministeriums, der Ausbildung des muslimisch-religiösen Personals. Als Minister Seehofer erläuterte, dass zukünftig die Ausbildung von Imamen in Deutschland stattfände, sodass deren Import aus der Türkei und anderen Ländern nicht mehr erforderlich sei, erklärte ihm ein Vertreter der DITIB kühl, dass sie keine an deutschen Universitäten ausgebildeten Imame einstellen würden. Diese brüske Zurückweisung wurde von Vertretern des Ministeriums bezeichnenderweise wortlos hingenommen, wobei Innenminister Seehofer in dieser Auseinandersetzung offenbar geradezu hilflos wirkte. Für Abdel-Samad war das ein weiterer Beleg, dass die Vorstellungen der konservativen und orthodoxen muslimischen Vertreter mehr oder weniger von der deutschen Politik letztlich akzeptiert würden und sich damit schleichend durchsetzen. Es kämen, so sein Vorwurf, nicht jene Wertvorstellungen zum Zug, die aus der Sicht des Aufnahmelandes zu gelten hätten (siehe auch Anm. 9!).

Welcher Ungeist sich inzwischen auf der Islamkonferenz breitgemacht hat, wird an einem Vorfall am Rande der Veranstaltung deutlich. Abdel-Samad erschien mit sieben Leibwächtern, die ihn bekanntlich seit dem Jahr 2014 rund um die Uhr bewachen müssen; ähnlich stark beschützt wurden übrigens auch Seyran Ates und Ahmad Mansour. Das veranlasste die Vertreterin eines der muslimischen Verbände zu der Äußerung, warum er, Abdel-Samad, so eine »Show abziehen« würde und »ob er Angst vor ihr hätte«. Sie bekam für diese ihn verhöhnende Bemerkung aus der Runde der Teilnehmer auch noch Applaus. Man mag daran erkennen, dass einem eindrucksvollen Verteidiger unserer offenen und liberalen Gesellschaft in schamloser Weise und offenbar unwidersprochen von Seiten des Konferenzgastgebers unterstellt wird, dass seine physische Bedrohung nur eingebildet sei und mit dem islamisch motivierten Terror gegen Kritiker des Islam überhaupt nichts zu tun hätte (11).

Die nachrichtlichen Berichte von ARD und ZDF zum Verlauf und zu den Erfolgen der Islamkonferenzen beschönigen stets die Situation und vermitteln meines Erachtens kein zutreffendes Bild in Bezug auf die Ergebnisse. Deutliche Worte des Psychologen und Extremismusforschers Ahmad Mansour, Teilnehmer der Islam-Konferenz, und die Gründung der »Initiative Säkularer Islam« (mehr dazu in Kapitel 4!) lassen erkennen, wie groß die Kluft tatsächlich ist zwischen den Absichten der konservativen, die Konferenz dominierenden Islamverbände einerseits und den einst formulierten Zielsetzungen der Initiatoren der Islamkonferenzen andererseits. In einem schon älteren Interview aus dem Jahr 2016 äußerte sich Ahmad Mansour gegenüber der Wochenzeitung »Die Zeit« u.a. so:

»Die Entwicklung der letzten drei Jahren gefällt mir nicht. Alle muslimischen Einzelpersonen sind ausgeladen worden. Geblieben sind fast nur reaktionäre, konservative Verbände, die über ihre Themen reden und andere nicht zulassen. Salafismus, die Radikalisierung von Jugendlichen, Frauenrechte – alles, was problembelastet ist, wird vermieden. Wer beispielsweise die in muslimischen Familien verbreitete Angstpädagogik kritisiert oder dass den [Koran-]Texten blind gefolgt wird, ohne sie in ihren historischen und lokalen Kontext zu stellen, wird als islamophob diffamiert und mundtot gemacht. … (wir haben) zum Beispiel darüber diskutiert, ob man den Begriff Islamismus überhaupt verwenden darf, statt etwas dagegen zu tun. … die säkularen Muslime sind definitiv nicht in der Mehrheit in Deutschland. Aber ob konservativ oder liberal – die Mehrheit der Muslime, die hier in Deutschland sozialisiert ist, fühlt sich nicht von den Verbänden vertreten, die ihre Strukturen in Saudi-Arabien oder in der Türkei haben und politische Interessen verfolgen. Das haben wir gerade bei der Ditib während des Putsches in der Türkei miterleben müssen. Wir brauchen in Zukunft ein Islamverständnis, made in Deutschland.« (12).

Es gibt wegen des Verhaltens auf der letzten Islamkonferenz und auch des Auftretens des Innenministers in der Öffentlichkeit gute Gründe anzunehmen, dass sich gegenüber der von Mansour geschilderten Situation bis heute wenig geändert hat. Dem widerspricht nicht das Verbot des extremistischen salafistischen Vereins »Ansaar International« Anfang Mai 2021 durch den Innenminister. Ansaar sammelte Spenden für eindeutig terroristische Gruppen in Syrien, Gaza und Somalia. Auf der Islamkonferenz war Ansaar bisher nicht vertreten.

3. Warum die ungebremste Entfaltung des Politischen Islam das Ende für unsere offene und liberale Gesellschaft bedeutet

Generell muss es uns darum gehen, die an so vielen Stellen gefährdeten Errungenschaften der Aufklärung und die Grundpfeiler und Werte einer offenen und liberalen Gesellschaft zu verteidigen, zu bewahren und wo notwendig weiterzuentwickeln. Um sich gegen eine mittelalterliche, zu Teilen aggressiv auftretende Religion zu wehren, bedarf es daher einer genaueren Betrachtung des orthodoxen Islam, seiner zahlreichen offen und verdeckt agierenden Organisationen, deren Vernetzungen im In- und Ausland, ihrer Finanzierung durch inländische und ausländische Geldgeber, vor allem ihrer langfristigen strategischen Zielsetzungen. Aber auch die Motive und psychologischen Hintergründe, die die gewaltsamen Aggressionen gegen unsere Kultur und Lebensweise erklären können, sind von Interesse.

Um von der Größenordnung der hier lebenden Muslime eine Vorstellung zu haben, nachfolgend ein paar Daten: Die Daten-Plattform »statista« gibt die Zahl der in Deutschland lebenden Muslime mit 4,4 bis 4,7 Millionen an; die Zahlen stammen aus 2015. Seit dieser Zeit stieg die Zahl der Menschen aus muslimischen Ländern laut »Bundesamt für Migration und Flüchtlinge« um ca. 900.000 auf jetzt 5,3 bis 5,6 Millionen. Davon sind 45 Prozent türkischstämmig, 19 Prozent kommen aus einem arabischsprachigen Land des Nahen Ostens, 8 Prozent aus Nordafrika. Die Zahl der Moscheen und Gebetshäuser wird mit etwa 2800 angegeben (13).

Ein beträchtlicher Teil der insgesamt mehr als fünf Millionen hier lebenden Muslime dürfte inzwischen soweit säkularisiert oder dem Glauben gegenüber gleichgültig geworden sein, sodass die Religion für sie allenfalls noch eine Tradition darstellt, aber ohne Anspruch auf ihre strenge Interpretation nach Koran und Scharia. Nach Einschätzung der Islamismus-Expertin Sigrid Herrmann-Marschall besuchen etwa 40 Prozent der Muslime keine oder selten religiöse Veranstaltungen, sie werden jedenfalls nicht von den bekannten muslimischen Organisationen – siehe Kapitel 4! – wie etwa DITIB, Zentralrat der Muslime oder etwa dem Islamrat vertreten (14). Auch der arabisch sprechende und über mehrere Jahre aus dem arabischen Raum berichtende Journalist und Autor Constantin Schreiber betont in einem Interview, dass die große Mehrheit der Muslime »Kulturmuslime« seien, die nie oder nur an Ramadan in die Moschee gingen. Aber diese Hinweise können nicht beruhigen. Dieser Teil der Muslime ist überwiegend nicht organisiert und ist von schwer einschätzbarem polit-religiösen Einfluss. Anhand von Studien ist bekannt, dass jedenfalls von einem relevanten Teil dieser Muslime aber auch keine Verteidigung unserer gesellschaftlichen Prinzipien und Werte zu erwarten ist. So konnte der Soziologe Koopmans 2008 in einer Studie zeigen, dass 44 Prozent der Muslime eine fundamentalistische Grundeinstellung aufweisen. Im Zweifelsfall, so ist zu befürchten, werden sie sich mehrheitlich letztlich doch als Muslime verstehen, nicht als Mitglieder einer offenen und liberalen Gesellschaft. Aus Umfragen wird immer wieder deutlich, dass jedenfalls für einen überzeugten Anhänger der muslimischen Kultur und aufgrund einer einst verinnerlichten Glaubenslehre im Zweifel die religiösen Gesetze über denen des Staates stehen. Auch wenn zwei der nachfolgend in den Anmerkungen genannten Texte schon etwas älter sind, grundlegende Einstellungen bleiben auf Jahre stabil und lassen sich nur schwer, allenfalls langfristig ändern (15).

Definitorische Randbemerkungen: Die pauschale Bezeichnung »Muslim« für jeden aus einem muslimischen Land hier Eingewanderten kann nicht korrekt sein, wenn – wie eben erwähnt – etwa 40 Prozent der hier aus muslimischen Ländern zugewanderten Menschen wenig oder kein Interesse an religiösen Veranstaltungen haben. Es kann sich bei den Zugewanderten tatsächlich um einen Gläubigen handeln, ebenso aber um einen bezüglich seines Glaubens gleichgültig gewordenen Menschen, vielleicht um einen säkular eingestellten oder aber betont sich atheistisch nennenden Menschen. Diese undifferenzierte Ausdrucksweise entspräche der ebenso unzutreffenden Bezeichnung aller Deutschen als Christen. Hinsichtlich der ebenso vielfach verwendeten Begriffe »Islamophobie«, »Islamfeindlichkeit«, »Islamkritik«, »Muslimenfeindlichkeit« und »Muslimenkritik« hat der Politikwissenschaftler und Soziologe Armin Pfahl Traughber sehr differenzierte Definitionen geliefert (16).

Als einzige bekannte muslimische Gruppe haben sich vor allem die Aleviten ausdrücklich und glaubwürdig zum Wertesystem unserer Gesellschaftsordnung, einschließlich der Menschenrechte, bekannt. Dagegen bekundeten anlässlich der letzten Wahl in der Türkei von den in Deutschland lebenden und abstimmungsberechtigten Türken eine signifikante Mehrheit von 64,8 Prozent Zustimmung zu dem Autokraten und erklärten orthodoxen Muslim Recep Tayyip Erdoğan (17).

In ungezählten Regionen Europas haben sich bereits Parallel- und Gegengesellschaften gebildet, in denen mehr oder weniger ein Leben nach den Vorstellungen eines orthodox verstandenen Islam gelebt wird. Zwei Vorfälle der letzten Monate haben schlaglichtartig die Problematik der schon lange zu beobachtenden und schleichend sich vollziehenden Islamisierung in bestimmten Vierteln von französischen, belgischen, deutschen, schwedischen oder zum Beispiel bosnischen Städten wieder aufleuchten lassen: Der Mord an dem französischen Lehrer Paty in einem Vorort von Paris im Oktober 2020 und der Terroranschlag in der Wiener Innenstadt im November 2020 mit vier Toten und über 20 Verletzten. Sehr bedenklich stimmen muss, wie vielfach in den Medien berichtet wurde, dass nach solchen Attentaten insbesondere jugendliche Muslime solche Anschläge mit Beifallskundgebungen mehr oder weniger offen begrüßen, sich mit den Attentätern solidarisch zeigen und damit ihre erklärte Opposition zu unserem Gesellschaftssystem und seinen Werten in geradezu zynischer Weise zu erkennen geben.

Betrachten wir dazu die beiden zuletzt erwähnten Attentate etwas näher. Am 16. Oktober 2020 wurde der französische Lehrer Samuel Paty in der Nähe seiner im Pariser Vorort Conflans-Sainte-Honorine gelegenen Schule auf offener Straße enthauptet. Der Täter war ein »islamistisch« motivierter 18-Jähriger tschetschenischer Herkunft. Bei seiner Festnahme wurde er erschossen. Es war das fünfte islamische Attentat in Frankreich im Jahr 2020.

Der Geschichts- und Geographielehrer Samuel Paty hatte etwa 10 Tage vorher an seiner Schule, wie im Lehrplan vorgesehen, in zwei verschiedenen Klassen der gleichen Jahrgangsstufe zum Thema Recht auf Meinungsfreiheit unterrichtet. Dazu benutzte er bereits seit einigen Jahren unter anderem die aus der Satirezeitschrift Charlie Hebdo bekannten Mohammed-Karikaturen. Eine muslimische Schülerin, die von dieser Unterrichtsstunde erfuhr, berichtete das ihrem Vater, der daraufhin eine Kampagne in Gang setzte, um das Vorgehen des Lehrers Paty zu verurteilen und zu ahnden. Der Vorfall, der schließlich mit der Ermordung des Lehrers endete, zeigt, dass es bereits ein breites Umfeld gibt, das Unterricht über »kritische« Themen, verbunden mit sachlicher Kritik an muslimischen Verhaltensweisen mit Gewaltandrohungen und tatsächlicher Gewalt beantwortet. Nicht nur französische, inzwischen auch deutsche Lehrer bekennen daher, dass sie bestimmte Themen wie die Evolutionslehre oder Religionskritik, wie sie beispielsweise Voltaire übt, im Unterricht vorsichtshalber nicht mehr behandeln und insofern sich bereits selbst zensierten.

Als Reaktion auf diesen letzten und eine Reihe vorher stattgefundener Attentate verabschiedete das französische Kabinett ein Gesetzespaket, das »der gefährlichen Ideologie des radikalen Islamismus« (ursprüngliche Formulierung) den Kampf ansagt. Der Begriff »Islamismus« allerdings wurde als zu provokativ empfunden und gestrichen, stattdessen trug das Gesetzesvorhaben danach den Titel »Gesetz zur Stärkung der republikanischen Prinzipien«. Zu den geplanten Maßnahmen zählen (18):

- eine konsequentere Überwachung von religiösen Vereinen;

- Stärkung des Gebots der Neutralität von Staatsbeamten und in bestimmten Bereichen auch von privaten Mitarbeitern, betreffend u.a. das Tragen religiös begründeter Kleidung;

- eine stärkere Kontrolle der Ausbildung der in Frankreich wirkenden Imame;

- Überwachung von Geldern aus dem Ausland nach Spendern und Höhe;

- erhebliche Einschränkung des privat erteilten Schulunterrichts;

- Kampf gegen Zwangsehen, Polygamie und Jungfräulichkeitszertifikate;

- harte Strafen gegen Aufrufe zu Hass und Gewalt gegen namentlich genannte Menschen.

Die von Macron entwickelte sogenannte »Charta« plante unter anderem ein Zulassungs- und Kontrollverfahren für alle Imame, die in französischen Moscheen predigen. Antisemitismus, Homophobie und Frauenbeleidigung sollen zukünftig als Straftatbestände gelten. Ein weiterer Artikel verbietet jede übergriffige Form der Missionierung und verpflichtet, ausdrücklich jeder Form von Gewalt entschieden entgegenzutreten. Des Weiteren besteht eine Verpflichtung zu politischer Zurückhaltung sowie ein Bekenntnis zur Trennung von Staat und Religion. Man möchte meinen, dass es sich bei diesen Forderungen um Selbstverständlichkeiten handeln sollte. Sie tatsächlich durchzusetzen, erscheint mir angesichts des Selbstbewusstseins aufgrund längst eroberter gesellschaftlicher und politischer Positionen und der aggressiven Entschlossenheit der Gegenseite dennoch kaum noch möglich. Auch die katholische Kirche Frankreichs hat Bedenken angemeldet, weil sie mit diesen Maßnahmen auch ihre Aktivitäten bedroht sieht (19). Von Seiten der LINKEN und Teilen der GRÜNEN – übrigens nicht nur der französischen – sind keine klaren, sich von den orthodoxen Muslimen abgrenzende Bekenntnisse zu den Werten der offenen und liberalen Gesellschaft zu erwarten. Dazu sehen sie offenbar in den muslimischen Migranten auch ein viel zu interessantes Wählerpotential (20).

Generell strebt Macron einen, wie er formuliert, »aufgeklärten Islam« an. Ich halte allerdings einen Erfolg seiner Maßnahmen für wenig wahrscheinlich. Die Maßnahmen kommen zu spät. Die vielen inzwischen »eroberten« Gebiete orthodox-muslimischer Prägung werden von den tonangebenden Fundamentalisten nicht mehr kampflos aufgegeben werden. Mehrere islamische Verbände weigern sich, das »unzweideutige Bekenntnis zu den verfassungsrechtlichen Grundprinzipien« abzulegen, das die neue Grundsatzcharta für einen französischen Islam abverlangt. Hinzu kommen die innenpolitischen Uneinigkeiten, die wirkungsvolle Maßnahmen verwässern, wenn nicht zum Scheitern verurteilen werden. Die Kritik insbesondere von der Linkspartei »La France insoumise«, die in dem Vorhaben Islamfeindlichkeit und Stigmatisierung der Muslime sehen, be- und verhindert ebenso entschlossenes Handeln. Das französische Parlament hat das Gesetz »zur Stärkung der Prinzipien der Republik« inzwischen verabschiedet. Von den ursprünglich vorgesehenen Maßnahmen konnte folglich so manche als wesentlich erachtete Vorschrift nicht durchgesetzt werden.

Die innenpolitischen Auseinandersetzungen werden sich daher weiter verschärfen (21). Dadurch könnte durchaus bei den nächsten Wahlen die rechtsorientierte Partei »Rassemblement National« zur stärksten Kraft aufsteigen und Marine Le Pen Präsidentin Frankreichs werden. Spätestens dann würden die innerfranzösischen Auseinandersetzungen bürgerkriegsähnliche Züge annehmen. Und dies umso mehr als französische Sicherheitsbehörden feststellten, dass inzwischen bereits 150 französische Stadtviertel von Islamverbänden kontrolliert würden, nicht zuletzt aufgrund von Geldern des Golfstaates Katar (22). Dass sich im April 2021 in Frankreich 20 pensionierte Generäle und zahlreiche weitere Militärs in einem Brandbrief an die Öffentlichkeit wandten und vor einem »Zerfall« Frankreichs und vor einem »Bürgerkrieg« warnten, sollte man nicht mit einer abwehrenden Handbewegung und der Bemerkung quittieren, dass es sich um einen der üblichen »rechtsextremen Warnrufe und Appelle« handele. Mitte Mai ist ein weiterer offener, im Ton noch schärfer gehaltener Brief mit weit über 200.000 Unterschriften junger Soldaten dazu gekommen. In einem urdemokratischen Land wie Frankreich sind solche Aktionen schon als beunruhigend zu bezeichnen.

Der Terroranschlag in Wien 2020 ereignete sich am 2. November 2020. Bei dem terroristischen Amoklauf in einem belebten Lokalviertel der Wiener Innenstadt wurden vier Personen getötet und 23 weitere teils schwer verletzt.

Der allein handelnde Täter war ein 20-Jähriger, der in Österreich geboren wurde und dessen Eltern aus Nordmazedonien stammen. Auch er wurde von der Polizei erschossen. Er war Sympathisant der Terrororganisation »Islamischer Staat«, weshalb die Ermittler die Tat als »islamistisch« motiviert einstuften. Der Täter versuchte in den letzten Jahren wiederholt, sich nach Syrien abzusetzen, um sich dort den kämpfenden Islamisten anzuschließen. Beim letzten Ausreiseversuch wurde er in der Türkei verhaftet und schließlich in Österreich wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation und terroristischen Vereinigung zu 22 Monaten Gefängnis verurteilt. Aufgrund einer günstigen Sozialprognose wurde er vorzeitig entlassen, hatte aber ein Deradikalisierungsprogramm zu durchlaufen. Über dessen angeblich positiven Erfolg konnte er offensichtlich die Behörden erfolgreich täuschen. Es kann mit guten Gründen angenommen werden, dass ähnlich wie in Frankreich und in Deutschland auch in Österreich ein nicht unerheblicher Teil der jugendlichen Muslime solchen Attentaten mehr oder weniger offen zustimmen und gutheißen.

Die österreichische Regierung hat daraufhin Mitte November 2020 ebenfalls umfangreiche Gesetzespläne gegen den Terrorismus vorgestellt. Dazu gehört (23):

- ein neuer Straftatbestand »politischer Islam«, um gegen jene vorgehen zu können, die den Nährboden für terroristische Aktivitäten bereiten;

- ein Verzeichnis der in Österreich tätigen Imame zur Beobachtung der Verbreitung extremistischer Ideologien;

- Vereine und Moscheen sollen geschlossen werden können, wenn sie Terrorpropaganda betreiben;

- Terrorismus-Vorbestrafte sollen nach Ende ihrer Haftstrafe strenger überwacht, gegebenenfalls weiter in Haft gehalten werden können;

- es werden auf Terrorismus spezialisierte Staatsanwaltschaften eingerichtet.

Mit »islamistisch« beziehungsweise »Islamismus« ist eine Deutung des Islam gemeint, die eine Ordnung anstrebt, die über den von Menschen gemachten gesellschaftlichen Ordnungen steht. Im Grunde genommen wird damit ein betont orthodox interpretierter Islam verstanden, der von sich behauptet, die einzige gottgewollte und wahre Religion zu sein. Das stellt eine Auslegung des Islam dar, die massiv gegen unsere freiheitliche und demokratische Grundordnung verstößt. Ein so interpretierter Islam kennt zum Beispiel keine Trennung von Staat und Religion, keine Religionsfreiheit und keine Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Die Verwendung des Begriffs »islamistisch« im politischen Sprachgebrauch hat meines Erachtens die Funktion, davon abzulenken, dass letztlich zwischen »islamistisch« und einem »streng orthodox« interpretierten Islam kein Unterschied besteht.

Dieser orthodoxe Islam realisiert das, was inzwischen treffender mit dem Begriff des »politischen Islam« bezeichnet wird. Ausgelöst durch den jüngsten Terroranschlag hat die österreichische Bundesregierung eine »Dokumentationsstelle Politischer Islam« eingerichtet und arbeitet zu diesem Zweck mit Professor Mouhanad Khorchide, einem Vertreter eines aufgeklärt-humanistischen Islam, zusammen. Khorchide ist Leiter des Zentrums für Islamische Theologie und Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster. Der Begriff »Politischer Islam« wird als Arbeitsgrundlage wie folgt definiert: »Der Politische Islam ist eine Herrschaftsideologie, die die Umgestaltung bzw. Beeinflussung von Gesellschaft, Kultur, Staat oder Politik anhand von solchen Werten und Normen anstrebt, die von deren Verfechtern als islamisch angesehen werden, die aber im Widerspruch zu den Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaates und den Menschenrechten stehen.« (24).

Susanne Schröter, Professorin für Ethnologie an der Universität Frankfurt und Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, gibt in ihrem Buch »Politischer Islam – Stresstest für Deutschland« folgende, prinzipiell inhaltsgleiche Definition: »Der politische Islam ist eine Herrschaftsordnung, die einen fundamentalen Gegenentwurf zu Demokratie, Pluralismus und individuellen Freiheitsrechten darstellt. Seine Vertreter streben die Umgestaltung von Staat und Gesellschaft anhand islamischer Normen an. Machtbewusst agieren sie auch in Deutschland, erzeugen eine Vielzahl von Konflikten und setzen unsere Gesellschaft zunehmend einem Stresstest aus.« (25).

Die Chancen Österreichs, den Einfluss des politischen Islam zurückzudrängen, dürften deutlich größer sein als die Frankreichs. Zum einen dürfte der Anteil an entschlossen Widerstand leistenden Muslimen in Österreich kleiner sein. Die politische Situation ist zudem unbelastet von einer kolonialen Vergangenheit. Des Weiteren haben sich in Österreich durch eine viel später erfolgte Zuwanderung noch nicht so viele gesellschaftlich isolierte und verselbstständigte orthodox-muslimisch geprägte Parallel- und Gegengesellschaften gebildet, die ihren jetzigen Entwicklungsstand als zu verteidigenden Etappensieg auf dem Weg in eine islamische Gesellschaft betrachten.

Einen Überblick über die Maßnahmen der europäischen Länder zur Eindämmung des Einflusses des politischen Islam auf unser Gesellschaftssystem, insbesondere hinsichtlich des Schutzes des säkularen Rechtsstaats und des Stopps von Geldzuflüssen aus dem Ausland, gibt ein Beitrag der Zeitung »Die Welt« (26).

Nun gibt es allerdings nicht nur gewaltbereite Salafisten und andere zu allem entschlossene muslimische Extremisten, die ganz offen von einem »Gottesstaat« nach Koran und Scharia träumen und versuchen, diesen hier zu etablieren. Inzwischen haben viele Islamisten, also Anhänger des politischen Islam, zu spüren bekommen, dass ihre Aktivitäten von den Sicherheitsbehörden und nicht zuletzt von den Verfassungsschützern kritisch beobachtet werden und die Ausbreitung und Verwirklichung ihrer Ideen mit den Mitteln des Rechtsstaates bekämpfen. Auch jene deutschen Politiker, die sich als engagierte Vertreter unserer offenen und liberalen Gesellschaft verstehen, stellen sich entschlossen den Versuchen entgegen, aus unserem Gesellschaftssystem einen islamischen Staat zu machen, dessen Bürger nach den Geboten und Verboten von Koran und Scharia zu leben hätten (27). Interessanter- und erfreulicherweise zählen auch nicht wenige liberal denkende Muslime beziehungsweise Ex-Muslime zu jenen, die sich gegen die Islamisierung unserer Gesellschaft entschieden wehren.

Die zuletzt genannte Gruppe entschiedener Verfechter unserer Gesellschaftsordnung machen allerdings auf einen neuen Typ islamistischer Kräfte aufmerksam, die sich nach außen scheinbar legal verhalten und unsere Rechts- und Gesellschaftsordnung vermeintlich bejahen. Tatsächlich versuchen sie auf diese Weise zunächst nur in Positionen in der Politik, der Verwaltung, der Polizei oder etwa der Medien zu gelangen, um diese später bei passender Gelegenheit in ihrem Sinne zu nutzen beziehungsweise auszunutzen. Diese »legalistisch« genannte Variante des Islamismus unterwandert unsere gesellschaftlichen Strukturen, agiert aber zunächst unauffällig und verdeckt und achtet dabei streng darauf, durch keinerlei illegales Handeln aufzufallen. Das langfristige Ziel der Etablierung von Islam und Scharia in Staat und Gesellschaft verlieren sie dabei keinesfalls aus den Augen. Es handelt sich gewissermaßen um einen »Marsch durch die Institutionen« nach gehabtem Muster. Diese Unterwanderung unserer Gesellschaft gilt es zu erkennen und zu verhindern. Mein Eindruck ist, dass unsere Regierenden, speziell unser derzeitiger Innenminister Seehofer, entweder ob ihrer naiven Einstellung diese Gefahr überhaupt nicht erkennen, oder ganz im Gegenteil langfristig den Kirchen starke religiöse Partner an die Seite stellen möchten, um dem allgemeinen Bedeutungsverlust des Religiösen und der Kirchen in den westlichen Gesellschaften entgegenzuwirken.

Da Vertreter des legalistischen Islam ganz betont durch Straftaten nicht auffallen wollen, ist ihre Beobachtung deutlich schwieriger als zum Beispiel bei gewaltbereiten Gegnern unserer Gesellschaftsordnung. Zum Thema legalistischer Islamismus und auf welche – man muss es so formulieren – arglistige Weise deren Vertreter unsere Gesellschaft zu unterwandern versuchen, äußert sich detailliert und überzeugend auch der Psychologe und Islamismus-Experte Ahmad Mansour in einer Veröffentlichungsreihe, deren erste Folge kürzlich erschienen ist (28). Die Islamismus-Expertin Sigrid Herrmann-Marschall machte vor kurzem in einem Vortrag darauf aufmerksam, wie weit der bedrohende Einfluss legalistisch operierender muslimischer Organisationen bereits reicht. Das hier folgende Kapitel führt weiter in diese Problematik ein und das übernächste Kapitel zeigt anhand einer akribisch und seriös recherchierten Studie ein beunruhigendes Beispiel verdeckten Agierens islamistischer und speziell legalistischer Kreise auf.

Mit einer Form des islamischen Terrors hat sich Europa allerdings bereits abgefunden. Es ist der psychologische Terror, dem jene ausgesetzt sind, die Tag und Nacht von Sicherheitskräften bewacht werden müssen, weil sie es wagen, sich kritisch zum Islam zu äußern und Repräsentanten zu kritisieren, die einen orthodoxen und fundamentalistischen Islam in Deutschland und Europa etablieren möchten. Ja, selbst die Verurteilung gewalttätiger Anschläge wird von gewissen muslimischen Kreisen als unfreundlicher, wenn nicht »islamophober« Akt denunziert. Bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die diesem täglichen psychologischen Druck und der drastischen Einschränkung ihrer täglichen Bewegungsfreiheit ausgeliefert werden, sind etwa die bereits erwähnten Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad, die Imamin Seyran Ates oder der Psychologe Ahmad Mansour. Dass es sich dabei um Menschen handelt, die aus dem muslimischen Kulturkreis zu uns gekommen sind und die dortigen Verhältnisse besonders gut kennen, macht ihre Aussagen und Warnungen umso glaubwürdiger. Es sind europaweit Hunderte von Autoren, Politiker, Karikaturisten und andere Menschen verschiedenster Nationalität und politischer Orientierung, die dieser niederträchtigen Form täglichen Terrors ausgeliefert sind. Sie machen lediglich von der Meinungsfreiheit Gebrauch, zu der selbstverständlich auch die Religionskritik gehört, einem der grundlegendsten Rechte einer freien Gesellschaft.

Die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo nahm bekanntlich ebenfalls das Recht auf Kunst- und Meinungsfreiheit wahr, als sie die bekannten Mohammed-Karikaturen und dazu kritische Texte veröffentlichte. Ein Großteil der Redaktion hat das, wie wir wissen, mit ihrem Leben bezahlt. Die überlebenden Redaktionsmitglieder zeigen dennoch bewundernswerte Zivilcourage und führen die Zeitschrift im Geiste ihrer getöteten Kollegen weiter. Die Kosten für den täglichen polizeilichen Schutz von ca. 1,2 Million Euro jährlich müssen sie, wie die Frankfurter Allgemeine schreibt, selber tragen (29). Man kann daran erkennen, was dem französischen Staat das grundlegende Recht auf Kunst- und Meinungsfreiheit und die physische Sicherheit seiner Bürger noch wert ist. Oder ist es bereits das Eingeständnis, als Ordnungsmacht inzwischen kapituliert zu haben?

Bleibt noch die Frage anzusprechen, was die Motive sein können, die Ziele des politischen Islam zu unterstützen und wie Hass und Wut zu erklären sind, mit denen terroristische Taten ausgeführt werden. Man muss wohl kein Psychologe sein, um zu vermuten, dass tiefsitzende Kränkungen jene Aggressionen erzeugen können, blindlings und ohne Rücksicht sogar auf das eigene Leben einen vermeintlichen religiösen Auftrag in die Tat umzusetzen.

Es wird in vielen Fällen die zu Wut und Hass gesteigerte Einsicht sein, hier nicht das ersehnte Glück gefunden zu haben. Die Sehnsucht nach Wohlstand und einer Familie hat sich nicht erfüllt. Von der Aufnahmegesellschaft fühlt er sich nicht akzeptiert, er ist hier ein Fremder geblieben. Er fühlt sich hier als Opfer, nicht als Gestalter seines Lebens. Aber auch eine Rückkehr in die Heimat verbietet sich aus vielerlei Gründen. Hinzu kommt vielleicht eine nicht verarbeitete Enttäuschung, dass die ihm vermittelte Überlegenheit der muslimischen Länder aufgrund einer angeblich überlegenen Religion sich als Illusion entpuppte. Denn wissenschaftlich, technisch und ökonomisch rangieren die muslimischen Länder eher auf der Ebene von Entwicklungsländern. Politisch stellen sie von der westlichen Welt verachtete Diktaturen dar. Und der äußere Reichtum einiger arabischer Länder ist nicht eigener Leistung zu verdanken sondern dem Öl als Geschenk der Natur. Ein vernunftgesteuerter Umgang mit diesen Einsichten und seiner daraus folgenden tiefen Enttäuschung gelingt ihm jedoch nicht.

Es kann auch religiös begründeter Zorn darüber sein, dass hier Menschen leben, die eine andere Religion und Weltanschauung haben und den Islam nicht als die einzig wahre Religion anerkennen wollen, dass Menschen sich hier die Freiheit nehmen, überhaupt keiner Religion anzuhängen oder dass sie sogar die Existenz eines Gottes bezweifeln. Diese geradezu grenzenlose Empörung kann sich einstellen bei Menschen, die von der absoluten Wahrheit und absoluten Überlegenheit ihrer Religion zutiefst überzeugt sind. Es kann der verstörende Anblick von Menschen sein, die sich die – für ihn: gottverachtende – Freiheit nehmen, selbst­bestimmt und ohne die Gebote einer Religion zu leben. Ihn irritieren Frauen, die sich ohne Kopftuch und leicht bekleidet zeigen und die gleichen Rechte wie die Männer in Anspruch nehmen. Ihn empören zudem maßlos Menschen, die einst Muslime waren, sich inzwischen vom Islam getrennt haben. Solche Loslösungen bedeuten für ihn eine schwere Beleidigung Allahs. Diese Erfahrungen in einer ihm unbegreiflich bleibenden Welt, seine ihm von Kindheit an indoktrinierte Lehre mit ihrer Ausrichtung auf einen allmächtigen, ihn belohnenden oder bestrafenden Gott können schließlich in einer Verzweiflungstat kulminieren, von der er annimmt, dass sie im Sinne seines Gottes begangen wird.

Fortsetzung in Teil 2.

Anmerkungen und Quellennachweis (PDF Datei)

Kommentare

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    Eckhardt Kiwitt, Freising

    In ABSCHNITT 2. "Christentum und Islam waren stets Religionen mit gesellschaftsgestaltendem Anspruch" schreiben Sie u.a.:

    « Frauen und Männer beispielsweise gelten im Alevitentum als gleichgestellt. »

    Im Artikel 3 Satz 2 GG heißt es jedoch ausdrücklich:

    « Männer und Frauen sind gleichberechtigt. »

    Kann man daraus nun schließen, dass das o.a. Bekenntnis zum Grundgesetz, zumindest was die Gleichberechtigung betrifft, nur ein Lippenbekenntnis ist ?

    Nebenbei:
    ABSCHNITT 3 finde ich teilweise arg spekulativ.

    Eckhardt Kiwitt, Freising | Islamprinzip.WordPress

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      Christian Meißner

      Ein Essay, das die Problematik des politischen Islams für Freiheit und Demokratie in Deutschland mit präzisen Worten schonungslos offenlegt. Vielen Dank!

      Ergänzen möchte ich, dass der opportunistische Blick auf das Wählerpotenzial der muslimischen Bürger keiner "etablierten" Partei fremd, wobei wohl bei SPD und Linken am stärksten ausgeprägt ist. Bei den Grünen bleibt festzuhalten, dass Cem Özdemir jüngst ziemlich klar Position gegen den politischen Islam bezogen hat.

      Alles in allem ist das ein Beitrag, hinter dem sich m. E. alle säkular denkenden Menschen in Deutschland versammeln können.

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        matthias freyberg

        Es erscheint mir verantwortungslos gegenüber den Einwanderern, nicht klar zu machen, wie
        die Lebensbedingungen und Lebensverhältnisse in Deutschland sind und welche wirtschaftliche Realität sie erwartet.

        Es gehört viel manipulative Energie dazu, sowohl die wirtschaftlichen als auch gesellschaftlichen Folgen für die deutsche Seite schönfärberisch zu „verkaufen“. Oder ist es eine Mischung aus Ideologie, Naivität, Unvermögen und fehlendem Mut zur Verantwortung?

        Gesellschaft ist das Ergebnis von vielschichtigen „Aushandlungsprozessen“ - so heißt es. Das tönt allerdings etwas hochtrabend angesichts der lebenspraktischen schnellen Kompromisse und mehr noch dadurch, dass Trägheit und mangelnde Streitkultur sich z.Zt. die Hand geben mit einer fehlenden Wertschätzung des Erreichten und der ausbleibenden Bereitschaft, dafür auch zu kämpfen und es mit Ernsthaftigkeit weiter zu entwickeln.

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        1. userpic
          Uwe Lehnert

          In ihrem neuesten Buch »Die Selbstgerechten« schreibt Sarah Wagenknecht unter der Überschrift »Leitkultur« im Kapitel »Nationalstaat und Wir-Gefühl: Weshalb eine totgesagte Idee Zukunft hat« auf Seite 239 wörtlich:

          »Weil nationale Identitäten kulturell und historisch, aber nicht genetisch bedingt sind, gibt es auch unzählige Beispiele erfolgreicher Integration. Und auch für Migranten gilt: Kultur und Identität lassen sich nicht verordnen. Was von Zuwanderern erwartet werden kann, ist daher nicht, dass sie so denken und fühlen, als wären sie in dem betreffenden Land geboren, sondern die Bereitschaft, sich auf die Mehrheitskultur und deren Werte einzulassen, ihren Fundus an Gemeinsamkeiten zu respektieren und zu beginnen, sich selbst als Bürger des Staates, in dem sie ihr Leben verbringen wollen, zu verstehen.

          Dass Menschen unterschiedliche Bräuche und Traditionen pflegen und an unterschiedliche Götter oder gar nicht glauben, dass sie unterschiedlich kochen, leben und lieben, ist kein Hinderungsgrund für ein gemeinsames Wir-Gefühl. Eine Religion wie der politische Islam, der Abgrenzung und Feindseligkeit predigt, allerdings sehr wohl. Dieser Islam kann schon deshalb nicht zu einem Land wie Deutschland gehören, weil er gar nicht zur hiesigen Kultur und Gesellschaft gehören will

          Anmerkungen von mir: Diese Auffassung zur Migration und zum politischen Islam entspricht vollständig der von mir in meinem obigen Essay geäußerten Einstellung. Hätte ich Sarah Wagenknechts Buch vorher gekannt, hätte ich sie als bemerkenswerte Quelle zitiert.

          Das Buch von Sarah Wagenknecht kann ich nur wärmstens empfehlen. Sie rechnet mit dem Gros ihrer Genossen in der Partei DIE LINKE gnadenlos ab. Sie wirft ihren Parteikollegen u.a. vor, ihre einstigen Ideale verraten zu haben und inzwischen jeden Kontakt zu jener Schicht verloren zu haben, für die sie angeblich eintritt. Für diesen Vorwurf wollen einflussreiche Kreise sie aus der Partei werfen. Da Sarah Wagenknecht in der Bevölkerung hohe Wertschätzung genießt, wurde sie trotz allem als Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl in Nordrhein-Westfallen aufgestellt. Widersprüchlicher geht es kaum!

          In Bezug auf die Migrationspolitik vertritt sie detailliert begründete Auffassungen, die denen der AfD sehr nahe kommen. Sympathien für diese Partei verbindet sie damit nicht.

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