Die klimatische Erweckungsbewegung

Online-Klimagebet „Kirche für 1,5°“ am 21.09.2021

Die klimatische Erweckungsbewegung

Foto: Pixabay.com / dimitrisvetsikas1969

Das Eintreten für den Klimaschutz nimmt immer fragwürdigere Züge an: Dass nun die evangelische Kirche zum „Klimagebet“ einlädt und Gott darum bitten will, dass die Menschheit doch endlich zur Besinnung kommen möge und die international gesteckten Ziele einhalten solle, ist in mehrerlei Hinsicht bedenklich und pervertiert jegliche Religiosität: Zwar wissen wir spätestens seit der Flüchtlingskrise, wonach der Protestantismus eine sehr politische Konfession ist, die sich auch gerne dezidiert durch ihre obersten Vertreter auf eine bestimmte Seite zu stellen vermag. Doch dass man jetzt sogar versucht, eine charismatisch oder pfingstlich anmutende Erweckung zu erhoffen, lässt mich an mancher Rationalität der Beteiligten zweifeln. Immerhin kenne ich solche Praktiken nur aus extremen Glaubensrichtungen, deren Anhänger ihrer höheren Macht eine grenzenlose Allmacht zugestehen und darauf vertrauen, dass sie theistisch gesehen in das Weltgeschehen und sogar in die Köpfe und Denkprozesse des Menschen eingreift.

Politische Entscheidungen sind nicht durch einen Gott beeinflussbar. Wer davon ausgeht, instrumentalisiert und missbraucht ihn für die eigenen Utopien. Der Slogan „Kirche für 1,5°“ ist eine Bankrotterklärung, weil sich das Ansinnen widerspricht: Die Umweltschutzbewegung geht davon aus, dass wir unter einem menschgemachten Klimawandel leiden und damit selbst dafür verantwortlich sind, dass es zu einer drastischen Erderwärmung kommt. Weshalb möchte man dann Gott in diese Fehlentwicklung einbinden? Ist er derjenige, der Menschheitsfehler ausbügeln soll? Der Retter in der Not, der lediglich dann bemüht wird, wenn wir Geschöpfe nicht mehr weiterwissen? Unabhängig davon, dass ich nicht davon überzeugt bin, wonach sich die perspektivische Veränderung unseres Klimas allein auf die zweifelsohne unredliche Ressourcenverschwendung durch uns irdische Wesen zurückführen lässt, verstört mich als Christ und ehemaliges Mitglied der evangelischen Kirche, mit welcher Einseitigkeit und Naivität man sich mit denjenigen verbündet, die momentan versuchen, die Wahrheit für sich zu beanspruchen.

Dass man gerade die nicht unumstrittene Aktivistin Neubauer zum „Online-Gebet“ eingeladen hat, lässt anmuten: Wird hier die Stellvertreterin der verehrten und sicher alsbald heiliggesprochenen Greta Thunberg als Messias und Nachfolge Christi zelebriert? Ich erwarte in politischen Fragen eine Unabhängigkeit der Konfessionen, solange sie nicht die Mehrheit ihrer Mitglieder wissentlich hinter sich vereinen kann. Die Verjüngung in der EKD hat offenbar auch zu einem massiven Erdrutsch in den weltlichen Überzeugungen der evangelischen Kirche geführt. Dass offenbar die neue Mittzwanziger-Präses Anna-Nicole Heinrich nicht nur theologisch gesehen eine liberale Haltung einnimmt, sondern sich auch politisch kurz nach ihrem Amtsantritt derart in eine bestimmte Ecke positioniert, lässt mich daran zweifeln, ob die Protestanten nicht doch auf dem Weg sind, sich von einer Religions- zu einer dezidiert diesseitigen Weltanschauungsgemeinschaft zu wandeln.

Kommentare

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    Christian

    Ein Artikel, über den ich etwas nachdenken musste.

    Zu Beginn finde ich es gut, dass hier darüber informiert wird, dass Menschen so etwas tun, denn für Veränderungen zu beten ist einfach kein probates Mittel um dem Klimawandel entgegen zu wirken.

    Gleichzeitig denke ich aber auch, dass eventuell die Menschen, die auf so eine Gebetsrunde aufmerksam werden sich eventuell mit einem anderen Konsumverhalten auseinander setzen könnten, eventuell entsteht ein Dialog.

    Was ich an diesem Artikel kritisch finde ist der Umgang mit den beiden Aktivistinnen. Denn Sympathie, denke ich, sollte hier nicht im Vordergrund stehen. Wahrscheinlich nutzen die beiden schlicht jede Plattform die sie verwenden können und da der Klimawandel eine ernstzunehmende ist dies wahrscheinlich ein Mittel zum Zweck für die Fridays for Future Bewegung. Und diese Bewegung hat politische Prozesse in Gang gesetzt. Schade ist nur, wie man hier sehen kann, dass Menschen wieder religiöse Motive benötigen für Aktionen.

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      Holger Kammel

      In einem muß ich Ihnen widersprechen, Herr Riehle, das Beten und Bitten gerade in Not- und Krisenzeiten ist nicht nur legitim, sondern es macht einen wesentlichen Teil von Religion aus. Allerdings sehe ich das Anbiedern der einstmals stolzen evangelischen Kirche an den Zeitgeist ebenso kritisch wie Sie. Diese Kirche hat mittlerweile wesentliche Glaubensgrundsätze über Bord geworfen, um sich zu einer "Wohlfühl- und Kuschelreligion" zu entwickeln. Herausgekommen ist eine lächerliche Sekte. Vielleicht ist der Ansatz der katholischen Kirche, Frauen aus den Priesterämtern und der Theologie herauszuhalten, doch nicht ganz falsch, auch wenn die Herren in der deutschen katholischen Kirche gegenwärtig den gleichen Irrweg mit Freuden beschreiten.

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