Die Fähigkeit Ungewissheit und Diversität zu ertragen

Debatten an denen ich kürzlich beteiligt war haben meine Aufmerksamkeit wieder einmal auf die Frage gelenkt, weshalb manche Menschen offensichtlich zu bestimmten gedanklichen Schritten nicht in der Lage sind, während andere dies mit Leichtigkeit vollziehen. Im selben Rahmen sind diese Menschen wesentlich anfälliger oder empfänglicher für Erklärungsmuster, die letztere wiederum mit Leichtigkeit als das entlarven, was sie sind – Pseudoerklärungen. Ein ganz besonders kritischer Bereich scheint in diesem Punkt der der Evolutionstheorie, bzw. der der Lehre dieser Theorie zu sein.

Die Fähigkeit Ungewissheit und Diversität zu ertragen

Aus unterschiedlichen Gründen haben manche Menschen große Schwierigkeiten diese als eine brauchbare Erklärung für die Fülle an Lebensformen, die wir gegenwärtig auf der Erde finden (und die Fülle derer, die es einmal auf der Erde gegeben hat, die aber im Verlauf des Evolutionsprozesses ausgestorben sind) anzuerkennen. Mangel an Vorstellungsvermögen, Wissen über genetische und damit evolutionäre Prozesse und schließlich das Unbehagen als Mensch ebenso in dieses Netz von Verwandtschaften zu gehören scheinen mir hier die ausschlaggebenden Punkte zu sein. Wobei letzterer keine natürliche (Hirnfunktion bedingte) Ursache hat, sondern auf die gesellschaftliche Indoktrination mit der Idee der menschlichen Alleinstellung und der durch sie bedingten Besonderheit im Kosmos zurück zu führen ist. Eine Vorstellung, die sich u. a. aus der Tatsache ableitet, dass wir auf der Erde noch keine Spezies getroffen haben, die zu den geistigen Handlungen in der Lage ist zu denen der Mensch sich aufgeschwungen hat.

Problematisch ist das aufeinander treffen solch verschiedener Weltanschauungen immer, noch problematischer wird es jedoch, wenn die Personen, die da nicht der gleichen Auffassung sind, sich auch noch nahe stehen. Zumal eine Seite, die die echte Erkenntnisse schlicht nicht als solche erkennen kann und in Folge Pseudoerklärungen sucht und auch akzeptiert, häufig den Bereich logisch rationaler Argumentation verlässt und sich darauf zurückzieht sich persönlich angegriffen zu fühlen. Die Verteidigung ihres Standpunktes erfolgt dann häufig mit Angriffen auf die Person, welche ihre Ansichten kritisiert hat. U. a. mit Argumenten wie: „derjenige, oder diejenige können keine alternative Ansicht ertragen“; „wissenschaftliche Theorie sei ja auch nur eine Theorie unter vielen und deshalb nicht als wahr anzuerkennen und schon gar nicht so zu lehren“. Im Rahmen der Evolutionslehre werden dann die spezifischen „Pseudokritiken“ angeführt: „Sie könne ja die Entstehung des Lebens nicht erklären“; „in der Kette der gefundenen Fossilien seien viel zu viele und zu große Lücken, als dass diese als Beleg für die Evolution herangezogen werden könnte“; „Altersbestimmungsmethoden wie die der Radiokarbonmessung seine nicht genau genug (im Extremfall wird sogar bezweifelt, dass der Mensch von nuklearen Prozessen überhaupt genug verstehe, um diese als Erklärung heranziehen zu können – und zwar da alles über das Smartphone, durchs Internet und mit Hilfe von Atomstrom!)“; Mikroevolution sei ja noch gerade so akzeptabel, aber doch ganz bestimmt nicht Makroevolution“ und ähnliches.

Die Wut und Verbissenheit, mit der solche verbalen Scharmützel ausgetragen werden erklärt sich freilich durch die Tatsache, dass es hier um fundamentale Vorstellungen der Grundlagen des Seins geht. Diese Tatsache ist viel entscheidender, als die generelle Unterschiedlichkeit der Gedanken. Innerhalb der Wissenschaft haben derartige Paradigmenwechsel mit fortschreitender technologischer Entwicklung und den sich aus ihr ergebenden anwachsenden Möglichkeiten Hypothesen zu verifizieren, oder zu falsifizieren in den letzten Jahrzehnten häufiger stattgefunden. Aber sie hatten so gut wie nie derart fatale Effekte auf die beteiligten Personen, wie entsprechende Vorkommnisse zwischen auf Ideologie basierenden Weltanschauungen und solchen die nach wissenschaftlichen Maßstäben auf Evidenz basieren.

Es ist erstaunlich, wie gut sich religiös gelagerte Vorstellungen trotz der Erkenntnisse der modernen Wissenschaft in der Gesellschaft halten. Menschen die genau wissen, dass es sinnvoll ist, bei einer Erkrankung den Arzt aufzusuchen, die ohne mit der Wimper zu zucken alle möglichen Annehmlichkeiten der technischen Moderne in Anspruch nehmen, springen bei Themen wie der Evolutionslehre, oder der Frage ob es denn einen personifizierten intervenierenden Gott wie den, den uns die heute noch übrig gebliebenen monotheistischen Religionen als existent weiß machen wollen, überhaupt geben kann, ansatzlos zum Bereich der Mythen und des Aberglaubens über, als ob dies nicht zu all dem, dem sie sonst Vertrauen entgegen bringen im Widerspruch stünde.

Zuweilen habe ich das Gefühl, dass mit Bildung und Aufklärung hier nur wenig auszurichten ist. Ich bewundere Menschen wie Richard Dawkins, oder Bill Nye, die sich nicht nur diesem Diskurs seit Jahren, oder Jahrzehnten aussetzen, sondern es sogar wagen ihn in aller Öffentlichkeit zu führen, wohl wissend, dass der Anteil der Menschen, die sich solchen Schwachheiten ergeben vergleichsweise hoch ist, was unter solchen Bedingungen nur zu herber Kritik von allen Seiten (auch von der „eigenen“ Fraktion – u. U. ganz besonders von dieser) führen kann. Es ist offensichtlich, dass es nicht nur darum geht eine bestimmte wissenschaftliche Sichtweise oder Erkenntnis zu verteidigen, was eventuell noch akzeptabel wäre. Nein es geht vielmehr darum der Vernunft und dem evidenzbasierten Weltbild ganz allgemein zu der Stellung zu verhelfen, die sie verdient haben.

Jüngste Entwicklungen sind hier besonders eindrücklich wie bedenklich. Sowohl im Rahmen religiös motivierten großflächigen Terrors wie dem, den Gruppierungen wie die IS oder Boko Haram ausüben, als auch ihren, wenn auch viel gemäßigteren, nichts desto Trotz ebenso ohne jeden vernünftigen Beleg seienden politischen Gegenstücken, wie der Pegida-Bewegung, treffen wir auf eine Mauer aus Ablehnung gegenüber fortschrittlichem, vereinigendem Denken, das sich auf Vernunft und Erkenntnis stützt. Ideologie, die Vorstellung eine absolute Wahrheit zu besitzen, der auch der Verstand und die Vernunft nicht entgegengesetzt werden darf, feiern fröhlich Urständ. Und auch hier findet man Reaktionen, die eindeutig auf Denken und Verhalten zurückzuführen ist, welches von Angst vor Fremdem und Unverstandenem gesteuert wird.

Es ist ein leichtes, für Demagogen, die ihre eigenen Beschränkungen bestätigt und dadurch gesichert sehen wollen, hier anzusetzen und die diffusen Ängste großer Menschenmassen medial auszuschlachten, in dem sie sie schüren und dafür sorgen, dass diese in der Öffentlichkeit dargestellt werden.

Es ist Aufgabe der Politik und der Wissenschaft, diesem mit Hilfe der Aufklärung und der Bildung entgegen zu wirken. Selbstverständlich braucht jedes Land Menschen, die über einen Bildungsgrad verfügen, der sie befähigt, aktiv und produktiv am wirtschaftlichen Tun teilzuhaben. Viel mehr jedoch brauchen wir heute Menschen deren grundlegende Eigenschaft u. a. in einer Offenheit gegenüber Fremdem und damit auch neuen Erkenntnissen besteht. Beschränktheit – wie immer sie sich auch ausdrückt – können wir uns angesichts der aktuellen Situation auf unserem Globus nicht mehr leisten. Die Zukunft der Menschen hängt davon ab, dass wir es schaffen alle zur Verfügung stehenden Kräfte dahingehend zu bündeln, unser Verhalten darauf auszurichten, dass es eine lebenswerte Welt auch für die Kinder unserer Kinder noch geben wird. Die Bedrohungen unserer Gattung sind real. Aber Angst ist eine lähmende Eigenschaft, der wir uns widersetzen können – sie ist eine Entscheidung! Wenn Konservatismus bedeutet sich jeder Entwicklung zu widersetzen, weil diese das gewohnte Weltbild ins Wanken bringt und nicht, das zu bewahren, was sich als sinnvoll und gut herausgestellt hat, dann sollten wir dem Konservatismus abschwören und uns der Realität dessen zuwenden, was als Aufgabe auf uns zu kommt. Ebenso gilt es alle Haltungen abzulegen, die darauf abzielen, das Heil in Fantasielösungen zu suchen, seinen sie ideologischer oder „spiritueller“ Natur!

Kommentare

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    Bernd Kammermeier

    Die Kürzestformel lautet wohl:

    Denken tut weh!

    Glauben tut gut!


    aber:


    Denken ist sinnvoll!

    Glauben ist sinnlos!


    Ich arbeitet gerade Ulrich Kutscheras "Evolutionsbiologie" durch. Eine aktuelle Neuauflage (4. Auflage, 2015) seines Lehrbuches (utb.-Band). Hier zieht sich auch wie ein roter Faden sein "Kampf" gegen Kreationismus durch, der nicht nur in den USA die skurrilsten Blüten austreibt. Wer einerseits fachkundig, sehr gut sortiert und verständlich über Evolution informiert werden will, andererseits aber auch Details über die "Schattenseite" der Wissenschaft erfahren möchte, der ist bei Kutscheras Buch gut aufgehoben. Damit kann jeder gut gewappnet in Diskussionen mit frechen Leugnern der Evolution gehen.

    Wir haben wahrhaft größere Probleme. als zu diskutieren, ob die Welt in sechs Tagen erschaffen sein könnte...

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      KlausR

      Sehr wahr. Interessant finde ich die soziologischen und psychologischen Bedingungen, die zu einer Abkehr von rationalem Denken und Handeln führen. Im nahen und mittleren Osten oder in Afrika finden wir religiösen Fanatismus gehäuft im Umfeld existenziell bedrohlicher Ressourcenknappheit oder sozialer und ökonomischer Ungleichheit. In den islamisch geprägten Ländern spielt aber auch der Bildungsmangel in unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen eine große Rolle. In den Industrienationen kann man den Hang zu metaphysischen Erklärungsversuchen eher als "Luxusproblem" deuten, als Suche nach scheinbar verloren gegangener Emotionalität oder Spiritualität im Umgang. In der Medizin erlebe ich täglich, dass sowohl von Vertretern der Gesundheitsberufe als auch von Patientenseite die etablierte Medizin als unmenschlich und kalt dargstellt wird. Ich entgegne dieser Argumentation immer, dass in erster Linie die Verfolgung von unbewiesenen Handlungskonzepten unmenschlich ist, weil sie das Individuum der Unkontrollierbarkeit und Beliebigkeit einer alternativen Theorie aussetzt. Eine solide humanistische und naturwissenschaftliche Bildung sollte diesen Entwicklungen zumindest entgegenwirken, aber besonders der emotionalen Dimension wird man damit allein wohl nicht gerecht.

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        Mario Gruber

        Top!

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