Die letzten Mystiker

Sind Bewusstsein, freier Wille und Gott unlösbare Geheimnisse?

Die letzten Mystiker

Foto: Pixabay.com / suju

Der britische Biologe und Nobelpreisträger Sir Peter Medawar bezeichnete die Wissenschaft 1967 als die Kunst des Lösbaren. „Gute Wissenschaftler untersuchen die wichtigsten Probleme, von denen sie glauben, dass sie sie lösen können. Es ist schließlich ihr professionelles Geschäft, Probleme zu lösen, nicht nur mit ihnen zu kämpfen“, schrieb er.

Seit Jahrtausenden haben sich die größten Denker unserer Spezies an den schwindelerregenden, ontologischen Klippen von drei großen Mysterien - Bewusstsein, freier Wille und Gott - festgehalten, ohne in die Nähe der dünnen Luft ihrer Gipfel aufzusteigen. Im Gegensatz zu anderen undurchschaubaren Problemen, wie die Struktur des Atoms, die molekularen Grundlagen der Reproduktion und die Ursachen menschlicher Gewalt, die erstaunliche Fortschritte in der Aufklärung erlebt haben, scheinen diese drei immer weiter vom Verständnis entfernt zu sein, selbst wenn wir immer schneller laufen, um sie in unseren wissenschaftlichen Netzen einzufangen.

Sind dies „schwierige“ Probleme, wie der Philosoph David Chalmers das Bewusstsein charakterisierte, oder sind sie tatsächlich unlösbare „mysteriöse“ Probleme, wie der Philosoph Owen Flanagan sie bezeichnete (inspiriert von der 60er Jahre Rockgruppe „Question Mark and the Mysterians“)? Die „alten Mystiker“ waren Dualisten, die an immaterielle Eigenschaften wie die Seele glaubten, die sich nicht durch natürliche Prozesse erklären lassen. Die „neuen Mystiker“, sagt Flanagan, behaupten, dass das Bewusstsein, bedingt durch die Grenzen der menschlichen Erkenntnis, niemals erklärt werden kann. Ich behaupte, dass nicht nur das Bewusstsein, sondern auch der freie Wille und Gott mystische Probleme sind, nicht, weil wir noch nicht klug genug sind, sie zu lösen, sondern weil sie nie gelöst werden können. Bedingt dadurch, wie Begriffe in der Sprache angelegt sind, nicht einmal prinzipiell. Ihr könnt uns die „letzten Mystiker“ nennen.

Bewusstsein. Das schwierige Problem des Bewusstseins wird durch die qualitative Erfahrung (Qualia) dessen repräsentiert, wie es ist, etwas zu sein. Es ist die erste subjektive Erfahrung der Welt durch die Sinne und das Gehirn des Organismus. Man kann nicht wissen, wie es ist, eine Fledermaus zu sein (im berühmten Gedankenexperiment des Philosophen Thomas Nagel), denn wenn man sein Gehirn und seinen Körper von menschlich zu fledermausisch verändert hätte, wäre man nur eine Fledermaus, nicht ein Mensch, der weiß, wie es sich anfühlt, eine Fledermaus zu sein. Sie wären nicht wie der Reisende in Franz Kafkas Novelle „Die Verwandlung“ von 1915, der erwacht und entdeckt, dass er sich in ein riesiges Insekt verwandelt hat, aber dennoch menschliche Gedanken hat. Du wärst nur ein Gliederfüßler. Per Definition kann nur ich meine Ich-Erfahrung als ich selbst kennen, und das Gleiche gilt für dich, Fledermäuse und Käfer.

Freier Wille. Nur wenige Wissenschaftler bestreiten, dass wir in einem deterministischen Universum leben, in dem alle Effekte Ursachen haben (außer in der Quantenmechanik, obwohl dies dem System nur ein Element der Zufälligkeit, nicht der Freiheit hinzufügt). Und doch tun wir alle so, als hätten wir einen freien Willen, dass wir uns zwischen Optionen entscheiden und bestimmte Freiheitsgrade innerhalb von eingeschränkten Systemen beibehalten können. Entweder sind wir alle wahnhaft, oder das Problem ist konzeptionell undurchdringlich. Wir sind keine inerten Materieklumpen, die durch die Paddel der Naturgesetze über den Flipper des Lebens gebändigt werden. Wir sind Handelnde im Kausalnetz des Universums, die sowohl von ihm bestimmt werden, als auch durch unsere Entscheidungen dazu beitragen, es zu bestimmen. Das ist die kompatibilistische Position, aus der die Willenskraft und die Schuldfähigkeit entstehen.

Gott. Wenn der Schöpfer des Universums übernatürlich ist - außerhalb von Raum und Zeit und den Gesetzen der Natur - dann kann per Definition keine Naturwissenschaft Gott durch Messungen mit natürlichen Instrumenten entdecken. Per Definition ist dieser Gott ein unlösbares Geheimnis. Wenn Gott Teil der natürlichen Welt ist oder irgendwie von außen in unser Universum hineinreicht, um die Teilchen zu bewegen (z.B. um Wunder wie die Heilung der Kranken zu vollbringen), sollten wir in der Lage sein, solche Taten der Vorsehung zu quantifizieren. Dieser Gott ist wissenschaftlich lösbar, aber bisher müssen es alle Behauptungen über solche Messungen erst noch schaffen, über die statistische Wahrscheinlichkeit hinauszukommen. Auf jeden Fall ist Gott als natürliches Wesen, das einfach viel klüger und mächtiger ist als wir, nicht das, was sich die meisten Menschen als göttlich vorstellen.

Auch wenn diese letzten Geheimnisse von der Wissenschaft nicht gelöst werden können, so sind sie doch zwingende Konzepte, die unsere Hinterfragung verdienen, wenn auch aus keinem anderen Grund, als dass sie zu einem tieferen Verständnis unserer Natur als fühlende, willensbildende, spirituelle Wesen führen können.

Fortsetzung

Die obige Kolumne erzeugte einige Aufmerksamkeit, davon einige kritische Stimmen von professionellen Philosophen, die ausdrücklich nahelegten, dass ich eine Reihe von Konzepten in Bezug auf diese Themen falsch dargestellt habe. Am 16. Juli 2018 veröffentlichte ich Fortsetzung, um einige dieser Kritikpunkte anzusprechen. Lesen Sie „Mysterianism Redux“ (Englisch) auf ScientificAmerican.com.

Übersetzung: Jörg Elbe

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Kommentare

  1. userpic
    Klaus Steiner

    Zitat: „Ich behaupte, dass nicht nur das Bewusstsein, sondern auch der freie Wille und Gott mystische Probleme sind, nicht, weil wir noch nicht klug genug sind, sie zu lösen, sondern weil sie nie gelöst werden können.“
    Damit will der Autor das Materie-Bewusstseins-Problem als unlösbar verkaufen. Eine wirklich nachvollziehbare Begründung für die Unlösbarkeit dieses Problems gibt es jedoch nicht (Quelle: Im Lichte der Evolution, Gerhard Volmmer, 2016, vgl. S. 407)!

    Zitat: „Wenn Gott Teil der natürlichen Welt ist oder irgendwie von außen in unser Universum hineinreicht, um die Teilchen zu bewegen (z.B. um Wunder wie die Heilung der Kranken zu vollbringen), sollten wir in der Lage sein, solche Taten der Vorsehung zu quantifizieren. Dieser Gott ist wissenschaftlich lösbar, aber bisher müssen es alle Behauptungen über solche Messungen erst noch schaffen, über die statistische Wahrscheinlichkeit hinauszukommen.“
    Gott ist wissenschaftlich eben nicht „lösbar“, das würde ja einem Beweis gleichkommen - diesen kann man aber nicht führen!
    Man könnte meinen, zwischen Existenz (Designer) und Nichtexistenz (Fehlen eines Designers) und ebenso zwischen Beweis und Widerlegung bestünde eine gewisse Symmetrie und damit zwischen Theisten und Atheisten eine Pattstellung. Das mag auf den ersten Blick plausibel erscheinen, ist jedoch erkenntnistheoretisch und wissenschaftslogisch falsch. Allaussagen ("Alle x haben die Eigenschaft y") lassen sich nicht beweisen, aber durch ein einziges Gegenbeispiel widerlegen. Existenzaussagen ("Es gibt mindestens ein x mit der Eigenschaft y") lassen sich durch ein einziges Beispiel belegen, aber nicht widerlegen. Deshalb verlangen wir von dem, der eine Existenzbehauptung ("Es gibt Gott / den intelligenten Designer") aufstellt, einen Beleg. Andernfalls müssten wir alles für existent halten, was wir weder belegen noch streng widerlegen können: Nessie, Yeti, Wolpertinger usw. (Quelle: Gretchenfragen an den Naturalisten, Gerhard Vollmer, 2013, vgl. S. 71). 

    Zitat: „Und doch tun wir alle so, als hätten wir einen freien Willen, dass wir uns zwischen Optionen entscheiden und bestimmte Freiheitsgrade innerhalb von eingeschränkten Systemen beibehalten können. Entweder sind wir alle wahnhaft, oder das Problem ist konzeptionell undurchdringlich.“
    Was bedeutet eigentlich Willensfreiheit? Dass ich unter den gegebenen Umständen auch anders hätte entscheiden können (Quelle 1: Warum ich kein Christ sein will, Uwe Lehnert, 6. Auflage, vgl. S. 138). Willensfreiheit wurde unterstellt, um über den daraus abgeleiteten Tatbestand der Schuld ein System von Moral und Vergeltungsrecht zu begründen. Aber eine bloße Unterstellung ist kein Beweis. Willensfreiheit ist wissenschaftlich nicht erwiesen, philosophische Argumente und immer mehr neurobiologische Erkenntnisse sprechen im Gegenteil dagegen. Schon Schopenhauer sagte: "Der Mensch kann tun was er will, aber nicht wollen, was er will", womit uns Handlungsfreiheit zugestanden wird (Quelle 1, vgl. S. 116). Mittlerweile wird nicht mehr bestritten, dass Gründe unseren Willen determinieren, welche von unseren Erbanlagen, unserer Erziehung und den aus der Umwelt auf uns einwirkenden Reizen und Umständen stammen (Quelle 1, vgl. S. 117). Es bleibt allerdings trotz aller Determiniertheit festzuhalten, dass das Gefühl, frei entscheiden zu können, dennoch besteht, auch wenn es eine Selbsttäuschung ist (Quelle 1, vgl. S. 121). Der Neurobiologe Gerhard Roth ist davon überzeugt, dass man nicht mehr von einem freien Willen sprechen kann, weil das bewusste rationale "Ich" nicht die Instanz sei, die das Handeln steuere, sondern das limbische System, also unser unbewusstes Erfahrungs- bzw. Handlungsgedächtnis (Quelle 1, vgl. S. 127).

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