Eine andere Art der „Cultural Appropriation”

Betty Boop, Helen Kane und Esther Jones

Eine andere Art der „Cultural Appropriation”

Foto: Pixabay.com / twalton55

Nachdem ich zuvor einige Jahre alles Mögliche gesammelt hatte, fing ich ungefähr vor fünfzehn Jahren damit an, mich auf amerikanische Jazzmusik der Zwanziger und der frühen Dreißigerjahre und 78rpm auf Originalschallplatten aus dieser Zeit zu fokussieren. Seit mehr als zehn Jahren betreibe ich auf YouTube ein Channel, wo Videos zu sehen sind, die ich mit professionellen Aufnahmen meiner Platten untermale, die ich zuvor mit modernster Technologie restauriere. Mittlerweile hat mein Channel „Atticus Jazz“ über 11.000 Abonnenten und über 6 Millionen Views. Natürlich blieb meine Begeisterung für diese Zeit nicht nur bei der Musik. Ich bekam durch meine Dauerbeschäftigung mit dieser Zeit auch eine tiefere Sicht in andere Bereiche der Unterhaltungsbranche und auf die Kultur sowie auf die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse der damaligen Zeit in den Vereinigten Staaten.

Selbstverständlich kannte ich die Zeichentrickfigur Betty Boop wie so viele bereits schon als Kind. Bis ich damit anfing, mich mit dem Jazz Age zu beschäftigen, hatte ich allerdings keine Ahnung über ihre Entstehung. Betty Boop ist ein Comic-Charakter, der vom amerikanischen Cartoonisten Max Fleischer erfunden wurde. Zum ersten Mal wurde sie im Jahr 1930 gezeigt. Bei Betty Boop handelt es sich um eine „Jazz Age Flapper“. Unter dem Begriff „Flapper“ ist eine junge Frau aus den Zwanzigerjahren zu verstehen, die sehr frei lebt, die ausgeht, mit Männern flirtet, trinkt, raucht, frech ist und Spaß hat. Flappers sind damit bereits unabhängig von Betty Boop Ikonen des Jazz Age.

(Gemeinfrei, Wikipedia)

Die Vorlage für Betty Boop war Helen Kane, eine „Comedienne“ und Schauspielerin. Die Tätigkeit einer „Comedienne“ kann man auch als Kleinkunst bezeichnen. Dabei verkörperte Helen Kane vor allem kleine unerzogene Mädchen oder eben auch Flapper und sang Lieder mit einer frechen Kleinmädchenstimme, die vor allem zur Belustigung angedacht waren. Dazu gehört unter anderem das Stück „I Wanna Be Loved By You“, welches den meisten aus dem Film „Some Like It Hot“ mit Marilyn Monroe bekannt sein dürfte. Die Version von Helen Kane aus dem Jahr 1928 ist auf YouTube zu hören. Darin kommt auch ihr Markenzeichen „Boop Oop a Doop“ vor.

Helen Kane fand es nicht besonders schmeichelhaft, dass Max Fleischer bei der Figur Betty Boop nicht nur ihr Aussehen, sondern auch ihr Markenzeichen „Boop Oop a Doop“ übernommen hatte und verklagte die Fleischer Studios wegen Urheberrechtsverletzung. Im Zivilprozess gelang es ihr allerdings nicht, den Beweis zu erbringen, dass sie, Helen Kane, die Grundlage für die Figur Betty Boop war. Außerdem         wiesen die Anwälte der Fleischer Studios darauf hin, dass Helen Kane auch das „Boop Oop a Doop“ nicht für sich beanspruchen könne. Dieser Kunstsatz sei schon früher von anderen Performerinnen verwendet worden, unter anderem von Esther Jones, einer afroamerikanischen Performerin. Helen Kane habe selbst habe „Boop Oop a Doop“ von Esther Jones geklaut. Die Klage wurde in der Folge abgewiesen, was Helen Kane finanziell ruinierte. Sehr viel später räumte Max Fleischer ein, dass Helen Kane durchaus die Grundlage von Betty Boop gewesen sei.

Dieses Detail hat heutige Woke-Linke dazu veranlasst, die falsche Behauptung in die Welt zu setzen, die Vorlage für Betty Boop sei Esther Jones gewesen und nicht etwa Helen Kane. Durch sog. „Whitewashing“ habe man aus der ursprünglich schwarzen Betty Boop eine Weisse gemacht.

In den letzten Monaten begegne ich auf Facebook immer wieder auf Posts, die ganz offenkundig von amerikanischen Woke-Linken stammen. Darin wird behauptet, dass Esther Jones die Grundlage für Betty Boop gewesen sei und man habe ihr nie Anerkennung dafür gezeigt. Es steht natürlich der Vorwurf der kulturellen Aneignung im Raum. Max Fleischer, ein Weisser, „stiehlt“ von Esther Jones angeblich Betty Boop und die vermeintliche „eigentliche“ Schöpferin, eine Afroamerikanerin, bekommt nie die Anerkennung, die ihr gebührt. So schreibt „History Revealed“:

„One of the most famous cartoon characters in history, Betty Boop is instantly recognizable to countless Americans. But few know that she was largely based on a Black child performer named Esther Jones.

Back in the 1920s and ’30s, Jones delighted audiences in the United States and Europe with her singing, dancing, and signature phrase: „Boop, Boop-a-Doop.“ But her act was later picked up by a white actress, whose similar style caught the eye of cartoonist Max Fleischer. Inspired, he soon created the iconic character of Betty Boop. But despite the massive success of the cartoon — and the fact that Jones had paved the way for the show — she never received credit or royalties. And it remains unknown what happened to her after she stepped out of the spotlight.“

„History Revealed“ ist nicht die einzige Quelle im Internet, welche die wahrheitswidrige Geschichte verbreitet, dass die Grundlage für Betty Boop eine Afroamerikanerin gewesen sei. Auch „Black History“ und andere ähnliche Webseiten verbreiten die Unwahrheit. Dies teilweise auch sehr heftig.

Das Foto ganz rechts neben den beiden Betty Boop Figuren beim Screenshot zeigt übrigens nicht Esther Jones. Vielmehr handelt es sich um ein Foto des berühmten Harlem Renaissance Fotografen James Van Der Zee, welches eine ganz gewöhnliche Frau aus Harlem zeigt.

Esther Jones ist auf dem nachfolgenden Bild links neben Betty Boop zu sehen. Es besteht offensichtlich keine Ähnlichkeit zu Betty Boop. Daher haben sich Woke-Linke etwas einfallen lassen und behaupten in diversen Artikeln in Online-Medien, dass die Frau, die unten auf einem Foto die Hüften hält, Esther Jones sei. Das stimmt natürlich nicht.

Die Frau, die sich auf dem Foto rechts neben Betty die Hüften hält, ist nicht nur nicht Esther Jones. Sie ist, anders als die Woke-Linken dies suggerieren, nicht einmal eine Afroamerikanerin. Sie ist ein ukrainisches Model der Neuzeit und heißt Oyla. Das Foto stammt aus dem Jahr 2008.

Man kann heute nicht mit Sicherheit sagen, ob Helen Kane ihren Spruch „Boop, Boop-a-Doop“ von Esther Jones „geklaut“ hat. Fraglich ist, ob ein solcher Spruch überhaupt schutzfähig ist. Sicher ist jedoch, dass die Grundlage von Betty Boop Helen Kane war und Max Fleischer sich von ihrem Aussehen, von ihrer Stimme und von ihrem Markenzeichen inspirieren ließ. Wenn heute Woke-Linke behaupten, dass die Grundlage von Betty Boop eine Afroamerikanerin gewesen sei, ist dies selbst eine Form der kulturellen Aneignung, gepaart mit Geschichtsfälschung.

Der Artikel erschien in leicht gekürzter Version zuerst bei den Ruhrbaronen.

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