Immer wieder treffe ich insbesondere in den sozialen Medien auf Vergleiche zwischen der Islamischen Revolution im Iran (1978/1979) und den aktuellen Ereignissen in der Türkei.
Tatsächlich gibt es erstaunliche Parallelen, auf die ich hier jedoch nicht näher eingehen werde. Vielmehr beschäftigt mich ein ganz erheblicher Unterschied. Es geht namentlich um die Migration aus den beiden Ländern in westliche Staaten, die sich kaum vergleichen lässt.
Selbstverständlich hat es auch vor der islamischen Revolution eine Auswanderung aus dem Iran in den Westen gegeben. Man kann über diese frühere Migration festhalten, dass es sich bei den jeweiligen Migranten in ihrer überwiegenden Mehrheit nicht um Islamisten handelte. Die wenigen, die es wohl auch gab, dürften in ihre Heimat zurückgekehrt sein, weil ihr Wunsch nach einem Gottesstaat schiitischer Prägung erfüllt wurde, respektive wollten sie bei dessen Schaffung und Gestaltung mitwirken. Für iranische Islamisten gab es jedenfalls nach der Revolution kein Motiv, um im verhassten Westen zu verbleiben.
Die zahlenmässig substantiellere und prägende Emigration aus dem Iran in westliche Staaten fand allerdings im Zusammenhang mit der islamischen Revolution statt. Gemäss den Informationen aus der Webseite von Migration Policy Institute, einem unabhängigen Think Tank aus den Vereinigten Staaten, hat sich diese wie folgt abgespielt:
Zu einer ersten Gruppe von Migranten aus dem Iran gehörten insbesondere Studenten, die in den Jahren 1977-1980 in überdurchschnittlich hoher Zahl im Westen studierten, insbesondere in den Vereinigten Staaten, in Grossbritannien, in der Bundesrepublik, in Österreich, in Frankreich und in Italien. Dies ging so weit, dass im Studienjahr 1979/1980 mehr iranische Studenten in den Vereinigten Staaten immatrikuliert waren als aus irgendeinem anderen Land. Eine grosse Zahl dieser Studenten ist nach der Revolution nicht nur im Westen geblieben. Vielmehr haben viele ihre Familien nachgeholt.
Ebenfalls in dieser ersten Fluchtwelle waren die Familien, die dem Schah nahestanden, wie etwa Regierungsmitglieder, Armeepersonal oder Banker. Diese Royalisten waren bereits in den ersten Tagen der Revolution geflohen und hatten bei ihrer Flucht erhebliche finanzielle Mittel mitgenommen.
Zu guter Letzt gehörten die religiösen und ethnischen Minderheiten zu dieser ersten Gruppe, die das Land verliessen, wie die Baha’i, Juden, Armenier oder Aramäer, die aus sehr gutem Grund Unterdrückung und Verfolgung befürchteten, was sich für diejenigen, die zurückblieben bewahrheiten sollte. Sehr viele Angehörige dieser Minderheiten waren bereits geflohen, als das Pahlavi Regime erste Risse bekommen hatte. Sie wussten sehr genau, was die Einführung der Scharia für sie bedeuten würde.
Die zweite Phase der Auswanderung fand nach der Revolution statt. Sozialisten und Liberale verliessen das Land relativ schnell, sowie junge Männer, die sich dem Militärdienst entzogen, um im Krieg zwischen dem Iran und dem Irak nicht teilzunehmen. Es folgten Familien insbesondere mit jungen weiblichen Familienmitgliedern, die aufgrund der Einführung der Scharia geschlechterspezifische Einschränkungen und Diskriminierungen erleiden mussten. Eine Tochter zu haben war damals im Iran ein entscheidendes Motiv, um das Land zu verlassen, weil Frauen nach der Revolution gezwungen wurden, sich zu verschleiern und weil in dieser Zeit die Möglichkeiten für eine Frau, um sich zu bilden und um zu studieren, erheblich abgenommen hatten. Auch waren die Frauen zum Gehorsam gegenüber männlichen Familienmitgliedern des Familienclans verpflichtet worden, was ebenfalls ein Motiv für die Auswanderung war. Diese Menschen verliessen ihre Heimat, weil sie insbesondere den jüngeren Frauen und den Mädchen in der Familie die Scharia nicht zumuten wollten. Da es sich unter dieser zweiten Gruppe eine sehr grosse Zahl von Fachkräften, Unternehmern und Akademikern befand, hat dies die „Brain-Drain“ aus dem Iran sogar beschleunigt. Im Jahr 1980 hatten noch 16’222 Professoren in den iranischen Hochschulen unterrichtet. Als die Universitäten 1982 wieder eröffneten, war ihre Zahl auf 9’042 gesunken. Mit der Revolution hatte ferner gemäss einer Schätzung jeder dritte Arzt und jeder dritte Zahnarzt das Land verlassen.
Keine nennenswerte Migration von Islamisten aus dem Iran
Ich denke, dass die allermeisten Leser den einen oder anderen Iraner oder Iranerin auch persönlich kennengelernt haben, die mehrheitlich im Rahmen dieser mit der Islamischen Revolution zusammenhängenden Migration in den Westen kamen; respektive wurden sie im Westen in solchen Familien hineingeboren. Auch ich hatte mit einigen Iranerinnen und Iranern teilweise sehr enge Kontakte, insbesondere im Gymnasium aber auch später an der Universität. Ich kann dem Leser versichern: Niemand von ihnen befolgte die Scharia oder hegte Sympathien für den politischen Islam. Ganz im Gegenteil. Wenn ich darüber nachdenke – und ich habe einige Minuten darüber nachgedacht, bevor ich es niederschrieb – stelle ich fest, dass ich in meinem bisherigen Leben noch nie einen Islamisten aus dem Iran kennengelernt habe. Ich muss mich korrigieren: Ich denke nicht, dass ich jemals einen Islamisten aus dem Iran in natura gesehen habe. Diese kenne ich wohl ausschliesslich aus dem Fernsehen!
Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus möchte ich selbstverständlich keine „wissenschaftliche“ Schlussfolgerung ziehen. Dennoch dürfte es für den Leser einleuchtend sein, dass wohl niemand, der seine Heimat wegen der Scharia und des politischen Islam verlassen hat, ein Sympathisant solcher Werte sein kann. Es würde mich jedenfalls erstaunen, wenn jemand diesbezüglich völlig andere Erfahrungen gemacht hätte. Einzig die Einwanderung aus dem Iran, die wesentlich später stattfand und teilweise in der Form von Armenmigration auch heute noch stattfindet, vermögen die vorgenannten Aussagen etwas zu relativieren. Auch eine nennenswerte Migration von islamistischen Asylbewerbern schiitischen Glaubens aus dem Iran in den Westen kann es aus nachvollziehbaren Gründen nicht wirklich geben.
Zusammengefasst bedeutet dies, dass die allermeisten Menschen aus dem Iran, die heute im Westen leben, einen eher negativen Bezug zur Scharia und zum politischen Islam haben. Daher ist es auch besonders ungerecht und absurd, dass ausgerechnet solche Menschen von Donald Trumps Einreisebeschränkungen betroffen sein sollen. Angesichts dieser Tatsachen hat es im Westen in der Vergangenheit keine Massendemonstrationen mit zehntausenden ausgewanderten Iranerinnen und Iranern gegeben, welche die Islamische Revolution, Khomeini, die „Märtyrer“ oder ähnlichen islamistischen Unsinn unterstützten. Vielmehr demonstrierten und demonstrieren auch heute Exiliranerinnen und –iraner gegen die Appeasementpolitik der westlichen Staaten gegenüber dem Iran und gegen das Mullah-Regime selbst.
In Deutschland war die Zustimmung für die AKP höher als in der Türkei
Nach diesen Ausführungen möchte ich mich nun mit der türkischen Bevölkerung im Westen befassen. Diese sieht je nach Einwanderungsland sehr unterschiedlich aus, insbesondere wenn man sich beispielsweise die Ergebnisse der Wahlen im November 2015 vor die Augen führt. In den Vereinigten Staaten etwa leben mehrheitlich (aber nicht ausschliesslich) säkulare Türkinnen und Türken, wo die CHP gute Ergebnisse erzielen konnte und die Wahlen gewann. In der Schweiz beispielsweise gibt es viele Kurdinnen und Kurden, weshalb die HDP in diesem Land klar bevorzugt wurde. In Deutschland hingegen war die Zustimmung für die AKP sogar höher als die in der Türkei selbst.
Diese letzte Aussage erstaunt deshalb nicht, weil die AKP-Sympathisanten in Deutschland zur ersten Garde des türkischen Islamismus gehören. Dieser konnte namentlich vor allem in Deutschland gedeihen und stark werden, etwa in der Form von Milli Görüş seit den frühen Siebzigerjahren. Ohne diese wichtige Unterstützung und den „Islamismusexport“ insbesondere aus Deutschland in die Türkei hätte es Erdoğan nie gegeben. Die Dankbarkeit, die der Diktator seinen Anhängern in Deutschland entgegenbringt, ist deswegen echt. Die zahlenmässig hohe Präsenz von türkischen Islamisten im Westen – insbesondere aber in Deutschland – hat erhebliche gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Konsequenzen.
Genau dieser Punkt unterscheidet die Migration aus dem Iran und aus der Türkei sehr massgeblich. Während sich vor allem in Deutschland kaum iranische Islamofaschisten aufhalten, die das Mullah-Regime unterstützen, ist die Zahl der türkischen Islamofaschisten, die hinter Erdoğan stehen, sogar überdurchschnittlich hoch, ja höher als in der Türkei selbst!
Sollte die bereits existierende Präsidialdiktatur von Erdoğan durch die bevorstehende Verfassungsabstimmung vom 16. April 2017 auch zur „rechtlichen“ Realität werden, dürfte es nicht allzu lange gehen, bis die Scharia in der Türkei auch offiziell eingeführt würde. Es gibt eine sehr grosse Zahl von Menschen in der Türkei, die unter keinen Umständen unter dem Joch der Scharia leben wollen und sofern sie es nur könnten, auswandern würden. Ich schliesse übrigens heute auch nicht mehr aus, dass mit der Einführung der Scharia die Türkei auch von einem „neo-ottomanischen Kalifat“ mit Erdoğan als Kalifen nicht allzu weit entfernt wäre. Es wird im übrigen in diesem Zusammenhang gemunkelt, dass die vielen Zimmer im „Palast“ des Diktators für Kalifatsdelegationen bestimmt seien (Quelle: Cumhuriyet). Für Millionen von Menschen in der Türkei sind das freilich Horrorvorstellungen, wobei sie aus heutiger Sicht leider nicht mehr ausgeschlossen werden können und daher durchaus realistisch sind. Bereits heute kann nämlich gesagt werden, dass diese Abstimmung weder frei noch fair ist oder sein wird, und die Gegner der Verfassungsrevision mit Betonklötzen an den Füssen gegen einen ungleichen Gegner kämpfen, der sämtliche Mittel des Staates und die von ihm kontrollierten Medien dafür einsetzt, um die uneingeschränkte Macht im Staat auch offiziell zu erhalten. Schon vor mehr als einem Jahr hat er angegeben, dass die faktische Verfassungsordnung nun auch de jure umgesetzt werden müsse, womit er ohne Scham und implizit zugab, dass die von ihm beanspruchte und wahrgenommene Macht gegenüber der geltenden Verfassung nicht standhält, was ihm aber völlig gleichgültig ist.
So oder so wird Erdoğan seine Macht nicht einschränken. Den Gegnern der Verfassungsrevision geht es damit vor allem um die Verhinderung des Super-GAU. Selbst wenn die Verfassungsrevision scheitern sollte, wird sich die islamistische Diktatur in der Türkei in absehbarer Zeit nicht rückgängig machen lassen. Es kann daher erwartet werden, dass eine sehr ähnliche Migration, wie es sie im Rahmen der Islamischen Revolution aus dem Iran gab, auch aus der Türkei stattfinden wird, wenn sie nicht bereits jetzt schon stattfindet. Es entspricht dabei der allgemeinen Erfahrung, dass Menschen in Situationen, wenn sie sich zur Auswanderung entschlossen haben, sich in der Regel in Länder begeben, wo sie ein Netzwerk von Landsleuten vorfinden können. Da in Deutschland sehr viele Menschen aus der Türkei leben, ist es daher nicht unwahrscheinlich, dass bei einem allfälligen Massenexodus von säkularen Menschen, Akademikern, Linken, Liberalen und Intellektuellen aus der Türkei sowie von Minderheiten wie Christen, Juden, Aleviten und Kurden die Bundesrepublik in vielen Fällen das Zielland sein dürfte.
Ein Verweis auf das Grundgesetz hilft wenig
Es wäre begrüssenswert, sofern eine solche Einwanderung tatsächlich stattfinden sollte, wovon ich persönlich ausgehe, wenn man diese Menschen im Westen willkommen heissen würde. Ich würde eine solche Haltung insbesondere von Deutschland erwarten, nachdem insbesondere dieser Staat durch seine jahrzehntelange Appeasementpolitik gegenüber den türkischen Islamisten und der Scharia im Allgemeinen sehr erheblich dazu beigetragen hat und durch seine Duldung und Kooperation mit diesen Leuten immer noch dazu beiträgt, dass viele Menschen aus der Türkei ihre Heimat verloren haben respektive noch verlieren werden. Für eine deutsche Leserin oder einen deutschen Leser mag dies als Vorwurf klingen. Es ist auch einer, der sich aber primär gegen den deutschen Staat richtet. Ein allfälliger Verweis auf das Grundgesetz mit den Grundrechten, über die die Islamisten verfügen sollen, hilft wenig, lieber Leser, wenn dieselben Islamisten im Schatten dieses deutschen Grundgesetzes die türkische Verfassungsordnung torpedierten und zerstörten, die heute in jeder Hinsicht am Rande eines Abgrunds steht.
Damit der Leser es wirklich versteht, möchte ich dies verdeutlichen: In der Türkei wird gegenwärtig der Verfassungsstaat, die parlamentarische Demokratie und die Gewaltenteilung abgeschafft. Die Grundrechte, die von der türkischen Verfassung und von der EMRK garantiert sind, wurden und werden hunderttausendfach mit den Füssen zertreten, wenn man beispielsweise auf die zahlreichen Beamtenentlassungen blickt und diese der entsprechenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Bereich der Beamtenentlassungen gegenüberstellt. Sogar die Todesstrafe soll wieder eingeführt werden, wobei nicht auszuschliessen ist, dass die Türkei bei deren Anwendung sogar das strafrechtliche Rückwirkungsverbot verletzen wird. All dies wurde unter Anderem möglich, weil vor allem Deutschland den türkischen Islamisten seit den frühen Siebzigerjahren als Basis gedient hat und immer noch dient, das Ganze stets unter Hinweis auf die Grundrechte!
Vielleicht sollte dieser Umstand respektive diese Erfahrung Grund genug dafür sein, gewisse Vorstellungen der geltenden Verfassungsordnung beim Umgang mit Islamismus, den Islamisten und der Scharia zu hinterfragen. Meines Erachtens wäre es insbesondere für die Deutschen an der Zeit zu erkennen, dass der politische Islam und die Scharia in einer pluralistischen Demokratie nichts verloren haben und sich unter keinen Umständen entfalten dürfen. Grundrechte sind nicht dazu da, um sämtliche Grundrechte, die parlamentarische Demokratie und die Gewaltenteilung abzuschaffen, selbst wenn dies vorerst nicht den eigenen Staat betrifft.
Aus diesen Gründen sehe ich insbesondere Deutschland und die Deutschen in der Pflicht, sich gegenüber dieser aus meiner Sicht bevorstehenden Migration wohlwollend zu verhalten. Gleichzeitig verbirgt sich hinter einer solchen Migration auch mögliches Konfliktpotenzial, weil sich in Deutschland auch hunderttausende von türkischen Islamofaschisten aufhalten, die vom Erdoğan-Regime zur Kollaboration, Bespitzelung, Unterwanderung und Spionage aufgerufen wurden. Der deutsche Staat darf es aus meiner Sicht einerseits nicht zulassen, dass die Menschen, die vor dem islamistischen Regime in der Türkei fliehen müssen, einer erneuten islamistischen Verfolgung in Europa ausgesetzt werden. Totalitäre Ideologien wie die Scharia, politischer Islam und ähnlicher islamistischer Unsinn dürfen andererseits nicht länger geduldet ja sogar rechtlich geschützt werden, weil diese Duldung und dieser Schutz nachweislich einem befreundeten Staat enorm geschadet hat, der aufgrund seiner Grösse und geostrategischer und politischer Bedeutung auch zu einer Gefahr für den Weltfrieden geworden ist. Allen voran gilt es aber die eigenen Grundwerte wie die Gleichberechtigung der Geschlechter, Gewaltenteilung, Pluralismus, Demokratie und damit die eigene Verfassungsordnung zu verteidigen, die von dieser totalitären Ideologie bedroht sind.
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